FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Griechisch-türkische Konfrontation um den EU-Beitrittskandidaten Zypern

Eine bislang nicht erwähnte Bedingung zur Annäherung im Ägäisstreit dürfte darin liegen, daß sich im Zypernkonflikt zumindest positive Entwicklungen abzeichnen. Genau dies ist aber derzeit nicht zu beobachten. Im Gegenteil, die fünftägigen Verhandlungen unter Vermittlung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zwischen dem zyprischen Präsidenten Glafkos Klerides und dem Vertreter der türkischen Zyprer Rauf Denktash im Juli 1997 blieben ebenso ergebnislos wie die nachfolgenden Gespräche in Glion bei Montreux. Denktash machte schließlich sein Verbleiben am Verhandlungstisch davon abhängig, daß die EU die Beitrittsverhandlungen mit Zypern absagt, was nicht nur für die Regierung der Republik Zypern, sondern auch für die EU nicht hinnehmbar war.

Die Ankündigung der Regierung der Republik Zypern, Flugabwehrraketen vom Typ S-300 aus Rußland in der Nähe der Stadt Paphos zu installieren, hat die Konfrontation der politischen Führungen beider Volksgruppen in Zypern ebenso zugespitzt wie zwischen Athen und Ankara. Die Regierung Klerides verfolgt mit der beabsichtigten Raketenstationierung offensichtlich mehrere Ziele: Zunächst einmal soll die Lufthoheit der Türkei über Zypern beendet werden, ferner soll der Luftwaffenstützpunkt Paphos im Fall eines Konflikts für den Anflug von griechischen Militärflugzeugen offengehalten werden. Zypern hat bekanntlich zwar eine Nationalgarde von rund 13.000 Mann, aber keine eigene Luftwaffe. Mit dem Ausbau von Paphos zum Luftwaffenstützpunkt und seiner militärischen Sicherung wird die gemeinsame Verteidigungsdoktrin umgesetzt, die Zypern mit Griechenland im November 1993 vereinbart hat. Aus demselben Grund fanden im Oktober 1997 auch gemeinsame Manöver der zyprischen Nationalgarde mit griechischen Luft- und Seestreitkräften unter Beteiligung von drei Fregatten, drei Torpedobooten, zwei U-Booten und einem Geschwader der griechischen Luftstreitkräfte statt. Als der griechische Verteidigungsminister Tsochatsopoulos von der Teilnahme an der Manöver-Abschlußparade nach Athen zurückflog, wurde sein Flugzeug im Luftraum von türkischen Jagdflugzeugen bedrängt. Nach türkischer Interpretation hat Griechenland mit dem Manöver gegen die Erklärung von Madrid und das dort beschlossene Moratorium für militärische Flüge im zyprischen Luftraum vertoßen.

Über die Motive der zyprischen Regierung läßt sich neben den genannten Gründen wie folgt begründet spekulieren: Erstens scheinen die griechischen Zyprer Druck auf die Inseltürken und auf die Türkei ausüben zu wollen, um sie gegenüber dem Vorschlag von Klerides aufgeschlossener zu machen, Zypern zu entmilitarisieren. Klerides hat wiederholt erklärt, daß der Süden auf die Aufrüstungspläne und die Raketenstationierung verzichten würde, wenn im Norden Zyperns nicht 40.000 türkische Soldaten und 300 Panzer stationiert wären. Zweitens scheint die Regierung Klerides auch die internationale Öffentlichkeit und insbesondere die USA beeinflussen zu wollen, um die Bemühungen zur Vermittlung im Zypernkonflikt ernsthafter und mit mehr Nachdruck zu verfolgen. Wie immer auch der Streit um die Raketen ausgehen wird, eines ist klar: Athen ist keineswegs unbeteiligter Dritter, sondern (nicht zuletzt wegen der gemeinsamen Verteidigungsdoktrin) direkt betroffen. Und über Griechenland wird sich auch die EU - ob sie will oder nicht - mit der Problematik befassen müssen. Zypern steht schließlich in der vordersten Reihe der Beitrittskandidaten, wie die von der Kommission jüngst vorgelegte "Agenda 2000" noch einmal bestätigt hat. Obendrein hat der griechische Außenminister bereits gewarnt, daß sein Land den Amsterdamer Vertrag nicht ratifizieren werde, wenn die EU-Beitrittsverhandlungen mit Zypern nicht eröffnet würden. Er hat damit auf in Bonn, Rom und London im Frühjahr und Sommer 1997 mehrfach geäußerte Vorbehalte reagiert, daß Zyperns EU-Mitgliedschaft von einer Beendigung des Konflikts auf der Insel abhänge. Der derzeitige Staatssekretär im Athener Außenministerium Jannos Kraniditios hatte bereits früher, als er noch Abgeordneter im Europäischen Parlament war, geäußert, Griechenland könne auch ein Veto gegen die Osterweiterung einlegen, wenn Zypern der Beitritt zur EU nicht garantiert werde.

Auch wenn man - wie weite Teile der internationalen Öffentlichkeit - die Stationierung der Raketen nicht als geeigneten Schritt zu der auf Zypern dringend notwendigen Vertrauensbildung ansieht, so muß man konstatieren, daß die Verantwortlichen in Ankara unverhältnismäßig scharf auf die angekündigte Raketenstationierung reagiert haben. Schon hat die Armeeführung die Stationierung zum "casus belli" erklärt. Dem Bekenntnis zum Leitbild eines zivilisierten Europas entspricht der relativ häufige Umgang türkischer Militärs mit Kriegsdrohungen im östlichen Mittelmeer durchaus nicht. Die türkische Generalität dramatisiert die avisierte Stationierung von Raketen offensichtlich mit besonderem Nachdruck. Sowohl die griechischen Zyprer als auch die russischen Hersteller haben erklärt, es handele sich um rein defensive und ausschließlich zur Luftabwehr geeignete Waffensysteme mit einer maximalen Reichweite von 150 Kilometern, womit das türkische Festland nicht erreicht werden kann. Wenn die Raketen ihr Ziel in der Luft verfehlen, zerstörten sie sich selbst. Dem widerspricht die türkische Militärführung: Nach einer Umrüstung könnten die Raketen sogar Bodenziele auf dem anatolischem Festland bedrohen. Es seien sogar atomare Sprengköpfe einsetzbar. Entsprechend scharf sind die Ankündigungen türkischer Militärs: Sollte der Raketentransport von Rußland nach Zypern auf dem Seeweg erfolgen, würden die Schiffe bei der Passage durch den Bosporus gestoppt, und dies, obwohl der Meerengen-Vertrag von Montreux vorsieht, daß "Schiffe unter jeder Flagge und mit jeder Fracht, ohne jede Formalitäten" passieren können. Weil es um nationale Sicherheitsinteressen gehe, will Yilmaz diese Bestimmungen nicht gelten lassen. Bereits im Augsut 1996 hatten türkische Behörden unter dem Vorwand, Gesundheitskontrollen durchführen zu müssen, ein russisches Schiff gestoppt. Dies war wohl als Signal an die zyprische und griechische Seite zu werten. Auch Blockaden zur See und in der Luft rund um Zypern wurden nicht ausgeschlossen, ebensowenig ein Vernichtungsschlag gegen die Abschußrampen in Paphos. Im Rahmen eines Manövers hat die türkische Armme im Norden Zyperns bereits am 5. November 1997 mit einer Hubschraubereinheit und einer Bomberstaffel die Zerstörung einer nachgestellten griechisch-zyprischen Raketenstellung simuliert.

So belastet das griechisch-türkische Verhältnis ist, so haben sich in jüngerer Vergangenheit wenigstens die Beziehungen zur Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (EJRM) und zu Albanien entspannt. Das am 13. September 1995 mit der EJRM vereinbarte Interims-Abkommen hat die Lage beruhigt. Mittlerweile weitet sich der Handel Griechenlands mit der EJRM aus, und beide Staaten haben sogar gemeinsam an militärischen Übungen teilgenommen. Außenminister Pangalos konnte im Frühjahr 1997 nach einem Besuch in Skopje sogar äußern, daß "die Differenzen über den Namen zweitrangig sind im Vergleich zur Notwendigkeit der Stabilitätssicherung in diesem Raum". Damit hatte sich Griechenland - wenn auch mit etlicher Verzögerung - der Position angenähert, die die übrigen EU-Partner schon seit Beginn der 90er Jahre eingenommen und auch von Athen erwartet hatten. Daß dies aufgrund der griechischen Weigerung zunächst nicht geschah, hatte den Kern der Irritationen zwischen Griechenland und der EU in der damaligen Zeit ausgemacht. Die Verhandlungen über die noch immer offene Namensfrage schleppen sich trotz der Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen dahin. Allerdings - und das macht den großen Unterschied zur Vergangenheit aus - erregt sich kaum jemand darüber in Griechenland, und es läßt sich aus der Angelegenheit auch kein politisches Kapital mehr schlagen. Im Verhältnis zu Albanien hat sich die Lage ebenfalls deutlich verbessert. Im Athener Parlament diskutiert man jetzt über die Frage, unter welchen Bedingungen die Beschäftigung von albanischen Saisonarbeitern geregelt und legalisiert werden kann. Rund 300.000 Albaner dürften in Griechenland derzeit, häufig in der Schattenwirtschaft und oft ohne jegliche rechtliche Regelung, arbeiten. Verbesserungen zugunsten der griechischen Minderheit in Albanien versucht Athen auf dem Verhandlungsweg zu erlangen. Und schließlich ist positiv zu vermerken, daß griechische Soldaten an der multinationalen Friedenstruppe beteiligt sind, die unter italienischer Führung zur Befriedung Albaniens beigetragen hat.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

Previous Page TOC Next Page