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Politik



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Innenpolitische Routine?

Wenn „die drei Kim's" weiterhin die Fixsterne der koreanischen Politik sind, dann sind die Parteien sie umkreisende Meteoriten: Präsident KIM Young-Sam, gleichzeitig Vorsitzender der Regierungspartei New Korea Party (NKP), verlor in der Parlamentswahl im April 1996 die absolute Mehrheit im Parlament: Bei der historisch niedrigsten Wahlbeteiligung von 63% reichten der Regierungspartei 34.4% der abgegebenen Stimmen nicht aus, doch noch vor Parlamentseröffnung eingeworbene 11 Unabhängige stellen eine arbeitsfähige knappe Parlamentsmehrheit für die NKP bis heute sicher.

Der zweite Kim, KIM Dae-Young, kehrte in die nationale Politik zurück, gründete unter Mitnahme seiner Gefolgsleute in der 'Democratic Party' (DP) den 'National Congress for New Policy' (NCNP) und ließ eine verwirrte Rumpf-DP zurück, die sich in fortschreitender Zellteilung weiter marginalisiert. Seit Abspaltung von der Regierungspartei im Januar 1995 sammelt der dritte Kim, der einstige Geheimdienstchef und Premierminister KIM Young-Pil, in den 'United Liberal Democrats' (ULD) vergrämte und versprengte Eliten und Anhänger des gestrigen Militärregimes, bevorzugt in seiner Heimatregion Chungchong.

Alle drei Parteien nehmen für sich in Anspruch, die wahrhaft konservative Partei zu sein und verzichten auf weitergehende programmatische Aussagen. Entsprechend dürr ist die Auseinandersetzung um Politikinhalte. Schon beim inhaltlich undramatischen Parlamentswahlkampf 1996 waren grundlegende innenpolitische Reformen für keine der Parteien ein Thema.

Die Absicht Japans, über Ausdehnung der Wirtschaftszone auf 200 Meilen die seit langem zwischen beiden Ländern umstrittenen zwei unbewohnten Felsen, die Tokdo-Inseln im Ostmeer (Japan nennt es Japanisches Meer), zu vereinnahmen, schürte konjunkturell nationalistische Emotionen in beiden Ländern. Nordkoreanischer Aktionismus mit Nadelstichen in der Waffenstillstandszone bietet zudem immer Gelegenheit, sich über kräftige Rhetorik dem Wähler als Garant der Sicherheit in Zeiten weiterhin bedrohlicher Spannungen zu präsentieren. Selbst in Europa verbreitete sich so im vergangenen Jahr zeitweilig die Sorge, Nordkorea wolle eine Krise provozieren.

Auch mahnende Worte des Präsidenten Kim konnten nicht verhindern, daß sich Politiker aller Parteien unmittelbar nach der Parlamentswahl auf das nächste anstehende Politikereignis stürzten, die Kungelei und Rangelei um die Sichtung potentieller Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im Dezember 1997. Da Präsident Kim verfassungsgemäß für keine zweite Amtszeit kandidieren kann, ist auch die eigene Partei nicht mehr zu zügeln. Mit Reisen zu Welt- und Regionalgipfeln, als Wirtschaftsförderer nach Zentralasien und Südamerika, kämpfte der Präsident angesichts innenpolitischer Ermüdung und wirtschaftspolitischer Problemlagen gegen aufkommende lame duck- Einschätzungen. Sechs Premierminister sind in der über vierjährigen Amtszeit verschlissen worden, und viele Berater wurden umgesetzt. Die anfängliche Reformorientierung ist aufgezehrt und in den Bürokratien des zentralistischen Präsidialsystems versickert. Der Kampf gegen Korruption und Nepotismus in Politik, Industrie und Bürokratie hat schließlich durch den die letzten Monate bestimmenden Hanbo-Skandal endgültig an Glaubwürdigkeit verloren, zu gewinnen war er ohnehin nicht. Sieben der acht Verteidigungsminister der letzten zehn Jahre wurden vorzeitig abgelöst wegen Bestechlichkeit(5) oder militärischer Verfehlungen(2).

Die innerparteilichen Auseinandersetzungen ähneln Gladiatorenkämpfen. Acht Interessenten aus der NKP starteten im Frühjahr ihre Kampagnen und drohen, die Partei entlang der beiden Hauptgruppierungen Minju - reformorientiert und Präsident KIM nahe - und Minjong - die altkonservativen ROH Tae-Woo Erben - zu zerreißen. Präsident KIM ist mit den Skandalen die Steuerungsfähigkeit weitgehend entglitten.

In der Opposition sucht der reformorientierte NCNP und die reaktionär-konservative ULD angeblich nach Wegen zu einem gemeinsamen Kandidaten - der wieder nur KIM heißen kann? Da die beiden Platzhirsche bereits im Juni eine Nominierung durch die jeweiligen Delegiertenversammlungen einforderten, erscheint ein gemeinsamer Kandidat eher unwahrscheinlich. Die Regierungspartei gespalten, beide Oppositions-KIM's hartnäckig; da liegt hinreichend Potential, um im Laufe des Wahlkampfes, der die nächsten Monate die Politik des Landes bestimmen wird, neue Koalitionen zu bilden.

Eine erratische Nordkoreapolitik - mal Gesprächsbereitschaft und humanitäre Hilfe, dann ideologisch antikommunistische Unversöhnlichkeit - verunsichert Bevölkerung und internationale Partner. Doch daß wegen des U-Bootzwischenfalls und eines überschaubaren Restes militanter Studenten zum Schutz des Staates vor angeblicher kommunistischer Unterwanderung und Infiltrierung über eine Gesetzesänderung die Befugnisse des Geheimdienstes 'Agency for National Security Planning' erneut ausgeweitet werden müßten, in dieser Einschätzung wollen viele Bürger dem Präsidenten nicht folgen.

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Der Prozeß

Die mediengerecht inszenierten Verhaftungen der über viele Jahre allmächtigen ehemaligen Generale und Staatspräsidenten CHUN Doo-Hwan und RHO Tae-Woo Ende 1995 waren gleichzeitig ein Affront gegen ihre Verbündeten von gestern in Politik, Wirtschaft und Bürokratie, die keineswegs geschlossen der Regierungspartei den Rücken gekehrt haben.

Im Frühjahr 1996 begann der Prozeß gegen die beiden Ex-Präsidenten mit der Anklage wegen Hochverrats (Niederschlagung der Kwangju-Demonstrationen im Mai 1980), Meuterei (Putsch gegen den amtierenden Staatspräsidenten Choi im Dezember 1979) und Korruption (amtszeitbegleitend). Mit ihnen wurden einige Wirtschaftsführer wegen aktiver Bestechung angeklagt.

Das hartnäckige Vorgehen von Regierung und Justiz wurde von wirtschaftsliberalen westlichen Beobachtern nicht ohne Beunruhigung verfolgt. Schließlich ist das 'Wirtschaftswunder am Han' eng mit den Angeklagten verbunden. Die Far Eastern Economic Review (FEER) wertete in einem Kommentar zur politischen Dimension des Prozesses, "... there is an excellent case to be made that what Mr. ROH, and especially Mr. CHUN, did in 1979 saved their country from desaster." Aus 1995 vom State Department veröffentlichten Unterlagen geht hervor, daß das amerikanische Oberkommando in Korea - dem bis 1994 alle koreanischen Truppen unterstellt waren - zu Kwangju einst mehr wußte und tolerierte, als bislang eingestanden. Seit Herbst des Jahres 1996 liefen die Berufungsverhandlungen. Der Angeklagte KIM Woo-choong, Chairman des Daewoo-Konzerns, gab den Richtern zu bedenken, daß eine Aufrechterhaltung der gegen ihn verhängten zweijährigen Gefängnisstrafe das internationale Ansehen des Konzerns beschädigen würde "... and may jeopardize its bid to take over Thomson Multimedia of France". Das Berufungsgericht verkündete Mitte Dezember 1996 dann reduzierte Strafmaße für alle Angeklagten. Das Todesurteil gegen CHUN wurde in lebenslanges Gefängnis umgewandelt und die Gefängnisstrafen gegen die 14 mitangeklagten ehemaligen Militärführer wegen Meuterei und Hochverrat reduziert. Die Gefängnisstrafen gegen die Wirtschaftsführer wegen aktiver Bestechung wurden angesichts der Bedeutung der Personen für die koreanische Wirtschaft und ihre internationalen Aktivitäten zur Bewährung ausgesetzt.

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OECD-Aufnahme

Nicht, daß es dem koreanischen Businessman an Stolz auf den wirtschaftlichen Erfolg der letzten fünfundzwanzig Jahre mangelte. Man - und das sind im Kern die 30 Großkonzerne, die Bürokratie und der neue Mittelstand - sah sich ohne Anflug von Bescheidenheit in der Projektion als tragenden Bestandteil des vermeintlich heraufziehenden asiatischen Jahrhunderts. Doch als die OECD Korea zu Beitrittsgesprächen ermunterte, zögerten viele in Wirtschaft und Politik, ob dies der richtige Weg sei. In den 'rich men's club' gebeten zu werden schmeichelte. Die damit verbundenen Liberalisierungsforderungen erschreckten jedoch besonders den Banken- und Dienstleistungssektor. Im Alltagsgeschäft wurden Bürokratie und Politikeinfluß zwar häufig als verdrießlich und teuer empfunden, aber sie schützten weite Bereiche der Wirtschaft vielfältig und meßbar vor ausländischer Konkurrenz. Von einem OECD-Beitritt war in der Richtung nichts Gutes zu erwarten. Präsident KIM sah eine OECD-Aufnahme als Bestandteil seiner Politik der schrittweisen Herausführung Koreas aus historischer Isolierung. Die OECD-Mitgliedschaft Koreas wurde integriert in die Globalisierungskampagne der Regierung und sollte dem Land und der Welt signalisieren, daß der Übergang vom Entwicklungsland der frühen 60er Jahre zum zukunftsorientierten, weltoffenen, industrialisierten Land einen ersten Abschluß gefunden hat.

Im März 1996 wurde der Aufnahmeantrag bei der OECD überreicht. Die sich abzeichnende rückläufige Wirtschaftsentwicklung im Land bestärkte die Skeptiker. Der Präsident konnte, wie alle Umfragen bestätigten, die Bevölkerungsmehrheit nicht für seine Aufnahmepolitik gewinnen. Im Aufnahmeverfahren kristallisierte sich eine unerwartete Hürde heraus. Hartnäckig wurde Korea in den OECD-Anhörungen befragt nach dem Stand der Arbeitsbeziehungen im Land und nach den Gewerkschaftsrechten im besonderen. Seit 1991 Mitglied der ILO, hatte Korea von den fünf grundlegenden ILO-Konventionen zwei nicht in nationale Gesetzgebung umgesetzt: Die Nichtachtung der Konventionen 87 (Vereinigungsfreiheit) und 98 (Tariffreiheit) hat in Korea bis in diese Tage bei Arbeitskonflikten immer wieder zu offener Konfrontation zwischen Gewerkschaften und Staat, bis hin zur Verhaftung und Verurteilung von Gewerkschaftsführern, geführt. Die OECD nahm sich dieses Problembereichs mit bislang nie praktizierter Hartnäckigkeit an. (Vielleicht hatte mancher dort nachträglich ein schlechtes Gewissen, bei der Aufnahme der Türkei und Mexikos die Nachfrage z.B. nach Menschen- und Gewerkschaftsrechten vernachlässigt zu haben.)

Für Präsident KIM bedeutete diese so nicht erwartete Konstellation, daß angesichts der Hartnäckigkeit der OECD-Gremien die Revision der Arbeitsgesetze wieder auf die Tagesordnung zu setzen war. Anfang Oktober 1996 schließlich sprach die OECD die Einladung an Korea aus. Die Bestätigung durch das Parlament verlief Anfang Dezember 1996 glatter als nach anfänglicher Oppositionsrhetorik zu erwarten war. Korea ist 29. Mitgliedsstaat der OECD.

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Hypothek Arbeitsgesetzgebung

Eine Änderung des paternalistisch-individualistischen Arbeitsrechts hat Präsident KIM Young-Sam immer als Bestandteil seines politischen Reformpakets angesehen. Doch sein Konzept des Abbaus vergleichsweise rigider individueller Arbeitsrechte zugunsten einer Ausweitung kollektiver Vertretungsrechte war bis 1996 im Entwurfsstadium an kompromißlosen 'Alles oder Nichts'-Positionen der betroffenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen gescheitert.

Der Druck der OECD während der Aufnahmeverhandlungen zwang den Präsidenten, das bereits für den Nachfolger zurückgelegte Reformvorhaben 'Arbeitsgesetzänderung' erneut aufzugreifen. Die hoffnungslose Kompromißunfähigkeit einer eigens eingesetzten Kommission erzwang schließlich im November 1996 eine von der Regierungsbürokratie ausgearbeitete Vorlage, die erwartungsgemäß von den beiden Interessengruppen abgelehnt wurde: Auf den Punkt gebracht, war die Vorlage bis zum aus heutiger Perspektive denkwürdigen 26. Dezember 1996 nichts weniger als der Abschied vom aus Japan übernommenen paternalistischen, betriebszentrierten Konsensmodell zugunsten eines stärker verrechtlichten, flexibleren Arbeitsrechts eher neoliberaler, westlicher Prägung. Anders ausgedrückt, das neue Arbeitsrecht konnte verstanden werden als Komponente im Abschied des neuen Industriestaats Korea vom Modell Japan bei Hinwendung zum liberalen Wirtschaftsmodell USA.

Auf und nach der Rückreise vom APEC-Gipfel in Manila soll es gewesen sein, daß Chaebol-Führer den Präsidenten massiv bearbeiteten, die Ausweitung der Gewerkschaftsrechte zurückzuschneiden. Vor allem jene Wirtschaftsführer, die nach der Gesetzesverabschiedung das Ende der gewerkschaftsfreien Zeiten im eigenen Konzernverbund zu gewärtigen hatten, und jene, die den Gewerkschaftsdachverband KCTU eher für eine nordkoreanische Infiltration halten, forderten vom Präsidenten Einschränkungen im Gesetzentwurf.

Am 26. Dezember signalisierte der Präsident den Zweiflern an seiner Staatskunst Entschlossenheit und Tatkraft - und landete auf dem anderen Ufer des Rubikon.

Im Morgengrauen verabschiedete die Regierungsfraktion in einer klammheimlich angesetzten Sondersitzung des Parlaments ohne Aussprache die Reformgesetze zum Arbeitsrecht - und eine Verschärfung des nationalen Sicherheitsgesetzes im Paket gleich mit. Die Konsternierung der Gewerkschaften, aber auch in breiten Kreisen der Bevölkerung, schlug um in Empörung, als obendrein zwei entscheidende Modifizierungen im Gesetzestext bekannt wurden: Ein Pluralismus auf Dachverbandsebene wurde vom 1.1.1997 um zwei Jahre verschoben, und gewerkschaftliche Vertretungsrechte für Lehrer plus öffentlichen Dienst waren ebenso über Nacht aus dem Paket gelöscht. Die Empörung schlug landesweit um in hohe Sympathiewerte für den unmittelbar eingeleiteten Generalstreik und kongruent in ein Absinken der Zustimmung zur KIM-Präsidentschaft unter die 20 %-Marke. 1994 hatte er sein Amt immerhin mit 80 % begonnen. Die Oppositionsparteien NCNP und ULD gaben sich - mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen Ende 1997 - uninformiert über die Parlamentssitzung und opportunistisch in der Sache.

Der unruhige koreanische Januar lief zu Beginn dieses Jahres weltweit über die Fernsehschirme. Verhängnisvoll wirkte sich für den Präsidenten und seine Berater die Fehleinschätzung der Medienwirkung aus. Nicht nur im Land berichteten und kommentierten die Medien ungewohnt regierungskritisch. Die Ereignisse brachten Journalisten aus aller Welt nach Seoul, und die Demokratie im Werden fand sich auf dem Prüfstand.

Zunächst setzte der Präsident auf unnachgiebiges Durchhalten und sah sich bestärkt nicht nur vom koreanischen Arbeitgeberlager, sondern fand vereinzelte, doch gewichtige internationale Unterstützung, z. B. des Asian Wall Street Journal (AWSJ). Im Leitartikel kam das Blatt am 13. Januar ´96 auf dem Höhepunkt der Streikwelle unter der Überschrift „Korean crossroads" zu der Einschätzung: „...some battles are inevitable!" und mahnte: "... South Koreans should resist the siren calls from Europe, where assorted labour leaders have shown an interest in Seoul affaires..." und höhnte über europäische Politiker, die angesichts demonstrierender Arbeiter "... put their tails between their legs and slouch away".

Das koreanische Justizministerium gelangte zu der Fehleinschätzung, die Modifizierung des Arbeitsrechts sei ausschließlich eine innere Angelegenheit des Landes. Im Ministerium hatte man die Zweigleisigkeit der Gesetzesreform nicht erkannt oder auch nicht verstanden. OECD und internationale Gewerkschaftsorganisationen begrenzten öffentliche Stellungnahmen in Korea auf die Frage der internationalen Gewerkschaftsrechte - die in Korea, wie oben erwähnt, nicht umgesetzten ILO Konventionen 87 (Vereinigungsfreiheit) und 98 (Tariffreiheit). Und genau zu diesen beiden Konventionen hatte der koreanische Außenminister im Rahmen der Aufnahmeverhandlungen gegenüber der OECD die schriftliche Zusage der Umsetzung bis spätestens Ende 1996 gegeben. Erst diese Selbstverpflichtung hatte die letzte Hürde für die Einladung an Korea, Mitglied der OECD zu werden, beseitigt. Nur war dieses Papier in Korea von der Regierung nie bekanntgemacht worden. Das tat schließlich die Financial Times am 21. Januar 1997 im Zusammenhang mit einem ausführlichen Bericht.

Nach Konsultation der obersten religiösen Führer des Landes und einem Gespräch mit den Vorsitzenden der Oppositionsparteien entschied der Präsident am gleichen Tag, das von ihm bereits unterschriebene Arbeitsgesetz solle im Parlament erneut zur Beratung gestellt werden. Das Arbeitgeberlager reagierte auf die Kehrtwendung des Präsidenten mit Enttäuschung, ja Entsetzen. Was für ein Präsident, der vor Arbeitern und internationalem Druck einbricht. Zwei Tage später wurden die Haftbefehle gegen die Streikführer aufgehoben, und die Gewerkschafter verließen nach vierwöchigem Notlager das Gelände der Myongdong-Kathedrale. Streiks und Demonstrationen wurden ausgesetzt.

Das Parlament verabschiedete Anfang März 1997 mit den Stimmen der Opposition ein Paket von Abänderungen zur Änderung der Gesetze vom 26. Dezember 1996:

- Pluralismus bei nationalen Gewerkschaftszentren und Föderationen zum 1.1.1997, damit Legalisierung des KCTU;

- Aussetzung der Flexibilisierung bei Massenentlassungen um zwei Jahre, bei Ausschluß von Unternehmensfusionen oder -übernahmen als Begründung;

- Flexibilisierungen bei der wöchentlichen Arbeitszeitregelung;

- Auslaufen der Bezahlung von freigestellten Gewerkschaftern durch den Betrieb bis zum Jahr 2002, doch kein grundsätzliches Verbot;

- Einsatz von Streikbrechern erlaubt, doch kein Einsatz Betriebsfremder;

- Gesetzliche Verankerung von ‘no work - no pay’ für Streikende, doch kein Lohnfortzahlungsverbot.

Erneut kritisierten beide Interessengruppen die „Reform der Reform". Den Gewerkschaften war’s zu wenig, die Unternehmensverbände beschworen den wirtschaftlichen Untergang des Landes und signalisierten dem Präsidenten endgültigen Liebesentzug. Die Bevölkerung nahm die Veränderungen mit deutlichen Anzeichen der Erleichterung, aber auch der Erschöpfung zur Kenntnis. Im Alltag drängte die sich abzeichnende Verschärfung der Wirtschaftsrezession in den Vordergrund. Für den KCTU begann damit die organisationsintern schwierige Phase der Arbeit in Legalität.

Die koreanische Arbeitsgesetzgebung ist nunmehr der neo-liberalen Denkschule angenähert und entspricht auch in den Vertretungsrechten der Arbeitnehmer im wesentlichen den Standards der USA und Großbritannien. Die Regelungen zur gesetzlichen Durchsetzung des ‘no work - no pay’-Grundsatzes bei Streiks und das Auslaufen der Bezahlung freigestellter Gewerkschafter durch den Betrieb werden grundsätzlich Auswirkungen auf Struktur und Konfliktfähigkeit der Gewerkschaftsbewegung in Korea zeigen. Werden Streiks angesichts des vollen Lohnverlustes für Arbeitnehmer künftig noch durchführbar sein? (Streikgeld aus der Gewerkschaftskasse ist bislang unbekannt.) Das absehbare Ende der firmenbezahlten, freigestellten Gewerkschaftssekretäre wird die Gewerkschaftsbewegung bis zum Jahr 2002 aus einer kuschelwarmen, paternalistischen Konfliktstruktur reißen. Entweder gelingt über Gewerkschaftszusammenschlüsse der Aufbau beitragsfinanzierter Organisations- und Personalstrukuren, oder eine zersplitterte Gewerkschaftsbewegung reduziert sich zur nur noch bedingt handlungs- und konfliktfähigen Interessenvertretung am Rande der Gesellschaft. Damit erhält die Diskussion um Industriegewerkschaftsstrukturen in Korea eine neue Dimension - direkt vor der Haustür Japans.

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Hanbogate und die politischen Folgen

Als zwei ortsansässige ausländische Brokerhäuser Mitte Januar 1997 von einer drohenden Zahlungsfähigkeit des Hanbo-Konzerns - 14. der Chaebolrangliste mit 23 Unternehmen und etwa 25.000 Beschäftigten - sprachen, schritt die Staatsanwaltschaft wegen Verbreitung böswilliger Gerüchte ein. Einige Tage später verlagerten sich die Ermittlungen auf den Besitzer der Gruppe. Mit einem Schuldenstand von über 10 Milliarden DM - bei einem Hanbo-Stahl Eigenkapital von DM 200 Millionen - meldete Besitzer CHUNG Tae-soo zunächst für das Stahlunternehmen Konkurs an. Innerhalb weniger Tage wucherte die Pleite zum ‘Hanbogate’.

1974 wurde der Steuerbeamte Chung (73) zum Bauunternehmer und diversifizierte schrittweise seine Unternehmenspalette.1989 kaufte er ein Stahlunternehmen hinzu. 1993, im Jahr des Präsidentschaftswahlkampfes, erklärte er Stahl zum Kerngeschäft und bekam die Regierungslizenz zum Bau eines Stahlwerks modernster Auslegung. Die veranschlagten Gestehungskosten von DM 5,4 Mrd. waren Anfang Januar 1997 auf DM 11,4 Mrd. angewachsen, und zur Fertigstellung forderte Chung von den Banken nochmals DM 1,4 Mrd., die ihm jedoch verweigert wurden. Sofort schwirrten Gerüchte, die Banken hätten unter politischem Druck immer wieder die Kreditlinien ausweiten müssen. "Who is invisible hand behind Hanbo’s meteoric rise, dramatic fall?" titelte die Korea Times bereits am Tag nach der Konkursanmeldung (KT, 25.1.97). Die Minju-Fraktion in der Regierungspartei NKP, die politische Hausmacht des Präsidenten KIM, kam ins Gerede - und der zweite Sohn des Präsidenten, KIM Hyon-chul (38).

Von den aufgenommenen 10 Mrd. DM waren nur 40 % tatsächlich in den Bau des Stahlwerks geleitet worden. Wo war der Rest abgeblieben? Damit war die Bühne frei für Szenarien, die Dallas-Drehbuchautoren nicht zu entwerfen gewagt hätten. Zur Unterstützung der Präsidentschaftswahlkampagne 1992 hatte der Sohn seit 1987 ein Netzwerk von Unterstützungsorganisationen aufgebaut. Seit Beginn der Präsidentschaft seines Vaters agierte er aus eigenem Büro, ohne Amt und Mandat, vor allem in den Beraterstab des Präsidenten und in Teile der Parlamentsfraktion der NKP hinein. Ein Mitspieler, ehemals Managing Director des Shilla Hotels, wurde in die Spitze der Agency for National Security Planning, den Geheimdienst, gehievt. Ein anderer Vertrauter war für nationale und internationale Geldumleitungen und Geldanlagen zuständig. Formal gesehen war der Präsidentensohn ohne Beruf. Im Februar 1997 schloß er eine Promotion an der Korea-Universität ab, konnte aber an der Verleihungszeremonie nicht teilnehmen, da ihn an diesem Tag der Staatsanwalt erstmals vorgeladen hatte. 1995 hatte er ein autobiographisches Buch geschrieben, von dem 10.000 Exemplare in einer Hanbo-Lagerhalle gefunden wurden ("... his only visible source of income is an autobiography", schrieb die FEER am 13.3.97). Nach zweiwöchigen Ermittlungen stellte der Staatsanwalt Ende Februar fest, man habe keine Verbindung des Sohnes zu den Hanbo-Kreditvergaben feststellen können. Der Vater lieferte eine fernsehöffentliche mea culpa Rede und kündigte an, der Sohn werde seine Studien im Ausland fortsetzen.

In einem personalpolitischen Rundumschlag suchte der Präsident eine letzte Chance, seine Amtszeit bis zum Februar 1998 politisch handlungsunfähig zu Ende zu führen. Der sechste Premierminister in vier Amtsjahren wurde Anfang März berufen, die Berater im Palast ausgewechselt, die Parteispitze der NKP umgebildet. Am 25.April wurde der Präsidentensohn vom parlamentarischen Untersuchungsausschuß vernommen und beteuerte seine Unschuld. Doch bereits Anfang Mai besaß die Staatsanwaltschaft hinreichend Belege, daß er gelogen hatte. 120 Mill. DM hatte die Hanbo-Gruppe 1992 in die Wahlkampfkasse des Präsidenten gezahlt. Im Netzwerk der Gehilfen und Wirtschaftskontakte des Präsidentensohns wurden nach dem Wahlkampf verbliebene Gelder auf Firmenkonten und in Grundstücksgeschäfte umgeleitet. Allein 140 Mill. DM seien auf Konten des Hanbo-Konzerns geparkt, behauptet die Ermittlungsbehörde. Medien und Bevölkerung verfolgen mit Erstaunen und Entsetzen die tägliche Fortschreibung des Krimis. Er habe nie auch nur einen roten Cent von der Wirtschaft genommen, war bislang das stolze Wort des Präsidenten. Der Sohn wurde Ende Mai in Untersuchungshaft genommen.

Im Zuge der Vernehmungen durch die Ermittlungsbehörden wurde deutlich, daß Hanbo-Präsident CHUNG Tai-soon nicht der große Pate war, vielmehr nur ein instrumentalisierter Geldumlenker mit guten Kontakten in allen politischen Parteien, doch primär zur Minju-Fraktion der NKP, dem inneren politischen Zirkel des Präsidenten.

Der Bau des Stahlwerks wurde zur wundersamen Geldvermehrung genutzt. Zunächst stellten Lieferfirmen oder zwischengeschaltete Agenten weit überzogene Rechnungen (so sind vermutlich auch die im Zusammenhang mit dem von Schloemann-Siemag gelieferten Walzwerk genannten phantastischen Provisionszahlungen über 400 Mill. DM durch Hanbo an den Präsidentensohn zu werten). Die Rechnungen wurden den Banken zur Kreditbewilligung vorgelegt. Und zögerte eine Bank, so half Druck von Politikern und aus dem Präsidentenpalast. Auch für die beteiligten Bankpräsidenten blieben sechsstellige Dollarprämien übrig. Einige von ihnen wurden im Juni 1997 zu Freiheitsstrafen verurteilt.

In der Untersuchung gab Chung Namen preis. Anfang April wurde die mysteriöse 'Chungliste' von der Staatsanwaltschaft veröffentlicht, sie enthält 33 Personen aus der Politik, darunter 20 Parlamentsabgeordnete und den Bürgermeister von Pusan. Alle gaben in den Vernehmungen schließlich zu, was die meisten vorher heftig bestritten hatten - sie haben genommen. Besonders betroffen ist die Minju-Fraktion, die sich schließlich öffentlich beklagte, sie sei Opfer einer Verschwörung - nicht zuletzt, um den Präsidentensohn aus dem Scheinwerferlicht zu nehmen und um Präsidentschaftskandidaturen aus der Gruppe bereits im Vorfeld zu demontieren. "Wir werden geteert und gefedert im Hanbo-Skandal", sagte ein Minju-Abgeordneter (KT, 18.04.). Etwa 60 Abgeordnete der NKP bildeten eine neue Gruppierung und forderten öffentlich den Rückzug des Staatspräsidenten aus der Parteiführung. In allen Parteien und Parlamentsfraktionen begann eine Diskussion, ob nicht ein Kabinettssystem für Korea nunmehr angezeigt sei.

Parallel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft richtete das Parlament einen Untersuchungsausschuß ein, der Chung, Bankpräsidenten und die vier bereits Mitte Februar verhafteten Parlamentarier (drei von der NKP, darunter HONG In-kil, genannt der 'Butler' des Präsidenten, und vom NCNP der engste Berater von KIM Dae-young) im Untersuchungsgefängnis in fernsehöffentlichen Sitzungen befragte. Das Live-Spektakel über mehrere Tage konnte den Eindruck eines Schauprozesses nicht immer vermeiden. Zwei NKP-Abgeordnete des Ausschusses traten zurück, zerrieben zwischen öffentlicher Schelte, zu zahm zu fragen, und Loyalitätserwartungen der Partei. Hanbo-Präsident CHUNG Tai-soon wurde im Juni ´97 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, fünf Abgeordnete, davon vier der NKP, zu drei bis sieben Jahren und zusätzlich zu hohen Geldstrafen. Staatspräsident KIM verlor zunehmend jeden Einfluß auf die innenpolitischen und innerparteilichen Abläufe. Aus der Öffentlichkeit zog er sich zurück. Der Staatspräsident ist zwischen alle Fronten geraten.

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Koreanischer Kopfschmerz

Nordkorea, bei abfallender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und nach wetterbedingten schlechten Ernten auf internationale Nahrungshilfen angewiesen, bleibt mit seinem pseudo-religiösen politischen System der 'Juche-Philosophie' ein kaum kalkulierbarer regionaler Unsicherheitsfaktor, angesiedelt zwischen gesellschaftlichem Kollaps und selbstmörderischer Angriffsbereitschaft. Oder befindet sich das Land doch über wirtschaftliche Reformfähigkeit mittelfristig auf dem Weg zur Kalkulierbarkeit? Selbst professionelle Kaffeesatzleser sind mit Prognosen vorsichtig. Noch scheint die Allianz der herrschenden Elite in Politik und Militär keine Risse zu zeigen.

Mit dem Genfer Abkommen von 1994 hatten die USA ihr regionales Politikziel deutlich gemacht: den potentiellen Krisenherd Korea über internationale Rahmensetzungen und Dialogeinbindung Nordkoreas entschärfen. In einem Wechselspiel aus Abschreckung und 'positiven Anreizen zur Kooperation' soll Nordkorea auf rationalere Politikbahnen gelenkt werden. Die von Präsident Clinton im April 1996 vorgeschlagenen Vierergespräche unter Hinzuziehung von China könnten dann das nordkoreanische Selbstvertrauen stärken, "... that it can survive, compete and even prosper if it picks up the offer" (so US-Botschafter Laney). Um so irritierender ist es für die USA, daß anfängliche Lebensmittelhilfen und signalisierte Gesprächsbereitschaft der Regierung KIM Young-Sam im Laufe des Jahres in Gesten hartnäckiger Unversöhnlichkeit und wiederbelebter antikommunistischer Agitation umschlugen. Botschafter Laney konstatierte in der südkoreanischen Nordkoreapolitik "... a lag between reality and perception". Optionen einer Nordkoreapolitik seien nicht zu prüfen unter den Aspekten 'tough' oder 'soft'. Vielmehr, klang er leicht unwirsch in seinem Rat an den südkoreanischen Partner, laute die Politikalternative 'smart' oder 'dumb'.

Über die Frage, wie die Strandung des nordkoreanischen U-Boots im September 1996 an der Ostküste Südkoreas zu werten und wie politisch zu reagieren sei, gerieten die beiderseitigen Beziehungen auf einen Tiefpunkt. Südkorea wertete den Zwischenfall als Ausdruck verstärkter nordkoreanischer Aggressionsvorbereitungen und forderte eine formelle Entschuldigung von Nordkorea sowie eine Verurteilung als Bruch des Waffenstillstandsabkommens durch den UN-Sicherheitsrat. Kühler noch als der UN-Sicherheitsrat reagierten die USA. Sie befanden sich in Gesprächen mit Nordkorea über die Eröffnung eines ständigen Büros in Pyongyang und werteten die Strandung eher als technische Panne im Nervenkrieg zwischen den beiden Koreas. Als Außenminister Christopher 'both sides' zur Besonnenheit im U-Bootzwischenfall aufrief, war der südkoreanische Partner zutiefst betroffen über diese Gleichstellung. Schon um den Republikanern im Wahlkampf keinen Anlaß zu bieten, behandelte die Clinton-Administration die Koreafrage bis zur Präsidentschaftswahl auf kleiner Flamme.

Wenn die New York Times in derWoche vor dem APEC-Gipfel im Dezember 1996 schrieb, die südkoreanische Regierung sei der 'biggest headeach' auf der Halbinsel, so sahen Beobachter darin eine gezielte Indiskretion. Auf dem APEC-Gipfel in Manila hieß Clinton einen konsternierten Präsidenten KIM, seine harte Linie der Nichtkooperation auch in der Frage der Leichtwasserreaktoren zu widerrufen, und, so erklärte KIM, auch die von Clinton im April vorgeschlagenen Vierergespräche würden von Südkorea weiterhin begrüßt. Beide Präsidenten stimmten überein, nicht unbedingt eine formelle Entschuldigung, doch 'acceptable measures' würden von Nordkorea erwartet. Präsident KIM mußte seine aggressive Rhetorik der letzten Wochen aufgeben. Die USA machten ihm erneut deutlich, daß sie als Weltmacht mehr als nur ein Interesse auf der koreanischen Halbinsel verfolgen.

Nach Ablauf der dreijährigen Trauerperiode für KIM Il-sung hat Nordkorea in ein erstes Vierergespräch für August 1997 eingewilligt.

Seit 1979 verpflichtet sich Südkorea in einem Abkommen mit den USA zur Begrenzung der Reichweite seiner Raketen auf 180 km. Wenige Tage vor Beginn bilateraler Gespräche über einen Beitrittswunsch Südkoreas zum internationalen 'Missile Technology Control Regime' (MTCR) - den Mitgliedsstaaten sind Raketen mit Reichweiten bis 300 km erlaubt - berichtete die Washington Times von Satellitenphotos, die zeigten, Südkorea stehe kurz vor Testerprobungen weiterreichender Cruise Missiles. Die USA machten in den Anfang Dezember folgenden Gesprächen deutlich, daß es gelte, einen Raketenwettlauf in der Region zu vermeiden. Und daruner fiele auch die von Südkorea gewünschte Entwicklung von Forschungs- und kommerziellen Raketen mit größerer Reichweite. Die gelegentlichen Kopfschmerzen sind beiderseitig.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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