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4. Entwicklung durch Demokratie oder Diktatur?

Es ist im weltweiten Maßstab für Entwicklungsländer diskutiert worden, ob Diktaturen besser in der Lage sind, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, oder ob Demokratien einen komparativen Vorteil besitzen. Man versucht sich der Frage meist durch empirische Vergleiche größerer Ländergruppen anzunähern, wobei man wenige übersichtliche Schablonen der politischen Systeme zu entwickeln sucht, denen man die einzelnen Länder zuordnet; dies geht meist nur durch Nivellierung mehr oder weniger bedeutsamer individueller Charakteristika. Die Ergebnisse sind entsprechend widersprüchlich, jedenfalls nicht eindeutig. Welchen Beitrag kann Südostasien zu dieser Debatte leisten?

Freie, kompetitive Wahlen, denen sich das leitende politische Personal mit einem echten Risiko der Wiederwahl stellen muß, finden wir nur in den Philippinen (1946-72, seit 1986) sowie in Thailand (1973-76, bedingt nach 1980 sowie seit 1988). In diesen Ländern kann auch die freieste Presse agieren, die politische Interessenartikulation hat die größten legalen Entfaltungsspielräume. Da in beiden Ländern die Politik stark personalisiert ist und politische Unternehmer mit Klientelnetzen und über Stimmenkauf wirken, unterliegen sie mit ihren politischen Leistungen allerdings weniger rechenschaftspflichtigen Zwängen als in entwickelten Demokratien erwartet wird. Deshalb hat eine demokratische Öffentlichkeit hier Korruption, Ämterpatronage und dergleichen kaum einschränken können. Eine Debatte über (bessere) Programme und Strategien findet vor den Wahlen nicht statt und wird nicht durch die Wahlen entschieden.

Allerdings ist auch Licht am Ende des Tunnels sichtbar: Die nicht in Klientelnetze eingebundenen Mittelschichten Bangkoks, als Wahlbevölkerung in der Minorität, trugen immerhin dazu bei, 1992 einen Generals-Premier sowie die beiden letzten Premierminister (Barnham und Chaovalit) wegen ihrer Inkompetenz aus dem Amt zu treiben. Auch der Rücktritt Suhartos zeigt, daß selbst in Indonesien Massenproteste vor allem der Mittelschichtsstudenten politische Wirksamkeit entfalten können. In den Philippinen gibt es zwar eine kritische und artikulierte Mittelschichtenöffentlichkeit, sie vermag aber kein Wählerpotential – nicht einmal als relevante Minorität – zu mobilisieren. Nicht gekaufte bzw. nicht-klientelistisch eingebundene Wähler wählen hier Populisten oder ehemalige Schauspieler und Showgrößen.

Die Gewaltenteilung führt in beiden Ländern zwangsläufig zu längeren Entscheidungswegen als sie in den autoritäreren Staaten notwendig sind. Für beide Länder sind auch Entscheidungsblockaden typisch und gar nicht so selten. Die Bruchlinien verlaufen in den Philippinen zwischen dem Präsidenten einerseits und dem Kongreß, selbst wenn er dort (meist erst nach den Wahlen!) eine Mehrheit auf sich ziehen, aber eben nicht verpflichten kann, sowie dem Obersten Gericht. Die Verhältnisse sind denen in den USA nicht unähnlich. Im parlamentarischen Mehr- und Honoratiorenparteiensystem Thailands verläuft die Bruchlinie in Sach- und vor allem Kompetenzfragen direkt durch das Koalitionskabinett, in der Frage der Stabilität der Regierung auch zwischen (Regierungs-)Hinterbänklern und Kabinettsmitgliedern.

In den anderen Ländern können politische Entscheidungen schneller gefällt werden. Allerdings müssen auch autoritäre Regime einen Interessenausgleich zwischen verschiedenen am Regime beteiligten Fraktionen suchen, muß die rationale Grundlage für die Entscheidungsfindung – wenn sie denn angestrebt wird – erst erarbeitet werden. In neo-patrimonialen Systemen, in denen der öffentliche Sektor sich eng mit dem privaten Sektor der herrschenden Clique verzahnt – wie in den Philippinen unter Marcos und gegenwärtig in Indonesien – werden einschneidende Reform- und Sparentscheidungen schwerer gefällt werden können, als in autoritären Regimen, die relativ autonom gegenüber anderen gesellschaftlichen Ansprüchen agieren können und in denen der öffentliche Sektor nicht privatisiert wird.

Ideologische „Scheuklappen" werden die Einsicht in notwendige Reformen eher behindern. Dies erklärt z.T. den vorsichtigen und zeitlich langgezogenen Reformprozeß in den sozialistischen Ländern Vietnam und Laos seit Ende der 70er Jahre und unterstreicht auch die Handlungsfähigkeit der politischen Führung Singapurs, die technokratisch, ohne ideologische und gesellschaftliche Bindungen und Zwänge, die von ihr diagnostizierten Probleme zu lösen versucht.

Autoritäre Regime müssen sich oft mit einem Strukturproblem auseinandersetzen: Sie versuchen, die freie politische Kommunikation zu unterbinden oder zu regulieren, um das Wissen über politisch relevante Zusammenhänge exklusiv zu halten; damit wahren sie die Autonomie des staatlichen Handelns gegenüber anderen gesellschaftlichen und politischen Interessen. Der Monopolanspruch wird notfalls mit gewaltförmigen Maßnahmen erzwungen. Diese Regime drohen auf diese Art und Weise auch partiell zu erblinden – sie tappen u.U. im Dunkeln hinsichtlich dessen, was die Bevölkerung will oder nicht will. Sie können im Prinzip jede Entscheidung treffen: Wenn sie sich bei der Umsetzung nicht auf Zwangsmittel stützen können, sondern auf die Mitwirkung der Betroffenen angewiesen sind, werden sie erhebliche Schwierigkeiten bei der Durchsetzung ihrer Politik haben.

Der dann mögliche alltägliche massenhafte, aber unkoordinierte, scheinbar unpolitische Widerstand durch Verweigerung wie auch durch Sabotage und Diebstahl ist durchaus nicht immer und oft nur sehr spät zu erkennen. Er kann – unterhalb der Schwelle des Massenterrors bolschewistischen Typus – nur schwer so gebrochen und beseitigt werden, wie man etwa eine organisierte Opposition oder Interessengruppen neutralisieren bzw. beseitigen kann. Es sind auch keine Verhandlungslösungen möglich, da kein Verhandlungspartner zur Verfügung steht. Das Regime kann allenfalls, wenn es das Problem überhaupt erkennt, die vermuteten Wünsche der Verweigerer berücksichtigen, weiß aber nicht, wie weit es gehen muß, um deren Verhaltensänderungen zu erreichen. Das Phänomen ist nicht auf die Beziehung der Bürger zum Staat oder auf autoritäre Staaten beschränkt: Man denke u.a. an die massenhafte Steuerschwindelei und Schwarzarbeit auch hierzulande. In Zentralverwaltungswirtschaften und Agrargesellschaften kann es sich zu einem konstituierenden Strukturelement herausbilden. In Osteuropa und Afrika hat der „alltägliche Widerstand" den Zusammenbruch der inflexiblen Systeme wohl wesentlich mitverursacht. In Südostasien konnten die kommunistischen Regime die Kollektivierung der Agrarproduktion erzwingen. Ihnen gelang aber nicht, die hinreichende Optimierung der agrarischen Produktion, da sie den passiven Widerstand der Landbewirtschafter nicht zu überwinden und in Vietnam und Laos auch nicht durch Massenterror zu brechen versuchten. Sie reagierten immerhin mit einer schrittweisen Liberalisierung und Privatisierung. Gewarnt durch den Zusammenbruch der Bruderregime in Osteuropa und erzwungen auch durch die Einstellung der bisher massiven „brüderlichen Hilfe", bekam die Reformpolitik ab Ende der 80er Jahre noch einmal besondere Schubkraft. Damit konnte der eigene Zusammenbruch verhindert und endlich der Wachstumspfad eingeschlagen werden, den die übrigen Staaten der Region schon lange so erfolgreich beschritten hatten. Die Wachstumsblockaden der vergangenen Jahrzehnte haben inzwischen aber eine tiefe Kluft zu diesen aufreißen lassen, die es nun aufzuholen gilt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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