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3. Das Personal - die vernachlässigte Ressource

In der Diskussion über die Modernisierung des öffentlichen Sektors in Deutschland gehört es inzwischen parteiübergreifend zum guten Ton, die Beschäftigten als die wichtigste Ressource im Reformprozeß zu bezeichnen. Heutzutage will jeder Politiker und Verwaltungsleiter, der über Verwaltungsreform redet, „aus Betroffenen Beteiligte machen" und die Mitarbeiter in jegliche Reformbemühung einbeziehen. Auch Unternehmensberater haben diese Partizipationsrhetorik flächendeckend in ihre Hochglanz-Broschüren übernommen.

Politisch korrekt, befindet sich denn auch die Bundesregierung nach eigener Einschätzung „mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf dem Weg zu einer modernen Verwaltung: Die Leistungskraft der Beschäftigten ist die wichtigste Ressource des öffentlichen Dienstes. Qualifizierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sind die Träger des Veränderungsprozesses. Ihre Einsatzbereitschaft, ihre innere und äußere Unterstützung sind die unabdingbaren Voraussetzungen für die bürgerfreundliche und wirtschaftliche Erbringung von hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen", und so fort ... (Abschlußbericht des Sachverständigenrates „Schlanker Staat").

Bei so viel Lob, Respekt und Anerkennung müßte den (noch) 314.000 Beschäftigten in der Bundesverwaltung und vor allem den 19.000 Ministerialen (noch) in Bonn eigentlich warm ums Herz werden - wenn, ja wenn solche vollmundigen Erklärungen nicht durch deutlich andere Prioritäten in der Praxis des Regierungshandelns konterkariert würden.

Entscheidendes Kriterium für das Projekt „Schlanker Staat" ist nach den Verlautbarungen der Bundesregierung erkennbar der Personalabbau. Stolz wird in der jüngsten Fortschreibung des „Aktionsprogramms zur Steigerung von Effektivität und Wirtschaftlichkeit in der Bundesverwaltung" auf die Erfolge beim Personalabbau verwiesen: „Der Personalbestand des Bundes ... ist mit dem Bundeshaushalt 1998 bereits von 381.000 (1989) auf rund 315.000 Planstellen/Stellen reduziert worden. In den Ministerien wird es Ende 1998 ca. 18.500 Stellen geben, das sind 13 % weniger gegenüber dem Höchststand von rund 21.300 im Jahr 1992. In der gesamten Bundesverwaltung beträgt die Stelleneinsparung über acht Jahre ca. 2,4 %".

Nach welchen Kriterien dieser radikale Personalabbau vorgenommen wurde, ist bislang nirgendwo erläutert worden. Weder das Bundeskabinett noch der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" haben dazu Stellung bezogen. Lediglich für die Bundeswehr existierte nach der deutschen Einigung eine politische Vorgabe zum Abbau militärischen und zivilen Personals. Ansonsten sprechen viele Indizien dafür, daß den Stellenreduzierungen weder ein Personalentwicklungskonzept, das diesen Namen verdient hätte, noch eine systematische Personalpolitik zugrunde liegt. Stattdessen hat offensichtlich das Zufallsprinzip, die normale Fluktuation (z.B. durch Pensionierungen, Versetzungen etc.) und die berühmte „Rasenmähermethode" beim Stellenabbau Pate gestanden.

Aus den eigenen Bilanzen der Bundesregierung geht auch hervor, daß nur drei von fünfzehn Ressorts (bis 31.12.1997: 16) bislang seriöse Personalbedarfsrechnungen angestellt haben; oft fehlt dazu schon die fundierte Aufgabenanalyse und Aufgabenkritik. Und weniger als die Hälfte der Ressorts haben auch nur damit begonnen, ein Leitbild für ihre ministerielle Tätigkeit zu entwickeln. Mit der Stärkung dezentraler Ressourcenverantwortung bzw. der Einführung des AKV-Prinzips (Zusammenlegen von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung in einer Hand) befaßt sich gar nur ein einziges Bundesressort, das Auswärtige Amt, in einem Modellprojekt. Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Ressorts gehört auch dabei nicht zur erklärten Zielsetzung des Modellversuchs.

Die Beispiele für die Vernachlässigung der Ressource „Personal" beim sogenannten Modernisierungsprozeß in der Bundesverwaltung ließen sich vermehren. Das traurigste Kapitel aber ist die Mitwirkung der Beschäftigten. Dabei definiert der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" durchaus die richtigen Vorgaben für eine wirksame Beteiligung der Beschäftigten: „Entscheidend für den Erfolg der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung ist die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; sie muß von Anfang an gewährleistet sein. Die Beschäftigten dürfen nicht Objekte im Modernisierungsprozeß sein, sie sollen selbst aktiv den Prozeß mitgestalten können. Rechtzeitige und umfassende Information ist Voraussetzung, aber Beteiligung bedeutet mehr: Sie muß Mitplanung und Mitentscheidung ermöglichen. Die Einbeziehung möglichst vieler Beschäftigter bietet die Möglichkeit, das große Potential an Sachverstand, Erfahrung und Kreativität der Beschäftigten in die Entwicklung einer besseren Behördenstruktur zu integrieren".

Zwischen Programm und Verwaltungs-Wirklichkeit liegen jedoch Welten. Eine umfassende Mitarbeiterbeteiligung zum Beispiel bei Aufgabenanalyse und Aufgabenkritik hat in den meisten Ministerien des Bundes bzw. deren nachgeordneten Behörden nicht stattgefunden. Pro forma sind in der Regel nur die Personalvertretungen beteiligt worden.

Wie man tatsächlich vorgehen müßte, um die Vorgaben des Sachverständigenrates (ebenso wie die ähnlichen Forderungen von Gewerkschaften) zu erfüllen, kann man bei Ländern und Kommunen sehen. Schleswig-Holstein beispielsweise hat, angeregt durch Vorhaben aus Baden-Württemberg, eine Aufgabenkritik in allen Ministerien durchgeführt, an der praktisch alle Beschäftigten von Anfang bis Ende beteiligt waren; ähnlich soll dort jetzt auch in den nachgeordneten Behörden vorgegangen werden.

Aufgabenkritik mit voller Mitarbeiterbeteiligung beginnt auf der Ebene der Beschäftigten, zunächst mit einer sorgsamen Aufgabenanalyse, genau wie bei Arbeitsplatzüberprüfungen in der Industrie: Die einzelnen Beschäftigten müssen die Tätigkeiten, die sie täglich verrichten, auflisten. Ausgehend von 210 Jahresarbeitstagen á 8 Stunden, läßt sich der Zeitaufwand für die einzelnen Aufgaben leicht errechnen: zwei Minuten pro Arbeitstag entsprechen einem Jahresarbeitstag, eine Stunde täglich addiert sich auf zu 27 Jahresarbeitstagen. So wurde in Schleswig-Holstein in diesem ersten Schritt der Aufgabenanalyse von allen Beschäftigten in den Ministerien aufgeführt, was sie pro Jahr tun.

Im zweiten Schritt folgt die eigentliche Aufgabenkritik. Die Beschäftigten machen - in Workshops mit jeweils 20 Teilnehmern und Teilnehmerinnen, so daß wirklich diskutiert werden kann - ein Gedankenexperiment: Sie betrachten ihre Aufgaben unter der doppelten Vorgabe, einerseits für 80 % derselben Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge zu entwickeln, und andererseits zugleich Vorschläge zu machen, wie 40 % ihrer Arbeitszeit eingespart werden könnten.

Ein Ergebnis dieses anspruchsvollen Ansatzes ist: Bezieht man die Beschäftigten von Anfang an in dieses Verfahren ein, so zeigen sie durchaus sowohl die nötige Bereitschaft als auch eine Menge Kreativität - trotz des Dilemmas, daß jeder, der sich an der aufgabenkritischen Überprüfung seines Arbeitsplatzes beteiligt, die Befürchtung hegen muß, damit den eigenen Arbeitsplatz, die eigene Tätigkeit für überflüssig zu erklären.

Von entscheidender Bedeutung ist der dritte Schritt: die Bewertung der Vorschläge innerhalb der Arbeitseinheit; die Beschäftigten blicken - wiederum mit der Methode des Workshops - über den Tellerrand des eigenen Arbeitsplatzes hinaus, indem das gesamte Team für die je eigene Arbeitseinheit prüft, ob sich die bisherigen Vorgehensweisen bewährt haben und ob es andere, möglicherweise effizientere Wege gibt, die anfallenden Aufgaben zu erledigen. So mündet das aufgabenkritische Verfahren auf der Ebene der Beschäftigten schließlich darin, nicht länger das je eigene Kästchen im Organigramm zu betrachten, die je eigene (Teil-)Aufgabe, die man selber wahrnimmt, sondern Verknüpfungen herzustellen innerhalb der je eigenen Arbeitseinheit und zu anderen Arbeitseinheiten, um schließlich eine gemeinsame Bewertung der einzelnen Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.

Erst mit deren Abschluß geht das aufgabenkritische Verfahren auf die Führungsebene über. Die Führungskräfte müssen die Vorschläge zunächst sichten und bewerten: Was ist kurzfristig umsetzbar? Welcher Ansatz ist eher mittel- bis langfristig angelegt? Welche Vorschläge sind nicht realisierbar? Und wo müßten Gesetze geändert werden? In der Systematisierung der Ergebnisse, welche die Beschäftigten aufgabenkritisierend erarbeitet haben, liegt eine weitere Aufgabe der Führungskräfte. Sie müssen ein Gesamtkonzept entwickeln, welches eingebracht wird in einen verwaltungsinternen Lenkungsausschuß, sodann in das Kabinett, und auch das Parlament muß sich damit beschäftigen.

Hat das Konzept die Zustimmung der verschiedenen Gremien gefunden, kommt der schwierigste Teil: die Umsetzung, Stück für Stück. Soll das Projekt Erfolg haben, muß ein kleinschrittiges, sehr konkretes Konzept entwickelt werden, ein Umsetzungsplan, der die einzelnen Schritte und den jeweiligen Zeithorizont definiert. Und in diese Umsetzung müssen die Beschäftigten wiederum mitverantwortlich eingebunden werden.

So angelegt, ist Reform natürlich ein mühsamer, langwieriger Prozeß, das ist wahr. Aber nur so, mit umfassender Mitarbeiterbeteiligung, hat der Modernisierungsprozeß überhaupt Aussicht auf Erfolg - wie es auch der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" ausdrücklich postuliert hat.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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