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3. Wirtschaft: Das Wunder läuft und läuft... - wohin?



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Zwischen dem 8. und dem 9. Fünfjahresplan

1996 setzte in der VR China der 9. Fünfjahresplan ein. Die Planer blicken voll Optimismus in die Zukunft, hat die VR China doch mit dem 8. Fünfjahresplan 1991-1995 alle Erwartungen übertroffen: Mit 11,5% durchschnittlichem Wirtschaftswachstum wurde der Pessimismus Lügen gestraft, der bei den Beobachtern nach den Ereignissen von 1989 und der anschließenden Austeritätspolitik Platz gegriffen hatte.

Doch wirft der zweite Blick Fragen dahingehend auf, ob die Entwicklungen im 8. Fünfjahresplan tatsächlich eine solide Grundlage im strukturellen und institutionellen Wandel einer fortschreitender Systemtransformation besessen haben. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß Chinas Entwicklung in dieser Zeit vornehmlich durch die Außenwirtschaft vorwärtsgetrieben wurde: China hat im Vergleich zum 8. FJP seinen Außenhandel verdoppeln und das Volumen realisierter Auslandsinvestitionen (FDI) gar verfünffachen können. Dies ging Hand in Hand mit einer wachsenden Integration in die wirtschaftlichen Verflechtungen des asiatisch-pazifischen Raumes: Ein zunehmender Anteil (schätzungsweise ein Drittel) der chinesischen Exporte resultiert aus Standortverlagerungen.

Die Exportkrise zu Beginn des Jahres 1996 zeigte jedoch, daß die entsprechende Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ohne weiterreichende Folgen für die Strukturen der eigenständig chinesischen Exportwirtschaft geblieben ist: Ungeachtet des erneuten Handelsbilanzüberschusses gegen Jahresende fiel es schwer, gegen den relativ zu den Importen zurückgehenden Trend der Exporte anzugehen, nachdem die Effekte der starken Renminbi-Abwertung von 1994 verpufft sind. Trotz Streichung der direkten Exportsubventionen 1994 werden die Außenhandelsgesellschaften und Exportproduzenten weiterhin durch ein undurchsichtiges Netz von internen Vergünstigungen (etwa die Textilexporteure über das staatliche Ankaufsystem für Baumwolle) geschützt und entstehende Verluste durch die Banken aufgefangen. Zwar wurde vermutet, daß ein Teil der Verluste nur dazu dienen soll, illegale Kapitalexporte zu kaschieren, doch muß davon ausgegangen werden, daß die Reformen im Exportsektor ebenso wie in anderen Bereichen während des 8. Fünfjahresplanes gerade wegen der günstigen außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf die lange Bank geschoben worden sind.

Besonders augenfällig wird dies an den gegenwärtigen Schwierigkeiten, die großen Reformen des 8. FJP zu vertiefen, wie zum Beispiel die Bankenreform von 1994 mit dem Ziel, das Bankensystem nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu reorganisieren. Aus makroökonomischer Perspektive nahm im Laufe des Jahres der Druck auf das Bankensystem wieder zu, durch Ausweitung der Kredite die notleidenden Staatsunternehmen zu stabilisieren, die nach wie vor wichtigste Nachfrager nach Bankkrediten sind. Dies geschah durch eine administrierte Zinssenkung, die den spread zwischen Kredit- und Depositenzinsen erweiterte und so die Gewinnlage der Banken ungeachtet der Tatsache verbesserte, daß weiterhin mindestens 30% aller Kredite notleidend sind. Realwirtschaftlich entspricht dies unter anderem der Finanzierung einer Lagerhaltung unverkäuflicher Güter, deren akkumuliertes Volumen nach Angaben des Statistischen Amtes mit rund 530 Mrd. RMB immerhin bei rund 10% des Sozialproduktes liegen soll (die Weltbank schätzt, daß der Anstieg der Lagerbestände rund ein Viertel des Wirtschaftswachstums in 1996 ausmacht). Ungeachtet der Ausweitung der Kredite ist auch das Problem der gegenseitigen Verschuldung der Staatsunternehmen nicht gelöst worden, sondern hat sich weiter verschärft. Zudem ist die Situation des Bankensektors höchst intransparent. In welchem Umfang schlichte Mißwirtschaft, illegale Transaktionen und Wirtschaftskriminalität zur Misere beitragen, ist nicht abzuschätzen. Gegen Ende des Jahres sah sich die Zentralbank gewungen, eine der größten Trust-and-Investment-Organisationen Chinas zu schließen bzw. umzustrukturieren, was höchstwahrscheinlich nur die Spitze eines Eisberges berührte.

Wie bereits - unter anderen Vorzeichen - nach 1989 geschah die Förderung der Staatsindustrie aber teilweise zu Lasten der ländlichen Unternehmen, die im Rahmen einer Umweltkampagne von einer Welle behördlich verordneter Betriebsschließungen erfaßt wurden. Dies trug dazu bei, die makroökonomische Lage insgesamt stabil zu halten (rund 7 % Inflation 1996), da die Kreditexpansion in Grenzen blieb. Allerdings ziehen informierte Beobachter die Angaben zur Inflationsrate in Zweifel. Der ländliche Bereich trägt weiterhin die Anpassungslasten makroökonomischer Politik über die verschiedenen offenen und verdeckten Formen des Ankaufs von Agrarprodukten unter Marktpreis - verdeckte zwangswirtschaftliche Methoden werden seit 1995 unter dem System der "Verantwortlichkeit der Provinzgouverneure für die Getreideproduktion" und die sogenannten "Gemüsekörbe" der großen Städte angewendet (Produktionsbasen, die unmittelbar unter Kontrolle der Stadtregierungen stehen). Vor diesem Hintergrund konnte 1996 eine Rekordernte von rund 480 Mio. t realisiert werden, ohne daß dies auch eine strukturelle Gesundung der Landwirtschaft bedeutete. Es bleibt abzuwarten, ob die Ende 1996 angekündigte Reform des Ankaufsystems für Getreide wirklich greifen wird, die den Übergang zu einer Steuerung durch Marktpreise bedeuten würde. Bislang sind Reformversuche in diesem Bereich regelmäßig gescheitert bzw. höchstens nach dem Muster "Zwei Schritte vor, einer zurück" verlaufen.

Ungeachtet dieser zum Teil inkonsequenten Politik muß festgestellt werden, daß sich 1996 eindeutig der Druck der Zentralregierung verstärkt hat, den Staatssektor zu sanieren. Damit reagiert man auf die unhaltbare Lage, daß die Staatsunternehmen weiterhin größte Gläubiger der Staatsbanken sind, aber weniger als 1% der Gewinne in der Industrie erwirtschaften. Schrittweise Umstellungen der offiziellen Sprachregelungen wie die Anerkennung des Tatbestandes der "Arbeitslosigkeit" haben inzwischen ermöglicht, daß die Zahl von Betriebschließungen stetig zunimmt, wobei vor allem "kalte" Strategien bevorzugt werden wie die schlichte Heimsendung von Arbeitern mit einem Basislohn, der kaum das Auskommen sichert, und anschließenden Versuchen der betrieblichen Umstrukturierung. Die VR China hat daher 1996 eine Welle von Arbeiterprotesten und Demonstrationen erlebt, die eindeutig belegen, wie prekär die innenpolitische Lage eigentlich ist. Vor allem sind bestimmte Großstädte und Provinzen konzentriert betroffen, wie etwa Shanghai, dessen Textilindustrie größtenteils nicht mehr ökonomisch haltbar ist; selbst nach offiziellen Stellungnahmen könnte die Arbeitslosigkeit de facto bereits bei rund 12% liegen. Es ist davon auszugehen, daß in Zentren der Staatsindustrie die tatsächliche Arbeitslosigkeit bereits zwischen 20-30% liegt. In den nordöstlichen Zentren der Staatsindustrie sind die Verhältnisse noch bedrückender. Hier wird von faktischen Entlassungen im Umfang von bis zu 80% der Industrie-Arbeiterschaft berichtet.

Aus ökonomischer Sicht ist in diesem Zusammenhang wichtig, daß es gerade die gesellschaftlichen und politischen Hemmnisse weitergehender Reformen sind, die China auch im 9. Fünfjahresplan auf die Bahn extensiven Wachstums zwingen. Chinesische Ökonomen haben daher anhaltende Diskussionen über die These des amerikanischen Ökonomen Paul Krugman geführt, daß bei der Mehrzahl der Länder des "ostasiatischen Wirtschaftswunders" nur extensives Wachstum ohne langanhaltende Verbesserung der totalen Faktorproduktivität realisiert worden sei, also im Grunde keine durchgreifende institutionelle und sozialtechnologische Modernisierung der Wirtschaft. Nach Schätzungen der Weltbank scheint China zwar in den letzten Jahren eine stetige Zunahme der Faktorproduktivität erzielt zu haben; doch bleibt der vermehrte Einsatz von Arbeit und Kapital die Hauptquelle des Wachstums und wird dies auch im 9. FJP bleiben (nach den Projektionen zu einem Anteil von rund 80% der Wachstumsrate). Gerade in den ländlichen Räumen stellt der Beschäftigungsdruck eine weiterhin greifende Bremse technologischen Wandels dar.

Insofern kann der Zusammenhang zwischen institutionellen Reformen und der Erreichung der hoch gesteckten Ziele des 9. Fünfjahresplanes nicht stark genug betont werden. Der achte Fünfjahresplan hat seine Dynamik vor allem durch die Freisetzung der Energien zunehmend mobiler ländlicher Arbeitskräfte und den Zustrom ausländischen Kapitals erhalten. Viele Probleme bei den diversen High-Tech-Projekten Chinas zeigen allerdings, daß der Know-how-Transfer durch die ausländischen Investitionen begrenzt bleibt, und daß mögliche Kooperationspartner skeptisch hinsichtlich der chinesischen Möglichkeiten sind (Ein Beispiel ist das stockende Shanghaier Microchip "Project 909", das eine wichtige Rolle bei den Versuchen des 9. FJP spielen soll, China von ausländischer Technologie unabhängig werden zu lassen). Wenn zum Teil argumentiert wird, daß die chinesische Kapitalbildung insgesamt einen hohen Anteil von "embodied technological progress" enthalte, dann ist auf der anderen Seite auch zu betonen, daß der größte Teil des ausländischen Kapitalzustromes entweder wenig technologieintensiv ist oder sogar - wie zwischen 1993 und 1994 - einen hohen Anteil von Investitionen im Bereich der Immobilien aufweist. Es bleibt abzuwarten, ob sich der 1996 abzeichnende Trend festigt, daß China zunehmend zum Standort multinationaler Unternehmen wird, die wesentlich zum Volumen von schätzungsweise 40 Mrd. US$ realisierter FDI beigetragen haben.

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Wirtschaftskrise und ökonomischer Nationalismus

Die chinesische Regierung hat dieses Problem durchaus erkannt und daher 1995 industriepolitische Richtlinien für die Lenkung ausländischer Direktinvestitionen erlassen, die eine Konzentration auf wissens- und wachstumsintensive oder infrastrukturorientierte Branchen erlauben. Jedoch wird damit natürlich auf die arbeitsplätzeschaffende Wirkung anderer Typen von Investitionen verzichtet. Zudem zeigen die erheblichen Probleme mit der Durchführung von "Build, Operate, Transfer" (BOT)-Projekten bei Infrastruktur-Investitionen, daß es immer wieder institutionelle Hemmnisse (hier im Finanzierungsbereich) sind, die eine eigentlich gewünschte Umorientierung des Wachstumsprozesses verhindern. Nachdem auch internationale Organisationen wie Weltbank und Asian Development Bank lange Zeit private Modelle der Finanzierung von Infrastruktur propagiert hatten, um den gigantischen Bedarf an Investitionsmitteln nicht nur in China, sondern im asiatisch-pazifischen Raum insgesamt zu stillen, zeigen sich inzwischen längst die Grenzen eines solchen Ansatzes. Ohne eine voll entwickelte finanzielle Infrastruktur und langfristiges Vertrauen der Investoren in Stabilität und Prosperität sind solche Projekte kaum realisierbar. In China konnte bislang nur ein Bruchteil der anvisierten Vorhaben zur Entscheidungsreife geführt werden. Damit bleibt weiterhin offen, wie die vermutlich benötigten 300 Mrd. US$ für Infrastrukturinvestitionen bis zum Jahr 2000 finanziert werden können.

In diesem Zusammenhang muß auch betont werden, daß solche komplexeren Formen wirtschaftlicher Kooperation wie BOT-Projekte offensichtlich auch die Tragfähigkeit der vielzitierten "Netzwerke", also der "Chinese connection", überbeanspruchen können (die ohnehin oft mit japanischen Generalhandelshäusern zusammenarbeiten, um deren politischen Schutz genießen zu können). Ungeachtet der Tatsache eines anhaltenden Zustroms von Direktinvestitionen aus dem chinesischen Kulturraum sind gewisse Zweifel an der langfristigen Profitabilität vieler Vorhaben angebracht. Die Gewinnsituation ist intransparent und wird der Öffentlichkeit - nämlich anderen Wettbewerbern gegenüber - nicht offengelegt. Zum Teil - wie bei vielen taiwanesischen Investitionen - hängt die Profitabilität von Projekten davon ab, daß lokale Regierungen äußerst günstige steuerliche Rahmenbedingungen und andere kostenrelevante Präferenzen schaffen, und daß die Unternehmen ohnehin in einer zwischenstaatlichen Grauzone operieren. Auf diese Weise werden zwar Investitionen getätigt, doch gleichzeitig bleiben die positiven Wirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Empfängerregion gedämpft - unter anderem, weil fiskalische Wirkungen ausbleiben und die lokalen Haushalte weiter in ein finanzielles Chaos trudeln, das ihre Fähigkeit zur Bereitstellung öffentlicher Güter vermindert.

Vor allem japanische Investoren haben in der jüngsten Zeit - nach einer Phase der Beschleunigung ihres Engagements - vermehrt Zweifel an der langfristigen Attraktivität des chinesischen Standortes geäußert, obgleich China nach wie vor an der Spitze der Standortpräferenzen steht (kurzfristig vor Thailand und Indonesien, langfristig vor Vietnam und Indien): Wichtigster Grund ist die zunehmende Korruption und Rechtsunsicherheit. Pekings schleichender Verlust der Regierungsfähigkeit wurde 1996 unter anderem in der Entscheidung dokumentiert, Schiedsgerichtsverfahren zu "lokalisieren". Chinas Rechtsentwicklung der Reformdekade ist zwar einerseits durch eine intensive gesetzgeberische Tätigkeit geprägt mit zum Teil weitreichenden Veränderungen in Richtung rechtsstaatlicher Verhältnisse. Dem standen und stehen aber extreme Defizite bei der Rechtspflege und -durchsetzung entgegen. Auch für die meisten auslandschinesischen, taiwanesischen oder Hongkonger Unternehmen war daher das internationale Schiedsgericht "China International Economic and Trade Arbitration Commission" (Peking) eine zentrale Instanz zur Austragung von Rechtsstreitigkeiten - und wurde damit auch zur meistbeschäftigten der Welt. Bereits bei dieser Konstruktion gab es durchaus Probleme mit der Durchsetzung von Schiedssprüchen. Im Juni 1996 entschied der Staatsrat freilich, daß im Falle, daß dieses Schiedsgericht von einem Partner nicht akzeptiert wird, neu einzurichtende lokale Schiedsgerichte hinzugezogen werden sollen, deren Entscheidungen dann durch lokale Gerichte durchzusetzen sind. Damit nehmen die rechtlichen Risiken eines Engagements in China erheblich zu.

Diese Entscheidung ebenso wie andere Phänomene im politischen Bereich (wie beispielsweise die im Spätsommer getroffene Entscheidung, auf Pressekonferenzen in Peking nur noch die chinesische Sprache zu verwenden) zeigen deutlich, daß der wirtschaftliche Boom der letzten Jahre bei vielen Mitgliedern der Eliten eine gewisse Selbstüberschätzung zur Folge gehabt hat. Auf der einen Seite drücken manche Entscheidungen - wie die erwähnte zu den Schiedsgerichten - eine Überlastung bestehender Strukturen aus, aber es gibt eindeutig die wachsende Überzeugung, daß in China vieles besser steht als manche meinen. Im wirtschaftlichen Bereich schlug sich dies 1996 in wachsenden Verstimmungen über die Präsenz ausländischer Markenartikel in China nieder, mit zum Teil ausdrücklichen "buy Chinese"-Rufen in der offiziellen Presse. Der reale Hintergrund dieser Entwicklung bestand darin, daß die bereits erfolgten und noch zu erwartenden Zollsenkungen im Kontext der Verhandlungen zum WTO-Beitritt längst haben bewußt werden lassen, daß viele lokale Produzenten nur unter dem Schutz der bisherigen Protektion überlebensfähig sind. Selbst angesehene chinesische Markenfirmen wie beispielsweise die Tsingtao-Brauerei sind bereits heute sekundäre Marktteilnehmer in einem städtischen Konsumumfeld, das von der japanischen Asahi-Brauerei als Marktführer dominiert ist. Wirtschaftlicher Nationalismus in Gestalt eines lokalen - nicht nationalen - Protektionismus ist daher ein nicht unwahrscheinliches Szenario der näheren Zukunft, das angesichts der Dezentralisierung der Rechtsprechung noch an Plausibilität gewinnt. Dies dürfte dann weiterhin Probleme für Chinas Beitritt zur WTO aufwerfen.

Der Marken-Nationalismus von 1996 ist nur ein Aspekt der Reideologisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, mit der die Ägide Jiang Zemin eingeleitet wurde. Seit längerem ist der Parteichef bemüht, seine Position als neue Führungspersönlichkeit Chinas auch durch eine Revision mancher Inhalte des "Dengismus" abzusichern. Dies gilt insbesondere für die Auffassung, daß wirtschaftliche Ungleichheit ein Entwicklungsfaktor sei, im Sinne des Diktums, daß manche Regionen oder soziale Gruppen zuerst "reich" werden, um dann andere nach sich zu ziehen. Diese "trickle down"-Theorie chinesischer Prägung hatte sich hauptsächlich wegen des unvollendeten Charakters der Reformen nicht bewahrheitet; Einkommensdisparitäten als Folge diskriminierender staatlicher Interventionen (wie zuungunsten der Bauern) werden in der heutigen politischen Propaganda wiederum als Argument hinzugezogen, um weitere Interventionen zu begründen (etwa eine stärkere Position der Zentralregierung im Steuersystem).

Wie weit die politische Propaganda - die sich natürlich gut in das Ziel einfügt, eine Partei mit sozialistischen Werten zu legitimieren - tatsächlich auf die laufenden Prozesse des Systemwandels Einfluß nehmen wird, ist kaum abzuschätzen. Es hat 1996 eine zunehmend intensive Diskussion um die Frage gegeben, welche Bedeutung kooperative und partizipatorische Elemente in der Wirtschaftsordnung besitzen sollten. In den ländlichen Räumen wird das "Aktien-Genossenschafts-System" als neue Form der Unternehmensverfassung propagiert, bei dem unterschiedliche Gruppen von Anteilseignern (lokale Regierungen, Dorfbewohner und Arbeitnehmer) auftreten, die jeweils ihre Interessen vertreten können. Derartige Modelle werden von manchen als Alternative zur Privatisierung von Kollektiv- und Staatsunternehmen betrachtet, die in einem sozialistischen Staat letzten Endes nicht zulässig sei. In ähnlicher Weise bremst die Ideologie auch die Reform der Staatsunternehmen.

Letztendlich gibt es inzwischen sogar direkte Verbindungslinien zwischen wirtschaftlichen Interessen und ideologischer Kontrolle: China hat 1996 die politische Zensur und Überwachung der Massenmedien erheblich verschärft und dabei unter anderem der Nachrichtenagentur Xinhua zu Beginn des Jahres ein Monopol eingeräumt bei der Kontrolle des Zugangs ausländischer Medien zu Wirtschaftsinformationen und zu chinesischen Nutzern. In ähnlicher Weise gibt es auch viele andere Nutznießer der gegenwärtigen politisch bedingten Medienkampagnen. Politik und Wirtschaft sind in China heute so vermengt wie zu keiner Zeit vorher. Damit stellt sich aber die Frage nach der langfristigen Attraktivität des chinesischen Standortes und Marktes. Ökonomischer Nationalismus kann letzten Endes zur Folge haben, daß die großen Vorteile, die durch die Integration des chinesischen Kulturraumes entstehen, verspielt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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