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1. Der Staatshaushalt

1996 hatte Japan ein Haushaltsdefizit von 7,4% des Sozialprodukts, das höchste Defizit unter den OECD-Ländern. Es ist aber fraglich, ob die offiziellen Daten die realen Belastungen der staatlichen Finanzen präzise wiedergeben:

* Erstens sind dem Defizit die Überschüsse der Sozialversicherung eingerechnet, die mit der „Reifung" der erst in den 70er Jahren vollendeten Rentenversicherung und der rapiden Alterung der Bevölkerung drastisch zurückgehen werden. Diesen Überschüssen stehen zukünftige Zahlungsverpflichtungen gegenüber, so daß im Staatshaushalt eine Kostendynamik eingebaut ist, die das Defizit weiter in die Höhe treiben wird.

* Zweitens gibt es eine ganze Reihe „parastaatlicher" Defizite, die noch nicht in das offizielle Haushaltsdefizit eingerechnet sind, es aber in Zukunft weiter anschwellen lassen werden. Zu nennen sind u.a.

- die 1987 privatisierte Eisenbahngesellschaft Japan National Rail, deren Schulden in der Höhe von 4,8 Billionen Yen (70 Mrd. DM) von der JNR Settlement Corp. übernommen wurden; JNR Settlement sollte diese Schulden durch den Verkauf von Aktien und Grundstücken abbauen, die Verkäufe, die 1998 abgeschlossen sein werden, erbrachten aber nur 800 Mrd. Yen. Im März 1999 müssen die Obligationen von JNR Settlement in den Staatshaushalt übernommen werden;

- eine ähnliche Last wird von der Corporate Credit Purchasing Corporation (CCPC) vor sich hergeschoben, die 1993 gegründet wurde, um notleidende Kredite der Banken aufzukaufen und durch den Verkauf der als Sicherheiten eingebrachten Immobilien zu tilgen. Die CCPC hat bislang aber nur einen Bruchteil der erworbenen Kredite durch Immobilienverkäufe decken können. Im Jahre 2003 soll sie aufgelöst werden; die dann verbleibenden Verpflichtungen werden dann aller Voraussicht nach ebenfalls auf das staatliche Haushaltsdefizit übergehen;

- die Altschulden der 1996 bankrott gegangenen Hypothekenbanken (Jusen), die von der Nachfolgeorganisation Housing Loan Administration Corp. abgetragen werden sollen, erweisen sich als weitaus umfangreicher als noch vor einem Jahr erwartet worden war.

Es gibt zwei Argumente, die darauf zielen, die Problematik des japanischen Haushaltsdefizits zu entdramatisieren:

* Zum einen hat Japan unter den entwickelten Ländern nach wie vor die höchste Sparrate. Es gibt also kein Problem, das Haushaltsdefizit durch interne Ersparnis zu finanzieren. Da Japan nach wie vor einen hohen Leistungsbilanzüberschuß aufweist, hat das Haushaltsdefizit sogar einen positiven Effekt: Es trägt dazu bei, die Überschüsse der internen Ersparnis über die Investition und damit den Leistungsbilanzüberschuß abzubauen. Gleichzeitig jedoch bleibt Japan bei einem extrem niedrigen Zinssatz. Der Zentralbankzinsatz liegt bei 0,5% und die Rendite auf staatliche Anleihen bei 2,5%. Angesichts der Zinssatzdifferenz zu den USA ist die Staatsverschuldung nur deshalb aus interner Ersparnis zu finanzieren, weil das japanische Finanzsystem noch relativ geschlossen ist. Dies aber - hier überschneidet sich die Reform des Staatshaushalts mit der des Finanzsystems - soll sich in naher Zukunft ändern. Wenn das Finanzsystem geöffnet wird, steht die Regierung vor der Alternative, entweder die Zinssätze auf internationales Niveau anzuheben - was die von der bubble economy angeschlagenen Banken in Schwierigkeiten bringen würde -, oder das Haushaltsdefizit schnell abzubauen.

* Das zweite Argument richtet sich auf die Entstehung der staatlichen Neuverschuldung: Sie ist das Ergebnis mehrerer Konjunkturprogramme nach 1992 (als der Staatshaushalt einen Überschuß von 2% des Sozialprodukts aufwies). Konjunkturprogramme, vor allem öffentliche Bauprojekte, können - so das Argument - leichter wieder abgebaut werden als staatliche Sozialausgaben, die angesichts rechtlicher Verpflichtungen und des Drucks der Interessenverbände nur sehr schwer reduziert werden können. Allerdings wäre einzuwenden, daß der Druck der Bauwirtschaft, die eng mit den LDP-Politikern liiert ist, in Japan als weitaus höher einzuschätzen ist als der der sozialen Interessenverbände.

Die Frage ist aber auch, ob die staatlichen Konjunkturprogramme in der gegenwärtigen Situation ohne schwerwiegende Folgen für das Wirtschaftswachstum abgebaut werden können. Das Wachstum war 1996 stark von den staatlichen Ausgaben bzw. den von der Steuer- und Zinspolitik bestimmten Wohnungsbauinvestitionen abhängig. Hierin unterscheidet sich die derzeitige Erholung von früheren Zyklen. Ein Vergleich der heutigen Konjunktur mit fünf vorhergegangenen konjunkturellen Wendepunkten der Nachkriegsentwicklung zeigt, daß die Erholung in allen Fällen durch die politisch bestimmten Nachfragekomponenten Staatsausgaben und Wohnungsbau eingeleitet wurde; in den fünf vorausgegangenen Erholungsphasen jedoch induzierte das Wachstum der politisch bestimmten Nachfrage schnell das der unabhängigen Nachfragekomponenten: Privater Verbrauch und private Investition reagierten mit einer Verzögerung von nur wenigen Monaten auf die Initialzündung der Staatsausgaben bzw. des Wohnungsbaus. Heute jedoch hat sich die politisch bestimmte Nachfrage erschöpft, bevor der Funken auf privaten Verbrauch und Investition überspringen konnte.

Index der politisch induzierten und privaten Nachfrage in 5 früheren Erholungsphasen


Undisplayed Graphic
Quartale (Wendepunkt = 100)
* Staatsausgaben und Wohnungsbau
** Privater Verbrauch und Investition


Index der politisch induzierten und der privaten Nachfrage im gegenwärtigen Konjunkturzyklus

Undisplayed Graphic
Quartale (Wendepunkt = 100)

Die legale Problematik des Haushaltsdefizits liegt u.a. darin, daß die Neuverschuldung das Volumen der öffentlichen Arbeiten übersteigt - was gesetzlich verboten ist. Das Defizit bei den öffentlichen Arbeiten wird durch legale Construction Bonds finanziert, während für die darüber hinausgehende Neuverschuldung im Prinzip nicht zulässige Deficit Covering Bonds ausgegeben werden, deren Emission das Parlament zustimmen muß. Deficit Covering Bonds hatte die Regierung erstmals 1975 ausgeben müssen, um die hohen Kosten der in dieser Zeit schnell expandierenden sozialen Sicherungssysteme zu decken. Trotz der zunächst vorgesehenen Beschränkung auf ein Jahr mußte die Regierung zwischen 1975 und 1989 jährlich im Parlament die Legalisierung neuer Emissionen von Deficit Covering Bonds beantragen. Erst 1990 verbesserte sich die Situation des Haushalts so weit, daß Construction Bonds wieder zur Finanzierung des Defizits ausreichten. Die Rückkehr zur legalen Defizitfinanzierung war freilich teuer erkauft worden: Es bedurfte einer 15 Jahre wirksamen Austeritätspolitik, um die Ausgabe der Deficit Bonds zu stoppen. Um so kritischer reagierte die Öffentlichkeit, als wenige Jahre darauf wieder Deficit Bonds emittiert wurden.

Die Regierung Hashimoto hat angekündigt, das Haushaltsdefizit bis zum Fiskaljahr 2003 auf 3,0% des Sozialprodukts zurückzuführen, angefangen mit dem Haushalt 1998. Die bislang vom Kabinett erlassenen Regeln zur Haushaltserstellung (die Verhandlungen um den Haushalt des jeweils nächsten Fiskaljahres setzten am 31. August jedes Jahres ein, wenn die Ministerien ihre Anforderungen präsentieren) sehen allerdings nicht wie eine Reform aus, sondern wie eine traditionelle Kürzungspolitik:

- die Staatsausgaben sollen generell um 240 Billionen Yen gekürzt werden;

- das Wachstum der Ausgaben der Sozialversicherung wird auf 300 Billionen Yen begrenzt;

- die öffentliche Entwicklungshilfe wird um 10% gekürzt;

- der Verteidigungshaushalt wird bei 1,16 Billionen Yen eingefroren;

- die Ausgaben für öffentliche Arbeiten sollen um 7% reduziert werden.

- die Kompensation, die die Bauern für die partielle Öffnung des Reismarktes im Gefolge der Uruguay-Runde erhalten sollen, wird gestreckt.

In zweierlei Hinsicht lassen sich dennoch neue Ansätze erkennen. Erstens wird mit der Tradition der vom Finanzministerium verordneten budget ceilings gebrochen. In der Vergangenheit hatte das Finanzministerium für alle Ministerien gleiche (in mehreren Jahren negative) Obergrenzen der Ausgaben festgelegt. Die Gleichbehandlung aller Ressorts schränkte zwar die haushaltspolitischen Gestaltungsspielräume ein, war aber unter den gegebenen Bedingungen die Voraussetzung dafür, daß sich die Kürzungen überhaupt durchsetzen ließen. Für den 98er Haushalt dagegen hat Hashimoto vorab für Schlüsselbereiche Ausgabenziele im Umfang von 550 Billionen Yen festgelegt, die nicht von Kürzungen betroffen werden dürfen. Es handelt sich um als „strategische" bezeichnete Bereiche wie Forschung, Telekommunikation und Umweltschutz (150 Billionen Yen), Transport- und Distributionsinfrastruktur (150 Billionen Yen) und Investitionen in die „Lebensqualität", vor allem Abwassersysteme und Stadtentwicklung (250 Billionen Yen).

Die zweite Innovation betrifft die haushaltspolitische Initiative: Anstelle des Finanzministeriums hat der Premierminister selbst die entscheidenden Vorgaben gemacht. Er hat damit nicht nur die hohe Priorität der Haushaltssanierung signalisiert, sondern auch den Einflußbereich des Ministerpräsidentenamtes erweitert.

In zweierlei Hinsicht bietet der japanische Staatshaushalt Ansatzmöglichkeiten für Reformen. Erstens wird zur Zeit die Reform oder gar Abschaffung des „zweiten Staatshaushalts", des Fiscal Investment and Loan Program debattiert, das aus einem Faktor der Entlastung zu einer Belastung des Staatshaushalts zu werden droht (s. Abschnitt 4). Zweitens ist das japanische Steuersystem durch einen besonders niedriges Niveau der indirekten Steuern auf Güter und Dienstleistungen charakterisiert. Erst 1989 wurde eine allgemeine Verbrauchssteuer von 3% eingeführt und im April dieses Jahres auf 5% angehoben. Mit der Anhebung der Verbrauchssteuern auf ein europäisches Niveau würde sich das staatliche Haushaltsdefizit sehr schnell abbauen lassen. Gleichzeitig kämen höhere Verbrauchssteuern der Steuergerechtigkeit zugute: Die abhängig Beschäftigten und Unternehmen werden im japanischen Steuersystem vergleichsweise stark belastet, während kleine Selbständige, Bauern, Kleinindustrielle, Einzelhändler usw. wenig bis gar keine Steuern zahlen. 1992 etwa zahlten 87,6% aller abhängig Beschäftigten einschließlich der öffentlich Bediensteten (45 Millionen Personen) Einkommenssteuern. Von den Selbständigen zahlten nur 44,2% (6,9 Millionen Personen), von den Bauern nur 19,5% (1,2 Millionen) überhaupt Einkommenssteuern.

Wichtigste staatliche Einnahmen in % (1990)

Japan

USA

UK

Deutschld.

Frankreich

Italien

Einkommen

48,3

43,2

39,4

32,1

17,3

36,5

Individuen

26,8

35,8

28,4

27,4

11,8

26,3

Unternehmen

21,5

7,3

11,0

4,7

5,4

10,0

Sozialvers.

29,2

29,5

17,5

36,8

44,2

32,9

Boden

9,0

10,3

8,4

3,3

5,2

2,3

Güter*

3,2

16 2,

30,4

27,4

28,2

28,0










* Güter und Dienstleistungen

Höhere indirekte Steuern, möglicherweise verbunden mit einer Senkung der Einkommenssteuern, würden diese Ungleichbehandlung mildern. Das Problem liegt jedoch darin, daß die vom Steuersystem Begünstigten den Kern der LDP-Klientel ausmachen. So kostete die Einführung der allgemeinen Verbrauchssteuer die LDP 1989 erstmals die Mehrheit im Oberhaus. Jede von der LDP geführte Regierung wird mit der Erhöhung der indirekten Steuern daher sehr vorsichtig sein. Gleichwohl scheint die Regierung Hashimoto weitere Steuererhöhungen anzuvisieren; Regierungssprecher Muto hat bereits öffentlich bezweifelt, daß Japan ohne eine Anhebung der Verbrauchssteuer über auf 10% auskommen werde.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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