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2. Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit und Planungssicherheit

Im Gefolge der schweren Währungskrise von 1992 kam es in Italien zu einer grundlegenden finanzpolitischen Wende, die das Umfeld für Unternehmen deutlich verbesserte. Beginnend mit der Regierung Amato (1992-1993) verfolgten alle seither amtierenden Kabinette einen strikten Kurs haushaltspolitischer Konsolidierung, der die seit 20 Jahren wirksame Spirale von steigender Staatsverschuldung und erhöhter Staatsquote von Abwertungen und inflationären Schüben unterbrach. Die Italien durch die drastische Lira-Abwertung entstandenen außenwirtschaftlichen Vorteile konnten dadurch auf Dauer gesichert werden. Flankiert wurde der Stabilisierungskurs durch eine für Italien bis dato ungekannte Politik sozialer Konzertierung, die es ermöglichte, die Inflationsrate auf einen seit 1969 nie mehr erreichten Niedrigststand zu drücken.

Die harten Stabilisierungsmaßnahmen führten notwendig zu einer Stagnation der Binnenkonjunktur und setzten so die heimischen Unternehmen unter verstärkten Druck, ihre Strategien zu internationalisieren. Zugleich wurden aber auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß italienische Anbieter mit wachsendem Erfolg auf den Weltmärkten agieren konnten. Italien, das seit den 70er Jahren über eine chronisch defizitäre Handelsbilanz verfügte, erwirtschaftet seit 1993 Jahr für Jahr wachsende Überschüsse (1992: -12,7 Billionen Lire, 1993: +33,2 Billionen Lire, 1994: +35,7 Billionen Lire, 1996: +67,6 Billionen Lire). Italien ist damit hinter Japan und Deutschland zu dem Industrieland mit dem drittgrößten Handelsplus aufgerückt.

Entscheidend für diesen Erfolg waren: die Lira-Abwertung, dank derer die stündlichen Arbeitskosten zu den niedrigsten der westlichen Industriestaaten gehören; eine Haushaltspolitik, die nach zwanzigjähriger Schuldenwirtschaft die jährliche Neuverschuldung drastisch reduzierte und eine Politik der sozialen Konzertation, die Lohnschüben vorbeugte und so erst die Abwertung ohne Inflation möglich machte.

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a) Lira-Abwertung und Arbeitskosten.

Im Zeitraum 1992-1995 fiel der Kurs der Lira gegenüber Franc und Mark um über 40%, gegenüber dem Dollar um 30%, gegenüber dem Pfund um 20%. Nachdem sich für italienische Unternehmen über Jahre hinweg die Schere zwischen dem Außenwert der Lira und der internen Kostendynamik immer mehr geöffnet hatte, erreichten sie nun bei den Arbeitskosten wieder das Niveau ihrer Wettbewerbsfähigkeit vom Beginn der 80er Jahre. Zwar brachte das Jahr 1996 eine leichte Wiederaufwertung der Lira mit sich, doch mit dem Wiedereintritt Italiens in das EWS sind weitere Aufwertungen zunächst nicht zu erwarten.





Nach der Statistik des US-Arbeitsministeriums liegen die in Italien anfallenden Arbeitskosten zwar über denen Großbritanniens und Spaniens, doch hat sich der Abstand zu beiden Ländern deutlich verkürzt. Zu einer noch positiveren Bewertung kommt eine von der Arbeitgebervereinigung von Turin durchgeführte Untersuchung, in der die Arbeitskostenniveaus 16 italienischer Multis aus den Bereichen Metall, Textil, Lebensmittel, Gummi und Plastik analysiert wurden. Nach dieser Untersuchung lagen die stündlichen Arbeitskosten italienischer Metallarbeiter 1995 noch unter denen ihrer spanischen Kollegen, während die Arbeitskosten für Angestellte sogar den Wert für Großbritannien unterschritten.







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b) Konsolidierung der Staatsfinanzen.

Zu dem heute weitaus sichereren Planungshorizont für die Unternehmen hat entscheidend die Politik der Haushaltskonsolidierung beigetragen. Daß der italienische Staat die Neuverschuldung 1996 auf 6,7% des BIP senkte - während in den Vorjahren 10% die Regel waren -, daß für 1997 das noch vor fünf Jahren vollkommen unrealistisch erscheinende 3%-Ziel anvisiert wird, hatte für in Italien tätige Unternehmen gleich mehrfach positive Konsequenzen: Seit einigen Jahren konnte der Anstieg der Staatsquote gestoppt werden. Das Zinsdifferenzial gegenüber der Bundesrepublik für langfristige Staatsschuldtitel (1994/95 noch bei 5%) sank unter 2%. Italien vollzog zu Jahresende 1996 die Rückkehr ins EWS und zog damit einen Schlußstrich unter mehrjährige Wechselkursturbulenzen.

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c) Neuordnung der Arbeitsbeziehungen.

Anders als bei früheren Abwertungen konnte Italien diesmal eine Abwertung ohne Inflation realisieren, weil der Konsens der Tarifparteien die staatliche Konsolidierungspolitik trug. In dem Land, das seit den 70er Jahren nicht zuletzt wegen der hohen Konfliktivität der Arbeitsbeziehungen Attraktivität als Investitionsstandort eingebüßt hatte, das zudem mit der automatischen Lohnanpassung die Inflationskultur geradezu festgeschrieben hatte, gelang 1992/93 in der Form wie in der Substanz eine grundlegende Neuordnung der Tarifbeziehungen. Im Sommer 1992 einigten sich Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften auf einen Ausstieg aus der "Scala mobile" (dem System periodischer Anpassung der Löhne an die Inflation). Ein Jahr darauf wurde die Konzertierte Aktion in Italien institutionalisiert und ein neuer Rahmen für die Tarifbeziehungen geschaffen. Seitdem ist es den nationalen Branchentarifverträgen vorbehalten, die Kaufkraft der Löhne und Gehälter zu sichern, während Firmenabkommen die Beteiligung der Arbeitnehmer an Produktivitätszuwächsen sichern sollen.

Mit Abschluß des Spitzenabkommens gelang die Abwendung von einer Kultur der Arbeitsbeziehungen, die im Konflikt das entscheidende Regulativ sah: Die Zahl der durch Streik verlorenen Arbeitsstunden erreichte 1995/96 neue Niedrigstwerte. Doch auch in der Substanz profitierten die Unternehmen: Trotz der durch die Abwertung ausgelösten inflationären Impulse sah Italien eine sehr verhaltene Entwicklung der Nominallöhne, die mit leichten Reallohneinbußen einherging und so die schnelle Rückführung der Inflationsrate unter 2% ermöglichte. Während bei früheren Abwertungen die den Unternehmen entstandene verbesserte Wettbewerbsposition bald wieder durch die sich schnell bewegende Lohn-Preis-Spirale geschwächt worden war, blieben diesmal die Wettbewerbsvorteile erhalten.

Vor dem Hintergrund dieser deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen überrascht es nicht, daß die italienische Industrie in den letzten Jahren vorher ungekannte Exporterfolge realisieren konnte. Es fällt jedoch auf, daß die verschiedenen Branchen in sehr unterschiedlicher Weise an diesem Exportboom partizipierten. Traditionelle Industrien verstärkten weiter ihr Gewicht, während sich die Position etwa der chemischen Industrie nicht verbesserte. Zudem fällt auf, daß Italiens Attraktivität für Auslandsinvestoren nicht zunahm.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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