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Internationale Beziehungen: EU und NATO



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EU-Mitgliedschaft

Am 13. Dezember, dem 16. Jahrestag der Einführung des Kriegsrechts in Polen, wurde das Land zu im April 1998 beginnenden Beitrittsverhandlungen eingeladen. EU-Offizielle betonen, die zentrale Frage sei jetzt, wie sich Polen intern organisieren wolle, um möglichst rasch EU-Normen übernehmen und verhandeln zu können. Bis Mitte Januar, immerhin mehr als drei Monate nach den Wahlen, hatte sich die polnische Regierung noch nicht entschieden, welche Person und welche Institutionen die Beitrittsverhandlungen führen sollen. Das insider-fighting zwischen dem UW-geführten Auswärtigen Amt und dem Komitee für Europäische Integration unter Leitung des jungen AWS-Christen Czarnecki schien endlos zu werden. Sicher ist, daß der zu benennende Haupt-EU-Unterhändler direkt dem Premierminister zugeordnet werden soll.

Polen gilt in Brüssel als schwieriger, gelegentlich arroganter Verhandlungspartner. Das Bonmot, man müsse Polen immer wieder deutlich machen, daß nicht die EU ihm beitreten wolle, macht in diplomatischen Zirkeln die Runde. In der ersten Phase der Verhandlungen werden Polens Anstrengungen der Anpassung an den acquis communautaire im Zentrum stehen. Europa-Minister Czarnecki glaubt, 40% der polnischen Gesetze seien mit den europäischen Regelungen kompatibel. EU-Offizielle sind da weniger optimistisch. Sie schätzen, Polen habe maximal 20% der im sog. „white paper" vorgeschlagenen Regelungen in die polnische Gesetzgebung übernommen. Auch das Europa-Komitee erläutert, daß noch Hunderte von Gesetzen und 20 000 Rechtsakte zu verändern sind, um für die ca. 80.000 Seiten füllenden Acquis-Regelungen kompatibel zu werden. Es gehe nicht um Rechtsbeschlüsse in Papierform, sondern vor allem um deren Durchsetzung durch eine funktionierende Verwaltung. Hier lägen größere Defizite, an denen hart zu arbeiten sei, betonen Brüsseler Vertreter.

Der wirtschaftliche Erholungsprozeß war in Polen schneller und stärker als in allen anderen „postkommunistischen" Ländern der Region. Dennoch bleibt der Abstand selbst zu den ärmsten EU-Ländern groß. Das polnische Pro-Kopf-Einkommen nach Kaufkraft-Paritäten stieg von 4.500 US-$ im Jahre 1991 auf etwa 7.000 US-$ im Jahre 1997. Wenn Polen weiterhin seine Wachstumsrate zwischen 5% und 7% beibehalten würde, damit doppelt so schnell wie beispielsweise Griechenland oder Portugal wachsen würde, könnte es im Jahre 2010 diese Länder einholen. Nach dem gleichen Berechnungsmodus bräuchte Polen etwa 30 Jahre, um 75% des EU-Durchschnitts-Pro-Kopf-Einkommens zu erreichen. So lange wäre Polen also Empfänger von Mitteln der Strukturfonds, argumentieren Skeptiker der Erweiterung.

Der technologische Abstand zwischen Polen und entwickelten westlichen Ländern bleibt groß. Nach Schätzungen des Regierungszentrums für Strategische Studien betragen die polnischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung bezogen auf das BIP höchstens ein Viertel der Aufwendungen in entwickelten Ländern. Auch der Anteil von Studenten (1997: 24 von 1000 Einwohnern) ist geringer als in Frankreich oder Spanien. Trotz aller Erfolge sind Arbeitslosigkeit und Inflation auch für EU-Standards immer noch hoch. Mit 1,7 gebauten Wohnungen für 1000 Einwohner im Jahre 1997 liegt Polen im Wohnungsbau nicht nur hinter allen westeuropäischen Ländern (Deutschland und Frankreich: 7 pro 1000), sondern auch hinter Ländern wie Ungarn (2,4), Ukraine (2,3) oder Belarus (2,7). Der Zustand des polnischen Gesundheitswesens und der Gesundheit der Polen hat sich zwischen 1990 und 1997 verschlechtert.

Konkurrenzfähig ist Polen in Teilbereichen durch billige Arbeitslöhne. Nach Berechnungen des o.g. Zentrums ist die Arbeitsstunde in Polen 6,7mal billiger als in Deutschland, 5mal niedriger als in Spanien und 2mal niedriger als in Griechenland oder Portugal. Andererseits sind die Arbeitskosten (incl. der Nebenkosten) etwa doppelt so hoch wie in Ungarn, 6mal höher als in Rumänien und 15mal höher als in Bulgarien.

Nach Berechnungen polnischer Agrarexperten werden bestenfalls 20%-30% der polnischen Landwirtschaftsbetriebe in der Lage sein, mit westeuropäischen Betrieben zu konkurrieren. Um dem polnischen Transformationsprozeß die nötigen Impulse zur Verbesserung von Produktivität und Lebensstandard zu geben, sind also noch erhebliche Anstrengungen nötig. Für die Restrukturierung des Kohlebergbaus müssen in den nächsten vier Jahren – ohne Berücksichtigung der sozialen Kosten – mindestens etwa 4 Mrd. US-$, für die Ölindustrie – ca. 3 Mrd. und für die Stahlindustrie mindestens 4 Mrd. ausgegeben werden, 6 Mrd. US-$ werden für die Investitionen in Telekommunikation, über 30 Mrd. für den Energiesektor, eine nicht zu benennende Summe für die Restrukturierung der Landwirtschaft benötigt. Nach Schätzung der EBRD bedarf die Modernisierung der polnischen Transportinfrastruktur, Straßen und Eisenbahnen, bis zum Jahre 2000 ca. 25 Mrd. ECU. Ein ökologisches „upgrading" des Landes mindestens die gleiche Summe. Diese Zahlen verdeutlichen, daß Spar- und Investitionsquoten in Polen gesteigert werden müssen. Auslandsinvestitionen alleine könnten selbst nach optimistischsten Erwartungen dem Kapitalbedürfnis des Landes nicht genügen.

Polens Transformationsprozeß benötigt einen neuen „push forward" in vielen Bereichen der Wirtschaft des Landes. Verbesserung der Funktionsweise der Märkte, Privatisierung, Deregulierung, mikroökologische Restrukturierung, institutionelle und administrative Reformen und eine feste Orientierung auf Westeuropa sind nicht nur wünschenswert, sondern nötig für zu beschleunigende Modernisierungsprozesse.

Finanzminister Leszek Balcerowicz und andere Wirtschaftsexperten warnen vor wirtschaftspolitischer „Euphorie", vor den Gefahren mittelfristiger Stagnation und daraus folgender „zweitklassiger" EU-Mitgliedschaft Polens. Vielleicht wird Teilen der politischen Elite erst während der in diesem Jahr beginnenden Beitrittsverhandlungsprozesse wirklich deutlich, daß die großen Schwierigkeiten nicht in der Antwort auf die Frage des „Wann", auf die sich Polen bisher konzentrierte, sondern des „Wie" eines Beitritts liegen.

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NATO-Beitritt: Viele Hürden sind genommen

Am 16. Dezember hat Polen – zusammen mit Ungarn und der Tschechischen Republik – in Brüssel die Beitrittsprotokolle signiert, die seinen förmlichen Aufnahmeprozeß in die NATO einleiten. Zum 50. Jahrestag der Gründung der Allianz, am 4. April 1999 soll Polen Vollmitglied werden. Ein NATO-Beitritt wird für Polen die glückliche Lösung eines 250 Jahre alten Dilemmas sein. Er gilt als endgültige Überwindung der geostrategischen Isolation Polens zwischen zwei mächtigen Nachbarn. Dementsprechend sprechen sich 80% der Bürger und damit, abgesehen von Rumänien, der höchste Prozentsatz einer Bevölkerung in Mittel- und Osteuropa für einen Beitritt zur NATO aus. In Polen wird auch die symbolische Bedeutung einer NATO-Mitgliedschaft des Landes, die zum ersten Mal seit 1000 Jahren eine Bündnisgemeinschaft mit Deutschland konstituiert, betont.

Verteidigungsminister Onyszkiewicz kündigte an, Polen wolle nicht nur passiver Nutznießer der Bündnissicherheit sein, sondern aktiv Verantwortung übernehmen. Dies bezeuge das Engagement seines Landes im Golfkrieg, in Haiti oder in Bosnien.

Der politischen Elite Polens ist bewußt, daß sich die NATO in Wandlungsprozessen befindet. Keinesfalls wünscht man eine Veränderung des Bündnisses in Richtung auf ein System kollektiver Sicherheit, also eines OSZE-ähnlichen Gebildes. Daher bekräftigen Außen- und Verteidigungsminister immer wieder gegenüber ausländischen Besuchern ihr unbedingtes Interesse an dauerhafter Präsenz der Amerikaner in Europa. Die Anfang Dezember erneut von Verteidigungsminister Rühe und dem ehemaligen amerikanischen Sicherheitsberater Brzezinski in Warschau vorgestellte These, gerade eine ausgeprägte verteidigungspolitische Identität der Europäischen Union und damit ein starker europäischer Pfeiler der NATO halte die Amerikaner in Europa und unterstütze damit das transatlantische Bündnis, scheint manche polnischen Euroskeptiker überrascht zu haben.

Polen wird als größter der drei Beitrittskandidaten auch die mit Abstand stärksten Streitkräfte in die Allianz einbringen: drei Korps mit 23 Kampfbrigaden (Ungarn: 8, Tschechien: 11), also etwa 6 Divisionen nach NATO-Kriterien. Erste Aufgabe wird sein, die sog. „Interoperabilität" herzustellen, also die Möglichkeit, mit Streitkräften anderer NATO-Partner zu kooperieren. Hierzu sind Versorgungskapazitäten und Infrastrukturen aufzubauen, die im Krisenfall Verstärkungen der Partner aufnehmen können. Vor allem müssen genügend Offiziere über ausreichende Englischkenntnisse verfügen und die Abläufe der Arbeit in den NATO-Stäben lernen. Heute sprechen nur etwa 1500 Offiziere und Soldaten Englisch und ca. 500 Deutsch. Erst dann wird die Anschaffung von teuren Kommunikationsmitteln und neuer Waffensysteme notwendig werden.

Noch bevor Polen zur Aufnahme der Verhandlungen eingeladen wurde, hatte die polnische Armee mit Reformen begonnen. Stichworte sind Reduzierung, Reorganisation und Restrukturierung. Ende der 80er Jahre war die polnische Armee mit 450.000 Soldaten die zweitgrößte des Warschauer Pakts und die viertgrößte Europas. Es ist geplant, die derzeitige Stärke von 220.000 auf 180.000 Soldaten zu reduzieren und eine einfachere Struktur zu schaffen. Divisionsebenen werden abgeschafft, statt dessen kleinere, bewegliche, mobile Brigaden eingerichtet. Auch sollen die vier Wehrbereiche auf zwei (Nord und Süd) reduziert werden. Die bisher an der Westgrenze konzentrierten Truppen werden gleichmäßig über ganz Polen verteilt.

Mit der Umstrukturierung, die sowohl Armeehaushalt als auch Armeekader betrifft, soll eine Professionalisierung der Armee erreicht werden. Statt bisher 44% sollen in Zukunft 60% der Streitkräfte Berufssoldaten sein. Die Zahl der Wehrpflichtigen wird verringert, der Wehrdienst um ein halbes Jahr auf zwölf Monate verkürzt. Im Fünfzehn-Jahresplan „2012" will Polen 70 Mrd. US-$ für seinen Verteidigungssektor ausgeben. 30% davon sollen für Munition und Ausrüstungen verwendet werden.

Derzeit operieren 33 direkt mit dem Verteidigungssektor verbundene Rüstungsunternehmen in Polen, 4 bis 8 davon werden Überlebenschancen eingeräumt. Die interessengebundene Diskussion über die Zukunft der Waffenindustrie, deren Überleben u.a. durch joint ventures mit französischen, britischen und US-Unternehmen gesichert werden soll, scheint gelegentlich die der Restrukturierung der polnischen Streitkräfte zu überschatten. Polen wissen, daß sich ihre Armee mit oder ohne NATO-Strukturen modernisieren muß. Dies läßt voraussichtliche Kosten und Opfer erträglicher erscheinen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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