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4. Stand der Reformen



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Zentralverwaltung

Der Ersatz des Privatisierungsministeriums durch ein neu geschaffenes Schatzamt-Ministerium am 1.10. 1996 war der Startschuß für ein groß angelegtes Projekt zur Rationalisierung und Straffung der polnischen Zentralverwaltung und ihrer Anpassung an die Zeiten der modernen Marktwirtschaft.

Bis jetzt arbeitete die Regierung eher als loser Verbund von Ministerien, die sich weniger mit Regieren als mit Verwalten beschäftigten. Ihre Koordination war beschränkt, ihre Vollmachten und Verantwortlichkeiten überlappten sich. Politische Funktionen waren nicht klar von solchen der Verwaltung getrennt. Mit der Reform sollen die Regierungskompetenz wie auch die Rolle des Premierministers gestärkt und die Wirtschaftsverwaltung den Forderungen nach Deregulierung, Entstaatlichung und modernisierter Wirtschaftsgesetzgebung angepaßt werden.

Ein dem Premierminister direkt unterstelltes neues "Kabinettsamt" soll, nach Art des deutschen Kanzleramtes, die Arbeit der Ministerien koordinieren und damit zur Effizienzsteigerung der Regierung beitragen. Die Geheimdienste werden dem Premierminister unterstellt. Minister sollen in Zukunft Entscheidungen der Regierung nach außen vertreten. Damit soll die bisher übliche Praxis der Kritik von Ministern an Regierungsbeschlüssen aber auch die Wiederholung der „Oleksy-Affäre" ausgeschlossen werden, in der ein Innenminister auf Einladung des Staatspräsidenten Spionagevorwürfe gegen seinen Premierminister erheben konnte.

Die Einführung eines Schatzamtes bezweckt die Trennung von Verwaltung und Wirtschafts- bzw. Finanzpolitik. Das Ministerium erhält die Verwaltungsfunktion von Staatseigentum aus siebzig unterschiedlichen Stellen, Ministerien und Wojewodschaften. Nach der neuen Philosophie sollen Ministerien in erster Linie strategische, koordinierende Aufgaben und die Vorbereitung legislativer Prozesse wahrnehmen, dafür von unmittelbaren Verwaltungs- und Managementaufgaben in staatlichen Unternehmen entlastet werden. In den Ministerien selbst sollen politische und administrative Funktionen klarer getrennt werden. Alle Ministerien erhalten eine standardisierte Organisationsstruktur mit politisch unabhängigen, permanenten Rechts-, Finanz-, Personal- und Informationsabteilungen sowie einer politischen Ebene, die bei Regierungsumbildungen ausgewechselt werden kann.

Nach Vollendung der Reform wird das neue Ministerium für Inneres und Verwaltung das mächtigste im Staatsaufbau sein. Es vereinigt Polizei, Regierungsverwaltung inklusive der Aufsicht über die Wojewodschaften, das kommunale Management und den staatlichen Bausektor mit der Zuständigkeit für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, die Feuerwehr, den Grenzschutz sowie für Fragen ethnischer Minderheiten. Zudem ist es zuständig für die Reform der öffentlichen Verwaltung und eine - angesehene - Verwaltungsakademie.

Auch von Oppositionsseite wird das Reformpaket als großer Schritt hin zu einer effizienteren Regierungsarbeit begrüßt. Es scheint so, daß es der erste und wahrscheinlich einzige große Reformerfolg der Regierung Cimoszewicz sein wird.

Dieser ist um so wichtiger, als die beabsichtigten Prozesse der Dezentralisierung, Einführung von Kreisen und Reduzierung der Wojewodschaften von derzeit 49 auf 19 oder 12 vor den Wahlen nicht gegen die PSL durchgesetzt werden können.

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Privatisierungsprozeß

Der Privatsektor ist Motor der polnischen Wirtschaftsdynamik. Er entwickelt sich vor allem durch zahlreiche Neugründungen privater Unternehmen. Ende 1996 arbeiteten ca. 64% der Beschäftigten im Privatsektor, sein Wertschöpfungsanteil am BIP beträgt ca. 62% (1990: 31,4%) .

Der polnische Privatisierungsprozeß läuft auf drei Wegen: Die direkte Privatisierung (auch mit vorgeschalteter Liquidation) betrifft vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Die indirekte oder Kapitalprivatisierung sieht die Umwandlung von staatlichen Unternehmen in weiterhin staatliche Kapitalgesellschaften vor sowie den anschließenden Verkauf der Anteile oder Aktien dieser Gesellschaften an private Investoren und dabei vor allem an größere Firmen. Die Massenprivatisierung richtete 15 Nationale Investmentfonds (NIF) ein und beabsichtigt einen breitgestreuten Aktienbesitz der polnischen Bürger.

Insgesamt wurde bis Ende Juni 1996 die Privatisierung in 3673 (43,5%) von ursprünglich 8441 staatlichen Betrieben eingeleitet oder vollendet. Nach langen Verzögerungen startete Ende 1995 das sog. Massenprivatisierungsprogramm (MPP). Die zunächst 512 Unternehmen des MPP werden von Nationalen Investmentfonds (NIF) verwaltet, die zusammen 60% des Eigenkapitals der Betriebe erhielten. 15% werden an die Mitarbeiter kostenlos abgegeben, die restlichen 25% bleiben zunächst im Staatsbesitz. Für jedes Unternehmen spielt einer der Fonds die Rolle des „Lead-Fonds", d.h., jeder der 15 Fonds hat bei jeweils etwa 30 zu privatisierenden Unternehmen mit einem Kapitalanteil von 33% die Unternehmensführung übernommen, weitere 27% jedes Unternehmens wurden gleichmäßig auf alle Fonds verteilt. Die NIF werden durch Konsortien gemanagt, in denen sich Investmentbanken und ausländische Beratungsunternehmen zusammengefunden haben. Bisher haben etwa 95% der rund 28 Mio. volljährigen Polen für einen Stückpreis von 20 Zloty je einen NIF-Anteilschein erworben. Die Preise der Anteilscheine sind auf den Sekundärmärkten inzwischen um das Siebenfache des ursprünglichen Ausgabekurses gestiegen. Im Jahresverlauf 1997 sollen die NIF-Anteilscheine in vollwertige Aktien der Fonds umgewandelt werden. Von Kritikern und Befürwortern dieser polnischen Variante der Massenprivatisierung wird festgestellt, daß das polnische Privatisierungsmodell, stärker als beispielsweise das tschechische, die Leistungsfähigkeit der zu privatisierenden Unternehmen dem Kriterium der gesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit der Privatisierungsgewinne vorangestellt hat.

Ein ursprüngliches Ziel der Massenprivatisierung war es, Jahrzehnte nach der konquistadorischen Verstaatlichung große Teile des Staatseigentums an die privaten Haushalte zu verteilen. Zudem sollten der früheren Nomenklatura und ausländischen Investoren ein Zugriff auf zu große Teile des Staatsvermögens verwehrt werden. Als drittes Ziel galt die Stärkung der Kapitalmärkte und die Gewöhnung eines größeren Teils der Bevölkerung an deren Regeln. Die großen Verzögerungen bei seiner Implementierung und die relativ geringe Masse der an die Bevölkerung transferierten Vermögenswerte lassen daran zweifeln, ob die ursprünglich anvisierten Ziele - bis auf das letztgenannte - erreicht werden konnten.

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Landwirtschaft

Auf dem Lande leben in Polen 14,7 Mio. Menschen, also etwa 38% der Gesamtbevölkerung. Von der Landwirtschaft leben etwa 25% der erwerbstätigen Bevölkerung, davon allerdings viele auch als Nebenerwerbsbauern. Ihr Beitrag für das BIP beträgt 6,5%.

Nach der Wende von 1989 glaubte man, die polnische Landwirtschaft sei kein schwieriger Fall für den Transformationsprozeß. Etwa 2 Mio. kleine, durchschnittlich 6 ha große private Bauernhöfe besaßen 76% der landwirtschaftlichen Nutzfläche und produzierten 84% des landwirtschaftlichen Outputs. Davon waren etwa ein Viertel Nebenerwerbsbetriebe.

Daneben gab es, vor allem im Norden und Westen des Landes, 1.300 staatliche Agrarbetriebe mit einer Durchschnittsgröße von 2.700 ha und 2.300 Genossenschaften mit durchschnittlich 300 ha.

Während der ganzen Nachkriegsperiode wurde die Agrarwirtschaft stark subventioniert. 1989 wurden 10,8% des BIP bzw. 28,3% des Staatshaushaltes oder fast 57% des nominalen Werts des gesamten Verbrauchs an heimischen Agrargütern für landwirtschaftliche Subventionen ausgegeben. Nach der Wende wurden die Subventionen erheblich geringer und veränderten ihre Struktur. Zudem litt die Landwirtschaft unter einer erheblichen Verschlechterung der intersektoralen terms-of-trade. Es zeigte sich, daß der Agrarsektor bestenfalls mittlere Qualitäten zu teuer produzierte und nicht mit den subventionierten Importlebensmitteln der EU konkurrieren konnte. Als Folge sank das reale Pro-Kopf-Einkommen privater Bauern zwischen 1989 und 1995 um ca. 40%. Etwa 35% der Bauernhöfe produzieren Verluste, die Hälfte erwirtschaftet gerade ihre Kosten und nur ca. 15% produzieren Gewinne, die reinvestiert werden können.

In der Landwirtschaft kam es nach der Wende zu einem bemerkenswerten Generationswechsel. Während in den späten 80er Jahren etwa die Hälfte der Bauern über 60 Jahre alt war, waren Mitte der 90er 50% jünger als 45 Jahre. Der leichtere Zugang zu Pensionen für ältere Bauern und der Mangel an Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des Landwirtschaftssektors für die Jüngeren erleichterten diese Entwicklung. Während in den 80er Jahren Subventionen für Produzentenpreise vorherrschten, werden heute Beihilfen in Form von Zuschüssen für die Sozialversicherung der Bauern, die fast ausschließlich durch den Staatshaushalt bezahlt wird, gewährt. Andere Subventionsformen sind die Befreiung landwirtschaftlicher Güter von der Mehrwertsteuer, ein liberales Einkommensgesetz für Bauern, geringe Vermögenssteuer und Subventionen zur Zinsverbilligung von Krediten. Die staatliche Unterstützung bezogen auf die Produktionsfläche für die polnische Landwirtschaft beträgt etwa ein Drittel des EU-Durchschnitts. Der Subventionsanteil am bäuerlichen Bruttoeinkommen sank in Polen von 43% im Jahre 1986 auf etwa 20% im Jahre 1995. Damit ist er erheblich geringer als in fast allen OECD-Ländern.

Die Privatisierung von staatlichen Farmen wird durch eine dafür eingerichtete landwirtschaftliche Privatisierungsagentur betrieben. Nach Daten von Anfang 1996 hat diese Agentur praktisch die gesamte staatliche Agrarfläche übernommen, aber lediglich 7% verkauft, allerdings 76% mit Vorkaufsrecht im Durchschnitt für 10 Jahre verpachtet. Gründe für den geringen Verkaufserfolg sind die Kapitalknappheit polnischer Käufer und die bisher ungelösten Eigentumsfragen wie auch die gesetzlichen Beschränkungen für ausländische Käufer.

In den letzten fünf Jahren ist weder die landwirtschaftliche Beschäftigung signifikant gesunken, noch ist die durchschnittliche Größe der Bauernhöfe wesentlich gestiegen. Auch die Arbeitsproduktivität hat mit 10% im Vergleich zur Steigerung der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität in der Wirtschaft Polens (25%) nur unterproportional zugenommen. Die offene und versteckte Arbeitslosigkeit auf dem Lande ist gestiegen und wird heute auf etwa
2 Mio. Menschen geschätzt. Der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten wird sinken müssen, die Schnelligkeit des Wandels wird davon abhängen, ob außerhalb der Landwirtschaft, vor allem in ländlichen Gegenden, Arbeitsplätze geschaffen werden können. Nach Einschätzung der OECD hat die polnische Landwirtschaft große bisher ungenutzte Produktivitätspotentiale in Form von zunehmender Rationalisierung landwirtschaftlicher Inputs und der Modernisierung der Landwirtschaft vorgelagerter und nachgelagerter Sektoren. Durch die Netto-Import-Überschüsse der EU hat Polen jedoch zunehmend protektionistische Maßnahmen getroffen. Diese Angleichung an die protektionistischen Politiken des gemeinsamen Agrarmarkts der EU wird eine spätere Integration für Polen schwieriger machen, da sie die benötigten strukturellen Anpassungen verlangsamt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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