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6. Ordnungspolitik und Wahl der Entwicklungsträger

Als die Länder in der Region die völkerrechtliche Souveränität erlangten, ihre Wirtschaftspolitik und Entwicklungsstrategie selbst zu gestalten, sahen sie sich mit einer komplizierten Situation konfrontiert: Die politische Macht ging an die alteingesessenen Einheimischen. In Malaysia nennen sie sich Bumiputeras, in Indonesien Pribumis; im nicht-kolonialen Thailand lag die Macht ohnehin immer in den Händen der Mehrheitsethnie, der Thais. Die koloniale Ökonomie wurde dominiert von den europäischen bzw. amerikanischen Unternehmen, unterhalb dieser Ebene wurde der Handel in den Städten von zugewanderten Chinesen, in Birma von Indern kontrolliert. Die Staatsvölker kontrollierten wirtschaftlich fast nichts. Ihre Angehörigen waren Kleinbauern und arme Landbewirtschafter in diesen Agrargesellschaften und Rohstoffexportökonomien.

Singapur als chinesischer Stadtstaat war eine Ausnahme und schlug sofort einen anderen, erfolgversprechenderen Entwicklungsweg ein, als seine Nachbarn: Es setzte auf die Weltmarktorientierung und suchte die effizientesten und marktkundigsten Akteure, die Transnationalen Konzerne, als Hauptträger einer Exportindustrialisierung zu gewinnen und zu fördern. Dies geschah sogar unter Vernachlässigung der schwachen einheimischen chinesischen Unternehmer.

Die anderen Länder schlugen den Um- und Irrweg der Importsubstitution ein, durch Protektion des engen Binnenmarktes. Die Souveränität erlaubte den Zugriff zu bzw. die Beteiligung an den Kommandohöhen der Wirtschaft und potentiell die Konstituierung als Wirtschaftsbourgeoisie. Das Instrument dazu war der Nationalismus, der die ausländischen Unternehmen und die chinesischen Klein- und Mittelunternehmer ins Visier nahm und die man als kolonial vorbelastet betrachten konnte, die aber die effizientesten Wirtschaftsakteure vor Ort waren. Je radikaler gegen sie vorgegangen wurde, um so größer mußten die wirtschaftlichen Turbulenzen und die Effizienzverluste ausfallen. Eine einheimische Agrarbourgeoisie als Trägergruppe einer sich nun entwickelnden bzw. zu entwickelnden Industrie- und Handelsbourgeoisie gab es nur in den Philippinen. In den anderen Ländern mußte man in dieser Hinsicht fast bei Null, d.h. bei den politischen Kommandohöhen des Staates beginnen.

In allen Ländern hat man zahlreiche Staatsunternehmen oder staatlich kontrollierte Unternehmen gegründet. Mit Ausnahme derjenigen in Singapur und der auf der Rentenrealisierung beruhenden Unternehmen erwiesen sie sich meist als Subventionsfresser.

In Indonesien, den indochinesischen Staaten und in Birma wurden die kolonialen Unternehmen verstaatlicht. Malaysia kaufte viele über die Börse auf. In den Philippinen wurden die amerikanischen Unternehmen bis 1974 vertraglich geschützt. Eine lebhafte linke und auch nationalistisch-rechte Agitation führte jedoch zum freiwilligen Rückzug vieler amerikanischer Unternehmen, denen nur wenige Neuzugänge gegenüberstanden.

In nahezu allen Ländern sahen sich die ortsansässigen chinesischen Mittelschichten und Gewerbetreibenden einer nationalistischen Agitation und mannigfaltigen Restriktionen in den Bereichen ausgesetzt, in denen die Marktzutrittschancen der Mitglieder des Staatsvolkes relativ am besten waren: Kleingewerbe, Kleinhandel, öffentlicher Dienst. Lediglich in Birma wurden die hier dominierenden Inder vertrieben und verschwanden damit als wirtschaftliche Leistungsträger. In den anderen Ländern verzichtete man auf die Chinesen klugerweise nicht. Sie waren diejenigen, die die Wirtschaft dynamisierten, mit denen die Politikherren wirtschaftliche Allianzen mit rentenkapitalistischem Charakter zu beiderseitigem Nutzen eingehen konnten, die man also in vielfacher Form „besteuern" konnte, ohne daß man die sich entfaltenden chinesischen Mittelschichten als vollwertigen und gleichberechtigten, damit auch sehr gewichtigen politischen Akteur zulassen und fürchten mußte. Man hielt sie erpreßbar, zunächst, indem man ihnen das Staatsbürgerrecht vorenthielt, dann, indem man ihren fehlenden bumiputera-Status herausstrich. Ihre vollständige Assimilation ist eigentlich nur in Thailand gelungen und – seit der Zeit von Marcos, als Gegengewicht gegen die ihm unfreundlich gesinnte philippinische Oligarchie – in den Philippinen. In Malaysia, wo Chinesen die größte Minderheit in der Region mit etwa einem Drittel der Bevölkerung stellen, ist eine Assimilation mit den muslimischen Malaien nicht möglich. Sie können hier ihre wirtschaftliche Dynamik voll entfalten, haben aber faktisch die politische Dominanz der Malaien anerkannt. Am schwierigsten ist wohl die Situation der Chinesen in Indonesien. Durch das patrimoniale System Suhartos machten viele großes Vermögen, das mit dem Rücktritt Suhartos und dann dem möglichen Beginn des Zusammenbruchs seines politischen Systems gefährdet wäre. Die großen Familienkonglomerate haben begonnen, ihre Wirtschaftstätigkeit in die Nachbarstaaten und in die VR China zu verlagern. Ist das nun Ausdruck der grenzenlosen unternehmerischen Dynamik oder Risikominderungsstrategie und damit Kapitalflucht?

Die sozialen Unruhen, die schon seit einigen Jahren, und durch die Währungskrise intensiviert, jetzt allerorten ausbrechen, haben meist auch eine antichinesische Stoßrichtung. Opfer ist der ortsansässige chinesische Mittelstand: Einzelhändler, lokale Unternehmer. Indonesische Geschäftsleute versuchen, sich mittlerweile durch Plakatierung der Auszeichnung „Muslim" vor einem unzurechnungsfähigen Mob zu schützen. Das weckt Erinnerungen an den einzigen Systemwechsel in Indonesien selbst (1965-67), dem mehr als eine halbe Million Chinesen in Pogromen zum Opfer gefallen sind. Die Geschichte muß sich – hoffentlich – nicht wiederholen. Das explosive Gemisch aus politischer Nachfolge-, Währungs-, Realkapital- und sozialer Krise, in dem sich Indonesien gegenwärtig befindet, macht es mehr als verständlich, wenn für die Chinesen im Lande Sicherheitsüberlegungen in den Vordergrund rücken und die Begüterten versuchen, wenigstens den liquiden Teil ihres Vermögens ins Ausland zu bringen. Objektiv verschärfen und verstetigen sie damit aber die Krise.

Die Länder Südostasiens erlebten schon Mitte der 80er Jahre aus den welt- und binnenwirtschaftlichen sowie politischen Gründen einen Produktionseinbruch. In Malaysia und Singapur ging 1985 und 1986, in Indonesien 1982 und 1985 das BSP p.c. real zurück, in Thailand war es 1985 ganz knapp positiv, die Philippinen befanden sich mit einem Negativwachstum p.c. 1983-86 sowie 1991-93 in einer längeren Durststrecke. Im Agrarland Vietnam wurde sogar gehungert, vielleicht verhungerten viele sogar. Es gab auch damals eine Krisenstimmung. War der Boom zu Ende? Das war er nicht. Er wurde anschließend sogar auf ein höheres Niveau gehoben.

Alle Länder mit Ausnahme der Philippinen vermochten durch Reformen, Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung, Reduzierung der Bumiputera-Förderung, Tarif- und Steuersenkungen, Verminderung der Handelsbeschränkungen, Erleichterung und Verbesserung der Anlagebedingungen für ausländisches Kapital nach nur kurzer Pause auf den Wachstumspfad zurückzukehren bzw. diesen erstmals einzuschlagen, wie Vietnam und Laos.

Verschiedene liberale Forschungsinstitute haben einen Index der „wirtschaftlichen Freiheiten" zu entwickeln versucht, in den u.a. Geldwertstabilität, Investitions- und Konsumfreiheit, Steuerbelastung und Transaktionsfreiheit mit Ausländern bzw. ausländischen Währungen eingehen. Folgt man diesem Index, bekommt Singapur in Südostasien schon immer die besten Noten und hat in den 80er Jahren die wirtschaftlichen Beschränkungen noch weiter abgebaut. Seither zählt es nach Hongkong zum wirtschaftlich freiesten Land in der Welt deutlich vor Deutschland und auch noch vor den USA! Malaysia, Thailand und Indonesien, zuletzt mit einigem Abstand die Philippinen, haben die wirtschaftlichen Freiheitsrechte auch erheblich ausgebaut und werden mittlerweile ebenfalls zu dieser Gruppe gerechnet. Allerdings, und das ist wichtig: In Indonesien hat der Reformelan in den 90er Jahren wieder deutlich nachgelassen. Der Index verzeichnet sogar einen erheblichen Rückschritt (vgl. Tabelle 4).

Die Reformen erfolgten zu einem weltwirtschaftlich günstigen Zeitpunkt. Der Yen erlebte eine Aufwertungsphase und zwang viele japanische Unternehmen, ihre Produktionsstätten in Niedriglohnländer auszulagern. Gleichzeitig erreichte die erste Generation der Schwellenländer ihre Grenzen als Niedriglohnproduzenten. Sie suchten nun gleichfalls, einen Teil ihrer Produktion zu verlagern. Alle fanden in Südostasien und der VR China günstige und nun verbesserte Aufnahmebedingungen. Damit wurde eine Dekade des Booms eingeleitet, die erst 1996 bzw. 1997 auslief und in der noch höhere Wachstumsraten erzielt wurden als in der Vergangenheit.

Die ausländischen – überwiegend ostasiatischen – Investitionen haben einen wesentlichen Beitrag zu diesem Wachstumsschub geleistet. Sie sollten allerdings nicht überbewertet werden. Obwohl es etwas irreführend ist, ihre Bedeutung allein mit der nackten Investitionssumme messen zu wollen und ihre Weltmarktübersicht, technologische Kompetenz sowie ihre Konzentration in modernen Sektoren dabei nicht zu berücksichtigen, kann diese ein Tendenzbild vermitteln. Nur in Singapur und Malaysia ist der Anteil der ausländischen Direktinvestitionen an den gesamten Bruttoinvestitionen im Lande wirklich hoch. In der ersten Hälfte der 90er Jahre wurde er gegenüber der ersten Hälfte der 80er Jahre sogar verdoppelt, in Singapur von 16,2% (1981-85) auf 28,4% (1990-94) und in Malaysia von 10,9 auf 21,5% (1990-95). Auch in Vietnam (1995: 16,4%) und Kambodscha (1995: 15%) ist dieser Anteil heute wesentlich. In Thailand (2,9 – 4,1%), Indonesien (1 – 3,9%) und den Philippinen (0,7 – 6,6%) ist zwar ein erheblicher Zuwachs der ausländischen Direktinvestitionen festzustellen, aber insgesamt noch auf einem niedrigen Niveau.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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