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Gegensätze und Potentiale

Indien ist ein Land der Gegensätze. Gemessen an der AUS$ehnung ist es die siebtgrößte, gemessen an der Kaufkraft der Währung die sechststärkste Wirtschaftsmacht der Erde. Nimmt man das Bruttosozialprodukt (BSP) pro Kopf als Maßstab, zählt Indien dagegen zu den ärmsten Ländern der Welt. Der relativ hohen Analphabetenrate von 48 Prozent der erwachsenen Bevölkerung steht die Tatsache gegenüber, daß Indien trotz der zahlreichen unterschiedlichen Landessprachen die größte englisch sprechende Gemeinschaft der Welt darstellt, was für ausländische Investoren im Vergleich zu anderen Ländern Asiens eine erhebliche Erleichterung bedeutet. Das gut ausgebaute Netz indischer Forschungseinrichtungen und der hohe Standard einiger indischer Universitäten sind international anerkannt. Das Potential von über vier Millionen akademisch und technisch qualifizierten Menschen wirkt bei niedrigen Lohnkosten attraktiv auf ausländische Investoren. In jüngster Zeit waren auch die relativ geringen Umweltauflagen wichtige Argumente für Investionen. Indien stellt mit einer Bevölkerung von knapp einer Milliarde zudem einen riesigen Markt dar: Auf 150 bis 300 Millionen wird allein der kaufkräftige Mittelstand geschätzt. Im Zeitraum von 1981-1995 lebten andererseits noch immer 52,5 Prozent der Bevölkerung von weniger als einem US-Dollar pro Tag.

1995 wohnten 75 Prozent der indischen Bevölkerung auf dem Land, 29 Prozent des BSP wurden im gleichen Jahr durch die Agrarwirtschaft erwirtschaftet. Nichtsdestotrotz hat Indien eine beachtliche Industrialisierung hinter sich. Infolge der Importsubstitutionspolitik der Vergangenheit verfügt das Land über zahlreiche eigene Industrien, die allerdings häufig durch veraltete Technik und geringe Nachfrageorientierung gekennzeichnet sind.

Indien ist ein Land der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Scheint auf dem Lande die Zeit noch fast stillzustehen, so erfahren einige Regionen und die Großstädte einen rasanten Fortschritt. Zwischen den 25 indischen Bundesstaaten findet sich dann auch ein beträchtliches wirtschaftliches und soziales Gefälle. In Bombay und Bangalore, zum Beispiel, trifft man auf Bedingungen, die sich denen der „Tiger"-Staaten nähern, während die ärmsten Regionen wie etwa der nordindische Bundesstaat Bihar Indien noch deutlich als Entwicklungsland zu erkennen ist. Neben relativ konservativen indischen Geschäftsleuten, die einer Öffnung des Landes gegenüber eher skeptisch eingestellt sind, findet sich eine aufstrebende Schicht junger, gut ausgebildeter Inder häufig mit Auslandserfahrung, die modern und dem Ausland gegenüber offen eingestellt sind. Diese progressiven und sehr arbeitswilligen Menschen haben insbesondere in der Softwareindustrie Aufmerksamkeit erregt.

Als größte Demokratie der Welt hat Indien in jüngster Zeit vor allem durch seine politische Instabilität Schlagzeilen gemacht. Trotz häufiger Regierungswechsel und der derzeitigen instabilen Machtkonstellation der 15-Parteien-Koalition werden die zu Beginn der 90er Jahre infolge einer Zahlungsbilanzkrise in Gang gesetzten wirtschaftspolitischen Reformen in ihrer Grundrichtung weiterverfolgt. Der derzeitige Finanzminister P. Chidambaram gilt als liberalisierungsfreudig und wurde wegen seines letzten Staatshaushaltes nicht nur in Indien gelobt. Die demokratische Entscheidungsfindung in der Politik führt im allgemeinen dazu, daß man Entscheidungen zwar langsam, schrittweise und nicht radikal fällt. Dafür werden die Entscheidungen aber auf Basis eines breiten Konsenses getroffen, so daß sie nach der nächsten Wahl nicht wieder komplett verworfen werden. Kann Indien vor diesem Hintergrund im internationalen Wettbewerb standhalten?


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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