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TEILDOKUMENT:
Wirtschaft Kälteeinbruch im Tigergehege Über Wirtschaftserfolge hat Ostasien sich im Weltbewußtsein seit den 80er Jahren nach vorne geschoben. Starke Wachstumsraten in Südost- und Ostasien verführten einige Betrachter zum Kontrastbild der Eurosklerose versus dynamische Tigerstaaten. Die Perspektive eines heraufziehenden asiatischen Jahrhunderts faszinierte die einen und schreckte andere. Die Wucht der Wirtschaftsentwicklung führte zur Suche nach zugrundeliegenden Faktoren. Neoliberale sahen starke, pragmatische Bündnispartner in der Lehre und Onthologen eher den Konfuzianismus. Im Erfolg fand sich Platz für viele Erklärungsmuster. Als erstes Land meldete sich Japan Ende der 80er Jahre aus der vermeintlichen Wunderriege ab und wurde zu einem ganz normalen entwickelten Land - mit all den im Westen vertrauten sozialen und politischen Alltagsproblemen einer entwickelten Industriegesellschaft im ständigen Strukturwandel. Für 1996 melden nun einige Tiger deutlich hinter den Prognosen zurückbleibende wirtschaftliche Kerndaten. Wenn also Korea auf wirtschaftlichem Gebiet im letzten Jahr unangenehm überrascht wurde, so findet es sich in guter Gesellschaft in Ostasien. Das gute Jahr '94 und das noch bessere Jahr '95 hatten in Korea zu optimistischen Zukunftsperspektiven geführt. Bei angenommenen jährlichen Wachstumsraten über 7 % sollte das Land bis zum Jahr 2000 aufrücken zum siebtgrößten Exporteur und zur achtgrößten Volkswirtschaft, bei einem GNP pro Kopf von $ 20.000 - nachdem 1995 die $ 10.000 überschritten wurden. Hyundai, Daewoo und Samsung erklärten jeder für sich, in den nächsten Jahren unter die ersten 10 Automobilproduzenten der Welt aufzurücken. Auch die Elektronikindustrie, Petrochemie und Schiffbau sollten in der Weltspitze kontinuierlich weiter vorrücken. Eine Studie des MTIE (dort sind seit 1995 die einst mächtige Planungsbehörde 'Economic Planing Board' und das KDI integriert) vom Mai 1996 prognostizierte für das Jahr 2000 ein koreanisches Exportvolumen von $ 200 Mrd. und einen Handelsbilanzüberschuß von $ 100 Mrd. im Jahr 2010. Daß die '95er Zahlen des Wirtschaftswachstums (+9 %) und der Exportrekorde (+31 %) nicht wiederholbar sein würden, die Volkswirtschaft vielmehr auf eine 'soft landing' zusteuere, war die allgemeine Prognose für 1996. Alle Institute lagen in ihren Voraussagen dicht bei den Einschätzungen der Regierung: Bei einem GDP-Zuwachs zwischen 7 und 7,5 % und einem Exportzuwachs um die 17 % (wobei Elektronik mit 30 % und Maschinen mit 20 % herausragen würden) sollte das Handelsbilanzdefizit gegenüber dem Vorjahr um etwa $ 2 Mrd. auf $ 8 Mrd. verringert werden. Auch das Zahlungsbilanzdefizit sollte zurückgehen auf dann etwa $ 6 Mrd. In der Summe war dies die Erwartung einer Bestätigung des koreanischen Erfolgskurses mit Tendenz zur Stabilisierung auf hohem Niveau. Im Mai 1996, also ziemlich unmittelbar nach der Parlamentswahl, wurden Einbrüche beim Export sichtbar, die sich im Laufe des Jahres 1996 fortsetzten. Da die Importzuwächse wie erwartet stiegen und obendrein auch die Transferleistungen aus dem Land heraus, wuchsen Handelsbilanzdefizit und Zahlungsbilanzdefizit kontinuierlich. Angesichts des weiterhin zweistelligen Zinsniveaus beginnt in der koreanischen Realität die Rezession bei einem Wachstum unter 7 %.
Kerndaten des Wirtschaftsjahres 1996 (in Mrd. US $)
Auffällig, daß 1996 im Handel mit den Industriestaaten ein Defizit von $ 41,4 Mrd. anfiel (USA $ 11,6 Mrd., Japan $ 15,6 Mrd., EU $ 5,8 Mrd.). Mit Entwicklungsländern konnte Korea 1996 einen Exportüberschuß von $ 20,75 Mrd. erzielen. Deutschand erwirtschaftete 1996 mit Korea bei einem Handelsvolumen von DM 18,7 Mrd. einen Überschuß von DM 3,5 Mrd. Für die 'Asien frißt deutsche Arbeitsplätze'-Auguren sei daher angemerkt, daß koreanische Importüberschüsse Arbeitsplätze in Deutschland und Europa sichern und schaffen, auch wenn Sektorbetrachtungen lohnend sind.
Zu groß - zu schnell?
Stellt sich die Frage, ob der Einbruch in der Wirtschaftsentwicklung eher als zyklisches Phänomen zu werten ist - siehe andere Tigersprünge -, oder ob strukturelle Gründe ausschlaggebend sind. Auffälliges Merkmal der koreanischen Wirtschaftsstruktur ist die Dominanz der Oligopole, in Anlehnung an die japanischen 'Zaibatsu' der Vorkriegszeit 'Chaebol' genannt. Die 30 größten Unternehmen erwirtschafteten 16,6% des GNP, davon die führenden vier (Samsung, Hyundai, Daewoo, LG) etwa 60%. Damit bestimmen die Erfolge oder Mißerfolge der Chaebols die Bilanz der koreanischen Entwicklung. Bestandteil der staatlich gelenkten, exportorientierten Entwicklungsstrategie war die Konzentration auf wenige Branchen: Schiffbau, Automobil, Stahl, Petrochemie und Elektronik trugen 1990 zur Exportleistung des Landes 34,7 % bei. 1995 waren es 49,8 % und 1996, leicht abfallend, 46,1 %. Mit angekaufter, ausländischer Technologie - allein Samsung zahlt z.B. in den nächsten zehn Jahren $ 1 Milliarde Lizenzgebühren an Texas Instruments - und auf weitgehend importierten Maschinen bauen die Konzerne Güter, die in erster Linie nur über den Preis im internationalen Wettbewerb bestehen können. Da man sich in vielen Bereichen im direkten Wettbewerb mit Japan befindet, entscheidet der Yen-Kurs, ob koreanische Güter sich gegen japanische Konkurrenz am Weltmarkt behaupten können. Der starke Yen seit '93 förderte koreanische Konkurrenzfähigkeit und war ein wichtiger Faktor bei der Überwindung der '93er Rezession. Die Abwertung des Yen zum US $ im Laufe des Jahres 1996 belastete jedoch die Exporterträge. Forschung und Entwicklung sind in den meisten Sektoren weiterhin unterentwickelt - mit Ausnahme des Elektronikbereichs. In vielen Unternehmen übersteigen die Ausgaben für Bewirtung weiterhin den Forschungsetat. Ein innovativer, flexibler industrieller Mittelstand konnte im Schatten der Großkonzerne nicht entstehen. Das Bildungssystem fördert Konformität zu Lasten von Kreativität. Korea kauft benötigte Spitzentechnologie teuer ein und muß über die Steigerung der Exportmenge den Verfall der margins auszugleichen versuchen. Ein Exportzuwachs von 3,7% 1996 ist im Weltmaßstab ein ordentliches Ergebnis. Doch ein Importanstieg von über 11% - übrigens keineswegs überproportional bei den Konsumgütern, wie in aufflackernden Anti-Importkampagnen suggeriert - und negativer Kapitaltransfer(im Laufe des Jahres zogen Ausländer zunehmend Kapital zurück von Börse und Kapitalmarkt, und Koreaner lernen Auslandsreisen zu schätzen), belasten Handels - und Zahlungbilanz. Für Korea ist bei der Betrachtung der ökonomischen Indikatoren zusätzlich zu berücksichtigen, daß eine unflexible Produktionsstruktur die Wirklichkeit falsch widergibt. Bei weiterhin hoher Produktionsauslastung um 80 % und gesteigerter Produktiviät führt die Absatzkrise zu hohen Lagerbeständen, die jedoch als Investment in die Wachstumsbestimmung eingehen. Also bleibt die Wachstumsrate hoch - auch bei rückläufigen Verkäufen. Einbrüche in den Schwerpunktsektoren industrieller Produktion - 1996 wurde der Semiconductormarkt vom Preisverfall für Speicherchips erschüttert, 1997 zeichnet sich eine Überangebotskrise bei Autos ab - schlagen voll durch auf die Befindlichkeit der koreanischen Wirtschaft insgesamt. Dramatisch verschlechterte der Preisverfall für Speicherchips auf dem Weltmarkt die Handelsbilanz. Bei einem Weltmarktanteil von annähernd 30 % bei den 4 und 16 M DRAM konnten zwar die Stückzahlen noch ausgebaut werden (+31 %), doch die Erlöserwartung von $ 30,7 Mrd. für das Jahr 1996 mußte auf $ 18 Mrd. zurückgenommen werden - ein Verlust von 20 % zum Vorjahresergebnis. Für Samsung-Electronics bedeutete das einen Gewinneinbruch von 93 % im Jahr 1996, von stolzen $ 2,9 Mrd. im Jahr 1995 auf nunmehr $ 190 Mill. (Da der 95er Gewinn weitgehend im Samsung-Autowerk verbaut wurde, mangelt es nunmehr an Geld, um den technologischen Spitzenplatz im Komponentenbau auszubauen.) Im Automobilbereich wurden 1996 die Produktions- und Exportziele nochmals erreicht. Von 2,7 Mill. produzierten Fahrzeugen (+12 %) gingen 1,2 Mill. in den Export (+23 %). Doch im heimischen Markt war der Absatz nur noch über harten Preiswettbewerb auszubauen (+4,7 %). Das Jahr 1997 verspricht größere Turbulenzen in der koreanischen Automobilindustrie. Ein stagnierender Binnenmarkt und kaum wachsende Exporte bei rücksichtslos ausgebauten Kapazitäten führen zu ruinösem Wettbewerb unter den heimischen Anbietern. Daewoo hat mit seiner neuen Modellpalette - immerhin präsentierte der Hersteller die erste in Korea entwickelte Generation von Klein- und Mittelklassefahrzeugen - die bisherigen Marktführer Hyundai und Kia frontal angegriffen. Die Halden wachsen. Selbst bei Hyundai wurde Anfang des Jahres das Geld für Bonuszahlungen knapp. Und im Jahr 1998 will Samsung-Motors die ersten mit teuren Nissanlizenzen entwickelten Fahrzeuge in den Markt drücken. Angesichts andauernder Finanzschwäche werden Kia und Ssangyong als Pleite- oder Übernahmekandidaten gehandelt. Im Juni 1997 lancierte Samsung eine Studie in die Öffentlichkeit, die eine Flurbereinigung des koreanischen Herstellermarktes durch staatlich begleitete Fusionen und Übernahmen für geboten erklärte. Ebenso wird gemunkelt, Samsung habe technische Probleme bei der Fertigstellung des auf Schwemmsand gebauten Werkes bei Pusan und obendrein nicht genügend Zulieferfirmen gewinnen können. Kurz: Die Automobilszene Koreas ist in heller Aufregung und über die Zukunft besorgt. Noch sind Autoimporte aus Japan verboten. Aus dem Westen kommen bislang nur Fahrzeuge der Oberklasse in bescheidener Zahl. Eine Liberalisierung am Automarkt wird die koreanische Automobilindustrie in einen schmerzhaften Konzentrationsprozeß treiben. Anfang Juni forderten protestierende Automobilgewerkschafter Samsung auf, die Automobilproduktionsabsichten zu den Akten zu legen. Damit ist Koreas schwierige Zwischenlage beschrieben. In Technologie, Qualität und Innovationsfähigkeit noch hinter den Industriestaaten zurückliegend, erfordert der Industrieausbau weiterhin den Import anspruchsvollerer, teurer Investitionsgüter. Doch die produzierten Güter sind in Industrieländern nur im unteren Preissegment bei geringen Profitmargen absetzbar. (Die Automobilindustrie meldete im August 1996 einen durchschnittlichen Exportpreis pro Auto von $ 6.885 - das waren nochmals $ 88 weniger als im August 1995 erzielt wurden.) Der Durchbruch auf den Märkten, aber auch der Einbruch in die Industrieländer ist noch nicht gelungen. (Hyundai hat 1996 das Autowerk in Kanada nach verlustreichen Jahren geschlossen.) Korea sucht konsequent den Weg in die Entwicklungsländer - als Absatzmärkte für koreanische Güter, aber auch als Produktionsstandorte zur weiteren Erschließung der noch nicht so anspruchsvollen Konsumenten von morgen. Die Verschiebung der Währungsparitäten ist eine zusätzliche Bürde für die koreanische Wirtschaft. Der gegen den Dollar im Laufe des Jahres 1996 fallende Kurs des Yen stärkte den direkten Konkurrenten auf den Exportmärkten (z.B. Schiffbau, Autos). Doch mit einer Abwertung des Won zu antworten, verteuert den Zinsdienst für in Dollar aufgenommene Kredite - etwa 80 % der Auslandsschulden -, erhöht das Zahlungsbilanzdefizit und schafft inflationäre Ängste. Die internationalen Märkte reagieren abwartend. Der Won erfuhr im Laufe des Jahres 1996 eine Abwertung um 9 % zum Dollar und seit Jahresbeginn 1997 erneut um etwa 5 %. Als die Chaebols ihre 96er Bilanzen vorlegten, wurde das Ausmaß der Krise deutlich. Bei den Umsätzen meldeten die Konzerne weiterhin Zuwächse, meist im zweistelligen Bereich. Doch die Gewinne waren auf breiter Front dramatisch eingebrochen. Die 30 größten Konzerne meldeten einen durchschnittlichen Gewinneinbruch um 90 %. Tonnenideologie und Kommandokapitalismus, "South Korea's market juche" (FEER, 27.02.97), sind in schweres Wetter geraten.
Krisensymptome und neue Strategien
Vom APEC-Gipfel in Manila kam Präsident KIM mit der ernüchternden Erkenntnis zurück: "The world is now all but engaged in a cut-throat economic war and if we fail to catch up, we will become stragglers." Das sehen die Chaebols offenbar nicht anders und überarbeiten ihre Strategien. Der Anschluß an internationale Entwicklungs-, Produktions- und Distributionsstandards ist aus Korea heraus nicht zu erreichen - bis auf den Elektronikbereich vielleicht. Also muß die Stärkung der bestehenden industriellen Basis der Chaebols durch Übernahme von technologieintensiven Unternehmen in Industrieländern ergänzt werden: Technologieerwerb durch Firmenübernahmen. Parallel dazu soll aus Korea heraus die Erweiterung des industriellen Angebotsspektrums um zukunftsträchtige Bereiche, z.B. Aeronautics und komplexe Infrastrukturprojekte erfolgen. Der koreanische Binnenmarkt hat bei Standardkonsumgütern, auch bei Autos, eine erste Sättigungsphase erreicht. Ist die Ausweitung der Exporte in Industrieländer zu vertretbaren Kosten in nächster Zukunft begrenzt, so ist eine Verlagerung des Exportgewichts auf Entwicklungsländer die Option. Verbunden mit der Ansiedlung von Produktionsanlagen für Konsumgüter in potentiellen Aufsteigerstaaten wird flankierendes politisches Wohlwollen erworben und die Marktteilnahme für koreanische Anbieter zu günstigen Konditionen gesichert. Im Jahr der OECD-Aufnahme verkündeten die Chaebols in Teilbereichen gigantische Investitionsvorhaben außerhalb Koreas für den Elektronikbereich und den Automobilbau: Ausbau der Produktion von Elektronikbauelementen über Errichtung neuer Produktionsstätten in den USA und Westeuropa - bevorzugt Großbritannien - mit Milliardeninvestitionen (vor allem Hyundai, Samsung, LG); Ausbau der überseeischen Automobilproduktion auf zwei Millionen Einheiten im Jahr 2000. Das entspräche dann 30 % der beabsichtigten Gesamtproduktion von 6,8 Millionen Fahrzeugen. Die außerkoreanischen Produktionsstandorte der Daewoo (1,6 Mio.), Hyundai (0,5 Mio. ) und Kia (0,3 Mio.) sollen in Indonesien, Polen, Rumänien, Indien, Rußland, Türkei und Usbekistan liegen. Die Regierung kritisierte, für einige dieser auf annähernd $ 7 Mrd. geschätzten Investitionen existierten nicht einmal Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Nachdem die Verhandlungen mit der VR China über gemeinsame Konstruktion und Fertigung eines 100-Sitze Passagierflugzeuges im Frühjahr 1996 gescheitert waren (China gab einem europäischen Konsortium den Vorzug), strebte Samsung mit einer Fokkerübernahme einen Alleingang an. Als die zu investierenden Beträge Samsungs Möglichkeiten zu übersteigen begannen, versuchte Samsung über eine Wiederbelebung des China-Konsortiums (Hyundai, Daewoo, Korean Air) an staatliche Unterstützungsgelder zu gelangen. Die koreanischen Firmen verweigerten sich, und damit war der Fokker-Anlauf gescheitert. Als Partner der Lagardere-Gruppe bewarb sich Daewoo beim Privatisierungsvorhaben der Thomson-Gruppe um den Unterhaltungselektronikzweig Thomson Multimedia. Die Perspektive, darüber nicht nur Zugang zu dort entwickelter Digitaltechnologie und prestigeträchtigen Markennamen zu erhalten, sondern zusätzlich auch noch mit dann weltweit 15 bis 20 % Marktanteil bei Fernsehgeräten die Nummer eins zu werden, faszinierte Daewoo-Chairman Kim. In Korea gerade wegen Korruption zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, öffneten sich in Europa die Türen zahlreicher Regierungskanzleien für persönliche Audienzen. In Paris versprach der Präsident von Daewoo-Elektronik, für den Fall des Zuschlags die europäische Hauptverwaltung des Konzerns von Frankfurt nach Paris zu verlegen. Die spektakuläre Rücknahme der von der französischen Regierung bereits erteilten Übernahmezusage durch das Privatisierungskomitee machte weltweit Schlagzeilen. In Korea wurde die Daewoo-Zurückweisung zur Beleidigung der koreanischen Nation durch ein fremdenfeindliches, ja rassistisches Frankreich in Medien und Parlament hochgespielt. Vergeltung bei künftiger Vergabe koreanischer Projekte wurde angekündigt. Auch die TGV-Vergabe wurde erneut angesprochen. Seit der japanischen Besatzung wurde das koreanische Eisenbahnnetz nicht mehr erweitert. Der Ausbau der 412 km langen Nord-Süd-Verbindung Seoul-Pusan zu einer Hochgeschwindigkeitsstrecke sollte einerseits die Infrastruktur modernisieren. Angesichts zu erwartender vergleichbarer Eisenbahnprojekte in asiatischen Staaten, sollen koreanische Unternehmen über das Projekt zusätzlich den Know-how-Anschluß für derart komplexe Aufgabenstellungen gewinnen. Daher wurde der Streckenbau vollständig in koreanischer Planung und Durchführung belassen und der Fahrzeugpark international ausgeschrieben - der TGV gewann. Als französische Techniker Anfang des Jahres 1996 die seit 1992 im Bau befindlichen Trassen der Teststrecken prüften, erhoben sie Einspruch. Die in Verantwortung der 'Korea High Speed Rail Construction Authority' von koreanischen Unternehmen erstellten Gleisfundamente, Pfeiler, Tunnel entsprachen nicht den bautechnischen Mindestanforderungen für den darauf zu führenden TGV. Die französischen Überprüfungen ließen dramatische Mängel in Planung und Bauausführung zu Tage treten. Nicht Korruption hatte mangelhafte Ergebnisse verursacht, das Projekt war in den Anforderungen eine Nummer zu groß für rein nationale Umsetzung - das war der wirkliche Schock. Streckenplanung und Bauüberwachung wurden international ausgeschrieben. So sind seit dem Sommer 1996 auch deutsche Fachleute auf den TGV-Baustellen. Da in vielen Bereichen neu vom Reißbrett begonnen werden muß, wird sich die Streckenfertigstellung bis 2005 verzögern, und die Kosten werden sich nach letzten Schätzungen von 1989 geschätzten $ 6,5 Mrd. auf $ 20 Mrd. erhöhen. Vertragsgemäß haben die Franzosen den ersten Zug fertig zur Ablieferung. Da keine Gleise, wollen die Koreaner mit Entgegennahme - und auch Bezahlung - warten. "The worst national desaster in Korean history", zitiert die FEER kritische Stimmen aus dem Land. Etwas präziser der französische Minister für Außenhandel, Y. Galland, anläßlich eines Besuches in Korea: "Contracts should be respected ... Otherwise contracts should not have been signed ... The Korean government might have to take financial responsibility if it can not meet the original contract terms." Auch das vielleicht ein Pflasterstein auf dem Weg zum Daewoo/Thomson Mißverständnis. China-Flugzeug, Fokker und Thomson Multimedia sind schwer zu verdauende Fehlschläge für die Selbsteinschätzung der Chaebols, aber auch der Politik. Mit dem Anwachsen der Auslandsschulden auf $ 130 bis $ 140 Mrd. rechnet das MTIE für 1997. Dabei sind etwa 80 % der Auslandsschulden in US $ zu bedienen und 58 % Kurzläufer unter einem Jahr. Auch bei den Chaebols wird das Geld knapp. Nach regierungsgeduldetem Zusammenbruch der Chaebols Hanbo und Sammi Anfang des Jahres, meldete die Jinro-Gruppe (Rang 19 der Chaebol-Liste) Mitte April drohende Zahlungsunfähigkeit bei DM 6 Mrd. Verbindlichkeiten. Die Banken zögerten bei weiteren Kreditvergaben. Schließlich stellte die Regierung den Banken einen Feuerwehrfonds in Höhe von DM 3 Mrd. zur Verfügung, und die Banken gelobten einander Konsultation, bevor Kredite bei Großschuldnern nicht verlängert würden. Angesichts der Last notleidender Kredite bei den Großbanken mußte die Regierung den angekündigten Kurs der Nichtintervention abbrechen. Die Bank of Korea gibt seit Anfang des Jahres Überbrückungskredite an den Bankensektor ($ 1,5 Mrd. im Februar, $ 1 Mrd. im März und Juni), um Kreditrückzahlungen gen USA und Europa zu ermöglichen. "The South Korean economy avoided the knockout punch ...", wertete die FEER diesen Verstoß gegen Grundregeln des neoliberalen Kapitalismus mit einem Unterton des Verständnisses. Jinro wird Grundstücke verkaufen (davon erhofft man ca. DM 2,5 Mrd.) und wird die Hälfte der 23 Unternehmen abgeben. Mit Ssangyong wird ein weiterer Chaebol (Rang 6) über Immobilienverkäufe und Umstrukturierungen im Konzern zu großen Anstrengungen gezwungen, um die aufgelaufenen Kredite von DM 6 Mrd. der Automobiltochter weiter bedienen zu können. Die 38 Unternehmen umfassende KIA-Gruppe stand Anfang Juli 1997 mit einer Verschuldung von etwa DM 19 Mrd. vor der Zahlungsunfähigkeit und wurde von den 29 Gläubigerbanken über eine Stillhaltevereinbarung zunächst abgefangen. Die koreanische Wirtschaft erkennt langsam, daß sie sich neu orientieren muß: Geringere Wachstumsraten der Volkswirtschaft werden künftig Normalität sein, und eine zurückgehende Binnennachfrage schwächt das Wachstum obendrein. Der verschärfte internationale Preiswettbewerb bedrängt die Wettbewerbsfähigkeit. Zudem wird unter ausländischem Druck der Binnenmarkt und dann auch der heimische Banken- und Finanzsektors liberalisiert werden müssen. Die Strukturschwächen der Chaebols (Elefantitis") werden sichtbar: Schiere Größe garantiert weder die Effizienz noch das Überleben. Die Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen entsprechen nicht dem Stand der Industrienationen, Methoden und Inhalte der schulischen, universitären und beruflichen Bildung und Ausbildung werden ohne grundlegende Reformen das Innovationsklima beeinträchtigen. Kurz: Südkorea steht vor Mammutaufgaben, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten und die Wachstumshoffnungen der Bevölkerung nicht zu enttäuschen. Dazu bedarf es einer handlungsfähigen und entscheidungsbereiten Regierung. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999 |