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Staat und Steuersystem

Österreich hat - wie die Bundesrepublik - die Tradition eines starken Staatseinflusses, eines lebendigen Föderalismus und einer ausgeprägten Gemeindeautonomie. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt betrug die Abgabenquote 1995 42,0 % (Deutschland 39,1 %), wobei die Steuerquote bei 24,0 % (D: 23,7 %) lag, die Quote der Sozialversicherungsbeträge bei 18,0 % (D: 15,4 %). Die österreichische Verwaltung hat den Ruf, korrekt, aber zum Teil schwerfällig zu sein. Dies hängt vor allem zusammen mit einem ausgeprägten Rechtschutzsystem sowie vergleichsweise weitgehenden ökologischen, raumplanerischen und sozial -und arbeitsrechtlichen Regelungen. In der Standortdiskussion in Österreich wird demnach auch der Steigerung von Geschwindigkeit und Effizienz der Verwaltung besonders Gewicht beigemessen. Dem dienen speziell neue Regelungen zur Verfahrenskonzentration bei Bau -und Betriebsbewilligungen. Inzwischen ist die Geschwindigkeit von Verfahrens -und Genehmigungsabläufen zu einer wichtigen Komponente des Standort-Wettbewerbs geworden. So garantiert das Land Oberösterreich, daß Betriebsbewilligungsverfahren in der Regel nicht mehr als 30 Tage, maximal aber 100 Tage dauern dürfen. Wie in anderen Staaten gibt es in Österreich eine Tendenz zum Rückzug des Staates auf "Kernaktivitäten" und eine entsprechende Ausgliederung, bzw. gänzliche oder teilweise Privatisierung im Bereich von öffentlichen Unternehmen und Industriebeteiligungen.

Gleichzeitig hat sich in früheren öffentlichen Monopolbereichen die Wettbewerbsintensität deutlich erhöht bzw. ist eine solche Erhöhung im Rahmen der EU-bedingten Marktöffnung absehbar. Dies gilt etwa für den Telekommunikationsbereich, die elektronischen Medien, wo ab 1998 Privatradios eine größere Rolle spielen werden, und die E-Wirtschaft. Die EU-Wettbewerbsregeln bewirken auch, daß bei öffentlichen Aufträgen bisherige "Hoflieferanten" öffentlicher Unternehmen (z.B. Bahn und Post) unter größeren internationalen Wettbewerbsdruck kommen; ähnliches gilt für die Bauwirtschaft.

Bei insgesamt im Vergleich zu Deutschland etwas höherer Steuerquote weist Österreich in der Steuerstruktur einen geringeren Anteil der direkten und einen höheren Anteil indirekter Steuern auf. Dazu tragen insbesondere die größere Bedeutung der Mehrwertsteuer (Normalsatz 20 %) und der Getränkesteuer als kommunaler Abgabe bei.



Struktur der öffentlichen Abgaben, 1995

(in Prozent des BIP)


Österreich

Deutschland

EU 15

Steuern auf das Einkommen

11,1

11,8

14,6

Beiträge zur gesetzl. Sozialversicherung

18,0

15,4

12,8

Steuern auf das Vermögen

0,6

1,1

1,8

Steuern auf Güter und Dienstleistungen

11,7

10,9

13,2

Sonstige Steuern

0,5

0,0

0,2

Steuern und Abgaben insgesamt

42,0

39,1

42,5

Quelle: OECD, Revenue Statistics, Paris 1996




Im Bereich der direkten Besteuerung hat Österreich in den vergangenen Jahren eine Reihe von Reformen durchgeführt, die in Deutschland erhebliches Interesse gefunden haben. Dabei sind bei der Steuerreform in Österreich zwei Phasen zu unterscheiden.

Steuerreform I folgte 1988 im wesentlichen der internationalen Reformkonzeption: Senken der Steuersätze (Spitzensteuersatz von 62% auf 50%) bei Ausweitung der Bemessungsgrundlage durch Streichen bzw. Einschränken von Ausnahmeregelungen. Außerdem gelang es im Rahmen dieser Steuerreform, erstmals eine adäquate steuerliche Erfassung der Zinseinkommen durchzusetzen, die dann in der Folge ausgebaut wurde. Heute besteht (mit dem Satz von 25%) eine durchgehende Besteuerung der Zinseinkommen und Beteiligungserträge (Dividenden, GmbH-Gewinnanteile), die als Quellensteuer direkt (speziell von den Kreditinstituten) abzuführen ist. Diese Kapitalertragssteuer ist als Endbesteuerung konzipiert, d.h. mit dem Quellenabzug ist die gesamte Einkommenssteuerpflicht, aber auch die Vermögens- und (mit Ausnahme von Unternehmensbeteilungen) die Erbschaftssteuer abgegolten. Diese äußerst großzügige Regelung ist freilich vor dem Hintergrund der österreichischen Besonderheit der Anonymität der Spareinlagen und (zu diesem Zeitpunkt) auch der Wertpapierkonten zu sehen. Regelungen, die den Prinzipien der horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit eher entsprochen hätten, waren unter diesen Voraussetzungen steuertechnisch schlicht nicht durchsetzbar. Da aber die Sparquote typischer Weise mit der Höhe der Einkommen ansteigt, ergibt sich auch bei der proportionalen Endbesteuerung durch die vollständige tatsächliche Erfassung de facto eine indirekte Progressionswirkung, wobei für kleine Einkommen auf Antrag eine Anrechnung und damit Rückerstattung möglich ist. Ausländische Anleger werden bei anonymen Konten selbstverständlich von der Quellensteuer erfaßt, bei Identitätsnachweis erfolgt in Österreich keine Besteuerung.

Als Quellensteuer erfaßt die neue Kapitalertragssteuer auch alle "Schwarzgeld"-Bestände, die damit - in dieser Hinsicht - eine Entkriminalisierung erfahren. Letzteres wurde noch durch eine großzügige Steueramnestie unterstützt. Dies und wohl vor allem der mit dem Quellenabzug verbundene wesentliche Vereinfachungseffekt hat dazu geführt, daß entgegen manchen Befürchtungen diese neue Form der Kapitalertragssteuer bei den Steuerpflichtigen volle Akzeptanz gefunden hat. Dieser Mut zu einer finanzwissenschaftlich sicher unvollkommenen Lösung hat sich für den Staat als fiskalisch erfolgreich erwiesen: Erbrachte die Kapitalertragssteuer 1985 ganze 0,2% des Abgabenaufkommens, so stieg dieser Anteil bis 1997 auf immerhin 4,4%, wobei freilich der Gesamteffekt unter Berücksichtigung der früheren Steuerpflicht in bezug auf Einkommen und Vermögen nicht feststellbar ist.

Zur Verhinderung der Abwanderung hoher Vermögen wurde in Österreich das Rechtsinstitut der Privatstiftung (Privatstiftungsgesetz 1993) ausgebaut und steuerlich sehr günstig ausgestaltet: Zuwendungen des Stifters an seine Privatstiftung (Vermögensübertragungen) unterliegen nicht der Schenkungssteuer, sondern nur einem festen Satz von 2,5 %. In- und ausländische Kapital- und Beteiligungserträge der Stiftung bleiben steuerfrei, nur die Zuwendungen der Stiftung an Letztbegünstigte unterliegen, wie Dividendenzahlungen, der Kapitalertragssteuer als Endbesteuerung (25 %).

Die erste Etappe der Steuerreform wird inzwischen durchweg als erfolgreich angesehen. Die Beurteilung der 1994 in Kraft getretenen zweiten Etappe der Steuerreform ist dagegen - auch bei den damals politisch Verantwortlichen - nicht so eindeutig.

Ausgangspunkt war die Überlegung, unter dem Aspekt der EU-Mitgliedschaft und des EU-Beihilfenverbotes zugunsten der Attraktivität des Standortes Österreich, speziell für Ansiedlungen, Standortpolitik statt über Beihilfen über die Steuerpolitik zu betreiben. Unter diesen Aspekten kam es zur Abschaffung der Gewerbesteuer und der betrieblichen und privaten Vermögenssteuer (einschließlich Erbschaftssteueräquivalent für Kapitalgesellschaften). Bei der Gewerbesteuer stellte sich - wie in Deutschland - vor allem das Problem einer Gegenfinanzierung für die Gemeinden in Form eigener, gemeindebezogener Abgaben. Der ursprüngliche Vorschlag des damaligen sozialdemokratischen Finanzministers Lacina ging in Richtung einer kommunalen Wertschöpfungsabgabe, der als Bemessungsgrundlage Löhne, aber auch Gewinne, Zinsen und Abschreibungen zugrunde liegen sollten. Dieses Konzept, das sich an Vorstellungen des Wissenschaftlichen Beirats beim deutschen Bundesfinanzministerium orientierte, scheiterte am Widerstand der Unternehmensvertretungen. Letztlich wurde dann die (auf "Kommunalabgabe" umgetaufte) Lohnsummensteuer von 2% auf 3% erhöht und im Anwendungsbereich ausgeweitet. Eine Teilkompensation erfolgte auch über die Körperschaftssteuer, die nun für thesaurierte und ausgeschüttete Gewinne einheitlich 34% (bei Festlegung einer Mindestkörperschaftssteuer) beträgt.

Der Fortfall der betrieblichen Vermögenssteuer, der de facto vor allem große Industrie- und Versorgungsunternehmen unterlagen, wurde (teilweise) durch Einschränkungen der steuerlichen Investitionsbegünstigungen kompensiert. Die Abschaffung der persönlichen Vermögenssteuer (die in bezug auf Geldvermögen ja nicht mehr bestand), sollte durch höhere Erbschaftssteuern und spezifische Erhöhungen der Versicherungssteuer kompensiert werden. Dieser Ausgleich konnte im weiteren politischen Prozeß dann nicht mehr durchgesetzt werden, so daß hier ein erhebliches verteilungspolitisches Ungleichgewicht entstand.

Eine seriöse Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Wirkungen der österreichischen Steuerreform ist kaum möglich, da Österreichs Wirtschaftsentwicklung in diesem Zeitraum vor allem von konjunkturellen und strukturellen Faktoren (EU-Mitgliedschaft, Ostöffnung) bestimmt war. Die Steuerreform dürfte zu einer gewissen Verbesserung der Stellung Österreichs im Rahmen der internationalen Standortkonkurrenz geführt haben, der tatsächliche quantitative Effekt auf Investitionen und Beschäftigung dürfte freilich nicht allzu hoch anzusetzen sein. Wirksamer - allerdings vor allem im defensiven Aspekt der Verhinderung von Abwanderungen - war in bezug auf hohe Privatvermögen die Einführung des steuerlich extrem günstig ausgestatteten Privatstiftungsrechts.

In bezug auf den Unternehmensbereich hat sich gezeigt, daß in der Praxis Standortwettbewerb heute de facto sowohl über die Steuer-, wie über die Beihilfen-"Schiene" geführt wird. Angesichts der erheblichen Mitnahmeeffekte, die mit jeder Form steuerlicher Förderung verbunden sind, hat sich die Reduzierung der Gewinn- und die Abschaffung der Vermögenssteuern in Österreich aufkommensmäßig auch mittelfristig jedenfalls negativ ausgewirkt. Rein fiskalisch kann demnach von einer "Selbstfinanzierung" der Steuerreform keine Rede sein, es war im Gegenteil nötig, im Rahmen von Konsolidierungsmaßnahmen später wieder öffentliche Abgaben anzuheben.

Dies ist auch im Zusammenhang zu sehen mit der öffentlichen Kritik, daß trotz erheblicher Entlastungsmaßnahmen für Arbeitnehmer und speziell für Familien bei der zweiten Phase der Steuerreform insgesamt Unternehmen und hohe Einkommensbezieher die Hauptgewinner waren. Dies führte dazu, daß die Finanzpolitik in der Folge nicht in der Lage (und z.T. auch nicht Willens) war, Wünschen nach erheblichen sozialpolitischen Verbesserungen zu widerstehen. Die Kombination von Steuerausfällen, zusätzlichen Sozialleistungen und gesamteuropäischem Konjunktureinbruch ergab in der Folge dann eine massive Verschlechterung der Budgetlage. Um im Sinne der Maastricht-Kriterien die Nettodefizite wieder zurückzuführen, waren dann "Sparpakete" nötig, die zu erheblichen politischen Turbulenzen, bis hin zu Neuwahlen, führten. Auch hier zeigte sich wieder, wie entscheidend es ist, daß finanzpolitische Maßnahmen als verteilungspolitisch "fair" betrachtet werden. Eben an diesem Kriterium scheiterte das erste "Sparpaket". Erst der zweite Anlauf, der neben Ausgabenkürzungen auch deutliche, wenn auch zum größten Teil nur temporäre Erhöhungen der Besteuerung von Unternehmen und hohen Einkommen vorsieht, fand einen breiten Konsens und hat einen raschen Abbau des Nettodefizits bewirkt.

Von 1995 bis 1997 konnte das Nettodefizit des Bundes (in Prozent des BIP) von 5,01% auf 2,73% gesenkt werden (die Nettodefizitquote für den gesamten öffentlichen Sektor beträgt 1997 2,9 %). Auch für die nächsten Jahre wird eine weitere Absenkung der Defizitquoten im Zentrum der Finanzpolitik stehen. Dies läßt auch erwarten, daß der fiskalische Spielraum für die nächste für das Jahr 2000 angesetzte Etappe der Steuerreform nicht allzu hoch zu veranschlagen ist.

Im Bereich der Sozial-, insbesondere der Pensionsversicherung zeigt sich auch in Österreich eine längerfristige Tendenz zu einem niedrigeren Renteneintrittsalter bei gleichzeitiger Erhöhung der Lebenserwartung. Um langfristig die Finanzierbarkeit der öffentlichen Pensionssysteme zu sichern, erfolgte 1997 eine umfassende Reform, bei der zwar nicht alle angestrebten Ziele erreicht, aber jedenfalls wesentliche neue Akzente gesetzt werden konnten. Kernstück der Reform ist die Verlängerung des Bemessungszeitraums. Ab dem Jahr 2020 werden die 18 besten Beitragsjahre herangezogen, wenn man vor dem gesetzlichen Regelalter (65 Jahre) in den Ruhestand tritt. Um die "Flucht aus der Sozialversicherung" bei atypischen Arbeitsverhältnissen zu unterbinden, werden nun alle Erwerbseinkommen in die Sozialversicherung einbezogen, bisherige Umgehungsmöglichkeiten sollen damit ausgeschaltet werden. Die "neuen Selbständigen", die keinen Gewerbeschein besitzen, werden in der Gewerblichen Sozialversicherung eingebunden. Dienstgeber müssen künftig für alle geringfügig beschäftigten Personen einen pauschalierten Dienstgeberbeitrag zahlen, wenn die Summe der Entgelte aller geringfügig Beschäftigten das eineinhalbfache der Geringfügigkeitsgrenze, also 5610 S, übersteigt. Für Arbeitnehmer gibt es eine freiwillige Selbstversicherung.

Von besonderer politischer Bedeutung war, daß mit dieser Reform auch eine schrittweise Angleichung des allgemeinen Sozialversicherungssystems mit den Beamtenpensionen erreicht wurde. Ab dem Jahr 2020 wird es ein in seinen Grundzügen einheitliches Pensionssystem für sämtliche Arbeitnehmer in Österreich geben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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