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5. Der effiziente Staat – oder sein Gegenteil

In den letzten Jahren hat man good Governance als wesentliche Vorbedingung für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung entdeckt. Darunter kann man einen effizient und kundenfreundlich sowie neutral arbeitenden Staatsapparat verstehen, der in der Lage ist, die notwendige materielle und soziale Infrastruktur zu errichten und zu erhalten oder diese zu fördern, der verläßliche rechtsstaatliche (Straf- und Privatrecht) und institutionelle Bedingungen (Bank- und Kreditwesen) durchzusetzen und stabile makroökonomische Bedingungen (Preisstabilität, verläßliche und realistisch bewertete Wechselkurse) zu schaffen vermag, die es den privaten Wirtschaftsakteuren ermöglichen, sich auf einem ansonsten möglichst freien Markt zu entfalten. In welcher Weise hat man in Südostasien diese Postulate erfüllen können?

In allen Ländern ist zunächst eine Expansion der Bürokratien festzustellen. Das ist ein Reflex auf den größeren Leistungsbedarf, des Regulierungswillens und der politischen Patronagenotwendigkeiten gegenüber Anhängern und Klienten aus den aufsteigenden Mittelschichten. Es handelt sich dabei um keine Besonderheit der Region. Ernsthafte und erfolgreiche Bemühungen, eine Bürgerverwaltung aufzubauen, die bürgerfreundlich, effizient, in ihren Verfahren zeitbewußt ist, gelang allerdings nur in Singapur und zuletzt wohl auch in Malaysia. Obwohl in den anderen Ländern Bemühungen in diese Richtung unternommen werden, wird der indonesischen Bürokratie auch heute noch von Beobachtern bescheinigt, den Habitus ihrer traditionellen Vorgänger, der priyayis, zu pflegen: patrimonial und paternalistisch, von oben herab gegenüber dem Bürger als Bittsteller.

Auch die Effizienz der Verwaltung ist sehr unterschiedlich. Nehmen wir dafür ein Beispiel aus der Steuerverwaltung: Nur Singapur gelingt es, praktisch alle Beschäftigten zur Abgabe einer Steuererklärung zu veranlassen; nur ca. 40% müssen dann tatsächlich Steuern zahlen, 2,5% bis 30% vom zu versteuernden Einkommen! In Malaysia werden nur 35% (1994) der nicht-landwirtschaftlich Beschäftigten steuerlich veranlagt, in den Philippinen nur 16% (1993). Eine allenfalls passabel arbeitende Steuerverwaltung beschränkt sich auf die Hauptstadt Manila, in der 85% aller direkten und indirekten Steuereinnahmen erhoben werden, obwohl sich dort nur 22% der nicht-landwirtschaftlich Beschäftigten finden, welche 41% des nicht-landwirtschaftlichen Sozialprodukts des Landes erwirtschaften. Die Verhältnisse in den anderen Ländern dürften denen in den Philippinen nicht unähnlich sein.

Von einer effizienten Leistungs- und Lenkungsverwaltung erwartet man, daß sie politische Entscheidungen sachlich umsetzt und dabei nicht durch politische und private Eingriffe behindert wird. Eine sich aus dem Postulat der Nichtpolitisierung ergebende Trennung zwischen politischer und Verwaltungssphäre gibt es in den südostasiatischen Ländern allerdings nicht. Die Bürokratie ist weitgehend an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt, sei es, daß sie politische Ämter (Ministerposten) selbst besetzt, oder daß sie exklusive Input-Funktionen wahrnimmt. Man könnte sogar sagen, je bedeutsamer der bürokratisch-technokratische Input in die Politikformulierung ist, um so erfolgreicher hat sich das Land entwickelt. Das trifft gewiß auf das technokratisch regierte Singapur, bedingt auch auf Malaysia zu. In Thailand und Indonesien befinden sich technokratische Inseln in einigen Schlüsselbehörden. Auch in den Philippinen fehlt eine Technokratenfraktion nicht. Ihre Stellung war jedoch immer wesentlich fragiler als in den anderen Ländern und sah sich immer wieder zu Kompromissen mit politischen und oligarchisch-gesellschaftlichen Akteuren gezwungen. Die Präsidentschaft des Militär-Technokraten Ramos (1992-98) hat hier allerdings möglicherweise einige Korrekturen angebracht. Von einer Politisierung der Verwaltung als wirtschaftspolitischem Problem sollte man daher in Südostasien eher sprechen, wenn Patronage- und Klientelinteressen bei der Besetzung der Verwaltungsposten dominieren, und nicht Kenntnisse und Leistung, so daß die Leistungsfähigkeit von dieser Seite eingeschränkt wird.

Die Effizienz, die Neutralität im Rahmen der Gesetze und damit die Berechenbarkeit des Staatsapparates können aber auch durch unzureichende materielle und vielleicht auch ideologische Leistungsreize und Leistungskontrollen in Frage gestellt werden. In der bürokratischen Sphäre geht es um eine leistungsgerechte Vergütung und interne Erfolgskontrollen mit positiver und negativer Sanktionsgewalt.

Die Beamten- und auch die Politikergehälter sind weithin niedrig bis zu niedrig. In Indonesien liegen die Beamtengehälter bei nur einem Viertel bis einem Drittel der Gehälter in der Privatwirtschaft. In den Philippinen und Thailand liegen die Verhältnisse nicht viel anders. In Singapur hat man sich hingegen bemüht, die Politiker- und Beamteneinkommen den rasant gestiegenen Vergütungen in der Privatwirtschaft anzupassen. Mittlerweile ist der Premierminister Singapurs der höchstbezahlte Regierungschef der Welt. Er verdiente 1996 812.000 $, deutlich mehr als der bescheidene Präsident der Weltmacht USA (200.000 $), und natürlich mehr als der Premierminister Thailands (54.000 $) oder der Präsident der Philippinen (12.000 $). Minister, Beamte und öffentlich Bedienstete verdienen entsprechend weniger. In den Philippinen wurden die Gehälter 1994 auf folgendes Niveau angehoben: Ein General oder ein Minister verdiente nun etwa 10.000 $ p.a., ein Direktor 6.000 – 9.000 $, ein Major 5.000 $, ein Assistenzprofessor 3.500 $, ein Arbeiter 1.400 $.

Beamte reagieren in der Regel vernünftig (und nur in Ausnahmefällen idealistisch) auf diese geringen Leistungsanreize: Sie verschleppen ihre Arbeit, suchen sich Neben- und Haupteinnahme-Beschäftigungen, sie mißbrauchen öffentliche Mittel oder leiten sie fehl und werden schließlich in ihrem Amt nur gegen informelle Zusatzvergütung tätig, was man Korruption nennt. Im Bereich der bewaffneten Organe (Polizei, Militär) kann dieses Fehlverhalten sich bis zur aktiven Kriminalität verdichten: Schutzgelderpressung, Wegelagerei, Kidnapping, in der einen oder anderen Form in Thailand, den Philippinen, Indonesien. In Thailand und insbesondere Indonesien hat man dem entgegenzuwirken versucht, indem auch die einzelnen Waffengattungen des Militärs zu Betreibern von Wirtschaftsunternehmen wurden bzw. an ihnen beteiligt sind. Damit verfügt man über vom Budget unabhängige Zusatzeinkommen und über zusätzliche legale und halblegale Aufstiegs- und Bereicherungschancen. In den Philippinen wurde – auf dem Höhepunkt der Krise, Mitte der 80er Jahre – in Militärkreisen diskutiert, ob auch Offiziere und Unteroffiziere eigene Parzellen mit Nahrungsmitteln bebauen sollten, da sie mit ihrem mageren Sold (legal) nicht über die Runden kommen konnten. Auch in der gegenwärtigen Krise wird der Gartenbau für Beamte und Militärs allerorten propagiert. Unter diesen Bedingungen kann man keine allzu hohen Erwartungen bezüglich der zivilen Effizienz und militärischen Schlagkraft der bürokratischen Apparate hegen.

Entsprechend diesem Befund ist die Korruption unterschiedlich verbreitet. Ein „Ranking" ist allerdings nur auf der Basis subjektiver Einschätzungen möglich und kann daher nur „weich" erfolgen. Die von Transparency International (Berlin) vorgenommene Bewertung auf der Basis von Befragungen von Wirtschaftsakteuren ist jedoch in ihrer Tendenz plausibel und zutreffend: Singapur gilt als eines der korruptionsfreiesten Länder der Welt. Es erhält eine bessere Bewertung als etwa Deutschland oder gar die USA. In Südostasien folgen – mit größerem Abstand – Malaysia, und schließlich die notorisch korrupten Länder Thailand, die Philippinen, Vietnam und Indonesien als Schlußlicht.

Die Korruption verursacht in der Leistungsverwaltung Kosten für die Bürger. Man könnte sagen, sie ist eine quasi-Steuer. Sie unterscheidet sich allerdings von dieser durch ihre geringe Transparenz, Verläßlichkeit, und ist letztlich auch ungerechter und sozial differenzierender. In der Auftrags- und Steuerverwaltung verursacht sie Kosten für den Staat durch teurere (als marktübliche) Beschaffungs- und Bauaufträge und geringere Steuereinnahmen. In den Philippinen und zuletzt in Indonesien (bis 1996) hat man zeitweise das Problem einzugrenzen versucht, indem man die Zollverwaltung durch eine Schweizer Firma inspizieren ließ. In der Aufsichts-, Lenkungs- und Regulierungsverwaltung, inklusive der rechtserzwingenden Organe wie Polizei und Justiz, konterkariert und durchlöchert Korruption die proklamierten Staatsziele und macht das Staatshandeln unberechenbar.

Ein fehlendes effektives Deliktrecht erhöht die Umweltgefahren und subventioniert die „Sünder" durch die Opfer. Ein defizitäres Haftungs- und Konkursrecht behindert die Entwicklung der Finanzmärkte bzw. leistet deren Mißbrauch und den anschließend möglichen Zusammenbrüchen Vorschub. Funktionsdefizite im Zivilrecht führen im allgemeinen zu einer Erhöhung der Transaktionskosten, da anonyme und entpersonalisierte Markttransaktionen nur mit einer Risikoprämie angegangen werden können – es gibt ja gegen Vertragsverletzungen keine effektiven legalen Sanktionen. Private Unternehmer können diese Unwägbarkeiten durch drei Strategien auszuschalten oder zu minimieren versuchen: Sie mindern durch Schaffung von integrierten Konzernen und Konglomeraten in Familienhand die notwendigen Wirtschaftsbeziehungen zu Außenseitern und die damit einhergehenden Risiken. Auch der Gang an die Börse, im letzten Jahrzehnt zunehmend vollzogen, hat den Charakter dieser Familienunternehmen kaum wesentlich verändert: Management und dominierende Eigentümerinteressen blieben meist in einer Hand und wurden dadurch nicht getrennt. Außerhalb der Familie sucht man Wirtschaftsbeziehungen vor allem mit landsmannschaftlich verbundenen Geschäftspartnern, Freunden und Bekannten zu unterhalten, in denen ein gemeinsamer moralischer Ehrenkodex und moralische Sanktionen die fehlenden rechtsstaatlichen Regeln und Sanktionen ersetzen können. Das führt zwangsläufig zur Ausgrenzung von Wirtschaftspartnern anderer Eliten, gegen die Vertragsstreitigkeiten legal besonders schwer durchzusetzen sind. Diese – etwa das Staatsvolk – fühlen sich durch ein solches Verhalten wiederum diskriminiert und wohl auch zu Recht in ihrer Entfaltung behindert.

Und schließlich sucht man klugerweise die Nähe zum Staatsapparat, d.h. zu einzelnen einflußreichen Politikern, Beamten und Militärs. Diese werden ad hoc für Protektion und Aufträge/Lizenzen vergütet, oder besser, persönlich bzw. in Gestalt der Familienangehörigen durch stille Teilhabe oder als joint venture-Partner an den Geschäften beteiligt. Dabei können sich wunderbare langanhaltende Männerfreundschaften entwickeln: Liem Sioe Liong und Bob Hasan machten schon in den 50er Jahren Geschäfte mit einem Oberst Suharto. Sein politischer Aufstieg machte sie zu den reichsten Männern Asiens. Bob Hasan ist z.B. einer der Hauptverantwortlichen und Hauptnutznießer der Abholzung der tropischen Wälder Kalimantans und Sumatras sowie der dort gelegten Waldbrände. Alles, was er und andere dort tun, ist durchaus nicht staatlich gewollt und legal. Die personell unterbesetzte und eben auch schlecht bezahlte staatliche Forstverwaltung hatte bisher jedoch kaum Chancen, Rechtsbrüchen entgegenzuwirken oder gar zu sanktionieren. Versuchte sie es dennoch, wurden ihre Bußbescheide einfach nicht befolgt, und der zuständige Minister wurde über den Präsidenten ausmanövriert.

In Indonesien (seit 1967) und zuvor in den Philippinen (1972-86) hat sich ein Kumpanei-Kapitalismus (crony capitalism) herausbilden können, in dem ein kleiner, fester Kreis von Unternehmern oder besser: Rentenkapitalisten in Zusammenarbeit mit der politischen Instanz eine exklusive Förderung und sogar Monopolrechte erhielt. Dadurch wird der Markt ausgeschaltet, nicht zum inneren Kreis gehörende Unternehmer werden benachteiligt und übervorteilt bzw. gezwungen, sich allenfalls als Juniorpartner an diesen Unternehmen zu beteiligen. Die Voraussetzung für diesen Kumpanei-Kapitalismus ist ein dauerhaftes personalisiertes (patrimoniales) autoritäres System. Rohstoffrenten sind nützlich. Hauptinstrument ist aber ein umfassender staatlicher Lenkungs- und Regulierungsapparat, durch den Renten geschaffen und einseitig zugeteilt werden können.

Dieser geschlossene Kumpanei-Kapitalismus findet sich in den anderen Ländern der Region nicht. In Thailand gibt es ihn nur in fragmentarischer und volatiler Form: Die relativ häufigen Machtwechsel, zunächst verschiedener Militärfraktionen und nun – unter den Bedingungen des Parlamentarismus – zwischen verschiedenen zivilen Parteiungen, erlauben seine Verstetigung nicht. In Malaysia erleben wir die politische Geburtshilfe einer bisher nicht existierenden Unternehmerschaft. Begünstigt werden jedoch potentiell Anwärter einer ganzen Ethnie – der Malaien. Wenn auch persönliche Freundschaften und Loyalitäten in Einzelfällen eine Rolle spielen mögen, so gilt die Förderung doch einem ethnischen Kollektiv. Damit werden zwar die dynamischsten Wirtschaftsakteure im Lande diskriminiert, sie werden aber nicht wirklich behindert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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