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1. Reform der Ministerialverwaltung - Programm und Wirklichkeit

Am 13. Oktober 1982 verkündete Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung zum Thema Staatsmodernisierung:

„Wir wollen den Staat auf seine ursprünglichen und wirklichen Aufgaben zurückführen, zugleich aber dafür sorgen, daß er diese zuverlässig erfüllen kann".

Dann wurde erst einmal eine Kommission eingesetzt, die „Unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes". Diese Kommission tagte oft und gern und veröffentlichte über zehn Jahre lang viele tausend Seiten von „Zwischenbilanzen", „Empfehlungen, „Vorschlägen" und „Abschlußberichten". Aber weil sich die Verwaltung schon immer durch große Reformresistenz ausgezeichnet hat und diese mit jedem neuen Modernisierungsschub weiter perfektioniert: Sie wollte sich partout nicht ändern. Der große Papierangriff verpuffte.

Zwölf Jahre später, als es mit dem Modell „Schlanker Staat" - wieder einmal - ernst werden sollte, lautete das Credo Helmut Kohls in seiner Regierungserklärung vom 23. November 1994: „Die notwendige Rückführung des Staates auf seine originären Aufgaben bedeutet keine Schwächung, sondern in Wahrheit seine Stärkung; denn diese Politik versetzt unseren Staat in die Lage, jene Aufgaben wirksam zu erfüllen, die nur er wahrnehmen kann".

Und dann wurde wieder eine Kommission ins Leben gerufen: der Sachverständigenrat „Schlanker Staat"; ein Gremium von „verwaltungsfernen Experten", das die Bundesregierung am 18. Juli 1995 einsetzte.

In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und FDP für die 13. Legislaturperiode 1994-1998 wird die Zielsetzung für die Modernisierung der Bundesverwaltung folgendermaßen konkretisiert: „Staat schlanker machen - Bürokratie abbauen. Die Koalition wird staatliches Handeln im normativen, administrativen und gerichtlichen Bereich auf das notwendige Maß beschränken. Der Rechtsstaat muß effektiv sein und darf nicht in Überreglementierung und Überperfektionierung ersticken, denn das führt letztlich zur Rechtsverweigerung und zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Dynamik und Innovationsfähigkeit ... Der schlanke Staat muß neue Freiräume für private Initiative und Kreativität eröffnen. Der Personalbestand in den Bundesbehörden wird in den nächsten vier Jahren um insgesamt 1 % [später verändert auf 2,5 %, M.B.] jährlich gesenkt. Die Aufgaben von Bundesbehörden werden verringert bzw. gestrafft, die Zahl der Behörden durch Zusammenlegung oder Auflösung reduziert".

Wie sieht die Realität in der Ministerialverwaltung des Bundes am Ende der 13. Legislaturperiode aus? Welche Ziele wurden erreicht, was wurde aus dem umfangreichen Katalog von Vorhaben des Sachverständigenrates „Schlanker Staat" und verschiedener Kabinettsbeschlüsse zwischen 1994 und 1998 tatsächlich umgesetzt?

Um das Ergebnis in Kurzform vorwegzunehmen: Die Bilanz der Bundesregierung zur Verwaltungsmodernisierung besteht aus vielen Worten und wenigen Taten, aus großen Ankündigungen und kleinen Reformschrittchen. Angefangen mit der Koalitionsvereinbarung vom November 1994 über den Kabinettsbeschluß vom 7. Februar 1996 und das „Aktionsprogramm zur weiteren Steigerung von Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Bundesverwaltung" vom 18. Juni 1997 bis zum Kabinettsbeschluß vom 4. März 1998 hat die Bundesregierung in den letzten vier Jahren eine Reihe wohlklingender Absichtserklärungen abgegeben, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten und welche Perspektiven für den „Schlanken Staat" sich daraus ergeben könnten. Woran kein Mangel besteht, ist bedrucktes Papier zum „Schlanken Staat" - nicht zuletzt vom Sachverständigenrat, der in seinen zahlreichen Zwischen- und Abschlußberichten mit beträchtlicher Redundanz aufgelistet hat, welche Reformmaßnahmen möglich, sinnvoll und erstrebenswert wären. Woran es aber erkennbar fehlt, sind konkrete Umsetzungsergebnisse von systematischen, umfassenden Verwaltungsreformen auf Bundesebene. Praktische Umsetzungserfolge haben Kommunen und Länder schon erheblich mehr vorzuweisen.

Gewiß, das Bundesministerium des Innern hat im März 1998 in einem Generalkalender „Schlanker Staat" rund 800 sogenannte „Modernisierungsprojekte der Bundesverwaltung" aufgelistet; auf den ersten Blick eine durchaus beachtliche Menge. Über das Umsetzungsdefizit beim Bund kann sie gleichwohl nicht hinwegtäuschen: Bei genauerer Durchsicht und Bewertung fällt auf, daß die Aufzählung im wesentlichen aus einer Aneinanderreihung von Maßnahmen ganz unterschiedlicher Dimension und Qualität besteht, die die Ressorts offensichtlich vor allem nach dem Prinzip „Masse statt Klasse" benannt haben. Dem eigenen Anspruch nach handelt es sich dabei um Maßnahmen, Initiativen und Projekte, „welche die wichtigsten Schritte zur Verwaltung der Zukunft" darstellen. Tatsächlich aufgeführt sind so wegweisende Reformprojekte wie

  • „Einstellung der Produktion von Gelbfieberimpfstoff durch das Robert-Koch-Institut"
  • „weitgehende Streichung von Nachkuren/Schonzeiten für alle Beamten des öffentlichen Dienstes"
  • „Übergang jeweils einer Teilstrecke der Bundeswasserstraße Schwinge auf die Stadt Stade und des Hildesheimer Zweigkanals auf die Stadt Hildesheim"
  • „Rückzug der Bundesstelle für Außenhandelsinformationen aus der Mitherausgeberschaft der Zeitung ‘Nachrichten für den Außenhandel’" oder
  • „Kürzung der Finanzmittel für den Kirchlichen Suchdienst".

So verdienstvoll manche der 800 Einzelmaßnahmen gerade auch im nachgeordneten Bereich von Bundesministerien sein mögen - mit der „Privatisierung des Reinigungsdienstes beim Bundesverwaltungsgericht" oder der „Vergabe von Raum- und Einrichtungskapazitäten der zentralen Versuchstierzucht an private und öffentliche Wissenschaftseinrichtungen" ist kein „schlanker Staat" zu machen. Einzelinitiativen zu verschiedenen Aspekten von Verwaltungsreform, die von den Ressorts selbst veranlaßt werden und nicht weiter abgestimmt sind, mögen es auch noch so viele sein, ergeben kein systematisches Umsetzungskonzept für die Modernisierung der Bundesverwaltung.

Welches Mißverständnis von Verwaltungsreform manchen Minister der derzeitigen Bundesregierung noch bis zum heutigen Tage begleitet, wird z.B. aus der Tatsache ersichtlich, daß unter dem Stichwort „Effizienzsteigerung" als Maßnahme auch die „Einstellung von Förderungsmaßnahmen bei Zuwendungsempfängern des Bundesministers des Innern" (u.a. für ein ungarisches und ein litauisches Gymnasium, für einen ukrainischen Schulverein, für das Bauhaus-Archiv und die Deutsche Film- und Fernsehakademie in Berlin) aufgelistet ist. Nüchtern betrachtet, handelt es sich bei der Einstellung von Förderungen um nichts anderes als um Sparmaßnahmen. Von einem wegweisenden Reformansatz kann da keine Rede sein - es sei denn, man erklärt das Sparen schlechthin zum Reformkonzept.

In (selbst-)kritischer Einsicht konstatierte der Vorsitzende des Sachverständigenrates „Schlanker Staat", Professor Rupert Scholz, schon bei der Vorlage seines Abschlußberichts am 2. Oktober 1997 einen deutlichen Mangel an Reformbereitschaft in Deutschland: „Die Reformnotwendigkeit ist ... noch nicht mir der Nachdrücklichkeit in das öffentliche Bewußtsein gerückt worden, daß von einer wirklichen Reformbereitschaft hätte gesprochen werden können. In aller Regel hat man sich entweder auf rein theoretische Debatten zurückgezogen, oder man hat sich mit dem Kurieren bestimmter, besonders sinnfälliger Krisensymptome begnügt. Damit ist es heute jedoch nicht mehr getan".

Recht hat Professor Scholz mit seiner Feststellung: An echter Reformbereitschaft und dem Willen zu grundlegenden Strukturveränderungen mangelt es gerade beim Bund bis zum heutigen Tag. Auch von den 800 Maßnahmen im Generalkalender des Bundes ist eine deutliche Mehrheit weit eher darauf angelegt, an den Krisensymptomen im öffentlichen Sektor - wie Finanznot, Überregulierung, mangelndes Kostenbewußtsein - herumzukurieren, anstatt den ernsthaften Versuch zu unternehmen, die Modernisierung der Bundesverwaltung nach einem flächendeckenden Konzept umsetzungsorientiert durchzuführen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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