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[Essentials]

  • Nachdem die Reform des japanischen politischen Systems der achtziger Jahre teilweise jene Verhältnisse wiederhergestellt hat, die man hatte ändern wollen, stehen jetzt Strukturreformen an, die den Staatshaushalt auf der Einnahme- und Ausgabenseite, das Finanzsystem, das System der Regulierung, die sozialen Sicherungssysteme, die Administration und das Erziehungswesen betreffen.
  • Japan will damit nicht die korporativ-interventionistische durch eine freie Marktwirtschaft angloamerikanischen Zuschnitts ersetzen, sondern den „Kapitalismus japanischer Prägung" von Ballast befreien und erneuern. Im japanischen System hat z.B. die Bürokratie einen weitaus höheren Einfluß auf Wirtschaft und Gesellschaft als in anderen entwickelten Industriegesellschaften. Verwaltungsreform und Deregulierung werden die Formen verändern, in denen die Bürokratie ihre Kontrolle ausübt, aber sie werden nicht die bürokratische Kontrolle selbst in Frage stellen.
  • Auch der Vorrang der Beschäftigungsstabilität vor der Maximierung des shareholder value in den Unternehmen gilt weiter. Das Beschäftigungssystem verändert sich zwar - so wird die senioritätsbedingte Lohnkurve flacher -, aber sein Kern, die Garantie stabiler Beschäftigung auch in der Krise, bleibt bestehen, selbst wenn dies dem Gewinnziel der Unternehmen zuwiderläuft. Japanische Unternehmen werden weiterhin eher eine „Koalition" der Belegschaft und der Eigner sein, wobei das Management zwischen beiden vermittelt, als ein Instrument in ausschließlicher Verfügung der Investoren, in deren Auftrag das Management handelt.
  • Der Anteil der indirekten Steuern an der Finanzierung des Staatshaushalt wird steigen, die Regulierungen des Finanzsystems bzw. der Wirtschaft insgesamt werden abgebaut, das Fiscal Investment and Loan Programm wird eingeschränkt oder ganz abgeschafft, und bestimmte Rigiditäten im Ausbildungs- und Beschäftigungssystem werden gelockert.
  • Das mit 7,4% des Sozialprodukts höchste Staatshaushaltsdefizit aller OECD-Staaten ist wegen schöngerechneter Überschüsse aus der Sozialversicherung und einer Reihe „parastaatlicher Defizite" (bei der Eisenbahn und den Banken- und Kredit-Rettungsfonds) vermutlich noch größer. Haushaltskürzungen und Anhebung der mit 5% relativ niedrigen Verbrauchssteuern machen seine Reduktion auf 3% im Jahr 2003 möglich.
  • Strategische Sektoren wurden von Haushaltskürzungen ausgenommen: Forschung, Telekommunikation, Umweltschutz, Transport- und Distributionsinfrastruktur und Investitionen in die „Lebensqualität", vor allem Abwassersysteme und Stadtentwicklung.
  • Die Reform des Finanzsystems wird nicht die institutionellen Grundlagen der japanischen Wirtschaft sondern die Aktivitäten erschüttern, die sich im Zuge der bubble inflationär ausdehnten (Bau-, Immobilien- und Finanzsektor). Am einschneidendsten dürfte sich die bereits vom Parlament verabschiedete Änderung der Kontrollgesetze zu Transaktionen in ausländischer Währung auswirken.
  • Über 2000 Vorschriften, die die wirtschaftliche Aktivität regulieren, wurden seit 1993 vereinfacht oder abgeschafft. Auch eine weitere Verringerung der verbliebenen 10.942 Bestimmungen, die vor allem etablierte Unternehmen gegen in- und ausländische Konkurrenz schützen, wird nicht automatisch freien Wettbewerb herstellen. Informelle Geschäftspraktiken (Kartelle, Verbindungen zwischen Herstellern, Groß- und Einzelhändlern), vor allem aber die informelle „administrative Lenkung" durch die Bürokratie, die nicht vorschreibt, sondern „berät", bleiben entscheidend. Eine wirkliche Deregulierung kann nur zusammen mit der Reform der Administration greifen.
  • Die angestrebte Verwaltungsmodernisierung konzentriert sich auf die Stärkung des Ministerpräsidentenamtes und die Reduktion der Zuständigkeit der Ministerien auf zentrale strategische Aufgaben, während alle Implementierungsfunktionen auf mit privaten Managementmethoden geführte „agencies" nach britischem Vorbild übertragen werden. Schätzungen zufolge würden über 70% der japanischen Ministerialbeamten auf solche „agencies" umverteilt werden.
  • Von 20 Ministerien und Behörden im Ministeriumsrang bleiben zehn. Dabei soll das MITI die Kompetenzen des Landwirtschaftsministeriums und vor allem des Ministeriums für Post und Telekommunikation erhalten. Die Privatisierung des Postdienstes, der Postsparkasse und der Post-Lebensversicherung ist das am weitesten reichende und umstrittenste Reformvorhaben. Sprengkraft erhielte die Privatisierung der Postdienste vor allem deshalb, weil die Postsparkasse mit ihren Einlagen von 1,96 Billionen US$ das Rückgrat des sogenannten „zweiten Staatshaushalts" bildet.


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[Einleitung]

Der Schwerpunkt der japanischen Reformpolitik lag seit Ende der 80er Jahre auf dem politischen System. Nach den letzten Unterhauswahlen jedoch, die zumindest auf den ersten Blick die Verhältnisse wiederherstellten, die man hatte ändern wollen, ist die Reforminitiative nun an die Exekutive, an Premierminister Ryotaru Hashimoto, übergegangen. Hashimoto hat ein ganzes Bündel ehrgeiziger Reformen angekündigt, das sechs große und zu Teilen sich überschneidende Bereiche umfaßt: den Staatshaushalt auf der Einnahme- wie auf der Ausgabenseite, das Finanzsystem, das System der Regulierung, die sozialen Sicherungssysteme, die Administration und das Erziehungswesen.

Skeptiker befürchten, daß es trotz des umfassenden Programms bei kosmetischen Korrekturen bleiben wird, daß grundlegende Veränderungen am Widerstand von LDP-Hinterbänklern, regulierungswütigen Bürokraten und mächtigen Interessengruppen scheitern werden. Gegen diese Skepsis spricht, daß Hashimoto nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch die Spitzen der Unternehmerverbände und vor allem der Bürokratie auf seiner Seite hat. Federführend ist hier Eisuke Sakakibara, International Vice Minister im Finanzministerium und einer der intellektuellen Urheber des „Big Bang", der Deregulierung des japanischen Finanzsystems bis zum Jahre 2001. Auf der anderen Seite sehen viele Beobachter - allen voran der Economist und die Far Eastern Economic Review - Japan auf dem Eilmarsch von einer korporativ-interventionistischen in eine freie, nach angloamerikanischen Vorbildern modellierte Marktwirtschaft. Diese Vorhersage allerdings ist im besten Fall verfrüht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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