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3. Das Regulierungssystem

In Japan gibt es 10.942 Bestimmungen, die die wirtschaftliche Aktivität regulieren. Einige Regulierungen sind in jeder Hinsicht sinnlos. So darf japanisches Mineralwasser nur in Einliterflaschen verkauft werden; das Gebot gilt nicht für importiertes Mineralwasser; importierte Marken haben daher auf dem japanischen Markt einen Wettbewerbsvorteil. Andere Regulierungen dienen dem Schutz der Verbraucher, der Arbeitnehmer und der Umwelt. Das Gros der Vorschriften jedoch dient dem Schutz der etablierten Unternehmen gegen in- und ausländische Konkurrenz. Seit Amtsantritt der Regierung Hosokawa 1993 sind über 2000 Vorschriften revidiert, vereinfacht oder ganz abgeschafft worden. Die Regierung Hashimoto will diese Politik fortsetzen.

Einige Beispiele für Regulierung und Deregulierung:

* Einzelhandel. Das Gesetz zur Regulierung des Einzelhandels (Large Scale Retail Store Law) schreibt vor, daß Einzelhandelsgeschäfte ab einer bestimmten Größe (Supermärkte) vor ihrer Niederlassung die Zustimmung der ansässigen Einzelhändler einzuholen haben. Die entsprechenden Verfahren dauerten, sofern sie überhaupt abgeschlossen wurden, bis zu acht Jahren. Unter internationalem Druck wurde das Gesetz mehrfach modifiziert. So müssen die Betreiber größerer Einzelhandelsläden heute die Genehmigung eines kommunalen Gremiums beantragen, das wiederum die ansässigen Einzelhändler „anhört". Das Gremium entscheidet über die Ansiedlung und erläßt Auflagen hinsichtlich Verkaufsfläche, Öffnungszeiten und Eröffnungsdatum.

Heute ist die gänzliche Abschaffung des Gesetzes im Gespräch. Natürlich haben sich die kleinen Einzelhändler und deren Vertretung, die lokalen Handelskammern und die nationale Vereinigung der Handelskammern gegen die Abschaffung des Gesetzes ausgesprochen, während sich die großen nationalen und ausländischen Handelsketten für dessen Abschaffung einsetzen. Der erstrebte Effekt der Regulierung war und ist der Schutz des Kleinhandels, der mit ca. 1,6 Millionen Unternehmen und über 11 Millionen Beschäftigten einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigungsstabilität leistet, aber mit seiner niedrigen Arbeitsproduktivität und hohen Kosten zu hohen Konsumentenpreisen beiträgt. Der Schutz des Kleinhandels wirkt zudem als Barriere gegen Konsumgüterimporte, da in der Regel nur größere Handelsketten in nennenswertem Umfang importieren. Ein weiterer Effekt war nicht intendiert: Da die Regulierung bei der Verkaufsfläche ansetzte, konnte die Expansion der großen Supermärkte verlangsamt werden; die wirklichen Gewinner der Regulierung sind jedoch nicht die Kleinhändler, sondern von der Fläche her kleine, aber von großen Handelsketten wie WalMart oder Seven Eleven betriebene Convenient Stores, die 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche geöffnet sind, die Nachfrage pro Minute per Computer analysieren und stündlich ihr Angebot variieren.

* Holdings. Holdinggesellschaften waren bislang verboten. Das entsprechende Gesetz wurde in den 40er Jahren von den US-Besatzungsbehörden erlassen, um die Vorkriegskonzerne (zaibatsu) zu zerschlagen. Dieses Ziel wurde nur formell erreicht: Unter dem Sammelbegriff keiretsu haben sich dieselben Vorkriegsunternehmen wieder zusammengeschlossen, wenn auch nicht zu Konzernen, sondern zu lockereren Verbundgruppen formell unabhängiger Firmen. Das Holdingverbot hatte jedoch gewisse Auswirkungen auf die Beschäftigung: Das Arbeitsministerium stimmt der Entlassung von Arbeitnehmern nur dann zu, wenn (neben anderen Bedingungen) das Gesamtunternehmen Verluste erwirtschaftet. Die Entlassung von Arbeitskräften verlustbringender Unternehmensteile war unzulässig.

1998 wird das Verbot der Holdings aufgehoben. Es wird befürchtet, daß Arbeitnehmer in verlustbringenden Unternehmensteilen in Zukunft leichter entlassen werden können. Diese Befürchtung (oder Hoffnung) ist wahrscheinlich übertrieben: Die Beschäftigung festangestellter Arbeitnehmer wird durch viele formelle Regeln wie informelle Konventionen geschützt, nicht nur durch das Holding-Verbot. Das Ziel von dessen Aufhebung ist weniger die Flexibilisierung der Beschäftigung als

* erstens die Erleichterung der Unternehmenskoordination. Die keiretsu-Unternehmen sind nicht legal, sondern informell miteinander verbunden. Wechselseitige Beteiligungen am Aktienvermögen der Firmen. die über die Hälfte des japanischen Aktienvermögens ausmachen, dienen der Absicherung dieser Beziehungen. Sie würden überflüssig werden, wenn die Unternehmen in der Form einer Holding zentral koordiniert werden könnten;

* zweitens könnten mit der Wiedereinführung der Holding steuerliche Vorteile verbunden sein, da die Unternehmen nun auch die Verluste von Unternehmensteilen von der Steuer absetzen könnten (das Finanzministerium widersetzt sich allerdings noch dieser Regelung).

* Reismarkt. Der Import von Reis war bis Ende 1994 verboten, im Zuge der Uruguay-Runde wurde das Verbot durch hohe Zölle ersetzt. Der Staat hat ein Handelsmonopol für Reis, staatliche Organisationen kaufen die Reisernte auf, und staatlich lizensierte Großhändler verteilen den Reis zu staatlich festgelegten Preisen an die Einzelhändler. Der Effekt der Regulierung sind Preissubventionen für die Reisbauern und deren Schutz vor Importkonkurrenz. Theoretisch ist auch der Schutz der Verbraucher intendiert, als Ergebnis der Regulierung liegen die inländischen Reispreise jedoch um ein Mehrfaches über den Weltmarktpreisen. Kurzfristig wird sich an der strengen Regulierung des Reismarktes wenig ändern, da nicht nur die Agrarlobby mit ihren engen Beziehungen zur LDP, sondern paradoxerweise auch die Verbraucherverbände Widerstand gegen eine Marktöffnung leisten. Allerdings wurde mit dem Ersatz des Importverbots durch Zölle eine erste Barriere eingerissen, und es ist denkbar, daß auf mittlere Sicht - und unter internationalem Druck - weitere Öffnungsschritte stattfinden.

* Bauwirtschaft. Bei der Ausschreibung öffentlicher Bauaufträge werden nur Anbietergruppen zugelassen, in denen eines der 11 großen Bauunternehmen (general contractors) vertreten ist. Vorwand war, daß insbesondere bei Großprojekten erfahrene und vertrauenswürdige Firmen die Führung innehaben sollten. Nach einer Reihe großer Bauskandale im Jahre 1994 wurde die Regel gelockert. Kritiker behaupten jedoch, daß sich die Praxis der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht verändert hat. Die Regulierung der Bauwirtschaft erleichtert die Kartellbildung, da sie die Zahl der wichtigsten Anbieter einschränkt. Sie erleichtert bzw. ermöglicht vorgetäuschten Wettbewerb um öffentliche Aufträge. Die Baufirmen können die Preise untereinander absprechen und dank enger Beziehungen zu den Beamten des Bauministeriums knapp unter der offiziellen Obergrenze fixieren. Die Folge der Regulierung ist der Schutz der Bauwirtschaft mit ihren über 500.000 Unternehmen - viele davon Kleinst- und Einmannbetriebe, die über vielgliedrige Zulieferketten mit den general contractors verbunden sind -, sowie Baukosten, die um ca. 30% über dem internationalen Durchschnitt liegen.

* Rechtsanwälte. Die Zahl der jährlich neu zugelassenen Rechtsanwälte ist auf 700 beschränkt. Die Auswahl wird durch ein Prüfungsverfahren der Anwaltskammer vorgenommen. Ausländische Anwälte dürfen in Japan nur tätig werden, wenn sie sich einer japanischen Kanzlei anschließen. Eine Ausweitung von 700 auf 1000 Neuzulassungen pro Jahr wird angestrebt. - Der intendierte Effekt der Regulierung ist die zunftmäßige Verknappung des Anwaltsangebots. Hohe Prozeßkosten, lange Prozeßzeiten und schließlich die geringe Bedeutung des Rechtswesens als Instanz der Konfliktlösung sind weitere Folgen.

* Telekommunikation. Das staatliche Fernmeldemonopol NTT wurde 1985 privatisiert, seitdem haben private Anbieter einen Anteil von insgesamt 6%, in den gewinnträchtigen Korridoren zwischen den Großstädten aber bis zu 50% an den Telekommunikations-Dienstleistungen erringen können. Außerdem durfte NTT keine Auslandsverbindungen anbieten. - Ende 1996 wurde NTT in zwei regionale Gesellschaften sowie eine Gesellschaft für Fernverbindungen aufgespalten. Das Verbot von Auslandsverbindungen wurde aufgehoben. Als Effekt der Deregulierung erhofft man sich die Stärkung des Wettbewerbs und niedrigere Telekommunikationskosten (die über denen der westlichen Industrieländer liegen). Ein Nebeneffekt wird sein, daß die in der Vergangenheit hohe Bedeutung von NTT in Forschung und Entwicklung (NTT und seine Zulieferer waren für den Aufbau der japanischen Computerindustrie mindestens ebenso relevant wie das MITI und die ihm angeschlossenen Unternehmen) zurückgehen wird. Nach Verlust seiner Monopolstellung kann NTT seine Forschungsausgaben nicht mehr einfach durch Gebühren decken, sondern muß Forschung und Entwicklung Rentabilitätskriterien unterwerfen.

* Brauereien. Brauereien mußten eine Minimalgröße aufweisen, der Betrieb kleiner Brauereien war untersagt. Die Regulierung wurde 1995 gelockert. Im Ergebnis brachte sie die Konzentration des Brauereigewerbes auf vier marktbeherrschende Großunternehmen, die ihr Produkt in jedem Teil des Landes zum exakt gleichen Preis und in exakt derselben Qualität anbieten.

Mit der vorgesehenen „Reform des Regulierungssystems" wird die Regierung Hashimoto aller Wahrscheinlichkeit nach sich darauf beschränken, Vorschriften zu revidieren bzw. ganz abzuschaffen, und angesichts der hohen Zahl der Regeln wird sie ein in quantitativer Hinsicht beachtliches Resultat vorweisen können. Mit dem Streichen von Vorschriften wird aber nicht automatisch freier Wettbewerb hergestellt. Denn zum einen wird der Wettbewerb nicht nur durch schriftlich niedergelegte Vorschriften eingeschränkt - diese werden eher flexibel gehandhabt -, sondern auch durch informelle Geschäftspraktiken. Zwei Beispiele sind informelle Kartelle - wie in der Papier-, Flachglas- und Zementindustrie - und die engen Verbindungen zwischen Herstellern, Groß- und Einzelhändlern, die es des Herstellern erlauben, in Japan höhere Preise durchzusetzen als im Ausland. Vor allem aber erfolgt die Wirtschaftslenkung durch die Behörden nicht in erster Linie über schriftlich fixierte Vorschriften, sondern in der Form der informellen administrativen Lenkung, die nicht vorschreibt, sondern „berät" - und man gut daran tut, den Ratschlägen zu folgen. Die Streichung von Vorschriften ist vereinbar mit einer Stärkung der bürokratischen Wirtschaftslenkung, da die fixierten Vorschriften nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Behörden einschränken können. Eine wirkliche Reform des Regulierungssystems im Sinne einer Stärkung des Wettbewerbs kann daher nur im Zusammenhang mit der Reform der Administration greifen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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