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2. Systematische Aufgabenkritik - (fast) Fehlanzeige

Das wichtigste Ziel, das sich die Bundesregierung für das Projekt „Schlanker Staat" gesetzt hat, betrifft „die kritische Überprüfung des Aufgabenbestandes mit dem Ziel, diesen zu reduzieren" (Kabinettsbeschluß vom 4. März 1998). Von der Erreichung dieses Ziels aber ist die Regierung Lichtjahre entfernt.

Vor allem gibt es für eine systematische Aufgabenüberprüfung der Bundesverwaltung kein flächendeckendes Konzept. Jedes Ressort führt nach eigenem Strickmuster eine Organisationsuntersuchung durch: die einen mit externer Begleitung (die sich empfiehlt) - so z.B. das Bundesverkehrsministerium -, andere - wie das Innenministerium - im wesentlichen mit Bordmitteln, wieder andere - wie insbesondere das Bundeskanzleramt - lassen es ganz. Die Marschroute bestimmt die jeweilige politische Führung. Auf Vergleichbarkeit mit anderen Ministerien wird ebenso wenig Wert gelegt wie auf die Übertragbarkeit der Maßnahmen und Ergebnisse. (Wie unterschiedlich sich die Ressorts nach eigenen Angaben überprüfen, ergibt sich aus der im Anhang abgedruckten Übersicht).

Zum bunten Flickenteppich trägt außerdem die Willkür bei, mit der die Ressorts sich für einzelne Aspekte von Verwaltungsreform engagieren. So entwickelt z.B. das Bundespresseamt mit Millionenaufwand für externe Unterstützung ein Controlling-System, das nirgendwo sonst in der Bundesverwaltung anwendbar ist. Das Auswärtige Amt beschreibt seine Arbeit als „Produkte", ohne daß die neue Begrifflichkeit für andere Ressorts Modell sein könnte. Manche Ressorts arbeiten schon mit eigenen Kosten-Leistungs-Rechnungen, die von keiner anderen Einrichtung übernommen werden. Gegen die Übernahme einer Muster-Kosten-Leistungs-Rechnung vom Bundesfinanzministerium richten die anderen Ressorts noch manche Barriere auf.

Eine ressortübergreifende Aufgabenkritik läßt sich schon deshalb schwerlich durchführen, weil es bislang an dem erforderlichen Informationsstand für ein solches Reformvorhaben auf Bundesebene fehlt. Schon 1951 hat der Bundesrechnungshof zu Recht darauf hingewiesen: „Will man die Aufgaben kritisieren, muß man die Aufgaben kennen". Davon scheint die jetzige Bundesregierung weit entfernt. Auch eine Datenbank „Aufgaben des Bundes", die nach Angaben des Sachverständigenrates „Schlanker Staat" zudem nur mit großer Mühe und gegen manchen hinhaltenden Widerstand von Ressorts zustande gekommen ist, wird diesen Mangel nicht ausgleichen können. Bei ihrer Erhebung ist die Bundesregierung auf eine Zahl von insgesamt 1849 Aufgaben gekommen, die derzeit angeblich von der Bundesverwaltung wahrgenommen werden. Den weitaus größten Anteil soll das BMI mit 441 Aufgaben haben. Ob diese Zahlen zutreffend und die übermittelten Angaben repräsentativ sind, vermag allerdings auch die Bundesregierung nicht eindeutig zu sagen, weil für die Erhebung kein einheitlicher Maßstab für alle Ressorts vorgegeben war.

45 Jahre nach seinem Hinweis zur Aufgabenkritik beläßt es der Bundesrechnungshof nicht länger bei dem allgemeinen Hinweis auf die Unverzichtbarkeit einer systematischen Bestandsaufnahme, sondern kritisiert anläßlich des geplanten Regierungsumzugs Bonn-Berlin unmißverständlich das Vollzugsdefizit der Bundesregierung im Bereich der Aufgabenkritik: „Die meisten Ressorts sind bislang unzureichend auf die Forderung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, auf die Beschlußlage des Bundeskabinetts sowie die Empfehlungen des Sachverständigenrats ‘Schlanker Staat’ eingegangen, vor dem Regierungsumzug nach Berlin eine grundlegende Überprüfung der organisatorischen Strukturen der Bundesministerien mit dem Ziel der Konzentration auf ministerielle Aufgaben vorzunehmen".

Dieser überaus kritische „Zwischenbericht" des Bundesrechnungshofes vom 31.12.1996 hat auch zum jetzigen Zeitpunkt nichts an Aktualität verloren. Insbesondere mangelt es bis heute an einer „ressortübergreifenden Koordinierung der Maßnahmen zur Anpassung der Organisationsstruktur mit dem Ziel der Konzentration auf ministerielle Aufgaben", die der Rechnungshof zu Recht mit allem Nachdruck fordert. Auch der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" fordert die Auslagerung nichtministerieller Aufgaben in den nachgeordneten Bereich; nach seiner Schätzung bestehen „heute allenfalls 40 %, eher weniger, der ministeriellen Aufgaben in konzeptionell-gestaltenden Aufgaben. Die Ministerien beschäftigen sich also heute überwiegend mit nicht genuin politischen Aufgaben" (Abschlußbericht des Sachverständigenrats vom 2. Oktober 1997).

Im übrigen macht der Bundesrechnungshof der Regierung im Bericht vom 31.12.1996 auch den Vorwurf mangelnder Systematik und Professionalität bei der Durchführung von Organisationsuntersuchungen in den Ministerien, denn solche Untersuchungen bestehen „nach dem gängigen organisationsfachlichen Verständnis ... aus Ist-Aufnahme, Aufgabenkritik, Erstellung von Soll-Konzepten, Konzeptbewertung und Entscheidung; sie bedürfen einer detaillierten Ablauf- und Zeitplanung sowie einer geeigneten Projektstruktur". Diesen fachlichen Erfordernissen hat nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofes allenfalls die Vorgehensweise in drei Ressorts entsprochen. Und nur ein einziges Ressort, das Ministerium der Finanzen, habe bislang in akzeptabler Form „eine umfassende Organisationsuntersuchung unter Einsatz einer Projektarbeitsstruktur und mit externer Unterstützung (coaching) durchgeführt". Ansonsten seien die „von den meisten Ressorts bislang unternommenen Aktivitäten zur Straffung ihrer Organisation ... nicht zureichend". Fürwahr ein vernichtendes Urteil über die bisherigen Reformbemühungen der Bundesregierung. Oder nach den sonst in anderen Lebensbereichen üblichen Maßstäben: mangelhaft.

Bleibt noch nachzutragen, daß auch der Bundesrechnungshof, wie schon 1993 die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer vielzitierten Studie „Zur zukünftigen Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung", ernsthafte Zweifel an dem sogenannten „Kombinationsmodell" zum Berlin-Umzug äußert. Danach sollen sechs der jetzt fünfzehn Ressorts (das Bundesministerium für Post und Telekommunikation wurde zum 31.12.1997 aufgelöst) in Bonn verbleiben und dort ihre politischen und fachlichen Aufgaben wahrnehmen. Es handelt sich um die Ministerien der Verteidigung, für Gesundheit, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Politische und psychologische Gesichtspunkte sprechen dafür, daß sich dieses Kombinationsmodell im Regierungsalltag kaum bewähren wird. Welche Ministerin, welcher Minister wird schließlich gewillt sein, fernab vom politischen Zentrum der Republik im beschaulichen Bonn zu regieren, wenn „die Musik in Berlin spielt"? Zu demselben Ergebnis gelangt der Bundesrechnungshof, wenn er leidenschaftslos feststellt, er habe bislang in Bundesregierung und -verwaltung „keinen Gesprächspartner gefunden, der dem sogenannten Kombinationsmodell für die Aufteilung der Bundesressorts auf die beiden vorgesehenen Dienstsitze Berlin und Bonn ein dauerhaftes Überleben bescheinigt hätte; dies ist auch die von Verwaltungswissenschaftlern geäußerte Überzeugung".

Die Bundesregierung erwartet derweil zum Stichtag 30. Juni 1998 von den Ministerien eine konkrete „Übersicht der Pläne für die nach dem Regierungsumzug angestrebten Organisationsstrukturen" (Fortschreibung des Aktionsprogramms zur weiteren Steigerung von Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Bundesverwaltung; Bundestags-Drucksache 13/9920 vom 19.2.1998). Wir dürfen gespannt sein, was die Ressorts - zumeist ohne zureichende Aufgabenkritik und Organisationsuntersuchung - vorlegen werden. Wie das Ergebnis auch aussehen mag - nach Einschätzung vieler namhafter Fachleute aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft wird es sich auf jeden Fall für die sechs Bonn-Ressorts vorhersehbar weitgehend um Makulatur handeln, weil das Kombinationsmodell mit dem Stereo-Regierungssitz in Berlin und Bonn nicht funktionieren kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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