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Reformen sind notwendig und überfällig

Der Reformdruck, der gegenwärtig auf den VN lastet, resultiert aus einer komplexen Mischung von fundamentalen Veränderungen der internationalen Rahmenbedingungen, historisch bedingten strukturellen Defiziten des VN-Systems und der anhaltend dramatischen Liquiditätskrise der Organisation.

Eine der offensichtlichsten Wandlungen, die erhebliche Implikationen für die Organisation mit sich brachte, hat im Bereich der Mitgliedschaft stattgefunden. Durch die Entkolonialisierungssprozesse in den ersten drei Jahrzehnten der VN sowie der in jüngerer Zeit erfolgten Desintegration des „sozialistischen Lagers" hat sich die Zahl der Mitgliedstaaten von ursprünglich 51 auf derzeit 185 erhöht. Die Mehrzahl der heutigen Mitglieder war demnach bei der Ausarbeitung der Charta der Vereinten Nationen gar nicht existent, geschweige daß sie an der Ausgestaltung der „Verfassung" der Weltorganisation hätten mitwirken können. Dies begründet heute die scharfe Kritik der später beigetretenen souveränen Staaten an Zusammensetzung und Funktionsweise der bestehenden Entscheidungsgremien – vor allem an der Struktur des Sicherheitsrates.

Obwohl die VN eine Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben zu erfüllen suchen und innerhalb verschiedenster Domänen agieren, werden Erfolg und Scheitern der Organisation in der Hauptsache im friedens- und sicherheitspolitischen Bereich festgemacht. Zwar wurde nach dem Ende der Ost-West Konfrontation und dem damit einhergehenden Wegfall der Blockade des Sicherheitsrates (SR) die künftige Rolle der VN zunächst sehr optimistisch gesehen. Und tatsächlich steigerten sich die Aktivitäten der VN in der sicherheitspolitischen Arena um ein Vielfaches. So wurden vom SR im Jahr 1989 nur 20 Resolutionen verabschiedet, 1993 waren es bereits 93.

Nach den Erfahrungen in Bosnien, Somalia und Ruanda ist jedoch Ernüchterung über die Möglichkeiten der VN eingetreten. Die Weltorganisation erlitt durch den Verlauf dieser militärischen Operationen zudem einen dramatischen Ansehensverlust in der Weltöffentlichkeit. Damit die VN mit adäquaten Krisenbewältigungsinstrumenten ausgestattet werden, um auf die veränderte Konfliktstrukturen – allmähliche Ablösung „klassischer" zwischenstaatlicher Krisen durch intra-staatliche Konflikte – angemessen reagieren zu können, wurden bereits vor Jahren fundierte Reformvorschläge unterbreitet (am bekanntesten: „Eine Agenda für den Frieden", 1992). In der aktuellen Reformdebatte wird dieser Bereich allerdings weitgehend vernachlässigt. Wenig Beachtung wird derzeit auch der Frage einer verbesserten Arbeitsweise des SR geschenkt. So ist die Praxis der Mandatserteilung seitens des SR wiederholt als eine der Hauptursachen für das Scheitern von Friedensmissionen identifiziert worden. Im Zentrum der Debatten stehen statt dessen die Verteilung der SR-Sitze und die Machtdistribution innerhalb dieses Gremiums.

Neben ihrer Rolle als Organisation für kollektive Sicherheit wurde den VN durch die Charta ebenfalls eine Verantwortung für die soziale und ökonomische Entwicklung der Weltbevölkerung übertragen. Die Einsicht in die Interdependenz von Entwicklung und Frieden ist heute so richtig wie 1945. Angesichts der Tatsache, daß sich die Kluft zwischen den wohlhabenden Industrienationen und den Entwicklungsländern seit der Gründung der Organisation dramatisch vergrößert hat, fällt die Bilanz der VN in diesem Bereich jedoch enttäuschend aus. Um wirksam die ungerechte Verteilung zwischen Nord und Süd zu entschärfen, sind die Kapazitäten und vor allem die finanziellen Ressourcen der VN völlig unzureichend.

Durch eine tiefgreifende organisatorische Umstrukturierung der vielen, oft unzulänglich koordinierten Abteilungen, Spezialorgane und Sonderorganisationen im Wirtschafts- und Sozialbereich des VN-Systems sollen zumindest die knappen Mittel möglichst effektiv eingesetzt werden. Die anhaltende Finanzkrise hat der Reformbewegung in dieser Hinsicht neue Schubkraft verliehen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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