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1. Legitimationsverlust der Partei der Institutionalisierten Revolution

Von seiner Gründung 1929 bis 1997 hat der PRI Mexiko allein regiert. Der PRI ist das Herzstück eines ausgeprägten korporatistischen Systems, das alle Gebietskörperschaften, die staatlichen Unternehmen und die Verbände der wichtigsten nationalen Akteursgruppen durchzieht. Durch dieses korporatistische Netz, gepaart mit einem repressiven Umgang mit der Oppositon, konnte eine stabile Herrschaft ausgeübt werden. Erst in den letzten Jahren hat dieses System seine Legitimation in großen Bevölkerungskreisen verloren. Drei Hauptfaktoren waren hierfür ausschlaggebend:

1. Geringer wirtschaftlicher Erfolg: Nach jahrzehntelangem hohem Wirtschaftswachstum, das erhebliche Spielräume zur Umverteilung (vor allem an die Klientel des PRI) ließ, mußte die mexikanische Bevölkerung ab 1982 empfindliche Reallohnverluste (bis 1988 kumuliert 40 Prozent) hinnehmen. Außerdem verringerte der Rückzug des Staates die Attraktivität korporatistischer Strukturen. Seit 1995 wurde die Unzufriedenheit mit der PRI-Regierung durch die Pesokrise geschürt. Diese Krise führte - nachdem die Reallöhne 1994 nahezu wieder das Niveau von 1981 erreicht hatten - erneut zu deutlichen Reallohneinbußen, zum Verlust von einer Million Arbeitsplätzen, zur Entwertung von Ersparnissen durch die Abwertung und zur Explosion des Zinsniveaus. Durch die hohen Zinsen wurden zahlreiche Kreditnehmer zahlungsunfähig, was Unternehmen ebenso traf wie große Teile der Mittelschicht, die ihre Eigenheime und Konsumgüter auf Pump finanziert hatten.

Diese Entwicklungen beinhalten ein hohes politisches Konfliktpotential. So entstand eine große Organisation der Kreditgeschädigten ("El Barzón"), aus der wiederum der oppositionelle PRD großen Zulauf erhielt. Auch in der Gewerkschaftsbewegung gewannen oppositionelle Kräfte politisches Gewicht. Die Gewerkschaften waren bis dahin eindeutig von der Confederación de Trabajadores de México (CTM) dominiert worden. Die CTM ist eng mit der PRI-Führung verflochten, verhielt sich bislang stets regierungskonform und trug damit wesentlich zum sozialen Frieden bzw. der vielgerühmten Leidensbereitschaft der Mexikaner bei. Unter dem Druck der Basis und der drohenden Absplitterung militanter Einzelgewerkschaften mußte jedoch auch die CTM einen stärker konfrontativen Kurs einschlagen. Auf ihrer Jahreskonferenz Anfang 1996 forderte sie freie Löhne, Steuererleichterungen und das Einfrieren der Preise für Grundnahrungsmittel. Die Emanzipation der CTM vom PRI dürfte durch den Tod des greisen CTM-Führers Fidel Velásquez 1997 weiter voranschreiten. Velásquez, der zu den rückwärtsgewandten Kräften im PRI (den sog. "Dinosauriern") zählte, hatte die Öffnung der Gewerkschaften stets hintertrieben. Auch im Unternehmerlager erwuchs der PRI-nahen Industriekammer CANACINTRA in den letzten Jahren Konkurrenz durch Neugründung anderer Kammern und Verbände. Auch die Kammer reagierte auf diese Situation mit einer schrittweisen Loslösung vom PRI-Apparat.

2. Politische Kriminalität: In den letzten Jahren wurde der PRI durch politische Morde diskreditiert, die auf parteiinterne Machtkämpfe und eine Vestrickung der höchsten politischen Ebene mit Drogenkartellen hinwiesen. Kurz vor der Präsidentschaftswahl 1994 wurden der damalige PRI-Kandidat Colosio und wenig später der PRI-Generalsekretär Francisco Ruiz Massieu ermordet. Im Zusammenhang mit diesen politischen Morden kamen mindestens zehn weitere Personen ums Leben, die dem Täterkreis als Mitwisser im Wege standen. Bis heute konnten die Politikermorde nicht aufgeklärt werden, aber vieles deutet auf eine Verstrickung bedeutender PRI-Persönlichkeiten sowie der Drogenkartelle hin. Die Entlarvung des Leiters des Nationalen Drogenbekämpfungsinstitutes, eines erst kurz zuvor eingesetzten Armeegenerals, als Drahtzieher eines der bedeutendsten Drogenkartelle Mexikos belegt ebenfalls die Verflechtung des PRI in Drogengeschäfte. Auch der Polizeiapparat ist in hohem Maße in illegale Geschäfte verstrickt.

3. Menschenrechtsverletzungen und counter-insurgency, v.a. im Chiapas: Die strukturelle Vernachlässigung ländlicher Regionen führte zu Protesten in stark benachteiligten Bundesstaaten. Am 1.1.1994 - dem Tag des Inkrafttretens des NAFTA-Vertrages - brach in dem südlichen Bundesstaat Chiapas ein Guerillaaufstand aus, der die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zog. An diesem Tag nahm das „Zapatistische Nationale Befreiungsheer" (Ejército Zapatista de Liberación Nacional, EZLN) vier Gemeindehauptorte im Chiapas mit Waffengewalt ein. Die Befreiungsbewegung forderte die explizite Anerkennung und Umsetzung ethnischer, sozialer sowie ökonomischer Rechte der indianischen Bevölkerung. Dabei stützte sich der EZLN in seinen weiteren Aktivitäten jedoch nicht auf Waffengewalt, sondern wollte über Regierungsverhandlungen unter Beteiligung diverser indianischer Interessenvertretungen seine Ziele durchsetzen. Sein prominenter und rhetorisch gewandter Führer Marcos erwarb Sympathien und Unterstützung weit über die Landesgrenzen hinaus. Der Chiapas-Konflikt war weder mit schnellen Versprechungen seitens der Regierung noch mit aufmarschierendem Militär kurzfristig von der Bildfläche der Innenpolitik zu verbannen. Die Regierung Zedillos signalisierte zunächst Verhandlungsbereitschaft und handelte ein Abkommen über die indianischen Rechte aus. Später distanzierte sie sich jedoch von diesem Abkommen und schlug einen härteren Kurs ein. Das Truppenaufkommen im Chiapas und angrenzenden Regionen wurde verstärkt. Außerdem wurde eine counter-insurgency-Politik eingeleitet. Paramilitärische Organisationen wie "Paz y Justicia" werden vom PRI unterstützt, Gemeinden werden gegen linke, dem EZLN bzw. dem PRD verbundene Nachbargemeinden aufgestachelt und Mordkommandos von Polizei und regionalen Behörden gedeckt. Auf diese Weise haben seit 1994 zahlreiche Massaker in Gemeinden stattgefunden, die mit den Aufständischen symphatisieren. Vorläufiger Höhepunkt war der Mord an 45 Tzotzil-Indios in der Hochlandgemeinde Acetal am 22.12.97. Da die Polizei auch in diesem Fall die paramilitärischen Milizen offenbar bewaffnet hatte, zumindest aber nicht eingeschritten war, mußte Innenminister Chuayffet seinen Hut nehmen.

Im Sommer 1996 trat eine weitere Guerrillaorganisation mit spektakulären Aktionen im Bundesstaat Guerrero in Erscheinung: der Ejército Popular Revolucionario (EPR). Dieser lieferte sich zunächst kleine Gefechte mit Polizei und Militär und verübte mehrere politische Morde. Später wurden auch in anderen Bundesstaaten koordinierte Anschläge verübt. Bei der neuen Organisation scheint es sich um den bewaffneten Flügel einer maoistischen Splitterpartei zu handeln. Auch die Attentate des EPR wurden mit erhöhter Militärpräsenz und vielfach unangemessener, willkürlich angewandter Repression gegen die Einwohner der betreffenden Regionen beantwortet. Neben EZLN und ERP existieren zumindest sieben weitere, zum Teil anwachsende Guerrillaorganisationen im Land. Diese Entwicklung zeigt, daß der Chiapas-Aufstand kein Einzelfall ist und auch andere Peripherieregionen erheblichen sozialen Sprengstoff beinhalten.

Durch die direkte militärische Repression und die counter-insurgency-Politik wird die Verletzung der Menschenrechte in Mexiko immer mehr zu einem öffentlichen Thema. Neben der wachsenden Zahl dokumentierter Fälle dürfte dieses auch eine Folge umfassenderer Beobachtung durch Menschenrechtsorganisationen und eine insgesamt freiere Presseberichterstattung sein. In den betroffenen südlichen Bundesstaaten wurde die Pressefreiheit andererseits zum Teil stark eingeschränkt. So wurde ausländischen Journalisten und Fernsehteams die Einreise zu Seminaren verweigert, die von der EZLN organisiert wurden. Vertretern von Menschenrechtsorganisationen verwehrte man das Zusammentreffen mit politischen Gefangenen, und einige unliebsame Rundfunksender mußten schließen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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