FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Tradierte Feindbilder und Instrumentalisierung außenpolitischer Konflikte

Daß die Bändigung des Ägäiskonflikts bisher nicht gelungen ist, liegt daher nicht nur an der höchst komplexen Materie, sondern an zwei weiteren Faktoren: erstens den historisch tradierten Perzeptionen und Feindbildern und zweitens an der Instrumentalisierung des außenpolitischen Konflikts für innenpolitische Zwecke. Der Ägäis-Konflikt ist fast unlösbar mit der nationalen Identität beider Länder verflochten: Auf griechischer Seite machen sich beim Thema Türkei die vier Jahrhunderte der Osmanenherrschaft bemerkbar, während man sich auf türkischer Seite daran erinnert, daß am Beginn des modernen türkischen Nationalstaats der Versuch Griechenlands gestanden hat, sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Bestandteile des zerfallenen Osmanenreich in Kleinasien einzuverleiben. Diese kollektiven Erinnerungen werden auf beiden Seiten wachgehalten, vor allem wird wenig auf die die beiden Ägäisanrainer verbindenden Momente hingewiesen. Besonders deutlich äußert sich dies in der Berichterstattung der Medien: Wenn von der Gegenseite berichtet wird, dominiert das Bonmot, daß nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind. Folglich berichtet man eher über "Provokationen", "Expansionsgelüste" und "Aggressionen" als über gemeinsame Interessen und Wege der Konfliktbändigung. In dieser aufgeheizten Stimmung werden unabhängig denkende Individuen, die sich mit Konfliktlösungsvorschlägen an die Öffentlichkeit wagen, schnell aus dem Kreis der "national Zuverlässigen" ausgeschlossen. Obendrein gewinnt man den Eindruck, daß der Politik auf beiden Seiten oftmals der außenpolitische Konflikt gelegen kommt, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von innenpolitischen Problemen abzulenken. Exemplarisch auch hier wieder der Imia-Zwischenfall vom Januar 1996: Es waren nationalistisch gesonnene Zeitungsleute der türkischen "Hürriyet", die die türkische Fahne auf der Insel vor laufenden Kameras aufzogen; es war die wegen vieler Skandale in Gerede gekommene türkische Ministerpräsidentin, die die Krisenstimmung noch aufputschte; und es waren viele griechische Zeitungen und nationalistische Politiker gerade auch in der Regierungspartei PASOK, die den griechischen Ministerpräsidenten Simitis wegen seiner angeblich zögerlichen und moderaten Reaktion auf die türkische Herausforderung kritisierten. Damit wird auch deutlich, daß es auf beiden Seiten starker politischer Führer bedarf, die sich über innenpolitische Widerstände hinwegsetzen können, um real vorhandene Chancen der Konflikbeilegung zu nutzen. Nur war diese Konstellation selten zur selben Zeit auf beiden Seiten der Ägäis vorhanden.

Deshalb überrascht es auch wenig, daß nach der Unterzeichnung der Madrider Erklärung noch keine grundlegende Verbesserung der griechisch-türkischen Beziehungen zu beobachten ist. Dies wurde bestätigt, als sich die Außenminister beider Länder, Theodoros Pangalos und Ismail Cem, anläßlich der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 1997 in New York trafen. Weil der griechische Außenminister den Eindruck erhielt, daß sich die amerikanische Außenministerin Albright die türkische Position zu eigen mache, daß nicht nur der Streitfall Imia, sondern die Gesamtheit der griechisch-türkischen territorialen Streitfragen in der Ägäis vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag behandelt werden solle, polemisierte Pangalos in der für ihn durchaus nicht untypischen Art gegen die türkische Seite: Es sei unmöglich, "mit dem Dieb, dem Mörder und dem Vergewaltiger zu diskutieren". Und obwohl von griechischer Seite in der jüngsten Vergangenheit wiederholt zu hören war, auch Athen wolle die Türkei an die EU heranführen, kündigte der Staatssekretär im griechischen Außenministerium Jannos Kranidiotis im Oktober 1997 an, sein Land werde wahrscheinlich ein Veto gegen die Teilnahme der Türkei an der von der Europäischen Kommission in der "Agenda 2000" vorgeschlagenen Europa-Konferenz einlegen.

Damit war das bilaterale Verhältnis erst einmal wieder auf dem Tiefpunkt angelangt. Anfang November 1997 gelang den beiden Ministerpräsidenten Simitis und Yilmaz bei ihrem Treffen anläßlich der Balkankonferenz auf Kreta zwar kein Durchbruch, der "Geist von Madrid" wurde indes wieder ein wenig belebt. Auch wenn in der Presse durchaus unterschiedliche Einschätzungen zu lesen waren - in türkischen Medien sprach man u.a. davon, daß die Türkei sich bereit gezeigt habe, alle bilateralen Streitigkeiten vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag klären zu lassen -, so dürfte das Ergebnis des knapp eineinhalbstündigen Gesprächs zwischen Yilmaz und Simitis, das im übrigen in Deutsch(!) geführt wurde, weniger konkret sein. Man hat wohl lediglich die bisher getroffenen Vereinbarungen zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen - darunter das Memorandum von 1988 zum Verhalten bei Manövern, die Erklärung von Madrid und die Einberufung des von der niederländischen EU-Präsidentschaft vorgeschlagenen "Rats der Weisen" - noch einmal bekräftigt.

Bei den Beziehungen der beiden Ägäisanrainer tun sich aktuell besondere Probleme auf: In Griechenland wird der stellvertrende türkische Ministerpräsident Ecevit als Hardliner eingestuft, mit dem die Verständigung im Ägäis- und vor allem im Zypern-Streit kaum möglich ist. Ecevit hatte 1974 die politische Führung während der Zypern-Invasion inne und hat sich von dieser Aktion nie distanziert. Des weiteren erklärte der türkische Außenminister Cem im September 1997, daß sein Land nicht bereit sei, den Imia-Streit vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen, damit Griechenland auf sein Veto gegen die Auszahlung der Finanzhilfe der Europäischen Union an die Türkei (375 Millionen ECU im Rahmen der vereinbarten Zollunion) verzichtet. Und schließlich hat Athen ein Rüstungsprogramm angekündigt, das mit 25,4 Milliarden DM in den nächsten zehn Jahren nicht nur alle bisherigen militärischen Ausgabenprogramme übertrifft, sondern ganz auf die traditionelle Konfrontation mit der Türkei abgestellt ist. Das Rüstungsprogramm, das zusammen mit der Rückzahlung alter Rüstungsschulden und laufenden Ausgaben gar auf 102 Milliarden DM kommt, unterstellt eine fortdauernde Gegnerschaft zum NATO-Partner Türkei und ist durchaus geeignet, alle gegenwärtigen Bemühungen der griechischen Regierung um eine sparsame Haushaltsführung zu konterkarieren. Die Perspektive einer Erfüllung der Maastrichter Konvergenzkriterien würde dabei wohl gänzlich auf der Strecke bleiben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

Previous Page TOC Next Page