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Meiden ausländische Investoren den Standort Deutschland?

Der von interessierter Seite publikumswirksam vorgetragenen Behauptung, daß deutsche Konzerne viele Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, wird von Seiten der seriösen Wissenschaft, wie etwa den großen Forschungsinstituten, zumeist nicht ausdrücklich widersprochen. Das Wachstum deutscher Unternehmen im Ausland wird jedoch nicht als Ausdruck einer deutschen Wettbewerbsschwäche interpretiert; vielmehr wird darauf verwiesen, daß Direktinvestitionen einen wichtigen Beitrag zur Erschließung neuer Märkte für den deutschen Export und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen im Inland leisten. Häufig kritisiert wird sogar das zu geringe Auslandsengagement, insbesondere in den Wachstumsregionen der Weltwirtschaft wie Ost- und Südostasien.

Als Zeichen deutscher Standortschwäche gelten in der wissenschaftlichen Diskussion vielmehr die niedrigen ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland. Bereits oben wurde gezeigt, daß relativ geringe Zuflüsse an Direktinvestitionen in den Statistiken des Bundeswirtschaftsministers oder der Zahlungsbilanz zu einem guten Teil lediglich das Resultat besonderer statistischer Abgrenzungen sind.

Es läßt sich aber nicht leugnen, daß auch die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen nicht auf ein wachsendes Engagement ausländischer Unternehmen in Deutschland hinweist (vgl. Tabelle 1). Die Zahl der Beschäftigten bei ausländischen Unternehmen in Deutschland ist seit vielen Jahren mehr oder weniger unverändert geblieben. Im Bereich der Verarbeitenden Industrie verlaufen die Schwankungen weitgehend parallel mit der Beschäftigungsentwicklung im gesamten Verarbeitenden Gewerbe. 1984 waren hier 15,6% bei Unternehmen mit ausländischer Beteiligung beschäftigt, 1994 waren es 16,1% (für ganz Deutschland).

In Ostdeutschand kam es seit 1990 im Zuge der Privatisierung zu einer Reihe von Übernahmen. Als Näherungswert können hier die Beschäftigungszusagen ausländischer Investoren für ihre von der Treuhand übernommenen Tochter-Beteiligungsgesellschaften in Ostdeutschland herangezogen werden. Bis Ende 1994 hatten sie Beschäftigungszusagen für über 150.000 Beschäftigte abgegeben. Damit spielen ausländische Konzerne in Ostdeutschland eine ähnliche Rolle wie in Westdeutschland.

Vergleicht man die Entwicklung der Aktivitäten ausländischer Konzerne in Deutschland mit der in anderen Industrieländern, so fällt auf, daß große spektakuläre Übernahmen deutscher Unternehmen durch ausländische Konzerne im internationalen Vergleich ausgesprochen selten sind. Der Grund hierfür liegt in der spezifischen Eigentumsstruktur der deutschen Unternehmen und insbesondere in der Struktur der Verfügungsmacht über die Stimmrechte der Aktiengesellschaften. Der hohe Einfluß der Banken, u.a. über das Depotstimmrecht, macht feindliche Unternehmensübernahmen in Deutschland nahezu unmöglich. Dies wurde u.a. bei dem gescheiterten Übernahmeversuch von Continental durch den italienischen Konkurrenten Pirelli sehr deutlich.

So wie die Expansion deutscher Unternehmen in anderen Industrieländern weitestgehend ein Resultat von Akquisitionen ist, so erklärt sich umgekehrt die fehlende Expansion ausländischer Unternehmen durch die weitgehende Abwesenheit von Akquisitionen.

Interessant ist auch ein Vergleich der Entwicklung in Deutschland mit der in anderen Ländern. Insbesondere Großbritannien, das in der öffentlichen Diskussion ja häufig als sehr günstiger Standort dargestellt wird, ist hier von Interesse. Trotz der vielen Übernahmen hat die Zahl der Beschäftigten in ausländisch kontrollierten Unternehmen dort zwischen 1983 und 1992 lediglich um 48.200 von 736.000 auf 784.200 zugenommen. Aufgrund des starken Abbaus der Gesamtbeschäftigung in der britischen Verarbeitenden Industrie hat der Anteil der in ausländisch kontrollierten Unternehmen Beschäftigten jedoch von 14,5% auf 18,1% zugenommen.

Für die Entwicklung bei den US-amerikanischen Tochtergesellschaften (Beteiligung über 50%) ist ein direkter Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien möglich (vgl. Tabelle 4). Deutlich wird, daß US-Konzerne ihre Belegschaft in Großbritannien wesentlich stärker abgebaut haben als im westeuropäischen Durchschnitt und auch als in Deutschland. Der unter dem westeuropäischen Durchschnitt liegende Abbau in Deutschland erklärt sich zum Teil aus Übernahmen in Ostdeutschland (die Beschäftigungszusagen lagen allerdings erst bei etwa 13.000). Bemerkenswert ist, daß trotz eines starken Anstiegs der Exportorientierung der Tochtergesellschaften in Großbritannien diese die Exportquote (Anteil der Exporte am Umsatz) der Tochtergesellschaften in Deutschland gerade erst erreicht haben. Deutschland ist für US-amerikanische Konzerne also - trotz des vermutlich vereinigungsbedingten leichten Rückgangs der Exportquote - nach wie vor ein sehr attraktiver Standort zur Belieferung von Drittmärkten. Der höhere europäische Durchschnittswert erklärt sich durch die hohen Exportquoten von Tochtergesellschaften in den kleinen Ländern; die Exportquoten der Tochtergesellschaften in Frankreich, Italien oder Spanien liegen deutlich unter dem Wert für Deutschland.


Tabelle 4: US-amerikanische Konzerne in Europa. Beschäftigte, Umsatz und Exporte von Unternehmen der Verarbeitenden Industrie in US-amerikanischem Mehrheitsbesitz 1982 und 1993 (in 1000 Beschäftigte; in Mrd. US$)






© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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