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Von der Kohäsions- zu Konvergenzorientierung

Die EU-Länder definieren ihre Wirtschaftspolitik im Bezugsfeld der Pole Konvergenz und Kohäsion. In der "Agenda 2000" hat die Kommission die Beziehungen zwischen Kohäsion und Konvergenz zum Rückgrat der Integration erklärt. Wenn es bei der Kohäsion darum geht, daß die Disparitäten zwischen ungleich entwickelten Regionen abgebaut werden, so erlangte der Begriff der Konvergenz seine europapolitische Prominenz erst mit dem Maastrichter Vertrag und seinen Bestimmungen zur Europäischen Währungsunion. Von der Öffentlichkeit wurde von der Konvergenz zumeist im Zusammenhang mit den Kriterien Notiz genommen, die den Beitritt zur Endstufe der Währungsunion regeln sollen. Bekanntlich will der Vertrag von Maastricht lediglich die Währungspolitik vergemeinschaften, während die Wirtschaftspolitik der Koordination durch die nationalen Regierungen untersteht. Damit hat sich das neoklassische Leitbild für die anstehende Phase der Integration durchgesetzt. Konvergenz wird hier als Voraussetzung von Kohäsion verstanden. Befürworter der polarisationstheoretischen Schule hatten demgegenüber immer betont, daß Konvergenz erst nach erfolgter Kohäsion, zumindest aber parallel dazu erfolgen könne.

Kennzeichnend für das neue Rollenverständnis Griechenlands ist die Tatsache, daß der aufgezeigte europapolitische Paradigmenwechsel hin zur Präferenz der Konvergenz mit der Auflage strikter Sparsamkeit und ausgeglichener Haushaltsführung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Simitis nachvollzogen worden ist. Unter Papandreou war nämlich in den achtziger Jahren eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik allzu häufig innenpolitischen Opportunitäten zum Opfer gefallen. Die Europäische Gemeinschaft betrachtete man in Griechenland in dieser Zeit vornehmlich als eine Quelle von Kohäsionsmitteln, die durchaus reichlich von Brüssel nach Griechenland flossen.

In diesem Sinne war Griechenland ein "Kohäsionsland" - eine Kennzeichnung, die mit kurzen Unterbrechungen (Allparteien-Regierung, konservativ-kommunistische Koalition und konservative Alleinregierung in den Jahren 1989 bis 1993) für den Zeitraum von 1981 bis 1995 gilt. Symptomatisch für die Haltung der Papandreou-Regierungen war das griechische Verhalten bei der Aushandlung des Maastricht-Vertrags. Während die Partner die Mittel des neuzuschaffenden Kohäsionsfonds nur denjenigen Staaten zugänglich machen wollten, die "Erfolge" in der Konvergenzpolitik vorweisen können, konnte Griechenland gemeinsam mit anderen von den Kohäsionsmitteln begünstigten Ländern durchsetzen, daß das Vorhandensein eines Konvergenzprogramms genügt. Die übrigen EG-Staaten haben die Ausweitung der Kohäsionsmittel in den finanzpolitisch noch weniger problematischen achtziger Jahre unter dem Posten "politische Kosten der Integration" verbucht. Die EU-Strukturmittel, die 1988 einen Anteil von knapp 20 Prozent des EU-Haushalts ausgemacht hatten, steigen 1999 bereits auf über 35 Prozent an.

Trotz des beachtlichen Mittelzuflusses - 1992 machten die europäischen Strukturmittel zugunsten Griechenlands 3,1 Prozent des nationalen BIP aus - war die wirtschaftliche Entwicklung in den achtziger Jahren wenig vorteilhaft. Das wird bei einem Vergleich mit Portugal deutlich. 1989 überrundete Portugal Griechenland, wenn man den Wohlstandsindikator BIP pro Kopf zugrundelegt. Die Gründe für die Negativentwicklung Griechenlands waren mannigfach und können lediglich angedeutet werden: Etatismus, aufgeblähter öffentlicher Dienst, Ämterpatronage, schwach entwickelter Privatsektor, überzogene Sozialleistungen und extreme Politisierung der Wirtschaftspolitik. Damit soll unter Simitis nun Schluß sein. Der Ministerpräsident setzt europa- und innenpolitisch nicht mehr einseitig auf Kohäsion, sondern räumt den Konvergenzzielen deutlich mehr Bedeutung ein, ohne das Kohäsionsziel dabei völlig aus den Augen zu verlieren. Anders formuliert: Simitis will den extern von der EU gesetzten Zwang zur Konvergenz und die Perspektive einer späteren Mitgliedschaft in der Währungsunion nutzen, um die in Griechenland notwendigen strukturellen Anpassungen vornehmen und um die sich dabei bislang stellenden Reformschranken überwinden zu können. Die von Simitis immer wieder bekundete Absicht, in der zweiten Runde der Währungsunion beizutreten, ist mittlerweile so etwas wie ein nationales Ethos geworden.

Folgende Maßnahmen hat Simitis bisher im Rahmen seiner Konsolidierungspolitik u.a. ergriffen: einen Lohn- und Einstellungsstop im öffentlichen Dienst, wobei nur eine von fünf freiwerdenden Stellen wiederbesetzt werden; Steuererhöhungen und Streichungen von Steuerfreibeträgen; die Wiedereinführung der Kapitalertragssteuer; die Abschaffung von Zulagen im öffentlichen Dienst.

Das Konvergenzprogramm der griechischen Regierung hat bislang zu folgenden Ergebnissen geführt: Die Inflation wurde erheblich reduziert. Sie belief sich im Jahresdurchschnitt der achtziger Jahre auf dem EU-Rekordniveau von 19 Prozent und ist 1996 immerhin auf 8,4 Prozent gesunken (vgl. die Tabelle 1 und 2 im Anhang). Dies entspricht dem Trend in den meisten EU-Ländern, wobei Griechenland die größten Fortschritte zu verzeichnen hat. Die Neuverschuldung ist ebenfalls von 12,1 Prozent im Jahr 1994 auf 7,9 Prozent 1996 zurückgeführt worden. Auch hier hat Griechenland die generelle Entwicklung in den EU-Ländern nachvollzogen. Der öffentliche Schuldenstand stagniert, er betrug 1994 110,4 Prozent und 1996 110,6 Prozent des BIP. Die traditionell sehr hohen langfristigen Zinsen wurden in Griechenland reduziert, von 19 Prozent 1994 auf 12,9 Prozent 1996.

Betrachtet man die Entwicklung im Gesamtzusammenhang, dann muß man feststellen, daß Griechenland erhebliche Fortschritte in der wirtschafts- und finanzpolitischen Entwicklung gemacht hat. Die Konsolidierungsbemühungen spiegeln sich in den genannten makroökonomischen Daten deutlich wider. Andererseits ist Griechenland noch immer von der Erreichung der Konvergenzkriterien entfernt und erfüllte 1996 (gemeinsam mit Italien) keines der Kriterien. Man mag daher die immer wieder von Simitis geäußerte Hoffnung, daß Griechenland in der zweiten Runde der Währungsunion beitreten kann, als zu ambitioniert erachten. Diese skeptische Einschätzung wird allerdings durch die unstrittige Leistung der Regierung Simitis relativiert, daß nunmehr so etwas wie ein nationaler Konsens in Sachen Konsolidierungspolitik und sparsamer Haushaltsführung verankert worden ist. Dies ist im Vergleich mit der Entwicklung in den achtziger Jahren ein bedeutsamer Fortschritt. Der Konsens bindet die Regierung Simitis an das Ziel der Konvergenz und erweist sich auch angesichts der Proteste der Bauern im Dezember 1996, der Gewerkschaften, der Kommunisten sowie einiger Populisten in der PASOK als tragfähig. Gestützt wird die Regierungspolitik von Unternehmen und Banken, aber auch von weiten Teilen der Neuen Demokratie. Bei aller positiven Bewertung fallen freilich auch die Defizite in der Reformpolitik der Regierung Simitis auf: Die Arbeitslosenzahlen haben zugelegt und befinden sich derzeit bei rund 10 Prozent. Die Privatisierung und Deregulierung kommen nicht so rasch wie gewünscht voran. Die Leistungsbilanz entwickelt sich defizitär. Und vor allem verschlechtert sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die Verbesserung der makroökonomischen Entwicklung zeigt also deutliche Fortschritte, was von der strukturellen Anpassung so allerdings nicht gesagt werden kann. Betrachtet man die Prognosen der Europäischen Kommission für die Jahre 1997 bis 1998 (vgl. Tabelle 2 im Anhang), dann würde Griechenland zumindest bei der Neuverschuldung die Konvergenzkriterien erfüllen und wäre bei der Inflation dicht am geforderten Kriterium.

Die ökonomischen Daten sind freilich stets im Kontext der politischen Entwicklungen zu sehen. Und da stellt sich die Frage, wie stabil die Machtbasis des neuen Ministerpräsidenten und PASOK-Führers ist. Herausgefordert wird Simitis weniger von den Wählern als von seiner eigenen Partei. Der bereits erwähnte Brief von 32 national orientierten PASOK-Abgeordneten hat eine mögliche Quelle der Opposition gegen die Außenpolitik des Ministerpräsidenten und insbesondere gegen eine der Türkei gegenüber kompromißbereite Politik signalisiert. Simitis zeigt sich allerdings kampfbereit. Im September 1997 hat er u.a. den Verkehrsminister Kastanidis wegen ineffizienter Arbeit im Kabinett so heftig kritisiert, daß dieser seinen Rücktritt eingereicht hat. Simitis nahm das Angebot an und ersetzte Kastanidis, der den Reformkurs des Ministerpräsidenten als sozial unausgewogen kritisiert hatte, durch einen ihm ergebenen Nachfolger.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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