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TEILDOKUMENT:
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3. Ein globales Phänomen Pläne und Aktionen zur Informationsgesellschaft auf allen Kontinenten
Stellvertretend für unzählige Beispiele aus anderen Weltregionen sollen aktuelle Entwicklungen in den Industrieländern USA, Japan und Australien stehen, wo es aktuelle Modifikationen von Aktionsprogrammen gegeben hat. Das Beispiel Chile soll für ein Schwellenland des Subkontinents gelten, das über den Weg in die Informationsgesellschaft vor allem das Aktivziel Zugehörigkeit zu den großen Zehn auf dem Informatiksektor erreichen will. Der Blick auf Südafrika will den Aspekt der Chancen hervorheben, den sich die Länder des Südens von der Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft versprechen.
3.1 USA: Der Digital Divide als Hürde?
Die Diskussion in den USA hat sich seit 1998 signifikant verlagert. Waren die fünf Jahre davor mehr oder weniger von den Gedanken und Aktionen rund um den Begriff des Data Highway, der National Information Infrastructure bis hin zur Global Information Infrastructure der G7-Staaten geprägt, so hat sich seither aufgrund des in Studien festgestellten Digital Divide ein Paradigmenwechsel angebahnt. Für einige Jahre hatten die USA mehr oder weniger offen [Selbst Ostküsten-Intellektuelle sprachen (offline) davon, nur noch für das bessere Drittel der Schüler eine Lehrerausbildung anzustreben, der Rest sei doch per Netz unterrichtbar.] eine IT-Strategie auf das obere Drittel der Bevölkerung (user) hin verfolgt und die zwei Drittel minder qualifizierten (bzw. zu qualifizierenden) Bürgern (loser) aus den Augen verloren. Die statistischen Zahlen nach fünf Jahren Vernetzungsaktion waren deutlich: Signifikante Rückstände bei allen nur denkbaren ethnischen, sozialen und Handicap-Gruppen, ein krasses Stadt-Land-Gefälle und nicht zuletzt ein sattes Gender-Problem: Der amerikanische User ist männlich, jung, weiß, wohlhabend und urban. Nun kann man den Amerikanern ohne Böswilligkeit unterstellen, dass sie das soziale Gewissen nicht so habituell drückt wie etwa die Europäer. Und in der Tat mischten sich unter die besorgten Stimmen der Sozialpolitiker und der Bildungsinstitutionen auch Stimmen aus ökonomischer Sicht, die kategorisch behaupten, dass sich die ganze Internetökonomie ohne die 55-jährige hispanische Hausfrau im Mittelwesten ökonomisch nicht rechne. Auch fiel den Amerikanern ganz plötzlich auf, dass eine elektronische Verwaltung, zu der mehr als die Hälfte der Bürger weder den physischen Zugang noch und dies ist viel bedeutsamer die erforderliche PC-Kompetenz hat, prinzipiell das ersehnte Effizienzziel nicht erreichen kann. Wo in Europa gewiss die Kultur- und Bildungsminister bange Fragen stellen würden, übernahmen dies in den USA eher die Ökonomen. [Seite der Druckausg.: 62 ] Handelsminister William Daley rief im Herbst 1998 ein nationales Treffen zusammen, um sich des Problems des Digital Divide anzunehmen. The information technology gap across the country erfordere einen sehr ernsthaften Dialog zwischen großen Technologiefirmen, Bürgerrechtsorganisationen, Bürger- und Kommunalgruppen, um einen Ausweg aus dem Digital Divide in schlecht versorgten Kommunen zu finden. Die inner cities (ein politisch korrekter Ausdruck für die Innenstadtslums) müssten wieder ins Leben zurück gebracht werden, sagte Daley. Man müsse alle Verlierer des Booms der späten neunziger Jahre auf den Weg bringen, betonte der Handelsminister im Greater Washington Urban League Technology Center, flankiert vom Bürgermeister sowie Vertretern der AT&T-Stiftung und Microsoft. Die Unternehmen wurden in die Pflicht genommen, ihre Ressourcen dem Digital Divide zu widmen. Beide Unternehmen gehörten ja zu den Befürwortern der New Markets Initiative von Präsident Clinton, die sicherstellen wolle, dass alle Amerikaner auf den Übergang in eine informationsbasierte Weltwirtschaft vorbereitet werden. Die Präsidentin der AT&T-Stiftung verband mit einer großen Spende für den Ausbau des Bürgercenters die Hoffnung, dass damit ein weiterer Schritt zum allgemeinen Internetzugang von Kindern und Erwachsenen erfolge. Microsoft wollte da nicht zurückstehen und spendete dem Zentrum die komplette neue Software, denn der Digital Divide ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
[„Closing the digital divide is one of the greatest challenges we face going into the 21st century and Microsoft remains committed to working with the Department of Commerce, community leaders and our industry partners to help bridge this divide„, said Jack Krumholtz, director of federal government affairs for Microsoft. ]
. Am 17. Dezember 1999 legte Präsident Clinton unter Bezug auf die Vorläufer vom 1. Juli 1997 und 30. November 1998 zwei Memoranden für die obersten Bundesbehörden sowie die staatlichen Agenturen vor. Das erste Memorandum widmete sich der Nutzung von Informationstechnik zur Verbesserung unserer Gesellschaft (to improve our society). Neben den weltweit üblichen (und im Prinzip standardisierbaren) Eingangsfloskeln, dass die neuen Informationstechniken unsere Gesellschaft so prägen wie früher die Dampfmaschine und die Elektrizität, dass IT die Wirtschaft durcheinanderwirbelt, Produktivität erhöht und engere Kunden- wie Lieferantenbeziehungen schafft, betont Clinton, dass unter seiner Regierung eine marktorientierte Strategie für den globalen e-commerce verfolgt worden sei, bei der so weit wie möglich die Führungsrolle beim privaten Sektor liege und der Staat (while protecting the public interest) sich auf die Beseitigung rechtlicher und regulatorischer Barrieren beschränke. Das Internet habe das Potential für eine Verbesserung der Bürgergesellschaft sowie für eine Verstärkung des kommerziellen Sektors. Kreativ genutzt, kann das Internet ein mächtiges Werkzeug für einige unserer härtesten sozialen Herausforderungen sein, leitet das Memorandum direkt zum Digital Divide über: Information technology can and is being used to make it easier for working adults to acquire new skills, [Seite der Druckausg.: 63 ] increase access to healthcare in isolated rural communities, improve the quality of life for people with disabilities, and strengthen our democracy. Und damit kommt Bill Clinton zu den Handlungsaufforderungen, die schon seit 1993 von Vizepräsident Gore und ihm selbst vorgebracht wurden, aber die es offensichtlich wieder in Erinnerung zu rufen galt:
Und genau für den breiten sozialen Nutzen weist der US-Präsident die bundesstaatlichen Behörden und Agenturen zu folgenden Aktionen an:
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Privatsektor sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen des ganzen Landes eine Digital Library of Education schaffen, die als Zentrum für die kulturellen und erzieherischen Ressourcen des Landes dienen kann. Im abschließenden Punkt 16 ordnet Präsident Clinton an, dass die Koordinierung der e-commerce-Strategie weiterhin bei Vizepräsident Gore liege, und dass ihnen beiden regelmäßig Bericht zu erstatten sei, etwa durch den Jahresbericht der Electronic Commerce Working Group (ECWG). Die Anordnungen gelten bis zum Inkrafttreten von substantial new policy issues. Das zweite Dezembermemorandum ist auf den Bereich der elektronischen Verwaltung (Electronic Government) gerichtet. Der Präsident bringt darin zunächst seine Unzufriedenheit über den erreichten Stand zum Ausdruck: Meine Regierung [Für die deutsche Diskussion ist es beobachtbar fatal, dass mit „Administration„ die Regierung gemeint ist und mit „government„ die Verwaltung. Vgl. hierzu den Vorschlag, die beiden Begriffe in einem neuen Begriff „e-ministra tion„ zu fassen, in: Klumpp, Dieter, E-Ministration: Verwaltung sucht Kundschaft, Talheim 2000 (im Erscheinen).] (my administration) hat eine Vielzahl von Informationen ins Netz gestellt, die allerdings bei den Bundesbehörden schnell wieder auf Papier ausgedruckt werden, wo dann wochenlange Verwaltungsvorgänge für einfachste Dinge wie eine Adressenänderung stattfinden. Die Behörden haben je für sich one-stop-shops auf ihren jeweiligen Websites geschaffen, aber dies hat sich für die Bürger als weit weniger nützlich als angenommen herausgestellt. Denn dieser muss zuerst herausfinden, welche Behörde für sein Anliegen zuständig ist. Es wurde nicht ausreichend versucht, Verwaltungsinformationen je nach Kategorie (also ein Verwaltungsportal; d. Verf.) anzubieten, was besser wäre als das bisherige je nach Behörde, und was den Anforderungen der Bürger entgegenkäme. Mit der erhöhten Nutzung des und Aufmerksamkeit für das Internet steige der Bedarf nach Online-Verwaltungsinteraktion sowie nach vereinfachten, standardisierten Zugängen zu Verwaltungsinformationen und -diensten. Zugleich mit dieser wichtigen Forderung müsse der Bürger aber auch Vertrauen aufbauen können, dass diese Online-Kommunikation mit der Verwaltung allen Anforderungen der Datensicherheit (security) und des Daten- wie Persönlichkeitsschutzes (privacy) genüge. Um den Bürgern jetzt einen vereinheitlichten Informationszugang (one-stop-access) zu bieten und für bessere und effizientere Verwaltung bei erhöhter Verantwortlichkeit der Verwaltung zu sorgen, ordnete Clinton ein Bündel von Maßnahmen an [Vor allem, um die Vielzahl der angesprochenen Behörden und anderer Akteure deutlich zu machen, aber auch, um den Detailreichtum dieser Präsidentendirektive zu zeigen (der vielleicht manchen deutschen Beobachter überrascht, der von den USA immer nur marktorientierte und selbstregulatorische Aktionen erwartet), ist das Memorandum hier in Englisch mit deutschen Kommentaren und Überschriften dargestellt. Besonders bemerkenswerte Punkte sind von den Autoren kursiv herausgehoben .].
Dieses Memorandum macht mehrere Dinge deutlich. Zum einen haben die USA einen zeitlichen Erfahrungsvorsprung von einigen Jahren mit einer Fülle von Experimenten. Diese Lektionen der Praxis können und sollten anderswo als Vorbild dienen, man muss diese Erfahrungen nicht zwingend nochmals machen. Andererseits zeigt es sich aber, dass der amerikanische Weg des muddling through gegenüber dem europäischen Weg zunächst deutliche Zeitverluste mit sich bringt. In den europäischen Papieren zur elektronischen Verwaltung, aber auch schon in Pilot-Realisierungen wird nirgends versucht, dass jede Behörde eine eigene Zugangsseite für Bürgerdienste einrichtet, sondern man konzentriert sich von vorne herein auf den Lebenslagen-Ansatz [Vgl. hierzu Kubicek, Herbert/Braczyk, Hans-Joachim/ Klumpp, Dieter et al. (Hrsg.), multimedia@verwaltung, Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1999, Heidelberg 1999.] (was ist zu tun bei Umzug, Heirat etc.) oder auf entsprechende Portale der Verwaltung wie Amtshelfer, dem österreichischen Portal, wie AdmiFrance oder in Deutschland die verschiedenen virtuellen Rathäuser sowie die Media-Komm-Projekte des Wirtschaftsministeriums. Es ist bei der sonst in Internetdingen unbestrittenen Vorreiterrolle der USA höchst bemerkenswert, dass zum Beispiel die Fortbildung der öffentlichen Angestellten für ein electronic government Gegenstand einer Präsidentenanweisung ist, und dass dieses (bei uns immer für wenig bürokratisch gehaltene) Industrieland in dieser Hinsicht zur Zeit noch nicht einmal auf einer Höhe mit Ungarn [Ungarn schreibt seit 1999 für den Eintritt in den öffentlichen Dienst das Ablegen des ECDL (European Computer Driving License) vor.] ist, und dass die Skandinavier wie die Franzosen einen deutlichen Vorsprung haben. Für europäische Verwaltungen und Verwaltungsmodernisierer ist es deswegen nicht undenkbar, ihre Modelle nach USA zu exportieren. Hiesige Dienstleister (samt entsprechender Softwarefirmen), die seit Jahren ihre nationalen Verwaltungen auf lukrative Outsourcingmöglichkeiten abklopfen, könnten hier einen zahlungskräftigen Exportmarkt sogar in den Basisanwendungen eines Bürgernetzes erobern, wenn sie nur schnell genug wären. Die USA sind bei ihrer ungestümen Internetstrategie nicht nur auf den Digital Divide gestoßen, sondern haben auch gemerkt, dass zu einer Implementierung von electronic government doch eine ganze Menge Vorausüberlegung gehört. Die Amerikaner fassen jetzt Dinge ins Auge, von denen die Nichtamerikaner dachten, allein deren Erwähnung sei unamerikanisch und damit innovationsfeindlich: Standards für Webportale, Digitale Signaturen, vertrauenswürdige Kommunikation und [Seite der Druckausg.: 69 ] vieles anderes mehr, was in Europa längst Teil sogar der aus dem akademischen Bereich stammenden Konzeptionen ist. Die anderen Länder könnten sich jetzt eins feixen, aber sie sollten nicht vergessen, dass die Amerikaner zu unglaublichen Leistungen imstande sind, wenn sie nur hinreichend Problemdruck verspüren. Ein Land, das wie die USA ohne bundesstaatliche Neuverschuldung dasteht, das über Innovationscluster wie in Manhattan und Brooklyn verfügt (dort gibt es mehr Internetstartups als in den gesamten europäischen Flächenländern), kann innerhalb von zwei Jahren wahre Wunderdinge bewirken. Ob eine denkbare Präsidentschaft Al Gores ab 2001 nun kommt oder nicht, der Gore-Effekt wird den USA auf ihrem Weg zur Informationsgesellschaft sicher erhalten bleiben
[Die wichtige Rolle des Präsidenten als Moderator wurde auch aktuell deutlich: Bei den „Denial-of-Service„-Attacken von Mitte Februar gegen bekannte WWW-Portale dauerte es keine Woche, bis Clinton im Weißen Haus das komplette Spektrum der Akteure um sich versammelt hatte, um über Abhilfe zu beraten.].
Sich hinter einem nationalen bzw. patriotischen Ziel ruckartig und nachhaltig versammeln zu können, ist immer noch eine der bewundernswerten Stärken der USA.
3.2 Chile: Tiger oder Kätzchen?
Mit der Wiedergewinnung der Demokratie unter dem christdemokratischen Präsidenten Frei setzte ein Wirtschaftsboom in Chile ein, der in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre durch ein Wirtschaftswachstum von nahezu 8% dieses Land im letzten Winkel der Welt (Salvador Allende 1971) für die Beobachter zum Tiger, also zum Schwellenland mit Tendenz zum Industrieland machte. Chile ist traditionell von einer Oberschicht geprägt, die sich auf Augenhöhe mit den Vertretern großer Industrieländer befindet. Die beiden größten chilenischen Universitäten genießen weltweit hohes Ansehen, die Verwaltung ist von hoher Qualität, und die Chilenen sind stolz auf eine fast 200jährige Demokratiekultur, die mit den 16 Jahren Militärregime (1973 1989) nach Meinung der Chilenen lediglich einen unschönen Fleck hat. Chile hat sich stets bemüht, hinsichtlich der Politik auf dem europäisch-amerikanischen State of the art zu bleiben; die Neustrukturierung der Wirtschaftspolitik mit den wirtschaftsliberalen Chicago boys war nicht etwa von den Militärs gesteuert, sondern von den akademischen Eliten selbst. Man brauchte den Chilenen keine Umschulung für Liberalisierung zu verpassen. Der neu gewählte Präsident Ricardo Lagos hat schon in der Allendezeit eine moderne liberale Wirtschaftspolitik propagiert, wie sie heute in den sozialdemokratischen Parteien auf der Welt gängig ist. Chiles Problem ist die Abhängigkeit vom Kupferpreis sowie das Fehlen einer starken Industrieproduktion; es war eigentlich ein Industrieland, nur ohne Industrie. Es konnte Beobachter nicht überraschen, dass Chile schon relativ früh in den neunziger Jahren den PC und die digitale Telekommunikation auch als volkswirtschaftliches Instrument entdeckte. In einem völlig liberalisierten Telefonmarkt in Santiago gibt es schon seit 1986 zum Beispiel tageszeitabhängige Gebührenstrukturen, seit 1993 Mobiltelefone ohne Vertragsmindestdauer mussten [Seite der Druckausg.: 70 ] nicht erst Barrieren weggeräumt werden wie anderswo. Und Chile hat jetzt die Chance, aus der Schwäche einer fehlenden Industriebasis des Industriezeitalters eine Stärke der digitalen Ökonomie des Informationszeitalters zu machen. 1998 wurde vom Staatspräsidenten eine Kommission eingesetzt, die ihren Bericht im Januar 1999 vorlegte. Die Kommission lag allein von der Zahl der Mitglieder und Experten her (rund 150 in sechs Arbeitsgruppen) in der Größenordnung einer deutschen Enquête-Kommission. Es handelt sich aber in erster Linie um eine Kommission der Exekutive, wie ein Blick auf die Leitungsebene der 20 Mitglieder umfassenden Kernkommission zeigt: Präsident war Wirtschaftsminister Jorge Leiva, Generalsekretär der Bereichsleiter Marktentwicklung aus dem Wirtschaftsministerium, das auch die drei hochrangigen Sekretariatsmitarbeiter stellte. Die übrigen Mitglieder zeigen ein breites Spektrum der jeweiligen Verankerung auf:
Die Arbeitsgruppen Modernisierung des Staates, Handelsgesetzgebung und Regulierung, Neue Technologien und digitale Netze für eine produktive und technologische Entwicklung sowie Informationsgesellschaft, Ausgleich und kulturelle Entwicklung wurden durch spezielle Experten ergänzt. Der Report sollte neben der Standortbestimmung vor allem auch den Weg [Seite der Druckausg.: 71 ] des Landes zur Informationsgesellschaft präzisieren. Die neue technologische Revolution müsse zu einer Informationsinfrastruktur führen, die für das künftige Wohlergehen des Landes genau so wichtig sei wie die physische Infrastruktur von heute: Die Entwicklung neuer Märkte, die Vereinfachung und Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung, vor allem aber die Entwicklung einer offeneren und kommunikativeren Bürgergesellschaft werde durch die digitalen Netze angestoßen. Der Staat in seiner Führungsrolle für Information und Dienstleistungen werde signifikanten Änderungen unterliegen. Behörden müssten restrukturiert werden, um den maximalen Nutzen der Netztechnik auszuschöpfen. Mit dieser Modernisierung und Dezentralisierung werde die Basis für eine nachhaltige Entwicklung gelegt, für einen höheren Lebensstandard sowie für die offenere partizipatorische Bürgergesellschaft. All dies führe zu einer neuen Gesellschaftsform, die man als Informationsgesellschaft oder Wissensgesellschaft beschreiben könne, in der Information und Wissen die Hauptquelle von Produktivität, Macht und Wohlstand seien. Zwischen 1990 und 1998 hat Chile eine rasante Entwicklung erlebt: Verdreifachung der Telefonanschlüsse, von Null auf 800.000 Mobiltelefone, von Null auf 900.000 Kabelfernsehanschlüsse, Versechsfachung der PC-Anschlüsse auf einem Stand von 19% der Arbeitnehmer und 11% der Haushaltungen. Dies hätten fast ausschließlich die Marktkräfte bewirkt, wobei allerdings vier große signifikante Lücken entstanden seien:
Diese Herausforderungen könnten nicht ohne kollektive und nachhaltige Anstrengung angegangen werden, die Geschwindigkeit des Fortschritts hänge von der Stärke des nationalen Konsenses ab, von der Geschwindigkeit der institutionellen Modernisierungen sowie von der Tiefe unseres Engagements für die Werte der Demokratie, der Freiheit und der Chancengleichheit. Drei Hauptziele, die miteinander eng verflochten seien, sollten von der Kommission in einzelne Aktionspunkte umgesetzt werden:
[Seite der Druckausg.: 72 ] nigten Weg Chiles in die Informationsgesellschaft übernehmen. In den Vordergrund stellt die Kommission Schwerpunktaufgaben, die in 61 Einzelzielen ausgedrückt sind.
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[Seite der Druckausg.: 75 ] sche Informationen, speziell der digitalen Kartografie.Spezialprogramm für die Infrastrukturentwicklung der ganz nördlichen und südlichen Regionen Chiles (jeweils rund 2.500 km von Santiago entfernt). Dorthin sollen das Wissenschaftsnetz REUNA2 sowie vor allem auch die Telemedizin (über Kioske) ausgedehnt werden. Unterstützung der landesweiten Diskussion über die Informationsgesellschaft, um insbesondere auch das Initiativprogramm 19992000 voran zu bringen. Dies werde vor allem Aufgabe eines Public-Private-Komitees (Beirat) für die nationale Initiative für die Informationsgesellschaft sein, das nicht nur für dieses Programm werben, sondern vor allem auch die Öffentlichkeit sensibilisieren soll, denn Chile stehe vor Chancen und Herausforderungen. Auf der organisatorischen Ebene schlägt die Kommission die Verstärkung einiger Regierungsstellen vor, insbesondere beim Staatsminister im Amt des Staatspräsidenten, dem Wirtschaftsminister und dem Staatssekretär für Telekommunikation
[Trotz früher und radikaler Liberalisierung hat Chile die Re gierungszuständigkeit für Telekommunikation nicht abgeschafft.]
. Das Ziel des Berichts beschränke sich nicht etwa auf die technologische Dimension, es gehe darum, die Modernisierung zu harmonisieren, zunehmende soziale Integration zu bewirken, eine offene und kulturell fortschrittliche Gesellschaft aufzubauen, die Partizipation auf allen Ebenen zu fördern und mit Hilfe des wettbewerbsfähigen und innovativen Wirtschaftssystems einen höheren Lebensstandard für alle Chilenen zu erreichen. Der Wirtschaftsminister sieht 1999 die Lage durchaus optimistisch: Das internationale Bezugsfeld beim Aufbau entsprechender Netze gibt noch kein klares Bild darüber, welche Länder hier zur Avantgarde zählen. Das erstaunlichste Ergebnis einer 18monatigen Umsetzungskampagne sind der Aufbau und die Ausstattung eines Verwaltungsportals unter der Bezeichnung modernisazion.cl [Chile hatte bei den Domainnamen einen frühen Zugriff. So wohl die „Modernisierung„ als auch die „Innovation„ führen direkt zu den Programmen der Informationsgesellschaft. In Deutschland steht unter der URL „modernisierung.de„ ein Münchner Baustoffkonzern (!) und unter „Innovation.de„ ein Kölner Innovationsberater.] (Modernisierung-Chile). Hier werden nicht nur der Zugang zu Bürgerservices (nach dem Lebenslagen-Ansatz) geboten, sondern auch Mailinglisten, Newsletters und alle wichtigen Informationen rund um die Verwaltungsmodernisierung. Chile veranstaltet jährliche Wettbewerbe mit der Auszeichnung besonders innovativer Kommunen, bei denen die Preise vom Staatspräsidenten überreicht werden. Die Chilenen haben sich durchaus auch originäre wie originelle Punkte bei den Bürgerservices ausgedacht, die es wert sind, auch in Europa diskutiert zu werden. So hat ein gesteigertes Ökologiebewusstsein zu einem Webformular geführt, auf dem jedermann sofort und nur unter der Bedingung der Angabe seines kompletten Namens und der Adresse ei- [Seite der Druckausg.: 76 ] nen Umweltsünder anzeigen kann: In Santiago (nach der Halbierung der Smogwerte innerhalb von drei Jahren durch Katalysatoren noch immer eine der smogreichsten Metropolen der Welt) kann man online das Kennzeichen eines Autos mit auffälliger Rußbildung des Auspuffs ebenso den Behörden melden wie den wasserverschwendenden Rasenspreng-Nachbarn. Diese Möglichkeiten sind aber nicht in Kategorien der Erziehungsdiktatur à la Singapur anzusehen, sondern durchaus als eine auf die Spitze getriebene kommunitaristisch angehauchte Bürgerkultur. Man könnte in Europa hier wieder einmal aus einem chilenischen Experiment etwas lernen, denn die Trennlinie zwischen dem positiv besetzten Ökodenken und einem fragwürdigen Denunziantentum könnte in einem zielgerichteten Diskursprozess [Ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit und Möglichkeit von antizipierender Technikfolgenabschätzung: Anstatt zu warten, bis irgendwo in Europa ein Staat dieses Experiment nachahmt, könnte eine frühzeitige normative Entscheidung gefällt werden – man braucht nicht in jedem Land der Welt ein zeitraubendes Pilotprojekt zu starten.] festgelegt werden. Mit dem neuen Staatspräsidenten Ricardo Lagos wird der chilenische Weg in die Informationsgesellschaft eher noch beschleunigt werden, soweit es die nicht mehr ganz so günstigen Wirtschaftsdaten zulassen: Ist der sozialdemokratische Lagos doch seit vielen Jahren als moderner liberaler Wirtschaftspolitiker mit einem guten Wirtschaftsprofil versehen und er ist auch einer der Vordenker des sozialen Ausgleichs gerade in einer Informationsgesellschaft, was sich u.a. durch sein Engagement in diversen Stiftungen und Initiativen zeigt. Chile hat binnen weniger Jahre in einem erstaunlichen Maß aufgerüstet, was die gesamte Palette der Informationstechnik betrifft im Zentrum von Santiago sind Mobiltelefone und Computer präsenter als in Mitteleuropa. Seine Stärke ist aber eindeutig in der Workforce für Informatik zu sehen, die an den Universitäten auf höchstem Niveau ausgebildet wird. Selbst wenn viele der Absolventen von den Verlockungen der lebenslangen Green Cards in den USA oder von Aufenthaltserlaubnissen in Deutschland angelockt werden, irgendwie und irgendwann kommt dies auch wieder Chile zugute, das ein wichtiger Akteur in der Internetökonomie werden wird: 18.000 Kilometer bis Mitteleuropa überbrückt die Glasfaserkommunikation praktisch in Echtzeit.
3.3 Japan: Wer zahlt das Innovationssystem weiter?
Japan muss bei der Betrachtung der Entwicklung der Informationsgesellschaft [Vgl. hierzu das Editorial von Kubicek/Klumpp im aktuellen Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 2000.] immer wieder als Bezugspunkt herangezogen werden. Hatte doch in Japan das Konzept einer Informationsgesellschaft schon 1976 seine erste konsistente Ausformulierung gefunden, hier lagen die ersten Aktionsprogramme in Form geradezu gigantischer industriepolitisch gefärbter Forschungs- und Förderungsprogramme vor. Die Vorherrschaft Japans in der Unterhaltungselektronik, den Displaytechnologien, den optischen Systemen, den Speichermedien und vielen anderen technischen Komponenten, die eben auch eine Säule von Informationswirtschaft und Informationsgesellschaft sind, belegt jeder Gang durch einen Elektronik-Supermarkt. Bis auf Mikroprozessoren und Betriebssystemsoftware ist Japan sogar gegenüber den USA praktisch autark. [Seite der Druckausg.: 77 ] In Japan hat jedoch in den letzten Jahren ein erkennbarer Strategiewechsel im Verhältnis der Public-Private-Partnership stattgefunden. Die in staatlicher Prädominanz entstandenen großen Forschungs- und Infrastrukturprogramme blieben überwiegend stecken, ein Phänomen, das sich seit dem Scheitern des 5. Computerprogramms Mitte der achtziger Jahre häufte. Diese Programme vornehmlich zum Ausbau der technischen Infrastruktur waren geprägt von der quasi-staatlichen aktiven Investitionsstrategie der NTT, die im Zuge der Liberalisierung und Privatisierung (Deregulation Promotion Plan des Kabinetts vom 31. März 1995) wie anderswo auch obsolet wurde. Die Aktionsprogramme der Ministerien etwa zur Modernisierung der Verwaltung blieben jedoch bestehen. Von übergreifenden Public-private-Strategien ist nicht mehr viel zu erkennen. An die Stelle der Japan AG- Aktionsprogramme sind zunächst Basic Guidelines des (dem europäischen ISPO vergleichbaren) Promotion Headquarter getreten, die aus Mitteln des Staates und der Wirtschaft getragen werden. Zur Bedeutung einer fortgeschrittenen Informations- und Telekommunikationsgesellschaft veröffentlichte die Zentralagentur (promotion headquarter) am 9. November 1998 einige Leitbildänderungen, die sich insbesondere auf das beschleunigte Verbreiten des electronic commerce beziehen. Für die Autoren ist die Informations- und Telekommunikationsgesellschaft definiert als ein neues sozioökonomisches System, in dem die Produkte der intellektuellen Aktivitäten, also Information und Wissen, ungehindert erzeugt, verbreitet und ausgetauscht werden können, in dem für die Menschen das Alltagsleben, die Kultur, die Industrie, die Wirtschaft und die Umwelt harmonisiert werden können. Dieses System ziele darauf ab, das schlecht funktionierende gegenwärtige System zu ersetzen, das auf Massenproduktion und Massenkonsum basiere. Deutlicher als in anderen Industrieländern wird mit der digitalen Revolution auf eine Reformwelle gesetzt, die ökonomische Fronten verbreitert, die Notwendigkeiten von Hochkostenstrukturen eliminiert, die Gesellschaft in den Regionen stärkt und das menschliche Alltagsleben freier und chancenreicher (affluent) machen soll. Auslöser dieser Leitbildänderungen sind explizit die weltweite Verbreitung von Internet und E-mail sowie des Mobiltelefons. Die Verbreitungsgeschwindigkeit der Netze für Wirtschaft und Gesellschaft war nicht vorhersehbar, weshalb geradezu entschuldigend darauf verwiesen wird, dass der Staat mit verschiedenen Pilotprojekten die Entwicklung mit ins Laufen gebracht habe. Die erwähnten zusätzlichen Budgets aus der Wirtschaft sowie deren Beitrag für die Rahmenbedingungen des electronic commerce sind unschwer als Hinweis auf die knapper gewordenen staatlichen Mittel für den Ausbau der technischen Infrastruktur und des Innovationssystems zu identifizieren. Der mehrfach auftauchende Hinweis auf neue politische Randbedingungen bezieht sich auf die Vertrauenskrise des japanischen Regierungs- und Parteiensystems seit Mitte der neunziger Jahre. Auf Fortschritt im IuK-Sektor zur Verbesserung der Effizienz und Vitalität in der Wirtschaft sowie im ganzen Lebensstil müsse sich die ganze Nation konzentrieren. Ein Scheitern [Seite der Druckausg.: 78 ] des Vorhabens, jetzt ausreichende (sufficient) Energie in die Anstrengungen zu stecken, würde Japan hinter andere Nationen wie die USA zurückfallen lassen, wo der Übergang zu effizienteren Wirtschafts- und Industriestrukturen schon in vollem Gang sei: Eine derartige Vernachlässigung wird mittel- bis langfristig unausweichlich Japans internationale Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Dies sind Töne, wie man sie in den achtziger und Anfang der neunziger Jahre nicht in Japan gehört hat. Und tatsächlich pilgern die Japaner jetzt in die kalifornische Internetwelt, wie zahlreiche Berichte in Japan belegen. Bilaterale Kontakte fänden statt zwischen Japan den USA und Europa, ebenso nehme Japan in internationalen Foren (u.a. OECD, WTO) verstärkt teil. Die internationale Diskussion über e-commerce bekäme bald höchste Dringlichkeit: Japan muss eine aktive Führungsrolle spielen und mithelfen, die Regeln für die neue Ära aufzustellen, oder das Risiko zu laufen, hinter die anderen Nationen zurückzufallen und möglicherweise seine derzeitige Position in der Weltwirtschaft zu verlieren. Die japanische Regierung soll Vorreiter werden für die Nachfrage, indem sie die Verwendung von Information und Telekommunikation propagiert, aber auch die Beschaffung von IT-Produkten und -Diensten erhöht. Die Regierung soll auch die Öffentlichkeit aufklären (educate the public), welche Bedeutung IT habe. Aktuelle Erfahrungen bei der Verbesserung der Verwaltungseffizienz und bei Verwaltungsdiensten könnten der Ausgangspunkt sein. Auf jeden Fall soll alles in einem kooperativen Ansatz von Regierungsbehörden und kommunalen Stellen stattfinden. Als ein dringend anstehendes Projekt nennt Japan den Aufbau eines elektronischen Einwohnermeldesystems, wobei dies wird immer betont die Zentralregierung, die regionalen Regierungen und die Kommunen eingeschlossen sein müssten. Für den europäischen Beobachter muss es überraschend sein, dass Japan auf diesem Gebiet praktisch bei Null anfängt. Fünf magere Jahre haben sogar Japans Expansionsdurst etwas gedämpft: Noch 1994 hatte der chilenische Präsident Frei in Japan ein internationales Kooperationsprogramm zwischen der Universität von Chile und der Nippon Telegraph and Telephone Corporation (NTT) für die Entwicklung und Einführung von Multimediadiensten mit Hochgeschwindigkeitsnetzen unterschrieben. Das erfolgreiche Pilotprojekt AccessNova war das erste Breitbandprojekt der NTT außerhalb Japans. Für eine breite Implementierung in Exportländern ging aber inzwischen etwas die Luft aus. Dies ist eine weltweit gemachte Erfahrung gerade der Fernmeldeliberalisierung: Der aus Gründen der ungenügenden Innovationsgeschwindigkeit und/oder des Marktmachtmissbrauchs entthronte Monopolist hatte eben auch unabdingbar wichtige Koordinierungsfunktionen, Standardisierungsfunktionen und Anschubfunktionen inne gehabt. Diese Funktionen müssen jetzt von neu zusammengesetzten Akteurskreisen (die übrigens im Durchschnitt dreimal zahlenstärker als in den ehemaligen Monopolzeiten sein dürften) von Grund auf neu strukturiert und organisiert werden. Die Standardisierung ist auch im liberalisierten Markt gerade bei Kommunikationsnetzen wie dem Internet unausweichlich, jedoch ist es noch nirgends gelun- [Seite der Druckausg.: 79 ] gen, das angestrebte Konzert mit mehreren Dirigentenstäben zu synchronisieren. Weil dies alle Nationen trifft, wird Japan im Vergleich kein Tempo verlieren. Doch ein Problem bleibt: Wie allen liberalisierten Ex-Monopolisten blieb auch NTT die monetäre Anschubfunktion als Forderung der Politik und der Öffentlichkeit erhalten. Japan entschloss sich, mit der Teilprivatisierung der NTT das zuständige Ministerium nicht aufzulösen, und dieses erlebt ein Revival wie in alten Zeiten the Empire strikes back. 1999 dann trat Japan mit einem fast 400-seitigen Weißbuch wieder in gewohnt perfekter Weise ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Am 18. Juni 1999 veröffentlichte das japanische Post- und Telekommunikationsministerium das Weißbuch Communications in Japan 1999, das nicht nur das umfangreichste, sondern auch an Details reichste aktuelle Programm der untersuchten Länder darstellt. Das erste Kapitel ist geprägt von der Wirkung der Internetkommunikation, die Japan insgesamt mehr überraschte als andere Länder. Bezeichnend ist, dass im Weißbuch die Möglichkeit skizziert wird, bald per Internet einen Fern-Studienabschluss an einer US-Universität zu ermöglichen. Japan hat insbesondere die organisatorischen Arbeiten einer Internet-Ökonomie etwas vernachlässigt, die nach der rein technikgetriebenen Phase weltweit wichtiger wurden. Japan formuliert in Sachen Internet etwas bescheidener, weil die Technikführung alleine nicht mehr zählt. Waren doch die Japaner in den letzten 20 Jahren gerade in der klassischen Breitbandkommunikation, insbesondere bei optischen Netzen, gleichauf mit den USA. Aber die Großmacht Japan bleibt bestehen: Die japanische Info-Kommunikationsindustrie ist mit ihren rund 3,8 Millionen Beschäftigten und einem Beitrag für das Bruttosozialprodukt von 47 Trillionen Yen ein nahezu unerschütterlicher Faktor. Das Kapitel II beschreibt die Lage der Info-Kommunikations-Industrie einschließlich der Postdienste. Auch wird untypisch für Japan ein Unterkapitel den trends abroad gewidmet:
Die Regierungsmaßnahmen zur Förderung der fortgeschrittenen Info-Kommunikation sind im dritten Kapitel dargestellt.
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One-Stop-Administrative Services erfolgen und ein hochinformatisiertes e-government etabliert werden, das Ende 2000 operativ wird. Begleitende Politikmaßnahmen sollen sein:
Auf der Basis dieses Weißbuchs will die japanische Regierung
Die Frage wer bezahlt eigentlich den Bau des Weges zur Informationsgesellschaft, auf dem dann alle ihr Wettrennen veranstalten können?, wird gerade in Japan besonders deutlich. Es könnte nach Aussagen von Japankennern noch mehr als fünf Jahre dauern, bis sich nach der Umstrukturierung der Politik-, Wirtschafts- und Bankeliten wieder eine Japan AG bildet, die dann in gewohnter Weise das Tempo der Welt anführt. Aber auch jetzt muss Japan nicht damit rechnen, Opfer von Importen zu werden: Es ist kein Land und kein Unternehmen auf der Welt denkbar, das derzeit den Japanern zum Beispiel ein komplettes Netz für die Einwohnermeldeverwaltung als Dienstleistung anbieten würde. Japan schafft dies auch alleine.
3.4 Australien: Das Ende der Tyrannei der Entfernung?
Australien ist ein ferner und großer Kontinent: Ein fraglos trivialer Satz und doch bringt er das wichtigste Movens der australischen Akteure auf ihrem Weg in die Informationsgesellschaft auf den Punkt. Der aktuelle Aktionsplan der australischen Regierung vom Dezember 1998 (A Strategic Framework for the Information Economy) kündet von der Hoffnung auf das Ende der Tyrannei der Entfernung: Australien ist das Land der riesigen Distanzen. Von den meisten Weltmärkten sind wir weit entfernt. Aber die Teilhabe an der Informationsökonomie macht es uns möglich, die Isolation der Australier in den weit abgelegenen und ländlichen Regionen ebenso zu überwinden wie die Nachteile unserer Isolation von den Weltmärkten. Offenbar hat diese Verheißung ihre Wirkung nicht verfehlt: Seit längerem schon gehört das Land im internationalen Vergleich der Internet-Penetration und -Nutzung zu den top five, in einer Liga mit den USA und den Skandinaviern. Zu diesem Erfolg dürften nicht zuletzt auch die intensiven Bemühungen der australischen Re- [Seite der Druckausg.: 81 ] gierung um eine konsistente und aktive Politik in Sachen Informationsgesellschaft [Bemerkenswerterweise scheint in Australien der Begriff der Informations ökonomie deutlich gängiger zu sein als der der Informations gesellschaft .] beigetragen haben. Bereits 1996 berief der bis heute amtierende Minister für Kommunikation, Informationstechnologie und Kunst (sic!), Richard Alston, den Information Policy Advisory Council (IPAC), ein hochrangiges Expertengremium, das im August 1997 einen ersten Aktionsplan (A national policy framework for structural adjustment within the new Commonwealth of Information) präsentierte. Aus dem IPAC ging im Herbst das National Office for the Information Economy (NOIE) hervor, das beim Kommunikationsministerium angesiedelt und mit einem großzügigen hauptamtlichen Apparat ausgestattet ist [Allein das auf der NOIE-Homepage aufgelistete „Manage ment„ des Büros umfasst acht Personen (www.noie.gov.au).] . Das NOIE steuert die staatlichen Aktivitäten und entwickelt, koordiniert und überwacht nach eigenem Bekunden die Politik, um
Das NOIE war auch federführend an der Erarbeitung des schon erwähnten Aktionsplans beteiligt, mit dem die australische Regierung im Dezember 1998 ihren strategischen Rahmen für die Informationsökonomie präsentierte. Mission der Regierung sei es, sicherzustellen, dass durch die Teilhabe aller Australier an der wachsenden Informationsökonomie deren Leben, Arbeit und Wohlbefinden bereichert wird, dass Beschäftigung entsteht und der nationale Wohlstand wächst. Vier Prinzipien steuerten das Handeln der Regierung:
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übernehmen. Der Staat unterstützt die Bemühungen der Wirtschaft um Mechanismen der Selbstregulierung und um Vertrauensbildung in diesem Feld. Auf der Basis dieser Grundorientierung identifiziert die Regierung zehn strategische Prioritäten, zu denen jeweils der Kontext analysiert, Ziele formuliert, bisherige Aktivitäten evaluiert und die zu ergreifenden Maßnahmen benannt werden. In den Überschriften stellen sich diese Prioritäten so dar:
Viele dieser Absichtserklärungen hat die australische Regierung seit Verabschiedung des frameworks im Dezember 1998 in konkrete Aktivitäten umgesetzt. So wird derzeit z.T. aus den Privatisierungserlösen der staatlichen Telefongesellschaft Telstra finanziert mit dem Projekt Networking the nation die Telekommunikationsinfrastruktur vor allem in ländlichen und abgelegenen Regionen des Staates breitbandig aufgerüstet. Online Australia ist eine weitere staatliche Initiative, die auf awareness raising abzielt und Bürger, Gemeinden und soziale Gruppen dabei unterstützen will, online zu gehen. Mit der IuK-technischen Modernisierung der staatlichen Verwaltung ist mittlerweile das eigens dazu gegründete Office for Government Online (OGO) befasst, das sich zum Ziel gesetzt hat, alle staatlichen Dienstleistungen bis zum Jahr 2001 in elektronischer Form anbieten zu können. Laut Kommunikationsminister Alston will die Regierung mit diesen und anderen Initiativen dafür sorgen, dass Australien nicht nur mit dem Rest der Welt Schritt halten könne, sondern zumindest zeitweilig zum leader of the pack avanciere. Man sieht: Auch down-under ist der Wettlauf in vollem Gang.
3.5 Südafrika: Ausgestoßene des Cyberspace oder leapfrogging?
Über die Hälfte der Menschheit hat noch niemals einen Telefonhörer in der Hand gehalten, und allein in Manhattan gibt es mehr Telefonanschlüsse als in allen afrikanischen Ländern südlich der Sahara zusammen! Mit diesen Worten konfrontierte Thabo Mbeki damals Stellvertreter Nelson Mandelas, heute dessen Nachfolger im Amt des Präsidenten der Republik Südafrika auf dem Brüsseler G7-Gipfel zur Informationsgesellschaft im Februar 1995 die Weltöffentlichkeit mit der kolossalen Herausforderung, die Dritte Welt auf den Information Super-Highway zu bringen. In Reaktion auf Mbekis Alarmruf kamen führende Repräsentanten der G7-Staaten auf Einladung der südafrikanischen Regierung im Mai 1996 in Johannesburg mit Vertretern von Entwicklungsländern, von Nicht-Regierungsorganisationen und der IuK-Wirtschaft zur Konferenz Information Society and Development (ISAD) zusammen. Ziel der ISAD-Konferenz war die Einleitung eines weltweiten Nord-Süd-Dialogs mit dem Ziel, das Potential der Informationsgesellschaft für die besonderen Bedürfnisse der sich entwickelnden Welt zu nutzen. [Information Society and Development Conference, 13–15 May 1996, Theme Paper, S. 2.] [Seite der Druckausg.: 84 ] Zwei gegenläufige Perspektiven bestimmen seither die Debatte um das Thema Informationsgesellschaft und Dritte Welt: Zum einen die insbesondere aus dem viel zitierten death of the distance abgeleitete Hoffnung, dass die Länder des Südens sich auf den elektronischen Netzwerken weit besser in die globale Ökonomie integrieren, ihre Randständigkeit überwinden, Entwicklungsrückstände reduzieren, ja ganze wirtschaftsgeschichtliche Etappen überspringen (leapfrogging) könnten. Dieser optimistischen Sicht der Dinge steht die Befürchtung entgegen, dass sich die Kluft zwischen Nord und Süd im Übergang zur Informationsökonomie nicht schließe, sondern eher noch erweitere, dass sich die Marginalisierung der Entwicklungsländer verschärfe, weil das Modernisierungstempo in den Zentren im Vergleich zur Peripherie deutlich höher und die infrastrukturellen Voraussetzungen z.B. ein funktionsfähiges Telefonnetz als Basis von Internet-connectivity in vielen Ländern der Dritten Welt längst nicht gegeben sei. Auch wenn die optimistische Prognose noch nicht als endgültig widerlegt gelten kann, so sprechen die empirischen Befunde doch bedrückenderweise dafür, dass der Digital Divide kein nur innergesellschaftliches Problem, sondern eines mit globalen Dimensionen ist, das sich verschärft. Dem vom United Nations Development Programme (UNDP) vorgelegten Bericht zur menschlichen Entwicklung 1999 zufolge wird der Abstand zwischen haves und have-nots, zwischen knows und know-nots größer
[United Nations Development Programme (UNDP): The 1999 Human Development Report, London 1999, S. 57; dort (Kapitel „New technologies and the global race for knowledge„) auch eine Fülle von Daten und Beispielen; ebenso bei Afemann, Uwe: Internet in Entwicklungsländern – eine vorläufige Bilanz. Vortrag vom 05.10.1999 auf dem Workshop „Die Außenseiter der globalen Informationsgesellschaft„ im Rahmen der 29. Jahrestagung der Gesellschaft für Information in Paderborn.]
. Vor allem der afrikanische Kontinent weist erhebliche Entwicklungsrückstände auf: Ungeachtet respektabler Fortschritte in jüngster Zeit bleibt der Kontinent in puncto Internet-Anschlussdichte und -Nutzung noch immer weit hinter den entwickelten Ländern zurück. Während beispielsweise Schätzungen zufolge in Nordamerika eine von sechs Personen das Internet nutzt, beläuft sich die Vergleichszahl für Afrika (ohne die Republik Südafrika) auf 1:5000.
[Butcher, N.: The Possibilities and Pitfalls of Harnessing ICT’s to Accelerate Social Development: A South African Perspective, SAIDE, Johannesburg 1998 (www.saide.org.za); siehe auch: ECA (Economic Commission for Africa) – African Development Forum 1999: Strengthening Africa’s Information Infrastructure (www.bellanet.org/partners/aisi/
[Seite der Druckausg.: 85 ] und für die frankophonen Länder ANAIS (www.anais.org), derzeit an entsprechenden Aktionsplänen gearbeitet
[Einer Übersicht der Economic Commission for Africa (ECA) zufolge sind derzeit in 22 afrikanischen Staaten entsprechende Bemühungen im Gang, zum Teil auch schon entsprechende Pläne „in Kraft„; vgl. ECA – African Develop ment Forum 1999: The Process of Developing National Information and Communications Infrastructure (NICI) in Africa (www.bellanet.org/partners/aisi/adf99docs/nici.htm).]
. Als frontrunner und Hoffnungsträger in diesem Politikfeld kann hier im doppelten Sinne die Republik Südafrika gelten: Zum einen ist die informations- und kommunikationstechnische Infrastruktur am Kap wesentlich besser entwickelt als in den übrigen Ländern des Kontinents, wobei das Land nach wie vor mit extremen Disparitäten zu Lasten der schwarzen Bevölkerungsmehrheit und der ländlichen Regionen , dem Erbe der Apartheid, zu kämpfen hat. Zum anderen wird in Südafrika bereits seit Mitte der neunziger Jahre mit Nachdruck eine gezielte und koordinierte Politik für den südafrikanischen Weg in die Informationsgesellschaft betrieben
[Vgl. für eine Übersicht: Butcher, a.a.O.]
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[Seite der Druckausg.: 86 ] Der Erfolg politischer Strategien für die Informationsgesellschaft setze einen nationalen Konsens über Ziele und Wege voraus: Die verschiedenen sozialen Gruppen müssen an diesem Prozess beteiligt werden, damit sie dessen Vorteile erkennen, mithelfen, die Fallgruben zu umgehen, und hinter den Ergebnissen stehen. Deshalb muss dieser Prozess vom höchsten Amt des Staates aus gesteuert werden. Nach einer Vielzahl von institutionellen Neuerungen und Initiativen u.a. der Errichtung einer staatlichen Universal Service Agency (USA) im Jahr 1997 (www.usa.org.za) und der Verabschiedung eines Rahmenkonzepts für einen nationalen Information and Communication Superhighway durch das Kabinett im Jahr 1998 konzentriert sich auch in Südafrika die politische Debatte um Informationsgesellschaft und Informationsökonomie zwischenzeitlich auf das Thema e-commerce. Das Kommunikationsministerium hat im Juli 1999 hierzu ein Discussion Paper on Electronic Commerce Policy präsentiert, dem im Jahr 2000 nach dem in Südafrika üblichen Politikprozess ein Grünbuch, ein Weißbuch und bis Ende des Jahres 2000 einschlägige Gesetzgebungsvorhaben folgen sollen
[Das Diskussionspapier und weitere Dokumente sind unter www.ecomm-debate.co.za zu finden.]
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Zum anderen müsse sichergestellt werden, dass e-commerce nicht zu einer Vertiefung der Ungleichheit in der südafrikanischen Gesellschaft führe, sondern zu deren Abbau: Die Ziele einer Verbesserung der Lebensqualität und des wirtschaftlichen Wachstums sind untrennbar verbunden mit den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit. Wir können von daher das wichtigste strategische Ziel unserer Politik zur Förderung des e-commerce mit dem Konzept einer sozial gerechten Entwicklung für alle Bürger umschreiben. Dies sei ein Aspekt, der in der internationalen Debatte um den elektronischen Handel, die vornehmlich von den USA und Europa aus bestimmt werde, ansonsten kaum erwähnt werde. Um den politischen Erfolg zu ermöglichen und e-commerce in seinen vielfältigen Potentialen rasch entwickeln zu können, müsse eine Myriade verschiedener Initiativen und Aktivitäten des öffentlichen und privaten Sektors effektiv politisch koordiniert werden. Der Erfolg beruhe im Kern auf zwei Faktoren: der aktiven Partizipation aller stakeholder und der strategischen Führung (leadership) seitens der politischen Spitze. Vier Grundlinien müssten dabei verfolgt werden:
Die engagierte Politik der Regierung Thabo Mbekis zur Förderung der Informationsgesellschaft im allgemeinen und des elektronischen Handels im besonderen unterscheidet sich ungeachtet einiger buzzwords und Initiativen, die weltweit zum Allgemeingut der e-community zählen (müssen) zumindest in zwei Aspekten von den gängigen Konzepten anderer Staaten: Nirgendwo sonst wird Zielen, die nicht im engeren Sinne als ökonomische einzustufen sind [Seite der Druckausg.: 88 ] man denke an religiöse [In keinem der untersuchten Aktionsprogramme war auch nur das Wort „Religion„ zu finden – sollte die Verkündigungslehre der Christenheit für das Internet nicht gelten?] und spirituelle Erfüllung eine solche Bedeutung beigemessen, und auch nirgendwo sonst wird in den hier untersuchten Aktionsprogrammen [Vgl. hierzu die verschiedenen Dokumente der Konferenz von Montevideo 1999 sowie die Initiativen der ITU Genf für Entwicklungsländer (www.itu.org).] die Frage nach dem konkreten Nutzen des gesamten Projekts für die Mehrheit der Menschen so in den Vordergrund gerückt wie in Südafrika. Mancher Konferenz zu den kommerziellen Perspektiven des elektronischen Business in feinen europäischen Hotels würde diese exotische Perspektive aus dem Süden der Welt nicht unbedingt schaden © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000 |