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Europa, Amerika und der Friedensprozeß

Angesichts solcher Perspektiven und der sich abzeichnenden Neuformierung des nahöstlichen Kräftefeldes sind die externen Akteure des Friedensprozesses - in erster Linie natürlich Amerika, dann aber auch Europa und zunehmend wieder Rußland - gefordert, ihren mäßigenden Einfluß auszuüben. Dies stellt sich aber als schwieriger dar, als es auf den ersten Blick zu sein scheint.

In erster Linie gefordert sind die Amerikaner, für die 1996 im Hinblick auf den Nahen Osten als ein verlorenes Jahr erscheinen muß. Zunächst engagierte sich Präsident Clinton so eindeutig auf der Seite von Shimon Peres, daß er nach den israelischen Wahlen im Mai als zweiter Verlierer gelten konnte. Er initiierte im März den Gipfel im ägyptischen Sharm el-Sheikh, auf dem Vertreter von 29 Staaten, darunter neben Clinton der russische Präsident Jelzin, Bundeskanzler Kohl, der französische Staatspräsident Chirac, Israels Ministerpräsident Peres sowie Staatsoberhäupter und Regierungsvertreter aus 13 arabischen Staaten teilnahmen, um offiziell den internationalen Terrorismus zu verurteilen, faktisch aber, wie es die im Wahlkampf besonders empfindliche israelische Rechte indigniert vermerkte, um Peres kurz vor den Wahlen den Rücken angesichts der Terroranschläge in israelischen Städten zu stärken. Danach reiste Clinton nach Israel, um als erster amerikanischer Präsident vor dem israelischen Kabinett seine Solidarität und Unterstützung zu bekunden. Nach dem Wahlsieg Netanyahus machte dieser auf einer in den israelischen Medien als geradezu triumphal erscheinenden Rede vor dem amerikanischen Kongreß im Juli klar, daß Israel sich dem Druck von keiner Seite beugen würde und sogar danach strebe, die Abhängigkeit von amerikanischen Finanzhilfen mittelfristig abzubauen.

Auch die Wiederwahl Clintons am 5. November und die Neubildung seiner Regierung mit Madeleine Albright als Außenministerin dürfte trotz der offensichtlichen Dissonanzen mit Israels Rechtsregierung nichts am grundsätzlichen Nahostkurs der amerikanischen Regierung ändern. Zu sehr sind die USA sowohl wegen der einflußreichen jüdischen Gemeinschaft im eigenen Land wie auch aus außenpolitisch-strategischen Gründen an einer dauerhaften Allianz mit Israel interessiert. Bei aller Kritik an manchen Aspekten der israelischen Politik und sogar zeitweise ernsthafter Krisen im bilateralen Verhältnis war und ist Israel für Washington der zuverlässigste Partner im Nahen Osten (neben der Türkei, die aber nach der Wahl des Islamisten-Führers Erbakan zum Regierungschef im Juni 1996 als nicht mehr so sicher gilt). Und diese Region ist für den gesamten Westen nach wie vor von elementarer Bedeutung. War es im Kalten Krieg vor allem die Angst vor dem Einfluß der Sowjetunion und einer damit möglicherweise einhergehenden Gefahr für die Ölversorgung, so stehen heute die Bedrohung der arabischen Regime durch islamistische Bewegungen, der von der Region ausgehende Terrorismus und die Gefahr nuklearer Aufrüstung im Vordergrund. Daraus ergeben sich gemeinsame Interessen auch mit den meisten arabischen Staaten: für Ägypten sind die USA der wichtigste Lieferant von ziviler und militärischer Hilfe, für Saudi-Arabien und die Golfstaaten der Garant für deren Unverletzlichkeit, wie der Golfkrieg gezeigt hat.

Die Abwehr der genannten Bedrohungen und der Aggressionsabsichten der Paria-Staaten Irak und Iran war der kleine gemeinsame Nenner, auf dem Rabin und Peres ihre Friedenspolitik aufbauten. Und als vermittelnde, für alle Seiten akzeptable Instanz fungierten die USA. Diese gemeinsamen Interessen erklären auch, warum die Amerikaner immer noch als die einzigen ernsthaften Vermittler anerkannt sind, trotz der Tatsache, daß Clinton als der Israel-freundlichste Präsident in der amerikanischen Geschichte gilt und trotz der wiederholten verbalen Bekundungen aus dem arabischen Lager, die Europäer möchten doch eine wichtigere Rolle im nahöstlichen Friedensprozeß einnehmen (was von Netanyahu brüsk vom Tisch gefegt wurde).

Eine solche Rolle streben vor allem die Franzosen an, wie der Staatsbesuch von Chirac im Nahen Osten im Oktober deutlich machte. Allerdings profilierte sich der französische Präsident in den Augen der Israelis eher als Araber-Freund, der vor allem durch seine demonstrative Unterstützung der palästinensischen Sache sich für die israelische Seite als potentieller Vermittler diskreditierte. Daß es bei seinem Besuch in der (arabischen) Altstadt von Jerusalem zu den weltweit ausgestrahlten rüden Auseinandersetzungen mit den israelischen Sicherheitsbeamten kam, hat die gegenseitige Abneigung wohl nur noch verstärkt, ebenso wie der triumphale Empfang, der ihm in den Nachbarstaaten Ägypten, Syrien, Jordanien und Libanon bereitet wurde. Allerdings wittern nicht nur die Israelis sondern auch andere europäische Länder hinter Chiracs Bestreben, den Europäern im nahöstlichen Friedensprozeß eine stärkere Geltung zu verschaffen, kaum verhüllte nationale Interessen Frankreichs, die viel mit der Erschließung neuer Märkte und insbesondere dem Verkauf von Rüstungsgütern zu tun haben. So bremsten vor allem die Deutschen, aber auch andere EU-Mitglieder, den französischen Drang, ein Gegengewicht zu den USA im Nahen Osten zu schaffen. Ein typischer EU-Kompromiß in dieser Frage führte zu der Ernennung des (relativ niederrangigen) spanischen Botschafters in Israel, Moratinos, zum europäischen Sonderbeauftragten für den Nahen Osten mit wenig klaren Kompetenzen und Aufgaben. Auf der anderen Seite äußerten die Europäer ihren deutlichen Unwillen über den Kurs der neuen israelischen Regierung durch die Gewährung von Sonderhilfen für die palästinensische Autonomiebehörde und die Erteilung eines Mandats für die EU-Kommission, mit den Palästinensern über ein Assoziierungsabkommen zu verhandeln, was von den Israelis als Verstoß gegen ihre hoheitlichen Rechte interpretiert wird.

Die politische Entwicklung im Nahen Osten seit dem Machtwechsel in Israel ist unter anderem gekennzeichnet von diesem Spannungsverhältnis zwischen amerikanischen und europäischen Interessen, wobei die letzteren eher mit französischen Interessen gleichzusetzen sind. Im engen Zusammenhang damit steht die Debatte über neue Allianzen und Kräftekonstellationen in der Region, die in den israelischen Medien unter Rückgriff auf amerikanische und europäische Diskussionen geführt wird. Danach zeichnen sich folgende Konstellationen ab:

- Ein regionales Zentrum, gruppiert um Israel, mit Jordanien und den palästinensischen Gebieten als Juniorpartner und unter Einschluß einiger Golfstaaten (wie Oman und Katar). Welche Bedeutung ein solches Zentrum trotz der geringen Bevölkerungszahl der beteiligten Staaten hätte, läßt sich daraus ablesen, daß Israels Bruttosozialprodukt allein das aller Nachbarstaaten zusammen übertrifft, obwohl deren Bevölkerung mehr als vierzehnmal so groß ist. Nimmt man Israels Militärmacht hinzu, so wird verständlich, daß vor allem Ägypten und Syrien wenig Gefallen an einem solchen Modell finden, das überdies unter der Schirmherrschaft der USA stehen würde, die zusammen mit Israel zu den Hauptpromotoren der Nahost-Wirtschaftsgipfel in Casablanca (1994), Amman (1995) und Kairo (1996) gehörten. Der Schönheitsfehler an diesem Modell ist, daß es mit der Abwahl von Peres, dessen Vision von einem neuen Nahen Osten auf diesem regionalen Kern beruhte, nur noch geringe Realisierungschancen hat.

- Ein arabisches Gegenmodell mit einem geopolitischen Zentrum bestehend aus Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien, das zwar die Zugehörigkeit Israels zu der Region im Gegensatz zu früher nicht mehr leugnet, ihm aber keine Führungsrolle einräumen will. Von manchen israelischen Beobachtern wird dabei eine mehr oder weniger offene Protektion durch Europa - oder zumindest durch Frankreich - gemutmaßt. Durch den Machtwechsel in Israel sind die Chancen für dieses Modell beträchtlich gestiegen, auch für die Einbeziehung der von Netanyahu frustrierten Juniorpartner des Peres-Konzepts, Jordanien und palästinensische Gebiete.

- Schließlich gibt es die sehr vage, von der EU 1995 in Barcelona lancierte Idee einer Euro-Mediterranen Friedens- und Stabilitätszone, die nach Ansicht des deutschen Nahost-Experten Volker Perthes trotz oder gerade wegen ihres vagen Charakters in den arabischen Staaten "ein großes Maß an Zustimmung" findet. Weil das Barcelona-Projekt den Staaten, "die (noch) nicht zur Kooperation miteinander bereit sind, solche Kooperation auch nicht aufzuzwingen versucht, ist es gerade nach den israelischen Wahlen das realistischste der regionalen Projekte".

Das klingt nicht gerade vielversprechend, spiegelt aber angesichts der blutigen Geschichte der Region und ihrer aktuellen Konfliktpotentiale eine nüchterne Einsicht wider. Unklar bleibt bei all diesen Gedankenspielen die Rolle zweier wichtiger Akteure am Rande der Region: der islamischen Republik Iran, die von Israelis wie Amerikanern nach wie vor als internationale Terrorzentrale angesehen wird, und der laizistischen Türkei, die unter dem islamistischen Ministerpräsidenten Erbakan nach langem Hin und Her doch noch ein militärisches Kooperationsabkommen mit Israel abgeschlossen hat. Und welche Rolle der zwar isolierte und verarmte, aber immer noch hochgerüstete Irak unter dem Diktator Saddam Hussein in Zukunft spielen wird, bleibt ebenfalls offen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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