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TEILDOKUMENT:

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3. Wirtschaftsstandort Kommune

Für die zukünftige Entwicklung der Kommunen in West und Ost ist von entscheidender Bedeutung, daß Veränderungen sich nicht auf die Konsolidierung der defizitären Haushalte - insbesondere durch Personalabbau - beschränken, sondern daß die Verantwortlichen gleichzeitig das Ziel verfolgen, die Verwaltung in jeder nur möglichen Form zu modernisieren.

Zu einer umfassenden Reform in diesem Sinn gehört neben der Stärkung der Eigenverantwortung der Beschäftigten auch die Einführung (betriebs-)wirtschaftlichen Denkens und Handelns in der Verwaltung.

Städte und Gemeinden sind beileibe nicht nur Einrichtungen, in denen Rechtsvorschriften im Verhältnis zu Bürgern oder anderen öffentlichen Institutionen angewendet werden, sondern sie nehmen in immer stärkerem Umfang auch am Wirtschaftsleben teil. Ähnlich war die Rolle der Kommunen in der früheren DDR-Verfassung beschrieben, wenn auch die sozialistische Praxis alles andere als eine Erfolgsgeschichte in Sachen wirtschaftlicher Fortschritt war.

Aber heutzutage wird den östlichen Gemeinden als "Mitspieler" in der sozialen Marktwirtschaft in der Tat ein hohes Maß an wirtschaftlichem Sachverstand abverlangt, für den die Mitarbeiter gerade im Osten gar keine entsprechenden Qualifikationen erworben haben können.

Was nutzen all die (überdimensionierten) Gewerbeparks zwischen Rügen und der tschechischen Grenze, wenn ihnen das richtige Konzept und die adäquate Wirtschaftsförderung fehlen, um die richtige Mischung von Unternehmen dort anzusiedeln? Was hilft es einer ganzen Region, z.B. rund um Eisenhüttenstadt oder Bitterfeld, mit großzügiger Subvention von mehreren hundert Mio. DM aus Kassen der Europäischen Union, des Bundes und des Landes umstrukturiert zu werden, wenn die Verantwortlichen vor Ort anschließend nicht in der Lage sind, die neu geschaffene Infrastruktur sinnvoll zu nutzen?

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Anforderungen der Wirtschaft

Wer als Investor mit einer ostdeutschen Kommune in Verbindung tritt, erwartet gewöhnlich weit mehr als die - preisgünstige - Bereitstellung von Gewerbeflächen. Das beginnt mit dem für den Unternehmer selbstverständlichen Service einer raschen Baugenehmigung, die ein Minimum an Auflagen und ein Maximum an Entwicklungsmöglichkeiten enthält. Aber zum Dienstleistungsangebot der Gemeinden muß im harten Wettbewerb mit anderen potentiellen Standorten vieles mehr gehören, um Betriebe für eine Neuansiedlung zu gewinnen.

Da stellt sich häufig die Frage: Welche öffentliche Förderung kann für Investitionen erlangt werden? Wie läßt sich die entsprechende Förderkulisse mit Darlehen der örtlichen Bank oder von Kreditinstituten des Landes verknüpfen? Und weiter: Welche interessanten Verbindungen gibt es zu anderen Unternehmen in der Region, um das Potential eines Betriebes voll auszuschöpfen? Wichtig ist bei jeder Investition auch ein genauer Überblick darüber, wieviel qualifizierte oder qualifizierbare Arbeitskräfte es am Ort oder in der Region für den geplanten Betrieb gibt, denn Unternehmer wollen dies gewöhnlich vor einer Standortentscheidung wissen und sich nicht erst nach getroffener Wahl auf die mühsame Suche nach geeigneten Mitarbeitern zu machen.

Schließlich spielen auch noch sog. weiche Standortfaktoren wie Wohnen, Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote eine erhebliche Rolle.

Für diese breite Dienstleistungspalette gegenüber der Wirtschaft sind die Kommunen in den Neuen Ländern bislang wenig gerüstet. Der Investor, als Kunde begriffen, erwartet verständlicherweise eine schnelle und kompetente Bearbeitung seiner Anliegen.

In Konkurrenz mit anderen Standorten auch jenseits der deutschen Grenzen haben kurze Fristen und Rechtssicherheit im Antrags- und Genehmigungsverfahren eine große Bedeutung. Dies verlangt ein

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hohes Maß an Sachverstand, Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit und anderen Führungseigenschaften auf seiten der Beschäftigten in der Kommunalverwaltung.

Um Ansiedlungen nicht dem Zufall oder dem auch nicht immer weitblickenden Beschluß eines Investors zu überlassen (auch in Ostdeutschland steigt die Zahl der Insolvenzen), wäre es sinnvoll, daß Kommunen auf wirtschaftlichem Gebiet viel stärker als bisher zusammenarbeiten und z.B. übergreifend für ganze Regionen ein Entwicklungskonzept erarbeiten. Dabei könnten auch Vereinbarungen über gemeinsame Ziele und das wirtschaftliche Profil einer Region getroffen werden.

Kein Bürgermeister oder Geschäftsführer einer kommunalen Wirtschaftsfördergesellschaft sollte sich im übrigen Illusionen über die Zahl an Unternehmen machen, die noch neue Standorte suchen. Es sind - wie die Praktiker der Wirtschaftsförderung wissen - nicht sehr viele, vor allem repräsentieren sie in der Regel eher Kleinbetriebe mit wenigen Beschäftigten und nicht Großbetriebe, die den Traum von mehreren tausend Arbeitsplätzen für die Region in Erfüllung gehen lassen.

Wichtiger als der beliebte Bürgermeister-Wettbewerb um neue Investoren ist deshalb die Bestandspflege bei den schon am Ort bestehenden Unternehmen und die Nutzung des eigenen Potentials in einer Region.

Vorhandene Arbeitsplätze durch entsprechende Dienstleistungen auf längere Sicht zu sichern, ist eine Aufgabe, die von vielen Städten und Gemeinden im Osten Deutschlands stark vernachlässigt worden ist. Auch für diese Aufgabe müßten die derzeit bei den Kommunen Beschäftigten mindestens durch gezielte Fort- und Weiterbildung qualifiziert werden.

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Patentrezept Privatisierung?

In den Alten Bundesländern hat die Finanznot viele Kommunen in den letzten Jahren dazu veranlaßt, eine Reihe ihrer Kommunalbetriebe zu privatisieren, weil sie sich von dieser Entscheidung eine Entlastung ihrer Haushalte, aber zugleich auch einen höheren Grad an Wirtschaftlichkeit und Effizienz - z.B. bei der Energieversorgung, bei der Müllabfuhr oder bei Krankenhäusern und Altenheimen - versprechen.

Die Kehrseite der Medaille einer echten Privatisierung, bei der Politik und Verwaltung jeglichen Einfluß auf die Aufgabenwahrnehmung verlieren, liegt häufig darin, daß sich aus dem privatwirtschaftlichen Betrieb schnell Monopolstellungen ergeben können oder jedenfalls mittelfristig Preisdiktate der privaten Anbieter, denen sich der betroffene Bürger nicht entziehen kann.

Über Vor- und Nachteile einer Privatisierung öffentlicher Leistungen ist inzwischen unter deutschen Parteien und ihren Repräsentanten fast so etwas wie ein Glaubenskrieg entstanden. Manche Kommunalpolitiker betrachten Privatisierung nach wie vor als Patentrezept für die Sanierung der kommunalen Haushalte, während Kritiker vor den negativen Folgen einer "Kommerzialisierung" solcher Leistungen warnen, auf die Bürger im Rahmen der Daseinsvorsorge Anspruch haben und die für alle erschwinglich bleiben müssen.

Der Berliner Sozialwissenschaftler Frieder Naschold kommt nach einem sorgfältigen Vergleich internationaler Erfahrungen - besonders aus den skandinavischen und angelsächsischen Ländern - zu dem Ergebnis: "Privatisierung ist kein Königsweg zur öffentlichen Aufgabenreform. Mikroökonomische Effizienz ist auf einen komplexen Wirkungszusammenhang ganz unterschiedlicher Regulierungsmechanismen angewiesen, der sich der simplen Alternative von privater oder öffentlicher Rechtsform entzieht" (Frieder Naschold: Modernisierung des Staates. Zur Ordnungs- und Innovationspolitik des öffentlichen Sektors. Berlin, 1993).

Solche Erfahrungen wurden auch bei einem Modernisierungsprojekt in der amerikanischen Stadt Phönix (Bundesstaat Arizona) gemacht, das die Bertelsmann-Stiftung 1993 mit dem 1. Preis auf dem Gebiet "Kommunalreform im internationalen Vergleich" ausgezeichnet hat. F. Naschold (S. 33) berichtet darüber:

    "Die mehr wettbewerbsorientierte Grundeinstellung in den USA und die stärkere Rolle der Privatwirtschaft haben auch im kommunalen Management eine sehr pragmatische Einstellung zur Privatisierung hervorgerufen. Phoenix hat durch ein klares Bekenntnis zum Wettbewerb Stellung genommen. Die Stadt stellt

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    sich gleichzeitig gegen eine Privatisierung um jeden Preis, mehr noch, sie fordert explizit die Chancengleichheit für die Leistungserbringung durch den öffentlichen Träger, der sich aber den wettbewerblichen Regeln stellen muß. Diese Einstellung allein kann sicherstellen, daß die Mitarbeiter aller Leistungsbereiche der öffentlichen Hand die gleichen Grundeinstellungen verinnerlichen."

Fazit: Privatisierung ist kein Allheilmittel der Kommunalreform. Öffentliche Aufgaben können am besten sowohl effizient als auch kundenorientiert erfüllt werden, wenn dafür ein wettbewerbsförderndes Umfeld erhalten bleibt.

Die Debatte über staatliche Wahrnehmung oder Privatisierung im Richtig-Falsch-Muster zu führen, hilft nicht weiter. Stattdessen muß nach Wegen gesucht werden, daß öffentlicher und privater Sektor sich ergänzen und auf jeden Fall bei privaten Betriebsformen die staatliche Einflußnahme erhalten bleibt. Dies ist letztlich auch nötig, um dem verfassungsrechtlichen Gebot des sozialen Rechtsstaates (Art. 20 Grundgesetz) Rechnung zu tragen.

Ähnlich wie in den Alten Bundesländern stellt sich jetzt auch in den ostdeutschen Kommunen die Frage: Wie halten wir es mit der Privatisierung? Dies geschieht in den Neuen Ländern allerdings in der Regel vor einem anderen Hintergrund als in Westdeutschland. Die Gemeinden hatten in der DDR laut DDR-Verfassung die Aufgabe, wirtschaftlich zu lenken und zu leiten. Mit der Umwandlung der früheren "volkseigenen Betriebe" in GmbHs oder Aktiengesellschaften sind auch diese Aufgabenbereiche der Kommunen - wie z.B. Stadtreinigung, öffentlicher Personennahverkehr oder Kindergärten - in eigene Gesellschaften privaten Rechts umgewandelt worden.

Anders als westdeutsche Kommunen, die bei ihren "freiwilligen" Privatisierungen häufig noch einen Teil ihres politischen Einflusses gerettet haben, geht es für ostdeutsche Städte und Gemeinden um die Notwendigkeit, im nachhinein Steuerungsorgane zu schaffen, um in die nun rein privatwirtschaftlich organisierten kommunalen Unternehmen hineinwirken zu können. Die nachträgliche Installation von Steuerungsmechanismen bei Kapitalgesellschaften (GmbH, GmbH u. Co.KG, AG) wird nicht leicht zu bewältigen sein. Zu diesem Thema mag ein intensiver Erfahrungsaustausch zwischen Ost und West für beide Seiten von großem Nutzen sein.

Fachleute im Osten wie Frank Wenzel, Mitarbeiter der Stadtverwaltung Erfurt, warnen in jedem Fall davor, eine "pure Privatisierungsideologie" zu verfolgen: "Wir werden dann Aufgaben, die sich privatwirtschaftlich rentieren, immer weiter auslagern und defizitäre Bereiche bleiben letztendlich in der kommunalen Verwaltung und können von ihr nicht mehr bezahlt werden. Damit ist niemandem geholfen."

Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg, sieht Gefahren durch Privatisierung vor allem dort, wo es "um die kommunale Daseinsvorsorge geht, d.h. im Bereich Energie, Trinkwasser, Abwasser". Hier müßten die Regelungen des Einheitsvertrages und bisheriger Übernahmeverträge geändert werden, die den Privaten allzu dominanten Einfluß bei der Aufgabenerfüllung gewährten und ihnen zum Teil auch noch für die Zukunft Vorkaufsrechte zu Lasten der Kommunen einräumten.

Eine besondere Form der Privatisierung ist in letzter Zeit in den Neuen Ländern zunehmend beliebt geworden - die private Finanzierung von Einrichtungen wie Kläranlagen, Straßen, Gefängnissen und Finanzämtern, die die öffentliche Hand derzeit nicht bezahlen kann.

Für Steuersparer bietet sich auf diesem Feld die immer noch lukrative Möglichkeit für steuerliche Abschreibungen zugunsten des "Aufbaus Ost". Welche Erfahrungen private Investoren und Betreiber dabei machen können, zeigte sich jüngst im kleinen Ort Hermsdorf in der Magdeburger Börde (Spiegel Nr. 2/1995). Private Finanziers hatten über ein Steuersparmodell das Feuerwehrhaus für 5,5 Mio. DM bauen lassen und anschließend an die Gemeinde vermietet. Die 29 hauptberuflichen Feuerwehrleute standen nicht mehr im Dienst der Gemeinde, sondern waren Angestellte einer privaten Husumer Firma für Wach- und Sicherheitsdienste.

Wenn die privaten Investoren und Betreiber an eine sichere Rendite für alle Zeiten geglaubt haben sollten, waren sie im Irrtum. Die Hermsdorfer kündigten jetzt sowohl den Mietvertrag über das Gebäude als auch die Verträge für die Feuerwehrmänner, weil ihnen das Geld ausgegangen ist.

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Die Gemeinde will deshalb ganz auf eine Berufsfeuerwehr verzichten und muß sich nun vor Gericht mit den privaten Geldgebern - wahrscheinlich jahrelang - darüber streiten, ob die Kündigung der Verträge zu Recht erfolgte.

Was hat der Kommune nach alledem der Weg in die Privatisierung gebracht? Wahrscheinlich viel Ärger mit Juristen, aber keine tragfähige Lösung für eine Feuerwehr, die sie sich ohnehin nicht leisten konnte. Auch andere ostdeutsche Kommunen werden die negativen Erfahrungen mit privater Finanzierung machen; viele werden schon erschrecken, wenn sie einmal die Vergleichsrechnung mit langjähriger Mietzahlung einerseits und herkömmlicher Finanzierung andererseits aufmachen.

Einen sinnvollen Mittelweg zwischen reiner Privatisierung und üblicher staatlicher Wahrnehmung könnte die Übertragung von bestimmten Aufgaben auf sogenannte Eigenbetriebe darstellen. Bei dieser Organisationsform bleibt eine Einrichtung in staatlicher Obhut, wird aber im Bereich der Personal- und Sachausgaben eigenverantwortlich mit eigenem Budget geführt. Nach den positiven Erfahrungen, die westliche Kommunen mit Eigenbetrieben gemacht haben, wird jetzt in einigen Neuen Ländern über eine Weiterentwicklung dieser Betriebsform nachgedacht.

So hat die ÖTV in Sachsen-Anhalt einen Entwurf für ein neues Eigenbetriebsgesetz vorgelegt, das nicht nur - wie bislang üblich - auf Energie-, Verkehrs- und Versorgungsbetriebe zugeschnitten ist, sondern sich auf zahlreiche andere betriebsähnlich führbare Einrichtungen erstrecken soll (Theater, Museen, Büchereien, Friedhofsämter etc.).

Um Politik, Verwaltung und die Beschäftigten gleichermaßen für Organisation und Entwicklung des Eigenbetriebes verantwortlich zu machen, ist im Gesetzentwurf eine Regelung über paritätische Mitbestimmung enthalten (über die so mancher Bürgermeister wohl nicht unbedingt glücklich sein wird).

Fest steht: Die Organisationsform des Eigenbetriebes bietet den Vorteil, die Verwaltung von Vollzugsleistungen zu entlasten und sie auf die Kernaufgabe der politisch-administrativen Steuerung zu reduzieren, ohne daß damit die Nachteile der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, (d.h. insbesondere Monopolbildung und Ausschluß von Mitwirkungsmöglichkeiten im öffentlichen Interesse) in Kauf genommen werden müßten. Wolfram Bremeier, als früherer Kämmerer und Oberbürgermeister von Kassel und derzeitiger Geschäftsführer der Leipziger "Beratungsgesellschaft für Beteiligungsverwaltung" ein ausgewiesener West-Ost-Fachmann der Kommunalverwaltung, sieht noch einen weiteren Vorzug: "Eigenbetriebe müssen eine ordentliche Buchführung haben und einen Jahresabschluß machen. Da gibt es dann - für jeden sichtbar - Soll und Haben und nicht den schleichenden Vermögensverzehr, wie er üblicherweise in der öffentlichen Verwaltung stattfindet."

Für Kommunen im Osten wie Westen wird es sich auf jeden Fall lohnen, auf die weitere Entwicklung von Eigenbetrieben ein besonderes Augenmerk zu haben.

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Das Leipziger Konzept: Steuerung kommunaler Unternehmen und Beteiligungen

Leipzig, mit 550.000 Einwohnern Großstadt des Ostens, hat seit 1990 systematisch Leitlinien für den wirtschaftlichen Wiederaufbau erarbeitet und die entsprechenden Ratsbeschlüsse gefaßt. Besonderes Profil soll Leipzig in Zukunft als Medienstadt und Messezentrum mit Ausstrahlung nach Osteuropa erhalten. Ein großzügig mit öffentlichen Mitteln gefördertes neues Messegelände außerhalb der Stadtmauern befindet sich bereits im Bau. Die alten Messeanlagen sollen eine neue gewerbliche Nutzung erhalten.

Der Mitteldeutsche Rundfunk hat sich auf dem Gelände des alten Schlachthofes angesiedelt. Wegen der verkehrsmäßig günstigen Lage der Stadt errichtet die Deutsche Bahn A.G. in Leipzig ein großes Güterverkehrszentrum und die (ebenfalls privatisierte) Post ein Postfrachtzentrum. Auch sonst ist schon viel zur Verbesserung der Infrastruktur Leipzigs geschehen.

Die Planung für die gesamte Region wird zur Zeit von einem dafür gegründeten Planungszweckverband durchgeführt. In der Stadtverwaltung werden für alle größeren Investitionsvorhaben Projektgruppen gebildet und unter Leitung von Oberbürgermeister Lehmann-Grube Strategien für die parlamentarische und administrative Vorgehensweise festgelegt.

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Zur Gründung einer Strukturentwicklungsgesellschaft oder einer ähnlichen Planungseinrichtung für die gesamte Region Halle-Merseburg-Leipzig, die von manchen Wirtschaftsexperten gefordert wird, ist es bislang nicht gekommen. Hier stehen manche kommunale Egoismen und ein allzu kurzsichtiger Bürgermeister-Wettbewerb um ansiedlungswillige Investoren dem notwendigen überregionalen Zusammenwirken noch im Wege.

Wie zahlreiche Kommunen in ganz Deutschland hat Leipzig eine Reihe von Aufgaben, die früher von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen wurden, auf ausgegliederte oder privatwirtschaftlich betriebene Einrichtungen übertragen. Die Besonderheit in Leipzig liegt indes in der hohen Zahl der von der Stadt seit 1990 gegründeten Unternehmen oder der Beteiligung an Unternehmen. Im gesamten Spektrum von Ver- und Entsorgung, Verkehr, Wohnungsbau und -verwaltung, Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung, Kultur, Gesundheit und Bildung existieren in Leipzig zur Zeit 27 Kapitalgesellschaften, 14 Regie- oder Eigenbetriebe sowie 5 Zweckverbände. Insgesamt ist die Stadt an rund 80 aus der Verwaltung ausgelagerten Betrieben beteiligt.

Es ist durchaus denkbar, daß demnächst für weitere Einrichtungen, z.B. Kliniken, Kindertagesstätten etc. andere Organisationsformen als traditionell üblich gewählt werden. Schon jetzt bestehen in den ausgegliederten Einrichtungen mehr als 50 % der kommunalen bzw. kommunal beeinflußten Beschäftigungsverhältnisse.

Um die ständig steigende Zahl an kommunalen "Verwaltungstrabanten" - sowohl politisch als auch kaufmännisch - besser steuern zu können, hat die Stadt Anfang 1993 die "Beratungsgesellschaft für Beteiligungsverwaltung Leipzig mbH" (BBVL) gegründet und ist mit dieser professionellen eigenverantwortlichen Beratungsform Vorreiter unter den deutschen Städten.

Zum Unternehmenskonzept der BBVL heißt es im 1994 erschienenen "Ersten Beteiligungsbericht" der Gesellschaft:

Anders als in den meisten Städten der alten Bundesrepublik ist der Problemdruck in Leipzig aus zwei Gründen besonders groß. Zum einen gibt es hier weit mehr kommunale Unternehmen, zum anderen befindet sich die Stadt immer noch in einer Umbruchsituation. Anders als der "gängige" westdeutsche Weg, den Aspekt der Steuerung eher unterzubewerten und die Verwaltung der Beteiligung in den Mittelpunkt zu stellen, wurde in Leipzig mit der Gründung der BBVL neues Terrain beschritten: Die BBVL ist nämlich für Beteiligungscontrolling ebenso zuständig wie für Beteiligungsverwaltung. Sie soll erreichen, daß die Unternehmen die von der Stadt Leipzig gesetzten Ziele einhalten. Sie stellt Daten bereit, schafft die Voraussetzungen für eine Steuerung der Unternehmen, leistet konkrete Beratung im Hinblick auf Steuerungsmaßnahmen, baut ein Controllingsystem auf, das die inhaltliche Zielsetzung der Unternehmen ebenso berücksichtigt wie die kaufmännische Seite.

Mit dem Gründungsbeschluß der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Leipzig vom 17. Februar 1993 wurde für die BBVL die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gewählt. Alleinige Gesellschafterin ist die Stadt Leipzig. Das Stammkapital beläuft sich auf DM 500.000.

Ein Vorteil der Konstruktion einer selbständigen, privatrechtlichen Gesellschaft ist die Unabhängigkeit von festgefahrenen Strukturen innerhalb der Verwaltung. Da oft die Aufgaben zahlreicher Ämter miteinander abgestimmt werden müssen, ist das Ergebnis des Verwaltungshandelns häufig die Festschreibung des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Außerdem wirken auf die Verwaltung unterschiedliche politische und sonstige Interessen ein, die jeweils berücksichtigt werden wollen. Innovative oder schmerzhafte Vorschläge zur Veränderung bestehender Strukturen haben so nur geringe Chancen der Realisierung. Die BBVL ist von diesen Einflüssen weitgehend frei. Sie erarbeitet ihre Entscheidungsvorschläge unabhängig und berichtet gegebenenfalls direkt dem Oberbürgermeister.

Ein weiterer Vorzug einer privatrechtlichen Gesellschaft liegt in der Ungebundenheit vom öffentlichen Tarifsystem. Dies hat es der BBVL erleichtert, qualifiziertes Personal zu gewinnen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BBVL haben Erfahrungen in vielfältigen Tätigkeitsfeldern gesammelt und bringen die unterschied-

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lichsten Kenntnisse vorwiegend aus privaten Industrie- und Dienstleistungsunternehmen mit.

Die BBVL unterstützt die Ziele, die von der Stadt Leipzig an die einzelnen Unternehmen ihres Beteiligungsvermögens geknüpft werden, und vermittelt sie den Unternehmen. Diesen gegenüber nimmt die BBVL jedoch keine Interventionsrechte wahr. Sie versteht sich als "Dolmetscher" zwischen städtischen Unternehmen und Kommunalpolitik. Die Gesellschaft soll dazu beitragen, etwaige Konflikte zu schlichten, indem sie versucht, sowohl der Stadt als auch den Geschäftsleitungen der Unternehmen die Probleme der anderen Seite nahezubringen.

Die Gesellschaft wendet sich damit an zwei Adressatenkreise: die Stadt Leipzig und die Beteiligungsunternehmen. Sie will der Stadt den Umgang mit ihren Unternehmen erleichtern, Informationen aufbereiten und Transparenz herstellen. Dabei orientiert sich die BBVL an den kommunalpolitischen Zielfestlegungen der Stadt. Gleichzeitig berät sie die städtischen Unternehmen und fördert deren langfristig ausgerichtete Unternehmensziele. Sie forciert eine stärkere betriebswirtschaftliche Orientierung und erarbeitet neue Organisationsvorschläge.

Allgemeine Funktion der BBVL ist es, in den Unternehmen das Bewußtsein für das Erfordernis wirtschaftlichen Handelns zu verbreitern und ggf. zu schaffen - selbstverständlich im Rahmen der kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben. Wo externer Wettbewerb fehlt, soll der Wettbewerb in die Unternehmen getragen werden, zum Beispiel durch das Konzept der "Effizienz-Center", mit dem die Ergebnisse geeigneter Abteilungen mit den Kosten der Leistungen des Marktes verglichen werden und ein "synthetischer Wettbewerb" hergestellt wird.

Außerdem soll die BBVL die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Unternehmen fördern und Synergieeffekte nutzbar machen.

Das Leipziger Konzept könnte für andere Städte in West- und Ostdeutschland als Modell dienen, wie sich die Steuerungskompetenz einer Kommune auch bei ausgegliederten Unternehmen und bei Beteiligungen verbessern läßt. Woran es noch weitgehend in Leipzig wie überall in Deutschland fehlt, ist die exakte Festlegung von politisch-wirtschaftlichen Unternehmenszielen und darauf abgestimmten Finanzzielen. Wirtschaftliche, effiziente Arbeitsweise und wirksames Controlling auch bei kommunalen Beteiligungen setzen aber zwingend qualitative und quantitative Zielsetzungen der ausgegliederten Einrichtungen voraus.

Wenn von kommunalen Reformen die Rede ist, wird häufig nur an das Rathaus gedacht. Leipzig bietet Anschauungsmaterial dafür, daß der Blick auch über den Tellerrand der Verwaltung hinausreichen muß, denn Modernisierung betrifft auch die Stadtwerke, die Verkehrsbetriebe, die Krankenhäuser und Kliniken, die Kindergärten und die kulturellen Einrichtungen. Auch dort entscheidet sich, wieviel effizienter, sparsamer und bürger-orientierter die deutschen Kommunen in Zukunft arbeiten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000

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