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Wo bleiben die Friedenskräfte ?

Daß der Friedensprozeß im Nahen Osten gefährdet ist, liegt vor allem an dieser unklaren Situation, an der zwischen Aggressivität und Unsicherheit schwankenden Politik der Regierung Netanyahu. Ein Grund ist aber auch die nicht zu übersehende Schwäche der Friedensbewegung in Israel, die seit der Ermordung von Rabin und vollends seit ihrer Wahlniederlage in die Defensive geraten ist. Symbolhaft dafür waren die Trauerfeiern zum ersten Jahrestag der Ermordung Rabins im November 1996, die zwar noch einmal Hunderttausende mobilisierten, dann aber in einer seltsam lethargischen Stimmung verpufften. Die verschiedenen Friedensgruppen, Bürgervereinigungen und Institutionen der Arbeiterbewegung setzen zwar unverdrossen ihre Arbeit fort, doch in der Öffentlichkeit werden sie nur noch wenig wahrgenommen.

Das wäre eigentlich die Aufgabe der beiden früheren Regierungsparteien, der Arbeitspartei und Meretz, die zusammen über immerhin noch mehr als ein Drittel der Parlamentssitze verfügen und damit ein Öffentlichkeitsforum zur Verfügung haben. Doch Schlagzeilen macht Meretz kaum noch; das Parteienbündnis von linkssozialistischer MAPAM und zwei Bürgerrechts-vereinigungen, einst der Stachel im Fleisch der konservativen Kräfte und in gewisser Weise den Grünen in Deutschland vergleichbar, ist damit beschäftigt, sich organisatorisch zu festigen und aus dem lockeren Verbund eine schlagkräftige Partei zu schmieden. Das läßt für die Zukunft hoffen, ändert aber nichts an der desolaten Lage der Friedenskräfte.

Wichtiger für den Ausgang des Friedensprozesses ist die Arbeitspartei, ohne die kein grundlegender Wechsel in der israelischen Politik möglich ist. Doch die Arbeitspartei macht zwar Schlagzeilen, aber nicht in einer Form, die den Friedensprozeß beeinflussen könnte. Seit ihrer Wahlniederlage befindet sie sich in einer Führungskrise, die den Willen zur politischen Gestaltung lähmt. Nur langsam zeichnen sich Konturen eines Auswegs aus dieser Krise ab, der Hoffnung zuläßt, daß die Partei wieder aktiv in das politische Geschehen eingreift, bevor es zu einer nicht auszuschließenden Explosion im Nahen Osten kommt. Allerdings wird es voraussichtlich bis Juni 1997 dauern, bis die Partei wieder richtig Tritt fassen kann. Dann nämlich soll - nach der Verzichtserklärung von Parteichef Shimon Peres - ein neuer Parteivorsitzender in Direktwahl ermittelt werden. Mehrere Kandidaten für seine Nachfolge stehen bereit, von denen der frühere Generalstabschef und Außenminister Ehud Barak nach Meinungsumfragen die besten Aussichten hat. Konkrete Vorschläge für eine Friedensregelung zumindest mit den Palästinensern bietet einstweilen der Chefarchitekt des Oslo-Abkommens und frühere Minister Yossi Beilin an, der ebenfalls seine Kandidatur angemeldet hat.

Falls es vorher jedoch zu einer Regierung der nationalen Einheit kommen würde, die Netanyahu aus den erwähnten Gründen anstreben könnte, dann würde wieder ein Mann den Friedensprozeß entscheidend mitbeeinflussen können, der die Vision von einem "neuen Nahen Osten" entwickelt hat: der Friedensnobelpreisträger Shimon Peres. Die Chancen für eine solche Konstellation sind nicht ungünstig, da Netanyahu immer stärker unter den Druck der extremen Rechten gerät, die den Friedensprozeß insgesamt ablehnt und die jüdischen Siedlungen in der Westbank ausbauen möchte. Für viele im extrem nationalen und religiösen Lager gilt der israelische Ministerpräsident schon jetzt als Verräter, und sein Leben muß gegen Anschläge von rechts noch mehr geschützt werden als das seiner linken Opponenten. Aber selbst im eigenen Kabinett wackelt Netanyahus Mehrheit sowohl in ökonomischen wie zunehmend auch in Fragen des Friedensprozesses. Nur seine starke Stellung aufgrund der Direktwahl des Ministerpräsidenten und die Schwäche der Arbeitspartei haben ihn bisher mehr schlecht als recht über die Runden kommen lassen.

Nach Hebron steht die eigentliche Schicksalfrage Israels in den nächsten Jahren an: die Verhandlungen über eine endgültige Regelung mit den Palästinensern, bei denen es Antworten braucht auf die Frage der Eigenstaatlichkeit der palästinensischen Gebiete, der Zukunft Jerusalems und der Rückkehr von Flüchtlingen aus den arabischen Nachbarstaaten. Diese Schicksalsfrage dürfte wohl nur im breiten Konsens, das heißt mit Zustimmung der Arbeitspartei beantwortet werden können. Die Vorbereitungen dazu sind bereits angelaufen: unter Leitung von Yossi Beilin und des Likud-Fraktionsvorsitzenden Michael Eitan arbeitet seit Monaten eine gemischte Arbeitsgruppe an einem Konzept für die endgültige Friedensregelung. Und hinter den Kulissen sind weitere Bestrebungen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern im Gange, eine möglichst breite Konstellation von Friedenskäften zu schaffen. Die drohende Explosion könnte noch verhindert werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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