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[Seite der Druckausgabe: 6 / Fortsetzung]

III.

Um dieser Bedeutung gerecht werden zu können, muß der Staat sich wandeln.

Der moderne Staat muß vor allem seine Aufgaben neu bestimmen und sich auf das Notwendige konzentrieren, er muß neue Formen der Kooperation zwischen privatem und öffentlichen Sektor initiieren, er muß effizienter regulieren, wirksamer steuern, transparenter handeln, und er braucht eine moderne öffentliche Verwaltung.

Ich will auf alle sechs Punkte kurz eingehen.

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Erster Punkt: Die Aufgaben neu bestimmen und sich auf das Notwendige konzentrieren

Die Hoheitsaufgaben muß der Staat auch in Zukunft selbst erledigen. Außerdem muß er all die Aufgaben gewährleisten. die er anderen aus Qualitäts-, Risiko-, Mißbrauchs- oder Gleichbehandlungsaspekten nicht überlassen kann.

Bei aller Notwendigkeit, sich auf das Notwendige zu konzentrieren, darf der Blickwinkel aber nicht zu eng werden. Sonst wird leicht übersehen, daß der Abbau einer Aufgabe an anderer Stelle zu mehr Aufwand führen kann. Ein Staat, der sich aus dem sozialen Wohnungsbau zurückzieht, wird in Form von Wohngeld wieder in die Pflicht genommen. Ein Staat, der die Arbeitsförderung zusammenstreicht, wird das eingesparte Geld in Form von sozialen Transferleistungen wieder ausgeben müssen. Aufgabenabbau und Steigerung der Sozialausgaben bilden häufig ein System kommunizierender Röhren.

Staatliche Verantwortung für eine Aufgabe heißt nicht, daß der Staat sie auch selbst oder in der bisherigen Form ausführen muß. Es gibt eine Reihe von Aufgaben, die von anderen oder in anderen Rechtsformen erledigt werden können - wenn die Voraussetzungen stimmen.

Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben in ihren vielfältigen Formen ist keine Zauberformel: Simsalabim und alles wird besser als es vorher war.

Die Privatisierung staatlicher Gewährleistungsaufgaben

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macht dann Sinn, wenn die Aufgabe anschließend wirtschaftlicher und eben so wirksam erledigt werden kann. Außerdem muß der Staat Instrumente haben, mit denen er prüfen kann, ob die Aufgabe in seinem Sinn erfüllt worden ist. Diese Voraussetzung schient mir bei der Privatisierungs-Euphorie der vergangenen Jahre mitunter vergessen worden zu sein.

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Zweiter Punkt: Neue Formen der Kooperation zwischen privatem und öffentlichen Sektor

Der Staat ist ein System unter mehreren. Es gibt andere Systeme, die relevant sind. Mit ihnen muß der Staat kooperieren. Und das tut er in vielen Fällen bereits: Die strikte Trennung zwischen Staat, Wirtschaft, Bürgerinitiativen und Interessenverbänden ist längst aufgehoben in landesweiten Bündnissen für Arbeit und Ausbildung oder in Regionalkonferenzen zu bestimmten Themenschwerpunkten.

Das darf aber erst der Anfang sein. Das Potential, das im Zusammenwirken von „Öffentlich" und „Privat" steckt, ist in Deutschland bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Ich will einige Beispiele nennen:

- Manche nennen es „Betteln". Ich finde es gut, wenn Unternehmen und Staat sich gemeinsam anstrengen, um Schulen mit Computern und Netzanschlüssen auszustatten wie es zur Zeit in der Aktion „Schulen ans Netz" geschieht. Machen wir so etwas doch öfter!

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- Ich finde es gut, wenn Menschen sich ehrenamtlich engagieren, damit Kinder berufstätiger Eltern nach den Schulstunden nicht auf der Straße stehen. Mit seiner finanziellen Unterstützung für das Projekt nimmt das Land Schleswig-Holstein einen Impuls auf, der aus der Gesellschaft kommt, und verstärkt ihn. Kostengünstiger läßt sich die Situation von Familien nicht verbessern. Ehrenamtliches Engagement und staatliche Unterstützung ergänzen sich hier zur Vorteil aller.

- Mit Projekten wie diesen schafft der Staat außerdem bezahlte Arbeit im Non-Profit-Sektor. Hier wartet viel Arbeit, die dringend erledigt werden müßte, aber bisher nicht bezahlbar ist - in der Betreuung von Kindern und alten Menschen, im Umweltschutz oder in der Schuldnerberatung. Wenn wir dafür sorgen, daß diese Arbeit organisiert und finanziert wird, entsteht ein gewaltiges Beschäftigunspotential. Ich weiß noch nicht genau, wie das gehen kann. Wir arbeiten daran. Aber eines weiß ich: Es geht nur, wenn staatliche und nichtstaatliche Bereiche zusammenwirken.

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Dritter Punkt: Der Staat muß effizienter regulieren

Je mehr die Regelungsdichte zunimmt, desto mehr scheint die Wirksamkeit von Normen abzunehmen. In manchen Bereichen ist es schier unmöglich geworden, auf dem neuesten Stand der Gesetzgebung zu sein, so schnell ändern sich Gesetze und Verordnungen. Parteipolitische Kompromißlösungen, die mitunter die gesamte Struktur eines Normengefüges durcheinanderbringen, und immer ausdifferenziertere Regelungen ma

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chen es selbst Gutwilligen schwer, Gesetze einzuhalten oder anzuwenden.

Hier hilft in manchen Fällen eine Wiederbelebung der Kodifizierungskunst. Auch Norm-TÜVs und Check-Listen sind - wie auch die Erfahrung in Schleswig-Holstein zeigt - in begrenztem Umfang hilfreich. Ob eine zusätzliche Normprüfstelle, wie sie von der Expertenkommission „Schlanker Staat" gefordert wird. mehr bringt oder mehr Bürokratie verursacht als sie verhindern soll, wird sehr genau zu prüfen sein.

Tun wir vor allem nicht so, als lägen Regelungsdichte und Normenflut an arbeitswütigen Beamtinnen und Beamten oder Parlamentariern, die sich in einer Tour Gesetzesentwürfe ausdenken, die keiner will. So wie die EU-Richtlinie zum Schöpfen von Trinkwasser aus Seen und Bächen, die Schleswig-Holstein umsetzen muß, obwohl bei uns seit langem kein Trinkwasser mehr aus diesen Gewässern geschöpft wird. Brüssel ist weit weg. Da schimpft es sich leicht. Schildbürgerstreiche wie diese kommen in den besten Verwaltungen vor.

In der Regel aber stecken hinter jedem Regelungs-Entwurf aus Brüssel, Bonn oder Kiel die Interessen gesellschaftlicher Gruppen, die sich in einem bestimmten Problemfall Schutz oder Unterstützung versprechen. Erst wenn wir die Aufgaben des Staates neu definieren und wenn wir neu austarieren. wieviel Verantwortung der einzelne tragen kann und muß. wissen wir auch. ob diese Gesellschaft tatsächlich mit weniger staatlicher Regulierung auskommt.

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Mitunter sind Regelungen ja auch übergenau, weil man tatsächlich befürchten muß, daß viele Menschen nicht mehr selbst nachdenken, ob ihr Verhalten richtig, sinnvoll oder umweltverträglich ist. In einer harmlosen Variante dieses Phänomens hat sich schon manch einer dabei ertappt, daß er beim Spazierengehen im Winter nicht selbst prüft, ob es gefroren hat, sondern nach einem Schild Ausschau hält, auf dem „Vorsicht Glatteis!" steht.

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Vierter Punkt: Der Staat muß wirksamer nach außen steuern

Traditionell steuert der Ordnungsstaat die Gesellschaft über Ge- und Verbote. Steuerungsansätze diesen Typs sind überall dort unbrauchbar geworden, wo die Mehrheit der Betroffenen die Ge- oder Verbote ignoriert und auch durch die Drohung mit Sanktionen nicht zu mehr Gehorsam zu bewegen ist. Sei es, weil sich die Sanktion praktisch nicht durchsetzen läßt oder weil die Strafe weniger schmerzt als die Befolgung der Normen.

Besonders wenn staatliche Anordnungen wirtschaftlichen Interessen zuwiderlaufen, entwickeln die Betroffenen oft eine bemerkenswerte Kreativität. Mit Hilfe des Rundfunkrechts versuchen die Landesgesetzgeber seit langem, die Werbeflut im privaten Fernsehen einzudämmern. Wie beim berühmten Rennen von Hase und Igel haben sich die Veranstalter immer flugs etwas Neues ausgedacht, wenn die Länder gerade wieder einen neuen Typ von Schleich- oder sonstiger Werbung

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erfaßt und reguliert haben.

Gesetze, die etwas bewirken sollen, müssen in vielen Fällen anders als bisher gestrickt sein. Sie müssen Anreize schaffen, die es lohnenswert machen, bestimmte Ziele des Gesetzesgebers einzuhalten oder anzustreben. Die Öko-Audit-Verordnung ist ein Beispiel.

Auf Ebene der Verwaltung läßt sich oft einvernehmlich mit den Betroffenen mehr erreichen als gegen deren Willen - vielleicht nicht alles, was aus Gründen des Gemeinwohls wünschenswert wäre, aber mehr als nichts.

Das sind nur zwei Beispiele von dem weiten Feld neuer Steuerungsformen. das Parlamente und Verwaltungen noch ausgiebig beackern müssen.

Erlauben Sie mir einen kurzen Abstecher: Neue Formen der Steuerung, neue Instrumente und neue Spielregeln wird es auch zwischen Parlamenten und Verwaltungen geben müssen. Ich weiß, daß ist ein ganz sensibler Punkt, weil es mit der Neudefinition von Kontrolle und Einfluß zu tun hat.

Künftig werden sich die Parlamente darauf konzentrieren müssen, politische Ziele vorzugeben und deren Einhaltung zu überprüfen. Und das ist nicht einfach. Die Ziele müssen einerseits so weit gefaßt sein, daß sie den operativen Spielraum und die Eigenverantwortung der Exekutive im Ergebnis nicht stärker als bisher einschränken. Die Ziele müssen andererseits so konkret sein, daß anschließend beurteilt werden

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kann, ob sie erreicht worden sind.

Das wird für Parlament und Verwaltung eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

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Fünfter Punkt: Der Staat muß transparenter handeln

Der Staat kann nur funktionieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihn akzeptieren. Akzeptanz setzt Durchblick und Verständnis für staatliches Handeln voraus. Das Ausmaß an politischer Verflechtung und Verschachtelung zwischen Bund, Ländern und Kommunen macht es den Menschen allerdings fast unmöglich, das Handeln des Staates nachzuvollziehen und zu beurteilen.

Bund und Länder haben fast nur noch Gemeinschaftsaufgaben. die sie in den unterschiedlichsten Konstellationen bewältigen - und auf eben so unterschiedlichen Wegen über Verbundsteuern finanzieren.

Probleme werden nicht immer dort gelöst, wo sie gelöst werden können, sondern auf einen anderen Kostenträger verlagert: Bei der Finanzierung von Arbeitslosigkeit vom Bund auf die Kreise und kreisfreien Städte, weil der Bund die Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe kürzt. Von den Kreisen zurück auf den Bund, weil die Kreise in ihrer Not Beschäftigungsgesellschaften gründen, in denen arbeitslose Menschen abgabenpflichtig beschäftigt werden und damit wieder Ansprüche gegen die Bundesanstalt für Arbeit erwerben.

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Wer soll sich da noch zurechtfinden?

Es geht auch anders - zum Beispiel in Dänemark. Dort können die Kommunen in erheblich größerem Umfang Steuern erheben. Und sie können auch erheblich mehr Aufgaben selbst erledigen. Bei so einer Konstruktion wissen die Bürger, wer für steigende oder sinkende Steuern, wer für die gute oder schlechte Erledigung einer Aufgabe verantwortlich ist. Und sie können nachvollziehen, was mit ihrem Geld geschieht.

Was für unser kleines Nachbarland gut ist, muß sich nicht unbedingt auf Deutschland übertragen lassen. Aber ich halte es für dringend erforderlich, daß wir politische Prozesse soweit entflechten, daß sich Verantwortung für jeden und jede durchschnittlich Interessierte klar zuordnen läßt. Unklarheit fördert Politikverdrossenheit.

Das Ausmaß der politischen Verflechtung in Deutschland führt auch dazu, daß die dezentrale föderale Struktur unseres Systems nicht mehr ihre ganze Kraft entfalten kann. Für mich ist sie immer noch die bestmögliche Struktur, um Probleme problemnah zu lösen und die Menschen zum Mitdenken und Mitmachen zu ermutigen.

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Sechster Punkt: Der moderne Staat braucht eine moderne öffentliche Verwaltung

Eine moderne Verwaltung macht noch keinen modernen

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Staat. Aber ohne moderne Verwaltung geht gar nichts.

Ich weiß, daß Sie die Instrumente und Ansätze für die Reform der öffentlichen Verwaltung in diesem Kreis schon rauf- und runterdekliniert haben. Deshalb will es bei ein paar Worten zum schleswig-holsteinischen Modernisierungsprozeß bewenden lassen.

Schleswig-Holstein hat den Modernisierungsprozeß seiner Verwaltung sehr breit angelegt. Wir haben ein Leitbild erarbeitet, das die Richtung vorgibt, in die wir uns bewegen wollen. Wir erproben betriebswirtschaftliche Elemente wie die Kosten-Leistungsrechung und die Budgetierung. Wir sind in einen sehr aufwendigen Prozeß der Aufgabenanalyse- und Aufgabenkritik eingetreten, der in dieser Form bundesweit einmalig ist. Das sind nur einige der wichtigsten Elemente.

Die einzelnen Modernisierungsprozesse haben viel Zeit und viel Energie gekostet - viele sind natürlich noch nicht abgeschlossen. Für Schleswig-Holstein besteht die große Herausforderung jetzt darin, die einzelnen Projekte in einen großen Rahmen einzufügen. Es muß immer wieder deutlich werden, wofür die einzelnen Erkenntnisse und gewonnenen Daten notwendig sind. Nur dann behalten alle das Ziel all dieser Bemühungen im Auge: eine leistungsfähige, effiziente und kostengünstige moderne Verwaltung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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