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2. Politische Verwerfungen und Kontinuität des Wandels: Taiwan, Hong Kong und die VR China



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Taiwan-Krise im Frühjahr 1996

Das ohne Zweifel einflußreichste Ereignis des vergangenen Jahres war die Taiwan-Krise im Frühjahr. Die VR China versuchte weitestgehend vergeblich, durch umfangreiche Militärmanöver vor Taiwan das Wahlverhalten der Bürger Taiwans zu beeinflussen, die im März zu den Urnen gingen, um den ersten demokratisch legitimierten Präsidenten der chinesischen Geschichte zu bestimmen. Die chinesischen Manöver hatten den Apparat der Volksbefreiungsarmee (VBA) bis aufs äußerste angespannt und sind in ihrer Wirkung ambivalent einzuschätzen.

Eher kontraproduktiv haben die Manöver auf den Drang der Inselbevölkerung zur Selbständigkeit gewirkt, bestätigten sie doch das Bild der VR China als Faktor der Bedrohung. Pekings Befürchtungen, Präsident Lee Teng-hui verfolge mit einer wachsenden Mehrheit der KMT eine Politik der de-facto-Unabhängigkeit, dürften gegen Ende des Jahres zumindest aus chinesischer Sicht eine klare Bestätigung erhalten haben. Am 23. Dezember 1996 wurden auf der parteiübergreifenden "National Development Conference" weitreichende Pläne zur Verfassungsreform Taiwans beschlossen, vor allem die Abschaffung der Provinzregierung Taiwans - der populäre Provinzgouverneur Taiwans, James Soong, erklärte daraufhin seinen Rücktritt. Dieser Schritt ist äußerst folgenreich, hebt er doch die Fiktion auf, daß auf Taiwan eine "Republik China" existiert, deren Staatsterritorium theoretisch Gesamt-China ist, und Taiwan nur eine seiner Provinzen.

Die Militärmanöver haben gerade angesichts der gewaltigen wirtschaftlichen und administrativen Anstrengungen einmal mehr demonstriert, daß die VR China faktisch nicht in der Lage ist, die Inselrepublik mit Gewalt zu besetzen: Es sei denn um den Preis weitgehender Zerstörung. Wenngleich die ältere Generation der Parteieliten der KP an dieser Vision im Prinzip festhält, dürfte die ohnehin geringe Wahrscheinlichkeit dieses Schritts im Zuge des Generationenwechsels weiter schwinden - vorbehaltlich einer Zuspitzung irrationaler nationalistischer Stimmungen. Insofern hat die Taiwan-Krise paradoxerweise ein Zeichen der Stabilität hinterlassen. Die in der Region weit verbreitete Furcht vor einer wachsenden chinesischen Militärmacht dürfte einer realistischen Einschätzung Raum machen, die der Rückständigkeit der chinesischen Militärtechnologie ebenso wie den wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei der Finanzierung militärischer Expansion Rechnung trägt.

Stabilität bedeutet aber nicht politische Annäherung zwischen Taiwan und der VR China. Während Taiwan nämlich kontinuierlich versucht, seine internationale Position weiter zu verbessern (Stichworte: Urlaubsdiplomatie und UNO-Beitritt), hat Peking im Gefolge der Manöver konsequent an einer harten politischen Linie festgehalten und versucht, die wirtschaftlichen Interessengruppen Taiwans für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren (Angebot von Direkt-Schiffahrtsverbindungen unter Pekings hoheitlicher Zuständigkeit und Ausschluß ausländischer Reedereien). Die taiwanesische Regierung hat daher 1996 wiederholt und nachdrücklich mit Investitionsverboten und starker "moral suasion" auf das Verhalten taiwanesischer Unternehmen Einfluß genommen und einige spektakuläre Vorhaben der privaten und staatlichen Wirtschaft zunächst gestoppt (wie die Zusammenarbeit bei der ozeanischen Erdölexploration). Angesichts der überragenden Bedeutung des Übergangs von Hong Kong im Jahre 1997 dürfte sich an dieser Patt-Situation kaum etwas verändern. Die taiwanesische Innenpolitik konvergiert also endgültig zu einem breiten Konsens bezüglich der Aufwertung des Status quo, also der Politik von Präsident Lee Teng-hui: Sein eindeutiger Sieg bei den Präsidentenwahlen demonstriert, daß dieser Konsens den Erwartungen der großen Mehrheit der Bevölkerung Taiwans gerecht wird. Dies wurde vor allem mit der Abspaltung der Taiwan Independence Party von der Democratic Progressive Party deutlich. Im Ergebnis hat jetzt die DPP als ursprüngliche Befürworterin taiwanesischer Unabhängigkeit also eine pragmatische Wende zur Mitte vollzogen und damit die radikalen Vertreter der Unabhängigkeit politisch marginalisiert.

Zu Beginn des Jahres 1997 scheint Peking sich ungeachtet ideologischer Propaganda pragmatisch auf diesen Status quo einzustellen: Im Januar einigten sich die Vertreter von Reedereien beider Seiten in Hong Kong auf verschiedene Prozeduren für den Direktverkehr zwischen Kaohsiung und Xiamen bzw. Fuzhou. Damit würde ein Vorschlag der taiwanesischen Regierung realisiert, der vorher mit dem erwähnten Gegenvorschlag Pekings stets kategorisch abgelehnt worden war.

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Eindämmung oder Einordnung: USA, Japan und der Aufstieg Chinas zur Regionalmacht

Daher bleibt als wichtigstes Ergebnis der Taiwan-Krise eigentlich die Erkenntnis, daß die USA weiterhin eine entscheidende Rolle als Sicherheits-Garantie im asiatisch-pazifischen Raum spielen. Die Entsendung von Flugzeugträgern mit der gleichzeitigen Demonstration logistischer und organisatorischer Leistungsfähigkeit war offensichtlich vom Pekinger militärischen Establishment nicht erwartet worden. Mit dieser Fehleinschätzung der Lage konnten im parteiinternen Machtkonflikt die "Außenpolitiker" wieder an Übergewicht gewinnen, die nach den Erfolgen der taiwanesischen "flexiblen Diplomatie" im Jahre 1995 zunehmend an Einfluß verloren hatten. Mit dem von China begrüßten Ergebnis der amerikanischen Präsidentenwahlen im Herbst wird dies bedeuten, daß längerfristig mehr Kontinuität in den sino-amerikanischen Beziehungen vorherrschen wird, die stets stark durch gegenseitige Fehlwahrnehmungen und jeweilige innenpolitische Zwänge beeinträchtigt worden waren.

Die Beziehung zwischen Peking und Washington bleibt also ein zentraler Faktor im Sicherheitsgebäude der Region. Die KP selbst spielt zaudernd und innenpolitisch gefährlich mit dem Instrument des anti-amerikanischen Nationalismus in der politischen Propaganda, aber sicherlich zum Teil auch in der eigenen Selbstsicht. Das Gefühl eigener militärischer Unterlegenheit wird an empfindlichsten Punkten getroffen, wenn die USA und Japan versuchen, ihre sicherheitspolitische Allianz unter veränderten Bedingungen mit neuem Leben zu erfüllen (joint security declaration von Präsident Clinton und Premier Hashimoto im April, also unmittelbar nach der Taiwan-Krise). Die USA sind äußerst bemüht, dem Eindruck einer "containment"-Politik entgegenzuwirken (innenpolitisch mehr und mehr von gewichtigen Stimmen der Republikaner gefordert) und haben daher gegen Ende des letzten Jahres erfolgreich eine engere militärische Zusammenarbeit zwischen Peking und Washington eingeleitet, ein Vorhaben, das schon vor der Taiwan-Krise verfolgt worden war (Besuch des chinesischen Verteidigungsministers Chi Haotian in Washington). Selbst die amerikanische Diplomatie versucht, direkt in Gespräche mit offen nationalistischen und anti-amerikanischen Autoren zu treten wie den Verfassern des Buches "China kann Nein sagen". Solche Schritte könnten allerdings auch den Interessen der amerikanischen Rüstungswirtschaft dienen: Zu Beginn des Jahres gab es einen Skandal um illegale Technologieexporte nach China, der den Druck von High-Tech-Unternehmen erkennen läßt, den chinesischen Markt zu öffnen.

Die USA tragen immer noch fast allein die schwere Aufgabe, Chinas Aufstieg zu einer dominanten regionalen Macht in stabilen Bahnen zu halten - nicht zu beschränken -, denn aus chinesischer Sicht ist Japan nach wie vor ein Gegenspieler, und alle anderen Akteure der Region sind, zumindestens einzeln betrachtet, von zu geringem Gewicht. Hauptfaktor für das Mißtrauen gegenüber Japan ist das Nebeneinander von weiterhin wachsendem politisch-ökonomischem Gewicht Japans in der Region und anhaltender Unfähigkeit der japanischen Politik und Gesellschaft, mit dem Erbe des Zweiten Weltkrieges angemessen umzugehen. Das japanische Übergewicht in technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht ist kaum an den tatsächlichen Handels- und Investitionsbeziehungen abzulesen, betrifft aber keinesfalls nur die VR China, sondern den chinesischen Kulturraum als solchen, dessen wirtschaftliche Dynamik ohne den technologisch-organisatorischen Transfer aus Japan gar nicht denkbar wäre. Wie groß daher das anti-japanische Ressentiment im chinesischen Kulturraum weiterhin ist, zeigten die Aktivisten bei der "Besetzung" der Diaoyu-Inseln, wo in seltener Einmütigkeit durch Hongkonger die Flagge der VR China und durch Taiwanesen diejenige der Republik China gehißt wurden (rechtsradikale japanische Gruppen hatten ihrerseits vorher ein Leuchtfeuer errichtet). Doch Peking selbst reagierte äußerst verhalten, einerseits fürchtend, daß nationale Gefühle letztlich auch innenpolitisch destabilisierend wirken könnten, andererseits aber eindeutig bemüht, nach der Taiwan-Krise nicht weiter zur strategisch-militärischen Verunsicherung in der Region beizutragen.

Die chinesische Führung versucht daher zielstrebig, strategische Ausgleichsfaktoren zu schaffen, wie 1996 besonders mit der weiteren Verbesserung der Beziehungen zu Rußland (China-Reise von Präsident Jelzin im März 1996). Chinas Außenpolitik war zwar 1996 - wie schon in den Jahren vorher - eindeutig vom Ziel geprägt, äußere Stabilität für die innere Entwicklung zu gewinnen, die von vielen Unwägbarkeiten und Risiken beherrscht ist. Dennoch bleibt immer wieder unklar, wie weit gleichzeitig auch aktive strategische, eventuell auch expansive Interessen im Hintergrund stehen. Im Falle Rußlands gilt dies für die zunehmende Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit und die umfangreichen chinesischen Rüstungskäufe im Bereich der Hochtechnologie.

Besonders deutlich ist dies natürlich im Falle der Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer, wo Chinas schleichender Expansionismus explizit aus kulturräumlichen Ansprüchen - und nicht aus international anerkanntem Recht - abgeleitet wird. Die kollidierenden Gebietsansprüche der verschiedenen Anrainer-Staaten weisen nach wie vor ein beträchtliches Potential militärischer Destabilisierung auf, wie die bislang größten indonesischen See-Manöver im September 1996 zeigten, mit denen der indonesische Anspruch auf die Natuna-Inseln (ebenfalls Südchinesisches Meer) selbst gegen einen formal bislang nicht offen erhobenen Gebietsanspruch der VR China bekräftigt wurde.

Ähnlich diffus bleibt trotz des Besuches von Präsident Jiang Zemin in Indien und Pakistan (November 1996) die Beziehung zu Südasien: Mit Sorge wird beobachtet, wie China bemüht ist, über eine Verbesserung der Beziehungen zu Myanmar (Burma) letztlich strategische Potentiale im Indischen Ozean zu schaffen (Hafenzugang); Peking und Rangoon schlossen im Oktober einen zunächst nicht publizierten Pakt zur militärischen Zusammenarbeit. Daß Jiang von Neu-Dehli straks nach Islamabad weiterreiste, bekräftigte den Eindruck der Ambivalenz, der durch die auch 1996 wieder von Seiten der USA erhobenen Vorwürfe geweckt wird, Peking unterstütze Pakistan beim Aufbau nuklearer Potentiale. Diese Kritik ist nur ein Aspekt der vielfältigen westlichen Versuche, Chinas Rolle als Waffenexporteur besser zu kontrollieren.

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Countdown: Hong Kongs Weg zurück nach China

Faßt man die verschiedenen Beobachtungen zusammen, so läßt sich feststellen, daß die VR China 1996 in besonders deutlichem Maße bemüht war, durch außenpolitischen Aktivismus und machtpolitisches Schattenboxen die eigenen Ziele durchzusetzen: Da es nicht möglich ist, dies auf direktem Wege zu realisieren (etwa Gebietsansprüche), wird versucht, die Erwartungen und Befürchtungen anderer politischer Akteure für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, um so gewissermaßen "vorauseilenden Gehorsam" zu erreichen.

Welcher Impetus eine solche Strategie tragen kann, mußte die britische Kolonialregierung in Hong Kong letztendlich schmerzhaft erfahren. Die VR China hat mit großem Erfolg die Fäden bei der Gestaltung des Übergangs 1997 an sich gezogen und jeder Vorstellung von einer Übergangsphase (der "through train"), die britische Handschrift trüge, eine Absage erteilt. Die harte Pekinger Strategie hat Gouverneur Chris Patten letztendlich so weit isoliert, daß der Legislative Council seinen letzten politischen Bericht mit "Bedauern" zur Kenntnis genommen hatte: Prochinesische Kräfte kritisierten die Verunsicherung, die vom britischen Versuch ausgegangen sei, demokratische Reformen mit Macht durchzusetzen, die eine Kolonialregierung sonst nie betrieben habe - demokratische Kräfte verurteilten das britische Nachgeben.

Wichtigster stabilisierender Faktor für Hong Kong ist freilich das taktische Fingerspitzengefühl, mit der am Ende des Jahres Pekings Wunsch-Kandidat für den Posten des ersten chinesischen Gouverneurs durchgesetzt wurde, Tung Chee-hwa (Dong Jianhua). Die indirekten Wahlen über ein nach gesellschaftlichen Gruppen gegliedertes Auswahlkomitee verliefen nicht nur bemerkenswert offen, sondern durchaus in einem Wahlkampfklima, bei dem die verschiedenen Bewerber ein starkes Bemühen um die Gunst des Publikums an den Tag legten. Es könnte von einer "Stimmungswahl" gesprochen werden. Abzuwarten bleibt, ob diese Ereignisse den Trend einer Stimmungsverschlechterung auf der Ebene der "Executives" umkehren, der sich noch im Frühjahr 1996 deutlich abzeichnete: In einer Umfrage äußerten rund die Hälfte aller Befragten, sie hätten das Vertrauen in Hong Kongs Zukunft verloren. Dagegen spricht die erheblich gedämpftere Aufnahme der Wahl der "Provisional Legislature" durch dasselbe Wahlgremium, durch die im Juli 1997 der durch Wahlen legitimierte jetzige Legislative Council abgelöst wird. Auch nach den Bestimmungen des Pekinger "Basic Law" für Hong Kong ist diese Legislative dann nicht ordentlich gewählt und mithin eigentlich nicht legitimiert. Insofern geht Hong Kong in das Jahr 1997 mit einer gemischten Perspektive: Der Trend zur Mißachtung rechsstaatlicher Verfahrensweisen nimmt zu, die Absicherung durch persönliche Faktoren, also die informellen Netzwerke zwischen Peking und Hong Kong, gewinnt an Bedeutung.

Mit Tung, einem aus Shanghai stammenden Hongkonger "business tycoon", wird Hong Kong von einem Geschäftsmann geführt werden, der ohne Zweifel in der Lage ist, zwischen den Kreisen der Wirtschaft und der Pekinger Parteielite (und wahrscheinlich der dort zur Zeit dominanten "Shanghai-Clique") zu vermitteln. Gleichzeitig wurde aber bereits deutlich, daß Tung im engeren politischen Bereich der Pekinger Linie folgen wird. Schon Monate vor der Wahl hatte der Außenminister Qian Qichen beispielsweise eindeutig angekündigt, daß in Hong Kong keine Demonstrationen mehr zum Jahrestag des Massakers am Tiananmen stattfinden dürften. Tung wird solche Vorstellungen Pekings zur "political correctness" der ehemaligen Kolonie durchsetzen. Es stellt sich die Frage, wie weit diese Haltung bei der Bevölkerung akzeptiert wird. Schon die massiven anti-japanischen Demonstrationen im Herbst enthielten auch ein Element der Kritik an der Passivität Pekings. Im Januar 1997 sind aus den Hongkonger Beratergremien für Peking weitreichende Vorschläge zur Beschneidung von Demonstrationsrechten etc. in Hong Kong gekommen, die durch den chinesischen Volkskongress noch vor dem 1. Juli realisiert werden sollten. Solche Ereignisse werfen zunehmend Zweifel auf, ob Peking die politische Seite der Verträge zum Übergang künftig beachten wird.

Es gibt daher Beobachter, die fürchten, daß nach 1997 populistische Strategien verfolgt werden, um der neuen Administration Legitimität zu verleihen. Ansatzpunkt sind die wachsenden sozialen Probleme Hong Kongs, die sich unter anderem als Folge der wirtschaftlichen Integration mit Guangdong einstellen. Tung hat in seinen bisherigen Stellungnahmen zur Wirtschaftspolitik eindeutig erkennen lassen, daß er eine stärkere Hand der Regierung in der Wirtschaftspolitik wünscht (Industriepolitik, Sozialpolitik). Damit stünden einige Grundprinzipien der bisherigen Wirtschaftsordnung Hong Kongs in Frage ebenso wie etwa die Erklärung des Hong Kong Trade Development Council im März 1996, Hong Kong solle noch stärker zu einem Dienstleistungszentrum der Region ausgebaut werden. Hier deuten sich bereits jetzt erhebliche interne Konfliktpotentiale zwischen der neuen politischen Führung und dem Civil Service an, der das traditionelle politische Ethos Hong Kongs verkörpert: Im Januar fand ein öffentlicher Disput um die angekündigte restriktivere und interventionistischere Politik zwischen Tung und dem Financial Secretary, Donald Tsang, statt. Allerdings werden der Hongkonger Regierung künftig von der Standortkonkurrenz in der asiatisch-pazifischen Region enge Fesseln angelegt werden. Entscheidend ist dann, ob die Regierung der VR China der Hongkonger Führung ausreichende Freiräume zur strategischen Anpassung auch dann läßt, wenn sensible politische Fragen berührt werden.

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VR China: Probleme der Regierbarkeit

In Falle Hong Kongs wie auch in der VR China wird immer wieder deutlich, daß ein zentrales Machtmittel der KP Chinas die Kontrolle des Zugangs zu Führungspositionen in Politik und Wirtschaft ist. In vielen anderen Bereichen, die weniger leicht greifbar sind, konnte die KP jedoch den zentrifugalen Trend in Richtung zurückgehender Regierbarkeit des Landes kaum aufhalten. Nach außen wird dies kunstvoll verborgen, indem manche politische Maßnahmen, die eigentlich nur den faktischen Status quo formalisieren, in einer Weise ergriffen werden, daß Steuerungsfähigkeit suggeriert wird. Beispielsweise wird dies regelmäßig in den amerikanisch-chinesischen Handels-Konflikten deutlich, die wegen der einflußreichen Position der USA für Chinas Beitritt zur WTO so wichtig sind: Peking fällt es leicht, Liberalisierungsmaßnahmen wie den Übergang zur Konvertibilität bei laufenden Transaktionen (1.12.1996) als eine Erfüllung der Zutrittsbedingungen zur Welthandelsorganisation darzustellen, während es um so schwerer fällt, den Schutz geistiger Eigentumsrechte zu garantieren, da dies im Inneren ein funktionsfähiges Rechts- und Verwaltungssystem voraussetzt. Die chinesische Führung kann das Seil lockern, mit dem es die Gesellschaft gängelt, aber sie nicht mit dem Seil in eine bestimmte Richtung ziehen.

Eine Ursache dieser allmählichen Erosion zentralstaatlicher Lenkungspotentiale besteht im innerchinesischen Standortwettbewerb um ausländische Direktinvestitionen. Er definiert auf der einen Seite bislang eindeutige Machtpositionen solcher Regionen, die einen besonders starken Zustrom erfahren und mithin relativ unabhängig von Mittelzuweisungen aus Peking sind: Gerade die reicheren Provinzen konnten nach der Steuerreform von 1994 erneut Ausnahmeregeln im Umverteilungsprozeß durchsetzen, die mindestens ihren Status quo wahrten. Auf der anderen Seite werden institutionelle und administrative Restriktionen Pekings (etwa mit industriepolitischen Zielen) immer mehr durch die Anstrengungen der weniger begünstigten Standorte unterwandert, die Direktinvestitionen anziehen wollen. Insofern scheint sich ein Paradox zu zeigen: Gerade der wirtschaftliche Erfolg, der so notwendig ist, um die Legitimität der KPCh und der Pekinger Zentralregierung zu wahren, untergräbt die Machtgrundlage Pekings. Ein britischer China-Experte bezeichnete dies jüngst als die Auswirkungen von "downwardly mobile strategies" der verschiedenen Regionalregierungen, die als "local states" operierten. Auf diese Weise wird einerseits die Position Pekings geschwächt, andererseits aber - etwa wegen der fiskalischen Vergünstigungen für Investoren - sägen die "local states" aber auch am eigenen Ast, auf dem sie sitzen. Insofern gewinnt die wirtschaftliche Dynamik weitreichende politische Dimensionen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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