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2. Das Finanzsystem

Das japanische Bank- und Finanzsystem ist auf die Bedingungen kontinuierlich hoher Wachstumsraten, Knappheit an investierbarem Kapital und einer „jungen" Gesellschaft zugeschnitten. Seine zentrale Aufgabe war in den Nachkriegsjahrzehnten die Versorgung der nicht-finanziellen Unternehmen mit Krediten. Bis weit in die 80er Jahre hinein waren die Zinsen auf Bankeinlagen auf niedrigem Niveau staatlich festgelegt, so daß sich die Banken keine besonderen Sorgen um die Erträge machen mußten. Mit dem erzwungenen Verzicht auf Zinserträge trugen die Haushalte zur Finanzierung der Unternehmen bei. Doch sie wurden entschädigt: Die Unternehmen konnten nicht zuletzt wegen ihrer niedrigen Finanzierungskosten schnell expandieren, ihre Gewinne steigern und höhere Löhne zahlen. Da Japan in den Nachkriegsjahrzehnten eine im internationalen Vergleich sehr junge Bevölkerung hatte, stimmten die Interessen der abhängig Beschäftigten und der Sparer weitgehend überein. Der Druck der Aktionäre zugunsten höherer Erträge blieb schwach, da sich die großen Banken weitgehend im Besitz großer Unternehmensgruppen befinden, die Bankaktien nicht wegen ihrer Erträge, sondern zur Stabilisierung der Unternehmensbeziehungen halten. Aus demselben Grund brauchten die Banken auch nicht allzu genau auf die Risiken ihrer Kredite achten: Im Zweifelsfall waren sie durch die Unternehmensgruppe geschützt, aber auch durch das Finanzministerium, das bis 1995 keine Bank bankrott gehen ließ. Im Krisenfall sorgte das Finanzministerium dafür, daß die betroffenen Banken von den anderen Banken bzw. mit öffentlichen Mitteln gerettet wurden. Es kam hinzu, daß kontinuierlich hohe Wachstumsraten die Wirkungen punktueller Krisen in Grenzen hielten. Die Banken verliehen an jeden, der Sicherheiten - Immobilien und Aktien - bieten konnte, unabhängig, wie das Risiko der jeweiligen Projekte zu bewerten war. Das Unternehmensziel der Banken richtete sich eher auf das Volumen der vergebenen Kredite als auf die Qualität der finanzierten Projekte. So stammen acht der zehn größten Banken der Welt aus Japan, hinsichtlich ihrer Profitabilität bleiben die japanischen Banken jedoch weit hinter ihren westlichen Konkurrenten zurück.

Die Voraussetzungen, unter denen das japanische Bankensystem operieren muß, haben sich grundlegend verändert:

* Die japanische Gesellschaft ist keine junge Gesellschaft mehr, sondern altert rapide. Mehr Menschen sind für längere Abschnitte ihres Lebens auf Einkommen unabhängig von ihrer Beschäftigung, d.h. auf Erträge aus ihren Ersparnissen, angewiesen. Das japanische Finanzsystem bietet aber, wie es in einem Survey des Economist heißt, nur sichere Anlagen mit gar keinen Erträgen oder hochriskante Anlagen mit fast gar keinen Erträgen an.

* Kapital ist nicht mehr knapp, sondern im Vergleich zu profitablen Investitionsmöglichkeiten reichlich vorhanden.

* Die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten sind gesunken und werden auch in Zukunft deutlich unter denen der ersten Nachkriegsdekaden liegen. Die Flut des Dauerbooms wird nicht mehr alle Boote über die Klippen hinwegheben, d.h. Risiken sind in einem Umfeld schwachen Wachstums neu und höher zu bewerten.

Wie unfähig die japanischen Banken sind, diesen neuen Bedingungen zu entsprechen, zeigt ihre Verhalten in und nach den Jahren der Bubble Economy. Da sie ihre einst wichtigsten und kreditwürdigsten Kunden, die Großunternehmen der Exportindustrie, verloren hatten - diese waren längst nicht auf die Vermittlung der Banken angewiesen und finanzierten sich auf den Kapitalmärkten selbst -, verliehen sie auf der geradezu verzweifelten Suche nach neuen Kunden an weitaus riskantere Kreditnehmer, u.a. an Bau- und Immobiliengesellschaften, aber, wie in immer neuen Skandalen deutlich wurde, auch an Vertreter der Halb- und Unterwelt. Die Banken forderten trotz der weitaus höheren Kreditrisiken keine Risikoprämien, sondern gaben sich mit Sicherheiten zufrieden, die keineswegs gegen die Wechselfälle der Konjunktur gefeit waren: Der Kurs der an der Tokyoter Börse gehandelten Aktien liegt trotz des weltweiten Börsenbooms noch heute bei gerade der Hälfte des Wertes von 1989, und die Immobilienpreise sind in den Ballungszonen im selben Zeitraum um 70% gefallen. Die Banken sitzen immer noch auf einem Berg fauler Kredite und wertloser Sicherheiten. Und auch heute noch sind sie ohne Blick auf Risiken und Erträge verzweifelt bemüht, Geld zu verleihen, um die faulen Kredite der Bubble-Jahre abzutragen. Es geht ihnen nach wie vor weniger um Profitabilität als um das Volumen - womit sie die Grundlage künftiger Krisen legen.

Für die Öffentlichkeit wird die Notwendigkeit einer Reform des Finanzsystems durch die endlosen Skandale unterstrichen, deren gemeinsamer Nenner darin liegt, daß die Banken und Securities-Häuser bei der Bedienung bevorzugter, oft krimineller Kreditnehmer großzügig auf nahezu jede Absicherung verzichten - während sich der normale Kunde mit niedrigen Erträgen zufriedengeben muß und schon bei der Eröffnung eines Girokontos behandelt wird wie ein potentieller Schwerverbrecher. Nach dem Platzen der bubble wurde publik, daß die Securities-Häuser die Verluste mächtiger Großkunden - und nur dieser - ausgeglichen hatten, und im Frühsommer dieses Jahres wurde die Verfilzung der Daiichi Kangyo Bank, einer der größten Banken der Welt, mit Spitzenvertretern der organisierten Kriminalität ans Licht gebracht. Die Bank hatte einen Gangster gegen zweifelhafte und zum Teil gar keine Sicherheiten massiv mit Krediten versorgt; ähnlich enger finanzieller Beziehungen zur Unterwelt werden die Securities-Häuser Nomura und Yamaichi verdächtigt.

Um die Banken und Securities-Häuser unter Wettbewerbsdruck zu setzen, hat die Regierung unter Federführung des Finanzministeriums einen Deregulierungszeitplan angekündigt, den „Big bang". Ziel ist es, Tokyo als internationalen Finanzplatz zu stärken (derzeit verliert Tokyo vor allem an Singapur), um die Voraussetzung für eine stärkere internationale Rolle des Yen zu schaffen. - Der Zeitplan enthält folgende Stationen:

* 1997: Securities-Häuser dürfen für ihre Kunden die Zahlung von Konsumausgaben abwickeln;

* 1998: Transaktionen in ausländischer Währung bedürfen nicht mehr der Autorisierung durch die Regierung; die Banken dürfen investments trusts over the counter verkaufen; das Verbot finanzieller Holdings wird aufgehoben; Securities dürfen ohne Regierungslizenz gehandelt werden; die Securities-Häuser dürfen ihre Dienstleistungen im Bereich des asset managements ausweiten;

* 1999: Die Securities Häuser dürfen ihre Kommissionen unabhängig vom gehandelten Volumen selbst festlegen; die Grenzen zwischen Banken, Treuhandbanken und Securities-Häusern werden aufgehoben; Banken dürfen Anleihen zeichnen;

* 2001: Banken und Securities-Häuser dürfen in das Versicherungsgeschäft einsteigen.

Der wohl entscheidende Schritt ist die bereits vom Parlament verabschiedete Veränderung der Kontrollgesetze zu Transaktionen in ausländischer Währung (des Foreign Exchange Control Law und des Foreign Trade Control Law). Ab 1998 werden Individuen und Unternehmen ohne Zwischenschaltung der staatlich autorisierten Außenhandelsbanken im Ausland Konten in Yen oder ausländischer Währung eröffnen und ausländische Aktien und Anleihen von ausländischen Banken und Securities-Häusern erwerben können. Die Konsequenzen dieser Öffnung sind absehbar:

* Japanische Investoren, Individuen wie Unternehmen, werden mehr als zuvor die Dienstleistungen ausländischer Banken, Investment-Banken und Securities-Häuser in Anspruch nehmen. Die 20 größten ausländischen Securities-Häuser haben an der Tokyoter Börse bereits heute einen Marktanteil von 28,6% - gegenüber 29,7% der „Vier Großen" japanischen Häuser (Nomura, Daiwa, Yamaichi und Nikko), die den japanischen Markt einst nahezu monopolisierten. Die ausländischen Institute bieten eine differenziertere Palette von Produkten und damit differenziertere Ertragschancen an.

* Japanische Investoren werden mehr als in der Vergangenheit ihre Mittel in ausländischen Werten anlegen, die höhere Erträge abwerfen als inländische Anlagen. Der Anteil der Anlagen in ausländischen Werten wird natürlich von der Bewertung des Wechselkursrisikos abhängen: Infolge des steigenden Yen haben japanische Investoren im Ausland 1992-1994 300 Mrd. US$ verloren. Die Ertragsdifferenzen zwischen in- und ausländischen Anlagen sind jedoch so ausgeprägt, daß immer mehr Anleger ihre Mittel trotz des Wechselkursrisikos in ausländische Werte investieren werden. - Eine Folge dieser Zunahme des Kapitalexports wäre die Abwertung des Yen und eine höhere Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Exportunternehmen. Die in den letzten Jahren beobachtete Verringerung der Handelsbilanzüberschüsse könnte sich wieder umkehren oder zumindest verlangsamen. Die Frage ist, ob dieses Ergebnis intendiert ist: Die liberale Finanzreform würde dann zum Vehikel einer neomerkantilistischen Handelspolitik.

* Japanische Bürger werden ihre Ersparnisse immer weniger in der Form von Sparkonten bei den Banken einlegen, sondern in- oder ausländische Anlagen mit höheren Erträgen bevorzugen. Wenn es den Banken nicht gelingt, in kurzer Zeit selbst ertragreichere Anlagemöglichkeiten anzubieten, werden die Bankeinlagen schrumpfen; die Banken werden ihre Überkapazitäten abbauen bzw. ihre Kapazitäten einschränken müssen.

Marktanteile an der Tokyoter Börse in %
Die „großen Vier" und ausländische Unternehmen.
Juni 1996-Juni 1997

Undisplayed Graphic

Die Frage ist, wie weitreichend die Konsequenzen des „Big bang" für die nicht-finanziellen Unternehmen sein werden. Angesichts der niedrigen Kreditkosten und der unzureichenden Bewertung von Kreditrisiken wurde und wird in Japan eine Vielzahl von Unternehmen indirekt durch billige Kredite am Leben erhalten. Viele dieser Unternehmen müßten aus dem Markt scheiden, wenn die Banken mehr als in der Vergangenheit auf Erträge und Risiken achten müssen. Ein Survey des Economist zieht eine sehr weitreichende Schlußfolgerung: Ein dereguliertes Finanzsystem wäre nicht vereinbar mit dem „japanischen Modell" der Unternehmensführung, in dem das oberste Unternehmensziel nicht die Maximierung von Gewinnen ist, sondern die Aufrechterhaltung der Beschäftigung. Auf einem freien Kapital- und Finanzmarkt könnten Unternehmen, die ihre Beschäftigung auch um den Preis niedrigerer Gewinne bzw. steigender Verluste aufrechterhalten, nicht erfolgreich um Anlagekapital konkurrieren. Es ist jedoch nicht zu vermuten, daß die Reform des Finanzsystems die institutionellen Grundlagen der japanischen Wirtschaft zur Disposition stellt: Die Unternehmen, die ihre Beschäftigung unabhängig von der Konjunktur aufrechterhalten können, werden von der Reform des Finanzsystems gar nicht tangiert. Tangiert werden vor allem die Aktivitäten, die sich im Zuge der bubble inflationär ausdehnten, der Bau- und Immobiliensektor und der Finanzsektor selbst. Und dieser Bereich wird in der Tat mit Erschütterungen rechnen müssen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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