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Die Reform des Sicherheitsrats

Seit Jahren werden verschiedene Modelle für eine Erweiterung des SR und die Gestaltung des Vetorechts debattiert, ohne daß es zu einem entscheidenden Durchbruch gekommen wäre. Die Zusammensetzung und die einzigartige Machtfülle – sprich,das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder (P5) – des einflußreichsten Organs der VN hat zunehmend Kritik der nicht mit ständigen Sitzen privilegierten Mitgliedstaaten provoziert. Insbesondere die Tatsache, daß vier der P5 „europäisch" sind (die USA werden häufig als „europäische" Macht wahrgenommen) und dem Kreis der Industrienationen angehören, wird als nicht repräsentativ für die überwiegende Mehrheit der Völker der Welt kritisiert. Entsprechend wird das Vetorecht als undemokratisches Machtinstrument gebrandmarkt, welches das Prinzip der souveränen Gleichheit der Mitgliedstaaten durchbricht und zudem die P5 immer wieder dem Verdacht aussetzt, ihre herausgehobene Position zur Durchsetzung ihrer jeweiligen politischen Interessen zu mißbrauchen.

Die Schwierigkeit, eine Veränderung der Mitgliedschaft des SR oder des Vetorechts herbeizuführen, liegt in der Notwendigkeit einer Charta-Revision begründet. Verfassungsänderungen bedürfen der Zustimmung und Ratifizierung von mindestens zwei Dritteln der Mitgliedstaaten, einschließlich aller fünf ständigen SR-Mitglieder.

Eine Erweiterung des SR wird mit dem Argument begründet, die Veränderungen der internationalen Rahmenbedingungen, die seit 1945 eingetreten sind, in der Zusammensetzung des SR zu berücksichtigen und somit die Repräsentativität und die Effektivität des Gremiums zu erhöhen. Dies war auch die grundsätzliche Argumentation von Außenminister Kinkel bei der Eröffnung der 52. Generalversammlung der VN im September, der deutlich den Anspruch der Bundesrepublik auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat anmeldete. All zu sehr sollte man freilich die Logik der Repräsentativität nach Kontinenten und der politischen und ökonomischen Bedeutung der im SR vertretenen Staaten nicht strapazieren. Eine Neubewertung (gegenüber 1945) des weltpolitischen und ökonomischen Gewichts Frankreichs und Großbritanniens oder Europas insgesamt steht nicht zur Debatte. Ohnehin werden sowohl die diversen Vorschläge zur strukturellen Umgestaltung des SR als auch die konkreten Mitgliedstaaten, die dem Gremium künftig angehören könnten, äußerst kontrovers debattiert.

Zu den Kandidaten, die für eine Aufnahme in den Kreis der ständigen Mitglieder am häufigsten genannt werden, gehören Japan und - seit 1992 - die Bundesrepublik Deutschland. Ständige Sitze werden aber auch von Nationen aus dem Süden bzw. der G-77 angestrebt. Hier tauchen Indien und Indonesien, Brasilien und Mexiko sowie Südafrika, Nigeria und Ägypten als Kandidaten ihrer Kontinente immer wieder in den Debatten auf.

Eine inoffizielle Befragung von 165 Staaten, die die Arbeitsgruppe zur Reform des SR 1997 durchführte, ergab, daß eine deutliche Mehrheit unter den Mitgliedern der VN eine Erweiterung beider Kategorien des SR (nicht-ständige und ständige Sitze) auf etwa 23 bis 26 Sitze begrüßen würde. Zwar wird die Institution der ständigen Mitgliedschaft in Verbindung mit dem Vetorecht von den meisten Mitgliedstaaten grundsätzlich abgelehnt. Da es jedoch nach allgemeiner Einschätzung derzeit völlig ausgeschlossen ist, daß die jetzigen P5 Beschneidungen ihres privilegierten Status hinnehmen würden, argumentiert die Mehrzahl der Staaten, daß in Zukunft Mitglieder auch aus dem Kreis der Entwicklungsländer ständige Sitze, ausgestattet mit vollem Vetorecht, einnehmen sollten. Hier besteht allerdings nach wie vor große Uneinigkeit unter den Entwicklungsländern, welche Staaten für einen ständigen Sitz in Frage kommen. Jeder konkrete Vorschlag, sei es Indien oder Brasilien, hat bislang bei den jeweiligen regionalen Kontrahenten heftigste Widerstände ausgelöst.

Die Diskussion um die SR-Reform ist in den vergangenen Monaten entscheidend vom Präsidenten der 51. Generalversammlung, dem Malaysier Razali Ismail, geprägt worden. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe zur Reform des SR hat er im März 1997 einen Vorschlag vorgelegt, wie in zwei Phasen mit der Erweiterung des SR verfahren werden könnte. Der Razali-Vorschlag sieht eine Erweiterung um fünf ständige und vier nicht-ständige Sitze vor. Die Empfehlung benennt keine konkreten Kandidaten für diese neuen Sitze, sondern schlägt statt dessen einen regionalen Schlüssel vor. Für die Kategorie der ständigen Sitze sind jeweils ein Entwicklungsland aus Asien, Afrika und Lateinamerika sowie zwei Industrieländer vorgesehen. Zwar wird in Razalis Vorschlag mit keinem Wort angedeutet, welche Nationen die Sitze für die beiden zusätzlichen Industrienationen einnehmen sollen. Aus den Protokollen der relevanten Gremien geht jedoch hervor, daß Deutschland und Japan in dieser Kategorie die besten Aussichten haben. Ein wesentlicher Bestandteil des Plans ist das Abstimmungsprozedere, demzufolge ein quick fix, d.h. die schnelle Vergabe ständiger Sitze an Deutschland und Japan ohne Berücksichtigung von Kandidaten aus dem Kreise der Entwicklungsländer, verhindert werden soll.

Wenn eine grundsätzliche Einigung über den Modus der Aufteilung der zusätzlichen Sitze erzielt wird, sollen in einer zweiten Abstimmungsphase - Razali strebt den 28. Februar 1998 an - endgültig die Staaten bestimmt werden, die die neuen Sitze einnehmen werden. Die starke Opposition vieler VN-Mitglieder, vor allem der Blockfreien, gegenüber dem Vetorecht hat sich im Razali-Vorschlag in einer Kompromißformel niedergeschlagen. Um das mehrfach als historisch überholt charakterisierte Prinzip des Vetos nicht weiter auszudehnen, sollen die neuen ständigen Mitglieder kein Vetorecht erhalten. Damit würde eine dritte Kategorie innerhalb des SR etabliert werden.

Der Razali-Plan hat zwar Bewegung in die festgefahrene Debatte um die Reform des SR gebracht. In entscheidenden Fragen stehen sich allerdings unversöhnliche Positionen gegenüber. Während von den ständigen Mitgliedern des SR China, Rußland und Frankreich sich relativ bedeckt halten, was die Gesamtzahl der gegebenenfalls neu zu schaffenden Sitze angeht, haben die USA und Großbritannien mehrfach signalisiert, daß sie einer Erweiterung um mehr als fünf oder sechs Sitze nicht zustimmen werden. Begründet wird die ablehnende Haltung gegenüber einer Vergrößerung der Gesamtzahl auf mehr als maximal 20 oder 21 Sitze mit der vermuteten Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit des SR. Zu den eher verdeckten Beweggründen dürfte jedoch die Befürchtung der USA und Großbritanniens zählen, daß mit einer Erweiterung auf etwa 25 Sitze zu viele blockfreie Mitgliedstaaten in den SR einziehen könnten.

Die Bedingungen für eine Reform des SR schienen sich in der ersten Jahreshälfte 1997 stetig zu verschlechtern. Aus Washington mehrten sich die Anzeichen dafür, daß das frühere Engagement der USA, den SR zu reformieren – und ihn zum Beispiel um Deutschland und Japan zu erweitern –, allmählich erlahme. So stieß das Thema im US-Kongreß auf deutliches Desinteresse. Für den rechten Flügel im Senat und Repräsentantenhaus ist der SR unverändert kein Gegenstand von Reform. Mitte Juli hat sich die US-Administration von ihrer früheren Position verabschiedet, den SR lediglich um zwei permanente Mitglieder zu erweitern. Neben der Bundesrepublik und Japan wird nun auch die Aufnahme von drei Entwicklungsländern befürwortet. Zwar bleibt Washington bei der Obergrenze von 21 Sitzen, mit der Aufgabe der früheren ablehnenden Haltung gegenüber der Frage der ständigen Mitgliedschaft von Entwicklungsländern haben sich die Chancen auf einen Kompromiß zwischen den Forderungen nach erhöhter Repräsentativität des SR und den Interessen der USA entscheidend erhöht.

Für Deutschland von besonderem Interesse ist ferner die eher ablehnende Haltung der USA im Bezug auf das Vetorecht für künftige Neumitglieder. Im Falle einer ständigen Mitgliedschaft würden in der Konsequenz die Bundesrepublik oder Japan – ähnlich wie vom Razali-Vorschlag vorgesehen – vom Status her niedriger eingestuft werden als die jetzigen P5. Es ist derzeit jedoch schwer vorstellbar, daß Deutschland ein geringeres Vetorecht als es zum Beispiel Frankreich und Großbritannien zusteht akzeptieren würde.

Die deutsche Seite hofft, daß in der Vetofrage ein Kompromiß erzielt werden könnte, indem zwar alle neuen ständigen SR-Mitglieder formal das uneingeschränkte Vetorecht erhalten, gleichzeitig aber die künftige Anwendung des Vetos durch einseitige, völkerrechtlich bindende Erklärungen der ständigen Mitglieder eingeschränkt bzw. von bestimmten Bereichen ausgenommen werden könnte. Vorstellbar wäre es zum Beispiel, daß sich ein ständiges SR-Mitglied durch einen solchen „Notenwechsel" verpflichtet, das Vetorecht niemals im Alleingang anzuwenden.

Das Anliegen der Bundesrepublik, Aufnahme in den Kreis der ständigen SR-Mitglieder zu finden, stößt auf den entschiedenen Widerstand Italiens. Die deutliche Opposition des EU-Partners entspringt offenbar der Befürchtung, daß eine Aufwertung der Bundesrepublik mit einem Prestigeverlust für Italien verbunden wäre. Auch Spanien hat in den vergangenen Monaten signalisiert, einer Erweiterung des SR um ständige Sitze eher ablehnend gegenüber zu stehen.

Die weitere Entwicklung der SR-Reform ist derzeit völlig offen. Von Vertretern der Arbeitsgruppe zur Reform des SR wird erwartet, daß konkrete Schritte im Laufe des kommenden Jahres eingeleitet werden. Unter den Mitgliedstaaten hat sich der Schwerpunkt der Diskussion auf prozedurale Fragen verschoben, da im Prinzip alle denkbaren Varianten einer möglichen Reform bereits präsentiert und ausführlich diskutiert wurden. Zwei Szenarien sind vorstellbar: Entweder wird ein konkreter Vorschlag zur Abstimmung von einem Staat oder einer Staatengruppe in die Generalversammlung eingebracht. Oder die entsprechende Arbeitsgruppe entwirft einen detaillierten Verhandlungstext, auf dessen Grundlage eine Lösung zwischen den Mitgliedstaaten angestrebt werden könnte.

Sollte, trotz der modifizierten Haltung der US-Regierung bezüglich der Erweiterungsfrage aufgrund von Widerständen unter den P5 oder einer deutlichen Anzahl der übrigen Mitgliedstaaten, keine Einigung über die Fragen der ständigen Sitze und des Vetorechts erzielt werden, so ist denkbar, daß es – ähnlich wie 1966 – zu einer einfachen Erhöhung der Anzahl der nicht-ständigen Mitglieder kommt. Somit wäre der Forderung nach einer verbesserten Repräsentativität zumindest ansatzweise entsprochen.

Bescheidene Fortschritte aus der Sicht der SR-Reformer sind in den vergangenen Jahren auch ohne eine Revision der Chartabestimmungen erreicht worden. Von seiten der nicht im SR vertretenen Mitgliedstaaten, die vielfach beachtliche Truppenkontingente für Peacekeeping-Einsätze bereitgestellt haben, ist die Forderung nach erhöhter Transparenz der SR-Entscheidungsfindung erhoben worden. Der Informationsaustausch zwischen Entsendestaaten und SR hat sich seit 1994 deutlich verbessert, die betroffenen Mitgliedstaaten werden seither über effektivere Konsultationsmechanismen intensiver in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Neu an der Informationspolitik des SR ist, daß nicht mehr nur die einzelnen souveränen Staaten über relevante sicherheitspolitische Entwicklungen vom SR unterrichtet werden, sondern auch regionale Staatengruppen. Damit werden gezielt die regionalen Verantwortlichkeiten der Mitglieder angesprochen. Dies ist im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Tendenz zu sehen, daß der SR im verstärktem Maße dazu übergegangen ist, Aufgaben an regionale Mächte bzw. Organisationen für kollektive Sicherheit (zum Beispiel NATO) zu delegieren. Die Praxis des „subcontracting" ist angesichts der äußerst knappen Ressourcen – vor allem Truppen –, die den VN zur Bewältigung von Krisen zur Verfügung stehen, verständlich. Allerdings ist damit die Gefahr verbunden, daß sich die VN so schrittweise aus ihrer Verantwortung für die Wahrung der internationalen Sicherheit verabschieden und dadurch unbeabsichtigt die Position von regionalen Hegemonialmächten stärkt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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