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Von der Mühsal des inneren Friedens

In einer Ende November 1996 veröffentlichen Meinungsumfrage äußerten 47 Prozent der Israelis die Überzeugung, daß es zu einem Bruderkrieg zwischen religiösen und säkularen Juden kommen werde (verächtlicher Kommentar eines säkularen Intellektuellen dazu: es kann keinen Bruderkrieg geben, weil dies nicht unsere Brüder sind). Eine vom Erziehungsministerium zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichte Studie aus dem Jahre 1994 kommt zum Ergebnis, daß israelische (jüdische) Jugendliche zumeist konservativ und national gesinnt sind, immer noch in der Armee dienen wollen, Araber hassen und sich ein stärkeres politisches Regime wünschen. Und eine weitere Umfrage des renommierten Soziologen Samoukha von der Universität Haifa fand heraus, daß 31 Prozent der jüdischen Bürger Israels am liebsten ihren arabischen Mitbürgern das Wahlrecht entziehen würden und 58 Prozent einen nicht-demokratischen jüdischen Staat einem demokratischen nicht-jüdischen Staat vorziehen.

Auch wenn es richtig ist, daß Meinungsumfragen lediglich Zeitaufnahmen sind, so spiegeln diese Ergebnisse doch einen bedenklichen Trend wider, der schon seit längerem anhält und der im Wahlergebnis vom 29. Mai 1996 seinen realpolitischen Ausdruck fand. Zwar siegte bei der erstmals durchgeführten Direktwahl des Ministerpräsidenten der Führer des konservativen Likud-Blocks, Benjamin Netanyahu, mit lediglich 50,4 Prozent der Stimmen gegenüber 49,5 Prozent für Ministerpräsident Shimon Peres von der sozialdemokratischen Arbeitspartei. Aber bei den Parlamentswahlen vom gleichen Tage kam die zunehmende Fragmentierung der israelischen Gesellschaft entlang ethnischer, religiöser und sozialer Trennlinien ungebremst zum Ausdruck. Das neue Wahlgesetz, von seinen Erfindern als Instrument gegen die Zersplitterung der Parteienlandschaft gedacht, hatte das genaue Gegenteil bewirkt. Religiöse, ethnische und "single issue"-Parteien erhielten zusammen 35,4 Prozent der Stimmen und über ein Drittel der Sitze in der Knesset. Die beiden großen Parteien als "Klammern der Nation" auf der Rechten und der Linken, Likud und Arbeitspartei, kamen zusammen auf wenig mehr als die Hälfte der Stimmen und 55 Prozent der Sitze (siehe Grafik).


Partei:

Prozent:

Sitze:




"Nationale Parteien:"



Arbeitspartei (sozialdemokratisch)

26.8

34

Likud (national-konservativ)

25.1

32

Meretz (links-liberal)

7.4

9

Moledet (rechtsradikal)

2.3

2




Zusammen:

61.6

77




"Fragment-Parteien"



Shas (sephardisch-religiös)

8.5

10

Mafdal (national religiös)

7.8

9

Yisrael Ba'Aliya (russ. Einwanderer)

5.7

7

Hadash (kommunistisch-arabisch)

4.2

5

Vereinte Thora Liste (orthodox)

3.2

4

Der Dritte Weg (Golan-Höhen)

3.1

4

Vereinte Arabische Liste

2.9

4




Zusammen:

35.4

43




Wie oft in der Geschichte ist auch bei dieser Entwicklung viel Ironie im Spiel: Die von 1992 bis 1996 mit Hilfe der arabischen Parteien regierende Linke hat durch ihre erfolgreiche Friedenspolitik die Voraussetzungen für diese hemmungslose Entfaltung des politischen Egoismus geschaffen. Erst durch den Wegfall des äußeren Drucks, der Israel in den ersten vierzig Jahren seines Bestehens quasi gewaltsam zusammengeschweißt und aus Menschen unterschiedlichster Herkunft eine Nation formiert hatte, war das offene und politisch wirksame Aufbrechen religiöser und ethnischer Separatismen in diesem Ausmaß möglich. Und eine weitere Ironie tut sich auf: in dem Moment, in dem die neue Rechtsregierung wieder stärker auf Konfrontationskurs mit den arabischen Nachbarn steuert, ist die Nation gespalten wie nie zuvor. Und diese Spaltung ist nicht nur ein Resultat der Friedenspolitik an sich, wie die Rechte behauptet, sondern sie hat auch damit zu tun, wie sie sich innenpolitisch auswirkte. Der für die Arbeitspartei neu gewählte Knesset-Abgeordnete und Politologe Shlomo Ben-Ami, selbst sephardischer (das heißt orientalischer) Herkunft, argumentiert, daß die Friedensdividende in Israel äußerst ungleich verteilt wurde. Profitiert hätte das linke, ashkenasische (das heißt europäische) Establishment, während sich die wirtschaftliche Situation der unterprivilegierten orientalischen Juden unter der Regierung der Arbeitspartei verschlechtert habe - trotz der insgesamt günstigen wirtschaftlichen Entwicklung mit Wachs-tumsraten von über und Arbeitslosenraten von unter sechs Prozent.

Das erklärt nicht alles, macht aber deutlich, wie wenig auch nach innen gewendet sogenannte einfache Wahrheiten am Platze sind; der Friedensprozeß ist eben nicht nur eine außenpolitische Angelegenheit, die am Kabinettstisch entschieden werden kann, sondern er setzt Kräfte und Mechanismen im Inneren frei, die - außer Kontrolle geraten - auch den Friedensprozeß nach außen gefährden können. So stimmt das Bild, das die israelische Gesellschaft derzeit bietet, nicht gerade optimistisch im Hinblick auf den Friedensprozeß:

- Die säkularen Kräfte sind zu etwa gleichen Teilen gespalten in rechts und links. Die Linke, auf der politischen Ebene repräsentiert durch die Arbeitspartei und ihren früheren Koalitionspartner, die linksliberale Meretz, befindet sich derzeit in der Defensive. Beliebt sind Darstellungen in den israelischen und ausländischen Medien über den Hedonismus der Jugend am Strand von Tel Aviv und in den Szenekneipen der Shenkin-Straße, wo man sich im post-modernen Dekor Gedanken über Auswanderung oder ersatzweise Gründung eines Freistaates Tel Aviv macht.

- Die säkulare Rechte, deren politische Vertretung der Likud-Block und die kleine rechtsradikale Moledet ist, repräsentiert einen Großteil der orientalischen Juden und versucht sich derzeit in der Koexistenz und Kooperation mit den Religiösen. Dies ist wegen der hohen staatlichen Ausgaben für das religiöse Bildungs- und Sozialsystem teuer, und überdies können die national gesinnten Kräfte nicht einsehen, daß mittlerweile mehrere zehntausend junge Männer aus orthodoxen Kreisen vom Militärdienst befreit sind. Wegen der hohen Staatsverschuldung und der notwendigen Sparmaßnahmen könnte es zum Bruch mit den Religiösen kommen; dann wäre eine große Koalition die einzige Alternative.

- Die Religiösen machen heute etwa 20 Prozent der israelischen Bevölkerung aus, wobei unterschieden werden muß zwischen nationalistisch-religiösen (Mafdal-Partei), gemäßigt-religiösen (orientalische Shas-Partei) und orthodoxen (Vereinigte Thora-Liste) Kräften. Als Sperrminorität und Koalitionspartner ist ihr Einfluß unverhältnismäßig hoch und aufgrund ihrer extrem hohen Geburtenrate wird er weiter zunehmen; in Jerusalem beträgt ihr Anteil bereits 40 Prozent. Für die Zukunft verheißt der Einfluß der Religiösen nichts Gutes: mit dem Anspruch auf das biblische Israel (das heißt palästinensische Gebiete) nähern sie sich zunehmend der nationalistischen Siedlerbewegung, und gleichzeitig hat ihre Militanz zur Durchsetzung religiöser Ziele in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Im Juli 1996 demonstrierten 150 000 Ultra-Orthodoxe in Jerusalem gewalttätig für die Schließung einer Durchgangsstraße am Sabbat, es kam zu Attacken gegen zu "freizügig" gekleidete Frauen und zu kaum verhüllten Aufrufen, gegen den Obersten Gerichtshof und seinen Präsidenten Barak wegen "anti-religiöser" Urteile vorzugehen;

- Die arabische Minderheit zählt ebenfalls fast 20 Prozent der Bevölkerung, und auch sie wächst aufgrund der hohen Geburtenrate überdurchschnittlich. Ihre Vertreter in der Knesset haben in den letzten Jahren die linke Minderheitsregierung gestützt und damit die Friedenspolitik ermöglicht. Doch nimmt unter den Arabern die Unzufriedenheit mit ihrem Status als Bürger zweiter Klasse zu, und in gleichem Maße wächst der Einfluß islamistischer Gruppen und die Bereitschaft, militanter für die eigenen Ziele einzutreten. So kam es während der israelischen Militäraktion im Süd-Libanon im Frühjahr 1996 ebenso zu Unruhen in arabischen Gemeinden Israels, vor allem in Nazareth, wie auch während der September-Kämpfe in den palästinensischen Gebieten.

- Die jüdischen Einwanderer aus der früheren Sowjetunion machen mittlerweile fast 15 Prozent der israelischen Bevölkerung aus. Allein die Integration von etwa 700 000 Neuankömmlingen in den letzten sieben Jahren bei einer Gesamtbevölkerung von knapp sechs Millionen grenzt an ein ökonomisches Wunder, hat sich doch die Wirtschaft trotz der Belastung in diesen Jahren positiv entwickelt. Doch haben die "Russen", wie sie allgemein genannt werden, ihre eigene Subkultur mit Zeitungen, Geschäften und Restaurants entwickelt. Daß sie bei den letzten Wahlen zu einem Großteil für die Partei des früheren Sowjetdissidenten Sharansky stimmten, hat die Arbeitspartei den Sieg gekostet.

Diese Gespaltenheit der israelischen Gesellschaft wird angesichts der knapper werdenden Güter in Zukunft noch zunehmen und die Verteilungskämpfe werden sich verschärfen, da die neuesten Wirtschaftsdaten alle nach unten zeigen. Die hohe Staatsverschuldung zwingt zu schmerzhaften Einschnitten in das soziale Netz, das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich, und die von den neoliberalen Kräften in der Regierung angestrebte Privatisierung der immer noch staatslastigen Wirtschaft wird die Arbeitslosigkeit nach oben treiben. Bei der Durchsetzung seiner ökonomischen Ziele muß Netanyahu gegen die Interessen eines Großteils seiner eigenen Klientel handeln, vor allem der Religiösen und der orientalischen Juden. Die Auseinandersetzungen um den Haushalt 1997, bei denen die Regierung große Abstriche gegenüber ihren ursprünglichen Sparplan zugunsten der "Fragment"-Parteien machen mußte, zeigen dies deutlich. Für den Zielkonflikt zwischen politischen und wirtschaftlichen Zielen bieten sich zwei Auswege: Die Konfrontation nach außen, um erneut ein Einheitsgefühl herzustellen und die ökonomischen und sozialen Widersprüche zu übertünchen. Oder ein "renversement des alliances", wobei die ideologischen Grundlagen der israelischen Rechten zugunsten der pragmatischen ökonomischen Interessen in einer großen Koalition mit dem linken Establishment geopfert würden. Auf diese Grundsatzentscheidung wartet man seit dem Amtsantritt Netanyahus.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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