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[Seite der Druckausg.: 26 ]


4. Reform im Spannungsfeld Politik - Verwaltung - Bürger

Verwaltungsreform läßt sich nicht am grünen Tisch entwerfen und dann von oben dekretieren. Die Versuche, Modernisierungen mit einem großen Masterplan - gestützt auf (allzu teure) externe Gutachten - umzusetzen, sind in aller Regel gescheitert. Auch Reformen der Kommunalverwaltung können nicht von Bürgermeistern verordnet werden, sondern müssen im Zusammenwirken von Kommunalpolitik und Verwaltung mühsam erarbeitet werden. Ein erfolgsversprechendes Einheitsmodell "Reform 2000" für ost- wie für westdeutsche Städte und Gemeinden gibt es nicht. Vielmehr muß jede Kommune den für sie richtigen Reformweg finden.

Hierbei ist es auch erforderlich, neue Formen der Arbeitsteilung, Kooperation, Kommunikation und Kontrolle im Wechselspiel von Politik und Verwaltung zu entwickeln.

Neu zu überdenken ist das Verhältnis Politik - Verwaltung auch in anderer Hinsicht. Gerade Kommunalpolitiker zeichnen sich oft durch eine übergroße Liebe zum Detail aus. Seit 1990 hat sich diese Tendenz auch in den Neuen Ländern rasch ausgebreitet. Da werden in den Gemeindevertretungen gerne nach stundenlanger Debatte mikroökonomi-sche Entscheidungen getroffen - über die Zahl der Kleiderhaken in einem Kindergarten oder die Größe eines Planschbeckens im örtlichen Schwimmbad (auf m¨ genau). Hinter derartiger Detailhuberei steckt häufig das Mißtrauen der Politiker, ob "die Verwaltung" auch in der Lage sei, die richtigen Maßnahmen von sich aus zu ergreifen. Diese Grundhaltung erinnert entfernt an das Leninsche Prinzip: Vertrauen in die Beamten habe ich sowieso nicht, und ehe ich alles kontrollieren muß, entscheide ich es doch lieber gleich selber.

Aber ein solches Verfahren ist für die Gemeindevertreter, die die Politik gwöhnlich ehrenamtlich betreiben, auf Dauer doch sehr zeitaufwendig. Es versperrt auch den Blick auf die wirklich wichtigen Entscheidungen, bei denen die Abwägung von Pro und Kontra, Soll und Haben, möglichem Nutzen und Schaden zu kurz kommt. So ist vermutlich auch manche Gedankenlosigkeit zu erklären, mit der ostdeutsche Gemeindevertretungen Beschlüsse über total überdimensionierte Gewerbegebiete, Kläranlagen oder sonstige Infrastruktureinrichtungen gefaßt haben - ohne die immensen Folgekosten für ihre Kommune zu bedenken.

Besser wäre für alle Beteiligten, wenn die Politik sich in Zukunft mehr darauf konzentriert, die Verwaltung durch klare Zielvorgaben und wirksame Zielkontrollen zu steuern, statt durch zu viele Einzeleingriffe alles selbst in die Hand zu nehmen. Zugegeben - es kommt einer kleinen Revolution gleich, wenn in Zukunft die Kommunalpolitik für die Festlegung der Rahmenrichtlinien und die Verwaltung für deren Umsetzung in eigener Verantwortung zuständig sein soll. Aber wäre das nicht eine sinnvolle Veränderung - gerade beim Neuauf-bau der Verwaltung in den Neuen Ländern?

Was bei Reformen im übrigen oft vernachlässigt wird: Adressat und "Kunde" der kommunalen Verwaltung ist der Bürger. Seine Vorstellungen und Erwartungen sollten sich in einer Modernisierung der Verwaltung wiederfinden (allerdings ohne daß damit die Grenze zum Populismus überschritten wird). Die beste Reform läuft ins Leere, wenn sie keine Akzeptanz in der Öffentlichkeit findet. Insofern empfiehlt es sich, jegliche Verwaltungsreform mit einer Bürgerbeteiligung zu verknüpfen.

Womit wir schließlich beim Faktor Psychologie angelangt sind. Reformen haben immer mit Menschen und der Veränderung vertrauter Verhaltensweisen zu tun; banal, aber wahr. Betroffene innerhalb und außerhalb der Verwaltung müssen von Reformideen überzeugt werden und sie sich zu eigen machen - sonst sind Reformen über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. Für Kenner von Verwaltungsreformen in Ost und West steht fest: Der Erfolg einer Modernisierungsstrategie hängt zu mindestens 51 % von der Einfühlsamkeit ab, mit der Reformprozesse eingeleitet und schrittweise mit den Betroffenen umgesetzt werden.

Wie schwierig es für engagierte Kommunalpolitiker in den Neuen Ländern in den letzten vier Jahren

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gewesen ist, einen Mittelweg zwischen unverzüglich nötigem Aufbau der Verwaltung und gleichzeitig wünschenswerter Modernisierung zu finden, können viele Westdeutsche wahrscheinlich kaum ermessen.

Rainer Fornahl, SPD-Fraktionsvorsitzender in Leipzig, beschreibt seine exemplarischen Erfahrungen aus der Zeit seit 1990 auf einem kommunalpolitischen Workshop der Friedrich-Ebert-Stiftung (Leipzig, 5.12.1994) folgendermaßen:

"Kommunalpolitiker sind bei uns in den letzten Jahren oft zwischen den Mühlsteinen der Verwaltung, der Bürgerwünsche und der politischen Forderungen durch die Medien fast zerrieben worden. Am Ende sollen sie natürlich noch für alles die Verantwortung übernehmen, denn die wird ihnen auch seitens unserer Partner der Verwaltung z.T. sehr schnell zugeordnet: Ihr müßt entscheiden. Wir legen euch alles vor, was wir uns ausgedacht haben und am Ende ist die Entscheidung durch den Rat, durch die Gemeindevertretung zu treffen.

Ich, für meine Person, muß sagen: Mir fehlt auch heute noch ein immenses Erfahrungs- und Kenntnispotential, um das, was wir zu entscheiden haben, und wofür wir auch die Rahmenbedingungen zu setzen haben, durch grundsätzliche Zielvorgaben vernünftig und auch verantwortungsbewußt zu gestalten.

Ich bin 1947 in Leipzig geboren und lebe seitdem hier. Das Leipziger Rathaus habe ich zum ersten Mal 1991 betreten zur konstituierenden Sitzung der ersten Stadtverordnetenversammlung, der ich seit Mai 1991 angehöre. Da kann man sich vorstellen, daß mein Erfahrungshorizont nicht besonders ausgeprägt ist. Und zum anderen hatten wir in der Stadt Leipzig auch als Bürgervertreter von Anfang an das Problem, daß wir uns einer ungeheuer aktiven und dynamischen Verwaltung gegenübersahen.

Die Verwaltung hat von Anfang an, auch natürlich beflügelt durch die Kompetenz und durch das Engagement des Oberbürgermeisters Dr. Hinrich Lehmann-Grube, die Zielvorgaben richtig gesetzt, nämlich die Modernisierung der Verwaltung weg vom Zentralstaatsprinzip hin zu den demokratischen Strukturen und zur Übernahme des ungeheuer komplizierten Rechts- und Vorschriftensystems, das uns nun einmal durch den Einigungsvertrag zugewiesen ist. Ob wir immer hundertprozentig in
der Geschwindigkeit richtig lagen oder manchmal doch überhastet entschieden haben, ist eine andere Frage.

Wir haben uns seit 1990 sehr intensiv über eine vernünftige Stadtentwicklung und über Flächennutzungspläne unterhalten. Wir haben verkehrspolitische Leitlinien aufgestellt. Wir haben ein wohnungspolitisches Konzept entwickelt. Wir haben Altenhilfe, Jugendhilfe usw. diskutiert und am Ende dann auch beschlossen, ebenso wichtige, weit über die Grenzen der Stadt Leipzig ausstrahlende Investitionen wie die Verlagerung der Leipziger Messe vor die Tore der Stadt, um dort die Standortvorteile sinnvoll für die Stadt und die Region nutzen zu können. Wir haben auch, was die Entwicklung innerhalb der Verwaltung angeht, immer gemeinsam gearbeitet, haben über viele Probleme diskutiert und haben dabei häufig Sorgen und Nöte gehabt mit der Leipziger Bürgerschaft, und zwar nicht mit dem Bürger allgemein, sondern mit Eliten oder mit Leuten, die bestimmte Gruppeninteressen vertreten haben, die teilweise auch in einem außerordentlich starken Gegensatz zu den Gesamtinteressen der Stadt Leipzig lagen.

Wir haben die Privatisierung, d.h. Auslagerung von Verwaltungsstrukturen hin zu kommunalen Gesellschaften, sorgsam erörtert und dann insgesamt 80 autonome Einheiten geschaffen, zu denen große bedeutende Wirtschaftsunternehmen der Stadt Leipzig zählen, wie die Stadtwerke, wie die kommunalen Wasserwerke, wie die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft.

Ich glaube, auch hier hat die Politik gezeigt, daß man innovativ ist und nach vorne schaut, denn dieser Faktor von eigenverantwortlichen Verwaltungs- oder von Dienstleistungsangeboten ist wirtschaftlich so stark wie die Stadt Leipzig in ihren Verwaltungsstrukturen überhaupt ist. Weit über 2 Milliarden DM werden in diesen Gesellschaften umgesetzt, so viel etwa beträgt der Verwaltungshaushalt der Stadt Leipzig in diesem Jahr. Und das alles mit einer eindeutigen und konzentrierten Steuerung auch durch Verwaltung, durch die Bürgerschaft und durch den Rat, weil es oft hundertprozentige kommunale Gesellschaften sind, in denen auch die Vertreter der Verwaltung und des Rates in den Aufsichtsgremien sitzen.

Die Unterstützung für die Beratungsgesellschaft für Beteiligungsverwaltung der Stadt Leipzig ist auch

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nach intensiver politischer Diskussion auf den Weg gebracht worden. Es ist sehr kontrovers und teilweise auch mehr ideologisch erörtert worden, aber am Ende hat sich, glaube ich, eine sinnvolle, konstruktive Mehrheit durchgesetzt und diese Gesellschaft gegründet.

Selbstkritisch muß ich anmerken: Ein größerer Teil auch der Ratsversammlung neigt immer noch zu sehr dazu, sich als das Gewissen des Rathauses zu empfinden oder als die bessere Verwaltung überhaupt. Dabei verlieren wir uns teilweise zu sehr ins Detail, diskutieren Verwaltungsvorlagen, die man normalerweise eigentlich ohne Zeitverzug in die Realisierung bringen könnte. Das ist aber ein Prozeß, der sicherlich auch im Laufe der Zeit noch zu Veränderungen führen wird, denn bei der Vielzahl der Aufgaben und der Vielzahl der Vorschläge, die die Verwaltung immer wieder auch von sich aus macht, hat man für die Entscheidung über Details einfach keine Zeit.

Alles in allem aber funktioniert in Leipzig auf vielen Ebenen der konstruktive Meinungsaustausch zwischen der Verwaltung, dem Rat und den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt. Wir machen sicherlich nicht alles richtig, aber wir bemühen uns, gemeinsam den besten Weg für die Stadt zu finden. Wenn man als Kommunalpolitiker diesem Grundsatz folgt und sich nicht ständig irgendwelchen Gruppen-interessen beugt, wenn man im übrigen versucht, der übernommenen Aufgabe auch möglichst gerecht zu werden, dann kann man auch ohne viel Erfahrung auf kommunaler Ebene Verantwortung übernehmen - egal, ob das in einer Großstadt oder in einer kleinen Gemeinde geschieht."

Dem ist nur eins hinzuzufügen: Hoffentlich finden sich auch in Zukunft noch genügend engagierte Frauen und Männer in Ost und West, die bereit sind, die Doppellast von Kommunalpolitik und nötiger Verwaltungsreform auf sich zu nehmen. Hoffentlich.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000

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