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4. Standort-Wettbewerb im chinesischen Kulturraum

Wie gesehen, waren im 8. FJP die Investitionsströme innerhalb des asiatisch-pazifischen Raumes Motor der Entwicklungsdynamik des Festlandes. Kann dies in die Zukunft fortgeschrieben werden? Dies hängt von sehr komplex zusammenwirkenden Faktoren ab, die auf die relative Attraktivität von Standorten in der asiatisch-pazifischen Region einwirken. Seit dem Beginn der Integration des kantonesischen Wirtschaftsraumes übte das Festland vor allem durch niedrige Arbeitslöhne, Investitionsbegünstigungen und nicht zuletzt auch laxe Umweltvorschriften Anziehungskraft aus zunächst auf Hong Konger, dann auf taiwanesische und auslandschinesische Investoren in arbeitsintensiven, exportorientierten "sunset-industries". Die künftige Entwicklung muß andere Integrationsmuster zeitigen, in denen die systematische Arbeitsteilung in der Region und das Festland als Absatzmarkt stärker zum Tragen kommen. Entscheidend ist dann, wie weit die vorlaufenden Volkswirtschaften in der Lage sein werden, ihrerseits neue dynamische Standortvorteile zu generieren, in der Wertschöpfungskette weiter nach vorn zu stoßen und gleichzeitig dort Entwicklungsimpulse zu geben, gerade indem der festländische Standort in diese Strategien integriert wird.

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Hong Kong und die allgemeine Verunsicherung

Oben wurde bereits erwähnt, daß Tung Chee-hwa in Hong Kong genau in dieser strategischen Hinsicht expliziten staatlichen Handlungsbedarf nach dem Vorbild Singapurs sieht. In der Tat gibt es zwei unterschiedliche Perspektiven der Hong Konger Entwicklung: Eine betont die führende Rolle Hong Kongs im kantonesischen Wirtschaftsraum und betrachtet die ausgelagerten Unternehmen eigentlich als Teil der Hong Konger Wirtschaft, die andere rechnet die Abwanderung als Nettoverlust industrieller Kapazität und fürchtet die "Manhattisierung" Hong Kongs, freilich mit dem letztendlichen Verlust industrieller und technologischer Führungspositionen. Mit Sorge wird beispielsweise verzeichnet, daß der ehemalige Standort für Elektro- und Elektronikindustrie längst den Anschluß an die technologische Dynamik in der Region verloren hat. Shiu Sin-por, einer der wichtigsten Hong Konger Berater Pekings in wirtschaftspolitischen Fragen, hat im November 1996 eine äußerst pessimistische Stellungnahme abgegeben und argumentiert, daß Hong Kong in der längeren Frist seine komparativen Vorteile als "Fenster" zu China ohnehin verlieren werde, die gegenwärtig noch so stark im Vordergrund stehen. Sobald diese Funktion mit anderen Standorten vor allem auch innerhalb Chinas geteilt werde (wie Shanghai oder Peking), wird Hong Kong mit einem sehr ernsten Beschäftigungsproblem konfrontiert sein, da die Beschäftigungspotentiale eines Strukturwandels in Richtung des dritten Sektors längst ausgeschöpft seien. Eine aktive Industriepolitik erscheint daher unerläßlich.

In der Tat versperrt die Konzentration auf das magische Datum vom 1. Juli 1997 den Blick auf einige große Herausforderungen an Hong Kong. An der Jahreswende zu 1997 erschütterte ein Korruptionsskandal um den (ethnisch chinesischen) Leiter der Einwanderungsbehörde (der immerhin ohne Genehmigung geschäftliche Interessen auf dem Festland verfolgte) das Vertrauen in den Civil Service und scheint der Befürchtung vieler Recht zu geben, daß die "rule of law" - eindeutig wichtigster Standortvorteil Hong Kongs - künftig substantiell gefährdet ist. Die massive Präsenz von Firmen der VR China in Hong Kong hat längst zu einer schleichenden Verfilzung geführt. Insofern geht die größte Gefahr für die Standortqualität weniger von der "politischen Klasse" hüben und drüben aus, sondern von den niedrigeren Ebenen im Geschäftsleben und Administration. Dennoch betonte der ehemalige Vertreter Pekings in Hong Kong, Xu Jiatun (nach dem Massaker am Tiananmen in den USA im Exil lebend), jüngst in einem raren Interview, daß die Pekinger Führung "Hong Kong nicht versteht". Die Wahrung des Rechtssystems wird zudem durch das Erfordernis belastet, eine sprachlich äquivalente Sinisierung zu vollziehen. Angesichts der Tatsache, daß die Rechtsentwicklung des Festlandes - ähnlich wie Taiwans - eindeutig der kontinentaleuropäischen Tradition folgt, wird dies ein Faktor der Unsicherheit sui generis werden.

Im Jahre 1996 gab es außerdem bereits Fälle der Verletzung der Hong Kong Securities Ordinance durch festländische Unternehmen, deren Intransparenz kaum durch die Zusammenarbeit zwischen dem Hong Kong Stock Exchange und der China Securities Regulatory Commission in Peking behoben werden konnte; die in Hong Kong börsengängigen Festland-Unternehmen zeichnen sich durch laxen Umgang mit Publizitäts-Vorschriften und Geschäftsmoral aus. Kurzfristig kann der Standortwettbewerb hier sogar Bedingungen verschlechtern, indem Fehlverhalten nicht angemessen geahndet wird, um nicht Hong Kongs erhoffte künftige Rolle als Kapitalmarkt für China zu gefährden.

Das Rechtssystem ist ebenso wie die Internationalität eine wesentliche Voraussetzung für die Funktion Hong Kongs als Finanz- und Dienstleistungszentrum und Brücke zu China. Auch die Internationalität ist zunehmend gefährdet: Mit Besorgnis wird gegenwärtig in Hong Kong die zurückgehende Bedeutung der englischen Sprache selbst an Universitäten beobachtet. Zwar liegt auf der Hand, daß für die Brückenfunktion Hong Kongs eine Kenntnis der Amtssprache des Festlandes - der "putonghua" - unerläßlich ist, doch bedeutet das gleichzeitige Erlernen von Kantonesisch und Putonghua an Hongkonger Schulen künftig faktisch bereits eine zweisprachige Erziehung: Dies wird weiterhin zu Lasten des Englischen gehen. Je enger also die wirtschaftliche Integration sein wird, desto stärker wird die gesellschaftliche Integration mit dem Festland gerade die Rolle Hong Kongs als Schlüsselposition im China-Geschäft beeinträchtigen. Ein schwieriger trade-off zeichnet sich ab.

Insofern wird die oben zitierte Überlegung Shiu Sin-pors verständlich, der künftig vor allem die sozialen Probleme Hong Kongs sich verschärfen sieht. Die Vision von der "Manhattisierung" erwartet im Ergebnis einen massiven demographischen Wandel der Bevölkerung Hong Kongs, mit einer Abwanderung weniger gut ausgebildeter und ärmerer Schichten nach Guangdong (wo viele Familien Verwandte haben) und eine Zuwanderung gesellschaftlicher Eliten aus dem Festland, die freilich weniger wirtschaftliche Funktionseliten sind, sondern vor allem den höheren Lebensstandard suchen. Auf dem Weg in diese Richtung kann eine wirtschaftliche und soziale Krise aber auch politische Instabilität zeitigen. Bereits heute ist erheblicher Beschäftigungsdruck zu verzeichnen, bei seit einigen Jahren im Trend rückläufigen Wachstumsraten der Wirtschaft und anhaltend hohen Inflationsraten von um 8%.

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Singapur: Ein neues Fenster wird geöffnet

Genau solche Szenarien sind wiederum Anlaß zum Optimismus in Taiwan und Singapur. In der Tat bietet Singapur in den beiden zuletzt genannten Dimensionen inzwischen eindeutige Vorteile gegenüber Hong Kong, nämlich langfristig verläßliche Korruptionsfreiheit und Zweisprachigkeit Englisch/Putonghua, die mehr und mehr den Nachteil seiner geographischen Distanz zum Festland aufwiegen. Angesichts wachsender Probleme des Industriestandortes Singapur betreibt die Regierung seit längerem ein massives Programm der Förderung singapurischer Auslandsinvestitionen und des heimischen "upgrading" unter anderem durch Anwerbung gut ausgebildeter ausländischer Arbeitskräfte und durch Schritte zu einer Aufwertung und Reform der heimischen Bildungspolitik. Im Unterschied zu ähnlichen Entwicklungen in Taiwan zehn Jahre früher ist dieser Prozeß in Singapur weitestgehend eine konzertierte Aktion von Regierung und Wirtschaft.

In eben diesem Konnex können dann auch die Vorteile Singapurs im China-Geschäft liegen. Denn Probleme im Umgang mit Rechtsunsicherheit und Korruption werden - anders als im Falle Hong Kongs und Taiwans - unter Umständen durch Intervention singapurischer Regierungsvertreter gelöst bzw. durch aktive Prävention vermieden. Singapur hatte bis Ende 1995 über 20 Mrd. US$ Investitionen in China und Hong Kong genehmigt. Um mit dem Problem der Rechtsunsicherheit umzugehen, wurde auch der radikale Schritt der Errichtung von Quasi-Exklaven auf dem Festland (Industrieparks in Suzhou und Wuxi) gegangen, die ausdrücklich auch gegenüber Unternehmen anderer Länder geöffnet sind. Die chinesische Seite hat dem gewaltigen Pilotprojekt in Suzhou weitestgehende Verwaltungsautonomie zugestanden, so daß gewissermaßen ein singapurischer Biotop in die festländische Umwelt gesetzt wurde.

Diese Vorteile Singapurs gesellen sich zu den lange geschätzten Vorzügen der Stabilität, hervorragenden Infrastruktur-Ausstattung, Unbestechlichkeit und Effizienz der Verwaltung, so daß insgesamt fragwürdig scheint, ob ein Hong Kong, das nach 1997 unter starken festländischen Einfluß gerät, noch Standortvorteile ausspielen kann. Bei Befragungen hat sich seit einigen Jahren dieser Trend immer deutlicher abgezeichnet: Immer mehr multinationale Unternehmen präferieren Singapur als Standort ihres "Regional Headquarters": Hierbei spielt auch eine Rolle, daß der chinesische Markt realistisch eingeschätzt und etwa die Entwicklung in den ASEAN-Ländern mit gleichem Gewicht verfolgt wird.

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Taiwan: Demokratie als Standort-Faktor?

Entscheidend ist neben der Funktion als "Fenster" sicherlich die Leistungsfähigkeit des Finanzsektors. Hier sieht nicht nur Singapur, sondern seit einiger Zeit auch Taiwan reelle Chancen, Standortvorteile gegenüber Hong Kong zu entwickeln. Taiwan sieht sich freilich in zweierlei Hinsicht mit Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen dürfte die Frage der Direktverbindungen zum Festland entscheidend dafür sein, ob es seine eigentlich prädestinierte Rolle als Plattform für das China-Geschäft spielen kann. Hier erwarten alle Beteiligten seit längerem substantielle Fortschritte, die zum Teil auch faktisch bereits realisiert wurden (wie beim indirekten Flugverkehr, zuletzt im November 1996 mit der Öffnung eines Büros von China Airlines in Peking, die mehrheitlich in Regierungsbesitz ist): Doch haben die politischen Spannungen bislang einen Durchbruch verhindert. Hüben wie drüben bereiten sich die Häfen schon darauf vor, einen Teil des Handels an sich zu ziehen, der zur Zeit über Hong Kong abgewickelt wird. Die jüngsten Vereinbarungen zwischen Reedereien von beiden Seiten der Taiwan-Straße scheinen dieses Ziel in greifbare Nähe zu bringen. Eine Verlagerung des innerchinesischen Handels weg von Hong Kong würde die dortige Entwicklung empfindlich treffen, denn Hong Kong ist nach Expertenmeinung zwar ein effizienter, aber sehr teurer Containerhafen.

Allerdings wird gerade beim Beispiel des Direktverkehrs deutlich, wie viele politische und administrative Barrieren gegen den Ausbau Taiwans als "Asia-Pacific Regional Operation Center" bestehen (sog. "APROC-Plan). Die Entscheidung zur Abschaffung der Provinzregierung erklärt sich auch dadurch, daß viele administrative und rechtliche Rahmenbedingungen der Wirtschaft in Taiwan weiterhin dadurch belastet werden, daß die Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Ebenen fragmentiert sind. Der Hafen Kaohsiung, der die Rolle als Knotenpunkt für den Festland-Handel spielen soll, ist bislang wegen zum Teil byzantinischer Verwaltungsvorgänge gegenüber Hong Kong wenig attraktiv, obgleich sein Kostenniveau bei nur rund 50% des Hong Konger liegt. Ähnliches ist auch für die finanzielle Infrastruktur zu verzeichnen, wo Taiwan zwar seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ein Programm der Deregulierung verfolgt, jedoch viele politische und administrative Probleme auftreten. So übte die Provinz Taiwan bislang heftigen Widerstand gegen die Privatisierung der Staatsbanken aus, die vom Finanzministerium seit langem gefordert wird. Solange operieren die Banken aber noch unter einem Regime öffentlicher Kontrolle, das ihre Flexibilität entscheidend beeinträchtigt.

In gewisser Weise wirkt gerade der Prozeß der Demokratisierung erschwerend, weil er einen stärkeren Einfluß von Interessengruppen auf die Wirtschaftspolitik nach sich zieht. Auf der anderen Seite jedoch ermöglicht er größere Transparenz: In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, wie dicht die zum Teil sogar kriminelle Verfilzung zwischen Geschäftswelt und Politik besonders auf der lokalen Ebene ist. Für die Standortqualität Taiwans bedeutet dies spürbare Nachteile, denn gerade im Immobilien-Geschäft kommen diese Verfilzungen zum Tragen und erschweren die Umsetzung von Großprojekten, Infrastrukturvorhaben etc. Dies betrifft dann notwendige Projekte der Regierung ebenso wie ausländische Investoren. Im Jahre 1996 erzielte Taiwan das niedrigste Wirtschaftswachstum seit sechs Jahren; Beobachter bringen dies unter anderem mit der Offensive gegen Geheimgesellschaften und die Kollusion von Wirtschaft und Politik in Verbindung.

Natürlich trug auch die Taiwan-Krise im Frühjahr das Ihre zu dieser Abschwächung der Wirtschaftsdynamik bei. Vor allem verlangsamte sich die Abwanderung von Unternehmen auf das Festland. Wegen der politischen Krise hatte die taiwanesische Regierung in der zweiten Hälfte des Jahres eine aktive Politik der Begrenzung von Festlandinvestitionen betrieben, die inzwischen nach Pekinger Angaben rund 30 Mrd. US$ ausmachen. Allerdings gilt nach wie vor, daß nur ein Teil dieser Unternehmen gleichzeitig auch die Produktion in Taiwan einstellt, d.h. für die Mehrheit sind die Festlandinvestitionen ein Element betrieblicher Umstrukturierungs-Strategien. Es ist auch weiterhin undurchsichtig, wie es um die Lage der taiwanesischen Festlandunternehmen bestellt ist. Einer der bekanntesten Fälle, President Enterprises, muß wegen der Publizitätspflichten von Großunternehmen bislang einen kumulierten Verlust von 33 Mio. US$ vermelden. Anders dürften die Verhältnisse bei den rein exportorientierten Unternehmen liegen, die freilich eher Teil einer taiwanesischen Enklaven-Wirtschaft auf dem Festland sind.

Insofern ist es immer noch schwierig, die Auswirkungen innerer und äußerer Faktoren auf die Standortqualität Taiwans abzuschätzen. Noch ist nicht zu erkennen, ob Taiwan tatsächlich in der Lage sein wird, die notwendige wirtschaftliche und technologische Vorläufer-Position im chinesischen Kulturraum zu übernehmen, die für eine langfristig vorteilhafte Arbeitsteilung mit dem Festland unerläßlich ist. Zur Zeit bleibt Taiwan eher Transmitter der technologischen Führungsposition Japans in der asiatisch-pazifischen Region und ist noch kaum in der Lage, eigenständige Innovationspotentiale zu schaffen. Wie weit die erste chinesische Demokratie selbst zu einem positiven Standortfaktor werden wird, bleibt abzuwarten: Nachdenklich stimmen Beobachtungen wie die Tatsache, daß Präsident Lee Teng-hui nach Amtsantritt gerade dem ehemaligen Justizminister Ma Ying-jeou anderen Aufgaben zugewiesen hat, der in den letzten Jahren einen höchst erfolgreichen Kampf gegen die Korruption führte. Spiegel der Standortprobleme ist der Kapitalabfluß nicht nur nach China, sondern weltweit, und umgekehrt der weiterhin zögerliche Zustrom von Auslandskapital.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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