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Effizientere und gerechtere Besteuerung

Aus den oben beschriebenen Ausprägungen der Globalisierung ergeben sich zwei steuerpolitische Implikationen:

  • Erstens hat der globalisierte Kapitalmarkt zwangsläufig eine Erosion der Bemessungsgrundlage der Kapitaleinkommensteuern im Zuge des Steuerwettbewerbs zur Folge.
  • Zweitens nehmen die Verzerrungen bei der Einkommensteuer zu, was eine Neuordnung der Bemessungsgrundlage nötig macht.


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Der Preis für Liberalisierung und Globalisierung: Das Kapital entzieht sich mehr und mehr der Besteuerung

Der Bereich der Unternehmensbesteuerung war in den letzten dreißig Jahren geprägt durch einen Rückgang der Steuereinnahmen und zwar in allen Industrienationen. So sank der Anteil des Steueraufkommens der Körperschaftsteuer am gesamten Steueraufkommen in den USA von 16% in 1965 auf ca. 8% in 1995. Auch in den übrigen Industriestaaten ist dieser Abwärtstrend zu beobachten. In Deutschland ist das Körperschaftsteueraufkommen seit den 80er Jahren von 6% auf 3% am Gesamtsteueraufkommen gesunken. Die Steuerbelastung deutscher Aktiengesellschaften sank allein in den 5 Jahren von 1989 - 1994 von 54,48% auf 31,43%.

Die Ursachen liegen zum einen im Rückgang der Steuersätze (im Zuge eines Steuerwettbewerbs der Volkswirtschaften) und zum anderen in der Verlagerung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer. Der Körperschaftsteuersatz auf einbehaltene Gewinne wurde in Deutschland von ehemals 56% schrittweise auf 45% und der Satz auf ausgeschüttete Gewinne von 36% auf 30% gesenkt. Parallel zu dieser Entwicklung gingen immer mehr Unternehmen dazu über, Gewinne mit Hilfe konzerninterner Verrechnungspreise für Vorleistungen in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Gängige Praxis ist ebenso, Tochterunternehmen in den europäischen "Steueroasen" wie Belgien und Irland zu gründen, die als Finanzierungsgesellschaften der Mutterunternehmen dienen, so daß zum einen am Sitz des Tochterunternehmens nur niedrige Gewinnsteuern anfallen und zum anderen noch hohe Finanzierungskosten am Sitz der Mutter abgesetzt werden können.

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Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen: Vorbedingung für rationalen Steuerwettbewerb

Grundsätzlich ist ein internationaler Steuerwettbewerb zu befürworten, wenn er Anreize bietet, auch in einem Staat mit schwacher Infrastruktur zu investieren. Durch eine Besteuerung im Sinne der Kapitalimportneutralität (d. h. Investitionen im Inland werden steuerlich gleich behandelt, unabhängig davon, ob es sich um Kapitalimport oder Investitionen von Inländern handelt) können unterschiedliche Steuerniveaus als Wettbewerbsfaktor genutzt werden. Die im Investitionsland anfallenden Steuern können dann als Preis für die Bereitstellung der staatlichen Leistungen gesehen werden. Eine Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb ist allerdings die Transparenz und damit die Vergleichbarkeit der Steuerbelastung. In Tat und Wirklichkeit sind die Besteuerungsverfahren in den westlichen Industrieländern höchst unterschiedlich und undurchsichtig, so daß die Höhe der effektiven Belastung im internationalen Vergleich kaum feststellbar ist. Zwischen Staat und potentiellen Investoren asymmetrisch verteilte Informationen über die tatsächliche Belastung verhindern somit einen Steuerwettbewerb - im Sinne einer effizienten Konkurrenz - und führen statt dessen zu einem Steuerdumping.

Eine Vergleichbarkeit der Bemessungsgrundlagen der Unternehmensbesteuerung sollte daher das erste Ziel in einem Angleichungsprozeß sein. Die einzelnen Harmonisierungsschritte müßten die Abschreibung, Bewertungsfragen, Firmenwerte, Rückstellungen etc. betreffen. Auch die Herstellung der Neutralität der Kapitalbesteuerung in Bezug auf unterschiedliche Rechtsformen, unterschiedliche Finanzierungsarten etc. ist zu erwägen. Beim Steuertarif wäre die Einführung eines Mindeststeuersatzes überlegenswert.

Da eine internationale Steuerbehörde zur Koordination einer solchen Harmonisierung nicht in Sicht ist, sollte sie zunächst zumindest auf europäischer Ebene angestrebt werden. Allerdings ist es selbst nach einem solchen Schritt fraglich, ob Steuerwettbewerb zu einem effizientem Ergebnis führen kann. Zwar kann das Problem des räumlichen Auseinanderfallens von Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen und Steuerzahlungen eventuell noch gelöst werden, indem die angesprochene Verrechnungspraxis unterbunden wird. Allerdings ist zu vermuten, daß der Steuerwettbewerb im Sinne des Almende-Problems immer mit Trittbrettfahrern zu kämpfen hat, was zu einer zunehmenden Verlagerung der Besteuerung weg vom mobilen Faktor Kapital hin zum immobilen Faktor Arbeit führt. Analog der Regeln im Sozialbereich ist es vermutlich auch auf der Ebene der Unternehmensbesteuerung nötig, auf europäischer Ebene einen mit Sanktionen belegten Ordnungsrahmen zu schaffen. Teilweise ist dieser schon vorhanden.

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Zunehmende Verzerrungen bei der Einkommensteuer

Das Wegbrechen der Unternehmensteuereinnahmen erfordert - will man nicht allein den Anteil der indirekten Besteuerung erhöhen - eine Kompensation der Steuerausfälle über höhere Einnahmen bei der individuellen Besteuerung, d. h. der Lohn- und Einkommensteuer. Dies wird problematisch, wenn man mit diesen Steuern gleichzeitig lenkend in den Wirtschaftsprozeß eingreifen will. So stehen investitionsfördernde Steuervergünstigungen im Widerspruch zum Ziel der Einkommenserzielung.

Die dabei auftretenden Verzerrungen werden insbesondere dann deutlich, wenn man die Einkommensteuerbelastung von Arbeitnehmern und Selbständigen vergleicht. Die bei den Selbständigen vergleichsweise großen steuerlichen Gestaltungsspielräume spiegeln sich in einer deutlich geringeren Einkommensteuerbelastung in fast allen Einkommensklassen wider. Selbständige mit einem Einkommen bis zum Durchschnittseinkommen zahlen nur etwa halb so viel Einkommensteuer wie Arbeitnehmer. Erst bei Einkommen deutlich über dem Durchschnitt nähert sich die Belastungsquote der Selbständigen der der Arbeitnehmer an.

Diese Verzerrungen nehmen in dem Maße zu, wie sich der Zwang zur Einnahmeerzielung über die Einkommensteuer verstärkt: Lenkungsmaßnahmen verschaffen den Selbständigen Möglichkeiten zu noch größerer Steuerersparnis, während sich für die Arbeitnehmer schlichtweg die Steuerbelastung erhöht.

Weitere Verzerrungen werden bei der Betrachtung der Grenzbelastungen durch Steuern, Abgaben und Transfers deutlich. Ein Arbeitnehmer mit einem verfügbaren Einkommen bis zu zweitausend Mark pro Monat sieht sich (als Folge des Wegfalls von Transferleistungen) teilweise mit Grenzbelastungen von 50 bis 100 Prozent konfrontiert. Ein zusätzliches Arbeitsangebot findet in diesem Bereich daher kaum statt. Diese Verzerrung des Arbeitsangebotes gewinnt dadurch an Bedeutung, daß der eingangs skizzierte Zwang zur höheren Qualifizierung, dem in einer heterogenen Gesellschaft nicht alle Individuen folgen können, immer mehr Personen in einen unteren Einkommensbereich verweist.

Das Paradoxon des deutschen Steuersystems liegt darin, daß bei einer seit ca. 50 Jahren konstanten Steuerquote schon mittlere Einkommensbezieher mit Grenzbelastungen um die 50% konfrontiert werden und ausländische Investoren, wie bereits oben gezeigt, mit im internationalen Vergleich sehr hohen nominalen Steuersätzen abgeschreckt werden. Deutschland erzielte 1994 bei einem Tarif mit Eingangs- und Spitzensteuersatz von 19% bzw. 53% (Höchstsatz bei 120 000 DM) ein durchschnittliches Aufkommen von 9,7% des BIP; zum Vergleich: die Vereinigten Staaten erzielten 10,3% des BIP bei Eckpunkten von 20,8 bis 46,7% (Höchstsatz bei 405 000 DM) und Großbritannien ein fast identisches Aufkommen von 9,4% des BIP bei drei Tarifstufen 20%/25%/40%. In der Summe sind also die Aufkommen der amerikanischen und der britischen Einkommensteuer bei deutlich niedrigeren Tarifsätzen annähernd gleich dem deutschen Aufkommen.

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Weniger Steuervergünstigungen, niedrigere Steuersätze, mehr Steuergerechtigkeit

Eine wohlfahrtsstaatlich orientierte Steuerpolitik sollte die Chancengleichheit bei der Besteuerung unterschiedlich zu behandelnder Personengruppen erhöhen. Die Herstellung der horizontalen, aber auch der vertikalen, Steuergerechtigkeit sollte Ziel einer Reform der Einkommensteuer sein. Dazu gehört zunächst die Beseitigung einer Vielzahl von lenkungsmotivierten Steuervergünstigungen. Würde man den Einkommensbegriff der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer heranziehen, könnten die Ecksätze des Tarifs deutlich gesenkt werden. Sogar mit einer flat tax rate von 20,5% bei einem freigestellten Existenzminimum von 15 000 DM könnte das gleiche Aufkommen wie bei den heute geltenden Tarifen erzielt werden.

Aber die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage kann nicht nur durch einen Wegfall vieler Vergünstigungen, sondern auch durch eine Neudefinition der Besteuerungsbasis erreicht werden. Dazu gehört beispielsweise auch die vollständige Besteuerung von Alterseinkünften bei Freistellung der gezahlten Alterssicherungsbeiträge oder die Besteuerung von realisierten Wertsteigerungen (Kapitalgewinne). Ziel sollte es sein, die vielfältigen Partikularinteressen zu überwinden, die den heute sehr engen Einkommensbegriff prägen. Insbesondere könnten im Zuge dieser Neuordnung die Verzerrungen zwischen der Arbeitseinkommens- und der Kapitalbesteuerung beseitigt werden. Untersuchungen der OECD zeigen nämlich, daß 3-4% Prozentpunkte der Arbeitslosigkeit allein auf der unterschiedlichen Besteuerung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital beruhen.

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Wirtschaftslenkung durch Subventionen und Verbrauchsteuern, nicht über die Einkommensteuer

In einem solchen System ist es natürlich kaum mehr möglich, über die Einkommensteuer effizient Wirtschaftslenkung zu betreiben. Allerdings ist es ohnehin fraglich, ob die gewünschten Lenkungswirkungen z. Zt. tatsächlich eintreffen. Die Intransparenz des Systems führt m. E. vielmehr oft zum Gegenteil. Eine Lenkung ließe sich transparenter und wirkungsvoller durch offen ausgewiesene Subventionen und Transferzahlungen aus den öffentlichen Haushalten oder über die Steuerbelastung des Verbrauchs erreichen.

Zur Finanzierung der Subventionen und Transfers ließe sich die Erhöhung der indirekten Steuern in Betracht ziehen. Insbesondere erscheint heute die Besteuerung des Produktionsfaktors Energie im Vergleich zu Arbeit und Kapital als zu gering. Aber auch die allgemeine Mehrwertsteuer könnte im Rahmen einer Steuerharmonisierung innerhalb Europas erhöht werden, da mit Ausnahme von Luxemburg in allen übrigen EU-Staaten ein höherer Normalsatz der Mehrwertsteuer gilt als in Deutschland. Eine Erhöhung des Normalsatzes (auf 17% - so eine Studie des DIW) trifft alle Haushalte annähernd gleichmäßig, da Haushalte mit niedrigem Einkommen den höchsten Anteil an mehrwertsteuerfreien Verbrauchsausgaben haben.

Insgesamt gesehen erfordert die Globalisierung ein wohlfahrtsstaatliches Handeln im steuerpolitischen Bereich mit Schwerpunkt auf der Neuordnung der Bemessungsgrundlage bei niedrigeren Steuersätzen und auf der Verlagerung des Gewichtes hin zur indirekten Besteuerung. Zur Berücksichtigung von distributiven Aspekten ist die Variation der drei möglichen Mehrwertsteuersätze geeignet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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