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8. Auswirkungen der „Ginseng-Krise"



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8.1. Vertrauensverlust

Die schwerste Belastung, die auf die Volkswirtschaften der südostasiatischen Länder zukam, war der Vertrauensverlust ausländischer Investoren. Vertrauen beruht auf der Stetigkeit einer Entwicklung. Das Ausland sah, daß die südostasiatischen Staaten ein hohes Wirtschaftswachstum aufwiesen und damit sich dem Lebensstandard von Industrieländern näherten. Sie registrierten, daß diese Länder die Preissteigerungen nicht ausufern ließen und keine oder keine übermäßigen öffentlichen Defizite aufwiesen. Kalkulationssicherheit war durch die fest an den US-Dollar gebundenen Wechselkurse gegeben. Sie stellten unter diesen Bedingungen Kapital zur Verfügung, für das sie sich eine gute Verzinsung ausrechneten. Das Leistungsbilanzdefizit dieser Länder entsprach dem Verhalten der Investoren.

Wenn aus einem solchen Gebäude ein Stein herausbricht, dann werden die Investoren verunsichert. Verunsicherung aber bedeutet an den monetären Märkten, daß man sich mit seinen Geschäften glattstellt und soweit möglich die Mittel abzieht, um abzuwarten, wie die Entwicklung weiter verläuft. Eine Vertrauenskrise entsteht. „The moment that confidence in a developing country wanes, almost regardless of reason, capital inflows slacken and the warrented exchange rate falls to bring the export/import balance into line with the new capital flows reading." [ Llewellin, John „Global Letter", Lehman Brothers Global Weekly Monitor 8. August 1997, S. 1]

Ein solcher Vertrauensverlust bedeutet, daß die negativen Einflüsse, die von der „erfolgreichen" Spekulation ausgehen, noch verstärkt werden. Es werden nämlich diesen Ländern kaum neue Mittel bereitgestellt; vielmehr werden Mittel aus diesen Ländern abgezogen. Das führt zu einem weiter steigenden Angebot an nationaler Währung und steigender Nachfrage nach festen Währungen an den Devisenmärkten. Die von der Spekulation erzwungene Abwertung setzt sich fort.







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8.2. Wirkungen auf die betroffenen asiatischen Länder

Die von spekulativen Attacken betroffenen ostasiatischen Länder haben sich anfangs alle durch Interventionen an den Devisenmärkten und durch Zinssteigerungen zur Wehr gesetzt. Sie verloren in erheblichen Umfang Devisenreserven. Gelingt eine solche Abwehr nicht, wie im Falle der meisten südostasiatischen Volkswirtschaften, und tritt ein Vertrauensverlust mit weiterer Abwertung ein, dann werden die Zinssätze weiter, oft drastisch, erhöht, um Kapitalabflüsse zu bremsen. Aber selbst dann ist der Abfluß aus diesen Ländern beachtlich.

Abfließende Mittel aus den südostasiatischen Ländern bedeuten, daß die Leistungsbilanzdefizite nicht mehr wie in früheren Jahren durch Kapitalimporte finanzierbar sind. Die Anpassung zwischen Leistungsbilanzdefizit und niedrigem Kapitalbilanzüberschuß, vielleicht sogar -defizit, vollzieht sich über die Wechselkurse. Die Abwertung findet vorerst kein Ende.

Starke Zinserhöhungen, um den Kapitalabstrom niedrig zu halten, haben natürlich Rückwirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Sie dämpfen es. Hinzu kommt, daß viele Investitionen nunmehr keine Erträge, sondern Verluste versprechen. Das ist bei der Mehrzahl der Investitionen der Fall. Sie sind nämlich meist durch Kreditaufnahmen in fremder Währung, vor allem US-Dollar und Yen, finanziert worden. Die Investitionsrechnungen gingen von weiterhin festen Wechselkursen aus. Nunmehr sind viele Unternehmen in den betroffenen Ländern, nach der starken Abwertung ihrer Währungen, nicht mehr in der Lage, Zinsen und Amortisationen zu leisten. Investitionen, aber auch ganze Unternehmen werden notleidend. Das Wirtschaftswachstum wird weiter restriktiv beeinflußt. Alle betroffenen Länder haben für das vor ihnen liegende Jahr ihre Wachstumsprognosen revidiert. Man erwartet höchstens halb so hohe Wachstumsraten wie in den vergangenen Jahren.

Solche Entwicklungen führen in den südostasiatischen Ländern zur Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen. Das aber geht am Bankensystem dieser Länder nicht spurlos vorüber. Kredite werden notleidend. Auch Banken haben häufig Mittel in fremder Währung, - japanische Yen und US-Dollar - aufgenommen. Wegen der festen Wechselkurse unterblieben Kurssicherungen weitgehend. So fällt es auch Banken schwer, ihre Fremdwährungs-Verbindlichkeiten zu bedienen. Das Bankensystem wird geschwächt. Die Aufsichtsbehörden sind gezwungen, die Schalter relativ vieler Banken zu schließen.

Das einzig Positive an den starken Abwertungen der betroffenen Länder ist, daß dadurch der Export angeregt und der Import gedrosselt wird. Das hilft, die Leistungsbilanzdefizite zurückzuführen. Dies wiederum bildet ein, wenn auch geringes, Gegengewicht gegen die rezessiven Tendenzen, die von der Abwertung ausgehen.

Bei derart gravierenden Änderungen und den Aussichten auf eine eher rezessive Entwicklung, ist es nicht erstaunlich, daß die Aktienmärkte der betroffenen Länder mit starken Kursrückgängen reagieren. Angesichts der vorangegangen positiven Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder hatten sich auch viele ausländische Investoren, so auch Investmentfonds, an diesen Aktienmärkten engagiert. Ihr Rückzug trug zu den Einbrüchen an den Aktienmärkten bei. Aber auch andere Börsen, so die Metallbörse in London, bekamen die Turbulenzen an den ostasiatischen Märkten zu spüren. „Die Metallnotierungen haben am London Metall Exchange (LME) mehrheitlich nachgegeben. Als Grund wird am Markt die sich mit Deutlichkeit abzeichnende Abkühlung der asiatischen Wirtschaft genannt." [ „Metallpreise im Banne Asiens", Neue Zürcher Zeitung, 14.11.1997, S. 23]

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8.3. Wirkungen auf Drittländer

In einer globalen Wirtschaft breiten sich gravierende Änderungen wirtschaftlicher Rahmendaten, die in einem Teil der Erde entstehen auf alle Märkte des Globus aus. Der Einbruch der Aktienkurse in Südostasien breitete sich über alle Wertpapiermärkte der Welt aus. Das Vehikel heißt Vorsicht. „Im Handel in Frankfurt wurde darauf hingewiesen, daß sich die Anleger angesichts der angespannten Stimmung in Asien vor dem Wochenende nicht engagieren wollten." [ „Crash-Ängste schlagen Fusions-Phantasien", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.11.1997, S. 23] Viele haben sich auch in einer so unsicheren Lage von ihren Papieren getrennt. Kursverluste sind dann auch an den Börsen der Industrieländer unvermeidlich. „Im Sog des Kurssturzes an der Börse in Hongkong sind ... auch die Kurse am deutschen Aktienmarkt eingebrochen." [ „Deutsche Aktien brechen im Sog Hongkongs ein", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.10.1997, S. 17]

Ein besorgniserregendes Problem ist, daß - nach den Währungsspekulationen mit erzwungenen Abwertungen - Länder nun auch freiwillig abwerten. Das trifft z.B. auf Taiwan zu. Dieser „kleine Tiger" blieb von der Spekulation weitgehend verschont. Die umfangreichen Devisenreserven dieses Landes schreckten wohl die Spekulanten. Trotzdem wertete die taiwanische Regierung den NT$ ab. „Daß es schliesslich trotzdem dazu kam, hatte vor allem mit der Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Taiwan zu tun." [ „Währungssorgen drücken Taiwans Börse", Neue Zürcher Zeitung, 10.11.1997, S. 9] Besorgniserregend ist diese Maßnahme deshalb, weil sie sehr leicht in einen allgemeinen Abwertungswettlauf münden kann, wie das vor der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre der Fall war. Denn viele Länder sehen infolge der Abwertung südostasiatischer Währungen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt.

Zunehmende Exporte und verringerte Importe als Folge der Abwertungen südostasiatischer Staaten sind natürlich auch in Europa und Amerika spürbar. Für die südostasiatischen Staaten wird es leichter, Güter in den Industriestaaten abzusetzen. Den Industrieländern fällt es schwerer, Güter nach Südostasien zu liefern. Es kommt hinzu, daß die asiatischen Länder angesichts rückläufiger Wachstumraten in den öffentlichen Haushalten stärker sparen. Die Verwirklichung geplanter Großprojekte, wie Staudämme und U-Bahnen, wird zeitlich verschoben oder ganz gestrichen. Das bedeutet aber häufig, daß Aufträge, die europäischen oder amerikanischen Unternehmen schon sicher waren, entfallen. Dadurch wird auch in den Industrieländern das Wirtschaftswachstum von der „Ginseng-Krise" negativ beeinflußt.

Schließlich werden Banken außerhalb der Krisenländer betroffen. Diese Banken haben südostasiatischen Banken und Wirtschaftsunternehmen Kredite zur Verfügung gestellt. Ein Kursrisiko bestand für sie nicht, da sie diese Kredite in ihrer nationalen Währung, z.B. Yen oder US-Dollar, bereitstellten. Nunmehr aber müssen sie erfahren, daß durch die Abwertungen die Schuldner teilweise zahlungsunfähig geworden sind oder werden. Vermehrte Abschreibungen notleidender Kredite werden auch bei Banken in den Industriestaaten erforderlich. „Der Zusammenbruch einer japanischen Großbank offenbart die ersten realwirtschaftlichen Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise. Nach der amerikanischen Notenbank Fed dürften sich nun auch die europäischen Währungshüter an eine Revision der Wachstumsprognosen machen." [ „Zeit für ein neues Zinsszenario", Neue Zürcher Zeitung, 19.11.1997, S. 24]

Nicht nur südostasiatische Länder fühlten sich von der Spekulation bedroht. Auch in Südamerika hält man spekulative Attacken für nicht ausgeschlossen. Viele dieser amerikanischen Entwicklungs- und Schwellenländer haben feste Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar, weisen Leistungsbilanzdefizite auf und ziehen als vielversprechende Zukunftsmärkte ausländisches Kapital an. „Vor diesem Hintergrund kann nicht erstaunen, daß auch die Börsen von Mexiko, Argentinien und ... Brasilien stärkere Korrekturen hinnehmen mußten." [ „Keine Entwarnung an den Finanzmärkten", Neue Zürcher Zeitung, 31.10.1997, S. 24] Vor allem Brasilien und Argentinien spürten erste spekulative Wellen. Brasilien konnte „vorerst den jüngsten Ansturm auf die Stabilität des Real ... mit Hilfe einer drastischen Erhöhung des Zinsniveaus überstehen" [ „Frischer Wind für Brasiliens Reformen", Neue Zürcher Zeitung, 7.11.1997, S. 2] . Aber auch hier wurden die Anleger unruhig, Vertrauen in die brasilianische Wirtschaft schwand, und Kapital wurde abgezogen. So sah sich die Regierung gezwungen, Maßnahmepakete zu beschließen, um die öffentlichen Defizite und das Defizit in der Leistungsbilanz zurückzuführen. Diese Maßnahmen wurden „von offizieller Seite unverblümt als hartes und unpopuläres Sparpaket zur Rückgewinnung des Anlegervertrauens" bezeichnet. [ „Ein hartes Anpassungspaket für Brasilien", Neue Zürcher Zeitung, 10.11.1997, Sna. Sao Paulo, 9. November]

Auch die mittelost- und osteuropäischen Länder sind Entwicklungs- oder Schwellenländer. Sie weisen ein ähnliches makroökonomisches Umfeld auf, wie die südostasiatischen Staaten, nämlich öffentliche Defizite, Defizite in der Leistungsbilanz, relativ hohe Preissteigerungsraten und teilweise feste Wechselkurse. So wurden auch sie in die Spekulationen auf eine Abwertung hineingezogen. Das war der Fall z.B. in Estland, dessen Währung fest an die D-Mark gebunden ist. „Dieses außenwirtschaftliche Ungleichgewicht hat schon zu Spekulationen gegen die estnische Valuta geführt, bisher allerdings ohne spürbaren Erfolg. [ „Implosion der Börsenkurse in Estland", Neue Zürcher Zeitung, 11.11.1997, S. 22] Auch Rußland bekam Auswirkungen der südostasiatischen Währungsabwertungen zu spüren. „Unter dem Eindruck der jüngsten Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten, die zu einem Kurssturz von 20% an der Moskauer Börse führte, entschloß sich die Zentralbank zu einer Anpassung ihrer Geldpolitik." [ „Bekenntnis ‘Moskaus’ zum harten Rubel", Neue Zürcher Zeitung, 11.11.1997, S. 22]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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