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Die Finanzkrise

Seit Mitte der 80er Jahre häufte sich die Kritik am internationalen Management im allgemeinen und an den VN und ihren Sonderorganisationen im besonderen. Vor allem der US-Kongreß, die Reagan-Administration sowie Medien in den USA und Großbritannien übten lautstarke Kritik an der „überbordenden, ineffektiven Bürokratie", der „Verschwendung finanzieller Ressourcen" und dem ineffizienten Einsatz eines als zu groß empfundenen Personalbestands. Neben der in weiten Teilen durchaus berechtigten Kritik an der unübersichtlichen organisatorischen Struktur ist ein nicht unerheblicher Teil der Attacken auf die Organisation politisch motiviert. Bedingt durch den offenkundigen Kontrast zwischen Mandat und Realität der Weltorganisation bieten die VN zudem ein allzu leichtes Angriffsziel.

Zwischen der Kritik am Management der VN und der inzwischen chronischen Finanzkrise der Organisation besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Um die VN zu administrativen Reformen zu zwingen, sind die USA dazu übergegangen, ihre regulären Beitragszahlungen an entsprechende Bedingungen zu knüpfen. Die Hauptursache für die durch die Liquiditätskrise bedingte Schwächung des VN-Systems beruht nicht auf Mißmanagement, sondern wird durch die schlechte Zahlungsmoral einiger ihrer Beitragszahler verursacht.

Das Problem weitet sich zudem rapide aus. Waren vor zehn Jahren lediglich sechs Mitgliedstaaten so deutlich mit ihren regulären Beitragszahlungen an die VN im Rückstand, daß ihnen gemäß Artikel 19 der Charta das Stimmrecht in der Generalversammlung entzogen wurde, so waren es 1996 bereits 27 Staaten. Anfang 1997 stieg diese Zahl sogar auf 43 – also auf mehr als ein Fünftel der Mitgliedstaaten. Die Beitragszahlungen zum ordentlichen VN-Haushalt sind jeweils am 31. Januar des Haushaltsjahres fällig. Dieses Jahr hatten lediglich 28 der 185 Mitgliedsländer ihre vollen Beiträge fristgerecht entrichtet. ( Dazu gehört nicht die Bundesrepublik Deutschland, die 1979 eigenmächtig beschlossen hat, die jährlichen Beiträge in zwei Raten zu überweisen.) Derzeit beläuft sich die Gesamtsumme an Außenständen zum ordentlichen Haushalt (Gesamtvolumen ca 1,2 Milliarden US-Dollar) auf 511 Millionen US-Dollar; für die getrennt vom ordentlichen Haushalt finanzierten Peacekeeping-Einsätze haben sich zwischenzeitlich Rückstände von 1,6 Milliarden US-Dollar angehäuft.

Verursacht wird die dramatische Finanzkrise der VN von einigen wenigen Mitgliedstaaten, da die Masse der beitragssäumigen Länder ohnehin zu den ärmsten Staaten zählt und daher jeweils nur den Mindestbeitrag von 0,1 Prozent des VN-Haushaltes beizusteuern hat. Spektakulärster Nichtzahler sind die USA, deren Außenstände sich Ende 1996 auf 377 Millionen US-Dollar oder 73 Prozent der Summe der Außenstände aller VN-Mitglieder beliefen. Für Peacekeeping-Operationen schuldeten die USA den VN 926 Millionen US-Dollar. Insgesamt werden die Außenstände der USA – ohne Berücksichtigung der nicht erfolgten Zahlungen an Sonderorganisationen wie WHO oder FAO – gegenwärtig auf ca. 1,3 Milliarden US-Dollar beziffert. Neben den USA sind u.a. Rußland mit 209 Millionen und Ukraine mit 199 Millionen US-Dollar, ebenfalls im Peacekeeping-Bereich, in Verzug.

Die Zahlungsunwilligkeit einiger Mitgliedstaaten spiegelt sich auch in den Haushaltsziffern der VN wider. Bereits vor zehn Jahren versuchten westliche Regierungen, die Ausgabendisziplin der VN zu stärken, indem ein reales Nullwachstum des regulären Haushaltes gefordert wurde. In den vergangenen beiden Jahren hat Washington den Druck auf die Weltorganisation nochmals erhöht und ein nominales Nullwachstum eingefordert. Als Konsequenz bewilligte die Generalversammlung den laufenden Zweijahreshaushalt (1996-97), der ein nominales Nullwachstum vorgesehen hatte. Vor dem Hintergrund der Drohungen des US-Kongresses, auch weiterhin keine Beiträge zu entrichten, sieht der Haushaltsvorschlag für 1998-1999, den der Generalsekretär dieses Jahr präsentierte, sogar eine Ausgabenreduzierung um 124 Millionen US-Dollar im Vergleich zum letzten Haushaltsplan vor.

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Die Rolle der USA

Finanzierungsprobleme sind keineswegs eine neue Erscheinung bei den VN. Bereits 1956 gab es die ersten unerfreulichen Präzedenzfälle, als einige Mitgliedstaaten aufgrund von Differenzen in bestimmten Politikbereichen die Praxis der sogenannten „gezielten Einbehaltungen" einführten. Ironischerweise haben sich seinerzeit in erster Linie die USA für eine korrekte und pünktliche Zahlung der Beiträge stark gemacht. In den 70er Jahren, aber vor allem mit der Reagan-Administration wandelte sich die Haltung der USA gegenüber den VN und wurde wesentlich kritischer, in einigen Fällen sogar offen feindselig. Seit 1985 haben der US-Kongreß sowie die US-Regierung wiederholt diverse Bedingungen an die Entrichtung der vollen Beiträge geknüpft. Mit dem erdrutschartigen Sieg der Republikaner bei den 1994er Zwischenwahlen zum Kongreß haben sich die Beziehungen zwischen Washington und den VN nochmals deutlich verschlechtert, was sich nicht zuletzt in einer weiteren Verschärfung der finanziellen Situation der Organisation niederschlug.

Über die Finanzierungsfrage bestehen zwischen der Clinton-Administration und dem in dieser Frage vom rechten Flügel der Republikaner dominierten US-Kongreß erhebliche Differenzen. Vor allem auf Betreiben des Vorsitzenden des Foreign Relations Committee des Senats, Jesse Helms, wurden wiederholt Zahlungen an die Weltorganisation aufgehalten, während die US-Regierung mehrfach die vollständige Begleichung der Außenstände forderte.

Mitte Juni 1997 ist Bewegung in die Auseinandersetzung zwischen Senat und Administration gekommen. Die US-Regierung hatte eine Vereinbarung über die Zahlung der überfälligen Beiträge an die VN mit den beiden Kongreßparteien getroffen, die mit den Senatoren Jesse Helms (Republikaner) und Joseph R. Biden (Demokraten) des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen ausgehandelt wurde. Darin ist vorgesehen, lediglich einen Teil der unbezahlten Beiträge – 819 Millionen statt der von den VN veranschlagten 1,3 Milliarden US-Dollar – nur unter detailliert ausformulierten Bedingungen zu überweisen. Zu den wichtigsten der insgesamt 38 Konditionen zählen:

- Die Senkung des US-Beitrags zum regulären Haushalt von derzeit 25 auf 20 Prozent innerhalb der nächsten drei Jahre;

- die Reduzierung des Beitragsanteils an Friedensmissionen von derzeit ca. 30,9 Prozent auf maximal 25 Prozent. (Diese vom US-Kongreß bereits 1995 unilateral vorgenommene Absenkung wurde von den VN nie als rechtmäßig anerkannt. Damit erklären sich die unterschiedlichen Angaben zwischen Washington und den VN über die Höhe der US-Schulden.)

- Künftige Zahlungen werden vom Verzicht der VN auf die Erhebung eigener Steuern und die Etablierung stehender Streitkräfte abhängig gemacht („Souveränitätsgarantie");

- keine Durchführung von Weltkonferenzen außer in New York, Genf, Wien oder Rom;

- Prüfung der VN-Programme und Haushaltsführung durch die Washingtoner Aufsichtsbehörde (General Accounting Office);

- fünf Prozent der Posten im Sekretariat sollen unbesetzt bleiben;

- Kürzung der Auslandshilfen an Staaten, deren Diplomaten in New York die Strafgebühren für falsches Parken nicht entrichten.

Dieses Paket wurde am 19. Juni im entsprechenden Senatsausschuß von einer deutlichen Mehrheit verabschiedet. Reaktionen von Vertretern sowohl engster Verbündeter – wie der EU-Staaten – als auch aus dem Kreise der 132 Mitglieder der G-77 signalisierten eine sehr deutliche Ablehnung des Angebots der USA. Die US-Regierung versucht, die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, daß die ausgehandelte Abmachung mit dem Kongreß ein Maximum dessen darstellt, was erreicht werden konnte. Der amerikanische Botschafter bei den VN, Bill Richardson, bereist dazu zahlreiche Hauptstädte, um für die US-Position zu werben. Es wird in erster Linie vom Verhalten der Europäer abhängen, die letztlich die von den USA verursachten Mindereinnahmen kompensieren müßten, ob sich die Vereinigten Staaten mit diesem unilateralen Vorgehen durchsetzen werden. Zu Beginn der Generalversammlung im September 1997 zeichnete sich ab, daß die USA nach einem Weg suchten, einen größeren Betrag kurzfristig zu zahlen und dies als Geste des guten Willens zu deklarieren.

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Reform der Finanzierung der VN

Neben den Versuchen der USA, Veränderungen des Finanzierungssystems unter Umgehung völkerrechtlicher Bestimmungen und multilateraler Prozesse zu oktroyieren, werden unter den Mitgliedstaaten und von VN-Vertretern verschiedene Verbesserungsvorschläge diskutiert.

Auf dem Prüfstand befindet sich das derzeit gültige Beitragssystem der VN. Generell basiert die jeweilige Höhe der Mitgliedsbeiträge auf dem Prinzip der Zahlungsfähigkeit (capacity to pay), wobei als Berechnungsgrundlage – neben einigen weiteren Kriterien wie die Höhe der jeweiligen Auslandsverschuldung – das Bruttoinlandsprodukt herangezogen wird. Zur Diskussion steht auch die Verbesserung der Beitragsgerechtigkeit, da einige Mitgliedstaaten einen deutlich geringeren Finanzierungsbeitrag leisten, als ihrem Anteil am Welteinkommen entsprechen würde (z. B. die Volksrepublik China und Indien). Die Arbeitsgruppe, die sich u.a. mit einer Neugestaltung der Beitragsskala befaßt, hat jedoch bislang keine greifbaren Ergebnisse vorgelegt.

Einer der Ansätze, die in den Debatten immer wieder auftaucht, ist die Erschließung alternativer regierungsunabhängiger Finanzierungsquellen für das VN-System, um eine dauerhaft gesicherte Finanzierung der VN zu ermöglichen. Die Vorschläge umfassen eine große Bandbreite, die von der Erhebung eines geringen Steuersatzes auf transnationale Kapitalbewegungen (Tobin tax) über eine Abgabe auf internationale Flugtickets bis zu der Idee, eine VN-Lotterie ins Leben zu rufen, reichen. Gegenwärtig bestehen allerdings keine Aussichten, derlei Konzepte politisch durchzusetzen. Als Boutros-Ghali 1996 entsprechende Vorschläge unterbreitete, um einen Ausweg aus der drückenden Zahlungsunfähigkeit der VN zu suchen und gleichzeitig die finanzielle Belastung der USA zu reduzieren, hat Washington solche Pläne harsch zurückgewiesen. Vom Kongreß wurde dieses Ansinnen sogar als weiteres Beispiel für den „Machthunger des Generalsekretärs" bezeichnet.

Abgesehen von populistischen Anschuldigungen ist zu bedenken, daß unabhängige, nicht auf Mitgliedsbeiträgen beruhende Finanzierungsmethoden mit der Logik einer multilateralen Organisation schwer zu vereinbaren sind. Die Einführung supranationaler Elemente wird gegenwärtig unter den VN-Mitgliedern nicht die dafür notwendige Unterstützung finden. Damit bleiben die VN bis auf weiteres im Teufelskreis zwischen der Abhängigkeit von staatlichen Verpflichtungen und der Zahlungsmoral ihrer Mitglieder gefangen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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