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Zentrales Ziel: Erwerbsarbeit für möglichst viele



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Erosion des Normalarbeitsverhältnisses

Bei einer jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 4,4 Millionen Personen für das Jahr 1997 und einer nach Lage der Dinge mittelfristig kaum sinkenden Arbeitslosenquote hat die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik im Mittelpunkt wohlfahrtsstaatlichen Handelns zu stehen. Politikmaßnahmen in diesem Bereich müssen dabei die Umbrüche am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaftsstruktur als auch das Persistenzproblem der Arbeitslosigkeit berücksichtigen. Schließlich müssen die Politikmaßnahmen mit den eben skizzierten Zielen bzw. Handlungsmustern wohlfahrtsstaatlicher Politik kompatibel sein. Daraus folgt, daß auch bei der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik die Verfahrensgerechtigkeit und die Eigenverantwortung der Bürger im Mittelpunkt stehen müssen.

Die Beschäftigungsstruktur ist zunächst eine Funktion des sektoralen Wandels. Der sektorale Wandel ist durch einen deutlichen Tertiarisierungstrend gekennzeichnet. So stieg die Zahl der Beschäftigten im Dienstleistungssektor zwischen 1970 und 1996 für die alte Bundesrepublik um 55,8%, wohingegen die Gesamtbeschäftigung insgesamt nur um 6% anstieg. Parallel dazu und nicht unabhängig von diesem Trend haben sich neue Beschäftigungsformen entwickelt. So fußt das bislang dominierende Normalarbeitsverhältnis im industriellen Sektor, wohingegen die gegenwärtige und zukünftige Dynamik im Dienstleistungsbereich vor allem bei - im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis - noch atypisch genannten Arbeitsverhältnissen liegt und liegen wird. Hauptmerkmale eines Normalarbeitsverhältnisses waren und sind die dauerhafte Vollzeitbeschäftigung, die Sozialversicherungspflicht und ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis. In den letzten 10 bis 15 Jahren treten allerdings vom Normalarbeitsverhältnis abweichende Beschäftigungsformen in Erscheinung: Teilzeitarbeit, geringfügige Arbeitsverhältnisse, Werkvertragsbeschäftigung (Scheinselbständigkeit), befristete Arbeitsverhältnisse und Leiharbeit. Auch wenn das Normalarbeitsverhältnis immer noch rund 60% aller Beschäftigungsverhältnisse beschreibt, so ist die Entwicklungsdynamik der neuen Beschäftigungsformen nicht zu unterschätzen, zumal sich alle Experten einig sind, daß neue Arbeitsplätze in größerem Umfang nur noch im Dienstleistungsbereich entstehen werden.

Zur Veränderung der Beschäftigtenstruktur kommt das Persistenzproblem hinzu, das vor allem in dem hohen Anteil der Langzeitarbeitslosen zum Ausdruck kommt. Mit der Dauer der Arbeitslosigkeit geht in aller Regel ein stetiger Verlust an Humankapital einher, was dazu führt, daß insbesondere die Langzeitarbeitslosen immer weniger wettbewerbsfähig werden und somit auch immer weniger Aussichten auf ein neues Beschäftigungsverhältnis haben. In der Konsequenz führt dies zu einer steigenden Sockelarbeitslosigkeit. So zeigt z.B. eine neuere Untersuchung der Handelskammer Hamburg, daß nur noch rund ein Drittel aller Arbeitslosen der Hansestadt direkt vermittelbar sind, also im klassischen Sinne als konjunkturell bedingte Arbeitslose zu begreifen sind, wohingegen ein weiteres Drittel nur eingeschränkt oder schwer vermittelbar ist und das letzte Drittel dem Arbeitsmarkt aus den verschiedensten Gründen überhaupt nicht zu Verfügung steht.

Vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten globalisierten Informationsgesellschaft dürften sich die Probleme dieser Arbeitnehmergruppen noch verschärfen. Erschwerend kommt hinzu, daß bisherige Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auch deshalb an ihre Grenzen stoßen, weil im Zuge des beschriebenen Strukturwandels auch die Berufsbilder immer schneller wechseln und in der Folge ein Arbeitnehmer im Laufe seines Erwerbslebens zunehmend mehrere Berufe ausüben wird.

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Mehr Beschäftigung durch Subventionierung von Niedriglohnarbeit

Für die Arbeitsmarktpolitik folgt aus dieser Analyse eine Abkehr von der bisherigen Praxis mengenorientierten Maßnahmen, d.h. solchen Maßnahmen, wie sie unter dem Begriff zweiter Arbeitsmarkt subsumiert werden. Solange das Arbeitsvolumen steigerbar ist, erscheint eine Politik der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung eher nachrangig. Stattdessen sollten preisorientierte Maßnahmen im Vordergrund stehen. Preisorientierte Maßnahmen wollen im Gegensatz zur mengenorientierten Arbeitsmarktpolitik über die Beeinflussung des Lohnes bzw. der Arbeitskosten zu mehr Beschäftigung führen. Bei dieser Strategie, die explizit auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet ist, gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen ist eine direkte Förderung von Beschäftigungsverhältnissen mit Hilfe von Lohnsubventionen möglich. Bei dieser arbeitsmarktpolitischen Maßnahme liegt - im Unterschied zu Phelps, der in diesem Fall eher eine Minderheitenposition vertritt - der Schwerpunkt auf der Arbeitsangebotsseite, und es sollte der Arbeitssuchende bezuschußt werden und nicht das Unternehmen, welches den Arbeitsplatz anbietet. Damit könnten Mitnahmeeffekte minimiert werden und darüber hinaus die Fähigkeiten und Präferenzen des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Zum anderen wäre eine indirekte Bezuschussung über die Lohn- und Einkommensteuer, wie sie im Rahmen einer negativen Einkommensteuer möglich ist, vorstellbar. Diese Maßnahme würde die Brücke zur Steuerpolitik schlagen, weil sie zur Erhöhung der Transparenz und zur Verringerung spezifischer Reibungsverluste zwischen dem Steuer- und dem Transfersystem beiträgt. Allerdings benötigt eine solche Steuerlösung aufgrund der mit ihr verbundenen Umstellungen einen längeren Atem als eine direkte Lohnsubvention, so daß letztere aus arbeitsmarktpolitischen Erwägungen zu präferieren ist.

Die Notwendigkeit einer preisorientierten Arbeitsmarktpolitik erschließt sich aus der o.a. Annahme, daß Arbeitsplätze im wesentlichen nur noch im Dienstleistungsbereich entstehen. Für die immer schwerer vermittelbaren (Langzeit)arbeitslosen geht es aber weniger um wissensintensive Beschäftigungen als vielmehr um personengebundene Dienstleistungen. Die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen ist zwar latent vorhanden, wird jedoch aufgrund der hohen Preis- und Einkommenselastizität kaum realisiert. Eine aufgrund der Subventionierung mögliche Aufspreizung des Lohnfächers nach unten sollte hier zu einer größeren Nachfragestabilität und in der Folge zu mehr Beschäftigung führen.

Im Zuge dieser Maßnahmen würden somit ganz neue Betätigungsfelder geschaffen, für die keine tarifpolitischen Regelungen existieren. Daneben kommt hinzu, daß die Interpretation von Tariflöhnen als Mindestlöhne relativiert werden würde. Der Staat müßte somit ergänzend zu den Lohnsubventionen auch gesetzliche Mindestlöhne festlegen, um die Möglichkeit sittenwidriger Löhne auszuschalten.

Die Aufgabe der staatlichen und privaten Arbeitsvermittlung wäre in diesem Kontext eine umfassendere als bisher. Denn neben der eigentlichen Vermittlungstätigkeit sollten sie vor allem Schlüsselqualifikationen und die soziale Kompetenz der Arbeitnehmer schulen. Dazu gehört, daß die Arbeitnehmer wieder Basisqualifikationen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, Ausdauer und Teamgeist erwerben. Notwendig dafür ist allerdings die Unterstützung bei der Bekämpfung individueller Wettbewerbsnachteile wie fehlende soziale Kompetenzen, Schulden-, Sucht- und Wohnungsprobleme sowie psychische Behinderungen. Die pauschale Arbeitsmarktmaßnahme des Einkommenstransfers muß folglich durch eine individuelle Betreuung und Beratung ergänzt werden.

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Überbrückungshilfe für Existenzgründer

Eine weitere Variante preisorientierter Arbeitsmarktpolitik sollte aufgrund ihres bisherigen Erfolges stärker ausgebaut werden, zumal sie insbesondere im Sinne der Stärkung der Eigenverantwortung förderungswürdig ist. Hierbei handelt es sich um das sogenannte Überbrückungsgeld, das Arbeitslose aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen können, wenn sie sich zu einer Existenzgründung entschließen. Eine neue Längsschnittuntersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt, daß 70% der Geförderten drei Jahre nach der Existenzgründung immer noch selbständig sind und darüber hinaus auf jeden Selbständigen im Durchschnitt ein Angestellter kommt. Weitere 12 % sind zwischenzeitlich in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gewechselt und nur 11% sind wieder arbeitslos.

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Konzertierung statt Deregulierung

Ziel einer preisorientierten Arbeitsmarktpolitik ist somit die Erhöhung der Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt über eine Absenkung der Eintrittsbarrieren mit Hilfe von Einkommenstransfers. Der Hinweis auf die Notwendigkeit individueller Unterstützung deutet bereits auf die Relevanz der Organisation und sozioökonomischen Verarbeitung dieser arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen hin. Üblicherweise wird auf die beschäftigungspolitischen Erfolge der USA, Großbritanniens, der Niederlande und Dänemark verwiesen. Gemeinsam ist diesen Erfolgen, daß eine erhöhte Beschäftigung mit einem geringeren Einkommen(szuwachs) einhergeht. Die USA und Großbritannien unterscheiden sich jedoch extrem von den beiden anderen Ländern durch die Art und Weise der Umsetzung. Dies wird bei uns - bewußt oder unbewußt - verschwiegen. Vielmehr wird immer betont, daß Beschäftigungssteigerungen nur im Wege eines angelsächsischen Konflikts zwischen den Arbeitsmarktparteien zu erreichen sein. Dem steht jedoch die kontinentaleuropäische korporatistische Tradition entgegen, die in den Niederlanden und Dänemark ebenfalls erfolgreich war. Da Deutschland dieser Tradition näher steht, sollte man sorgfältig abwägen, welcher Implementierungsstrategie man den Vorzug gibt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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