FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




7. Makroökonomische Stabilität

Diese Daten lenken den Blick auf den wesentlichsten Faktor, der nicht nur den Boom der letzten Dekade, sondern der drei letzten Dekaden erklärt und als Konstante für die durchgängig erfolgreichen Länder Singapur, Thailand, Malaysia sowie Indonesien benannt werden kann: Es ist die relative makroökonomische Stabilität aufgrund einer konservativen und restriktiven Geld- und staatlichen Haushaltspolitik. In diesen Ländern, für die ja sonst erhebliche Unterschiede an entwicklungsförderlichen und auch hemmenden politischen Variablen herausgearbeitet wurden, konnten dadurch die Preisentwicklung in Grenzen und die Wechselkurse relativ stabil gehalten werden. Das ermöglichte es den Geldbesitzern, im Lande zu sparen, ohne daß sie befürchten mußten, daß die Inflation ihr Kapital aufzehrt, da die Preissteigerungsrate unter den Habenzinsen lag und ihr Geld auch in internationaler Währung stabil blieb. Die geldpolitische Verläßlichkeit machte es für rational handelnde Geldbesitzer nicht notwendig, ihr liquides Vermögen im Ausland zu parken oder anzulegen, also Kapitalflucht zu begehen. Auch mußte es im Lande nicht unökonomisch durch (Gold-)Schatzbildung oder Besitz großer Rinderherden gehortet werden, wie etwa in Afrika.

Damit wurden die hohen internen Sparraten in diesen Ländern möglich. Sie beliefen sich in Indonesien, Thailand und Malaysia 1990-94 auf 34 – 35% des BIP und werden in Singapur durch Zwangssparmaßnahmen der Regierung für die Pensionskasse sogar auf den Weltrekord von 48% getrieben. In den Philippinen liegt die Sparrate mit zuletzt 18% deutlich niedriger, aber immer noch höher als in Vietnam und Myanmar (je etwa 12%) oder gar Kambodscha (7%). Afrika und Lateinamerika verzeichnen Durchschnittswerte von nur 15% bzw. 20%.

Diese hohen Sparraten ermöglichten hohe Investitionsraten, die wiederum die Grundlage für ein hohes Wachstum sein können (und ja auch waren). Es waren die Weitsicht und das aufgeklärte Selbstinteresse der ansonsten korrupten Politikerkaste in Thailand und Indonesien, die makroökonomisch wichtigen Behörden den Technokraten zu überlassen und sich nicht auch hier von ihren ziemlich schamlosen und eigentlich grenzenlosen Begehrlichkeiten leiten zu lassen. Für Singapur und Malaysia ist dies ohnehin nicht weiter überraschend.

Allerdings, auch Technokraten können Fehler machen. Diese erfolgten im Vorfeld und während der gegenwärtigen Krise, in Thailand etwa durch eine zu enge Koppelung des Baht an den Dollar und durch Aufhebung nahezu aller Kapitalverkehrskontrollen Anfang der 90er Jahre. Um die Inflation zu kontrollieren, wurden im Gegenzug die Zinsen hoch gehalten. All dies förderte den Boom und die damit verbundene Euphorie – und bereitete damit auch den Absturz vor: Es floß nicht nur Investitions-, sondern auch zunehmend Portfoliokapital ins Land, das bekanntlich fast ebenso schnell wieder abfließen kann, wie es gekommen ist. Ausländische Banken, die in ihren Heimatländern durch die Zinserträge nicht gerade verwöhnt wurden, fanden es attraktiv, ihr Kapital nach Thailand zu höheren Zinsen – bei einer allerdings auch etwas höheren Inflation als etwa in Japan, den USA und Europa, dafür aber zu scheinbar festen Wechselkursgarantien – zu verleihen. Für thailändische Unternehmen war es billiger, notwendige Darlehen im Ausland aufzunehmen.

Ein Wirtschaftsboom, zumal wenn er in einer Metropole zentriert stattfindet, führt immer auch zu einer erhöhten Nachfrage nach Immobilien und steigenden Immobilienpreisen, die zunächst auch aus den höheren Boomgewinnen und höheren Individualeinkommen bezahlt werden können. Diese Entwicklung kann und wird sich aber verselbständigen. Die Erwartungen in überproportionale Immobilienpreissteigerungen werden zu einem Bauboom führen, der durch spekulatives Kapital weiter angeheizt werden wird. Es kommt zur Errichtung von Überkapazitäten, die immer weniger rentabel bewirtschaftet werden können und schließlich leer stehen. Das geschah auch in Thailand und ist keine Besonderheit des Landes.

Probleme einzelner Finanzierungsgesellschaften mit notleidenden Immobilienkrediten waren aber nur ein Beitrag zur Entwicklung der Krisenstimmung. Das Land erlebte 1996 einen dramatischen Einbruch seiner Industriewarenexporte auf Niedriglohnbasis und eine Stagnation aller Exporteinnahmen – ein Warnsignal und eine herbe Enttäuschung angesichts der bisherigen jährlichen Wachstumsraten von um die 20%. Auch in diesem Bereich sind in den letzten Jahren Überkapazitäten errichtet worden, die nun geschlossen oder nicht ausgelastet werden konnten. All dies verstärkte die Vorstellung, daß das Land an die Grenzen seines bisherigen Wachstumsmodells gestoßen sei und nun die nächste Entwicklungsstufe, d.h. eine technologisch anspruchsvollere Industrie(export)produktion, angegangen werden müßte. Für die fehlen allerdings weithin die Voraussetzungen im Bildungs- und Forschungsbereich, und das kann auch nicht über Nacht korrigiert werden. Obwohl diese Vorstellungen durchaus zutreffend sind, wurde übersehen, daß Thailand mit seinen inzwischen teureren Billiglohnexporten nicht allein Einbrüche erlebte, sondern auch die anderen asiatischen Staaten, darunter die nachrückenden aktuellen Billiglohnproduzenten, die Ursache also auch auf der Nachfrageseite gesucht werden muß.

Diese alles in allem nicht übertrieben besorgniserregenden realwirtschaftlichen Probleme vollzogen sich vor dem Hintergrund instabiler Koalitionsregierungen, in denen die Politiker sich noch um Posten und Pfründe rauften, wo es bald nichts mehr zu verteilen geben würde. Es mehrten sich die Indizien, daß nun auch die bisher sakrosankten technokratisch geführten Behörden von inkompetenten Politikern politisiert würden und der Staatsapparat sich als immer weniger handlungsfähig erweisen würde, die anstehenden Probleme zu meistern.

Dieses Krisenbewußtsein hat zum Baht-Rücktausch in Dollar und zu spekulativen Angriffen von Außenseitern gegen den Baht geführt, zunächst 1996 und dann 1997. Es ist noch nicht zu sagen, welches Gewicht beide Faktoren hatten, auf jeden Fall kann man von sich gegenseitig verstärkenden Bewegungen ausgehen. Im Juli 1997 kapitulierte die Zentralbank, löste den Baht vom Dollar und ließ ihn frei floaten, was bis zum Januar 1998 zu einer Halbierung seines Wertes führte. Der reale Abwertungsbedarf wurde damit dramatisch überzeichnet. Diese Währungspanik zeichnet nun tiefe realwirtschaftliche Spuren und bringt selbst die bisher rentabel arbeitenden binnenmarktorientierten Unternehmen in Schwierigkeiten, die sich in ausländischer Währung – im Vertrauen auf den festen Wechselkurs – verschuldet hatten. Die Exportunternehmen dagegen, müßten, wenn sie sich nicht zu spekulativen Zwecken überschuldet haben, durch die Krise gestärkt werden.

Die thailändische Krise verunsicherte die gesamte Region, so daß sich ihr letztlich kein Land entziehen konnte. Selbst das stabile Singapur (–20%) und die sich auf dem Reformpfad gerade jetzt positiv entwickelnden Philippinen (–40%) sowie Malaysia (–45%) werteten ab. Am härtesten traf es Indonesien. Die Rupie fiel von ca. 2.500 auf zeitweise 16.000. Die ursprünglichen realwirtschaftlichen Probleme sind in Indonesien kaum größer als in den anderen Ländern. Der tiefe Sturz spiegelt eine dramatische politische Vertrauenskrise wider. Diese reifte in den letzten Jahren durch eine schwindende politische Bindungskraft des autoritären patrimonialen Systems heran, das, nicht zuletzt aufgrund der Proteste der aufmerksamen internationalen Öffentlichkeit, immer seltener wagt, staatsterroristisch gegen Dissidenten vorzugehen und sich „weicherer" Unterdrückungsmaßnahmen zu bedienen sucht. Damit kann es berechtigte Protestaktionen zwar neutralisieren, aber nicht mehr verhindern. Eher archaisch flackern allerorten soziale Unruhen auf, offenbar führerlos und ohne Organisation und politische Ziele, aber meist auch mit einer rassistischen Stoßrichtung, die die wirtschaftlich erfolgreichen Chinesen bedroht und verängstigt. Als erster ist nun dieser Krise der Staatschef Suharto selbst zum Opfer gefallen. Kurzfristig hat er mit seinem Rücktritt das Regime gerettet, da sein Nachfolger und politischer Ziehsohn Habibie, trotz seiner vagen Äußerungen, vielleicht relativ bald Neuwahlen auszuschreiben, kaum ein Garant für einen entschiedenen Politikwechsel ist. Suhartos (und Habibies) Anhänger und Mitprofiteure werden vorläufig noch von der Armee gestützt, der es zunächst einmal um politische Stabilität und Beendigung der blutigen Massenunruhen ging. Aber der teilweise Erfolg der Studentenbewegung als Speerspitze des Massenunmuts kann schnell seine Ambivalenz entfalten: Suharto wurde verdrängt, das gibt Selbstvertrauen und politisches Selbstbewußtsein. Die Hoffnungen auf einen personellen und radikalen politischen Neubeginn aber wurden enttäuscht – das schafft Frustration und spätestens dann neue Wut, wenn spürbare Reformen und Verbesserungen, zumal bei gestiegenen Erwartungen und Ansprüchen, ausbleiben. Für einen radikalen Kurswechsel aber sind die ökonomischen Spielräume gering, und die politische Bereitschaft der neuen und alten Machthaber zu Strukturreformen ist bislang nur ängstliche und konzeptionslose Rhetorik. Die politische und soziale Krise Indonesiens hat gerade erst begonnen, ihre Dimensionen anzudeuten.

Indonesien und wohl auch Thailand werden es schwer haben, zu finanz- und währungspolitisch verläßlichen Rahmenbedingungen zurückzukehren. Für alle betroffenen südostasiatischen Ökonomien prognostiziert man für das laufende Jahr z.T. erhebliche Wachstumsabschläge. Es bleibt abzuwarten, wie es ihnen gelingt, die Krise zu bewältigen, und ob sie dann gestärkt eine nächste Boomdekade angehen können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

Previous Page TOC Next Page