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TEILDOKUMENT:




Verschärfung der Strukturprobleme:
Staatsunternehmen, öffentliche Haushalte und Finanzsektor


Auf dem 15. Parteitag wurde ein weitreichender Beschluß gefaßt: Die staatlichen Unternehmen sollen in den nächsten drei Jahren umstrukturiert und soweit saniert werden, daß sie weder dem Staatshaushalt noch den staatlichen Banken finanziell zur Last fallen. Das Hauptmotiv für die Reform liegt nicht in erster Linie in der Steigerung des Beitrags der Staatsunternehmen zum Wirtschaftswachstum. An erster Stelle soll vielmehr verhindert werden, daß die Staatsunternehmen die öffentlichen Finanzen weiter aushöhlen und das Finanzsystem in den Bankrott treiben.

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Die Krise der Staatsunternehmen

Leider sind die Daten zur Lage der Staatsunternehmen alles andere als üppig und transparent. Den wenigen offiziellen Daten kontrastieren unabhängige Schätzungen und Studien, die die Situation meist in pechschwarzen Farben malen.

Insgesamt gibt es in der VR China knapp über 300.000 Unternehmen, die im Besitz der Zentralregierung, der Provinzen oder der Städte sind. Ursprünglich waren alle Unternehmen Dependenzen der jeweiligen Regierungen ohne eigene Rechtsform, die direkt von den zuständigen Ministerien, Kommissionen oder Branchenabteilungen verwaltet wurden. Alle Gewinne gingen direkt an die jeweilige Verwaltungsbehörde, die dann im Rahmen des Planes die Investitionsmittel zuteilte und die Produktionsziele setzte. Im Zuge der Reformpolitik wurde dem Management der Unternehmen eine höhere Autonomie bei Produktionsentscheidungen und Investitionen zugestanden, kaum aber bei der Festsetzung der Löhne und Gehälter.

Die wichtigste Reform der letzten Jahre lag im finanziellen Verhältnis zwischen Regierungen und Staatsunternehmen. Die Abführung der Gewinne wurde schrittweise durch deren Besteuerung ersetzt, wobei die Höhe der Steuern zwischen der jeweiligen Regierung und jedem einzelnen Unternehmen ausgehandelt wird. Es gibt also keinen einheitlichen Gewinnsteuersatz. Als dieses System in den 80er Jahren eingeführt wurde, wurde es vor allem von den Provinzen, Städten und Gemeinden verfochten. Es gab ihnen die Möglichkeit, einen höheren Gewinnanteil in den von ihnen kontrollierten Unternehmen zu belassen und auf diese Weise die ausgewiesenen Haushaltseinnahmen zu reduzieren. Auf diese Weise ließ sich wiederum die Abführung der Steuern an die jeweils höhere Regierungsebene und insbesondere an die Zentralregierung verringern. Auch die Sektorministerien der Zentralregierung unterstützten – anders als die Finanzpolitiker der Zentralregierung – dieses System, da es die Existenzberechtigung dieser Ministerien stärkte und das Volumen der in den Staatsunternehmen verbleibenden Gewinne erhöhte, auf deren Verwendung die Sektorministerien Einfluß haben. Folge war die Aushöhlung der fiskalischen Kapazität der Zentralregierung.

Inzwischen führen laut offizieller Statistik die Staatsunternehmen keine Gewinne mehr direkt an die Staatshaushalte ab. Gleichzeitig sind die Einnahmen aus den Gewinnsteuern der Staatsunternehmen von 26% der Haushaltseinnahmen 1985 bzw. 6,6% des BSP auf 10% bzw. 1,2% des BSP im Jahre 1996 gesunken. Mit Ausnahme der letzten Jahre war dieser Rückgang nicht auf die niedrigere Profitabilität der Staatsunternehmen zurückzuführen – einer Studie der Weltbank zufolge machten 1992 nur 26% der Staatsunternehmen Verluste – sondern darauf, daß die Regierungen und Behörden auf allen Ebenen einen hohen Gewinnanteil in den Unternehmen beließen.

Erst in den letzten drei bis vier Jahren hat sich die Profitabilität der Staatsunternehmen rapide verschlechtert. 1996 machte die Hälfte der Unternehmen Verluste, und der Gesamtverlust des Sektors liegt bei einem Prozent des BIP (einige Beobachter schätzen, daß die Gesamtverluste insgesamt weitaus höher sind). Für die Verluste der Staatsunternehmen lassen sich vor allem vier strukturelle Ursachen identifizieren:

  1. Die wachsende Konkurrenz durch Direktinvestitionen, Kollektiv- und Privatunternehmen sowie unter den Staatsunternehmen selbst drückt auf die Gewinnmargen, insbesondere im Konsumgütersektor, aber auch bei Kapitalgütern und nicht-monopolistischen Dienstleistungen.
  2. Aufgrund des lokalen Protektionismus gibt es in vielen Sektoren Überproduktion und eine Vielzahl redundanter Investitionen, die sich gegenseitig das Wasser abgraben. Gleichzeitig gibt es bei vielen Konsumgütern wie Bier, Fernsehgeräten und Unterhaltungselektronik keine ausreichenden Skalenökonomien.
  3. Obwohl die Staatsunternehmen formell unabhängig sind, gibt es doch eine oft bis zur Korruption reichende Interessengemeinschaft zwischen Managern, Regierungsbeamten und Parteivertretern, die darauf hinausläuft, daß sich Führungskräfte Gewinne und/oder Investitionen persönlich aneignen. Eine Untersuchung von 124.000 Staatsunternehmen deutet an, daß dies 1993/94 für knapp 12% des Kapitals der Unternehmen galt. Eine andere Untersuchung schätzt derartige Verluste auf 2–9% der jährlichen In-vestitionen der Staatsunternehmen. Gleichzeitig stehen die Regierungen, die ihre Unternehmen effektiv kontrollieren wollen, oft auf verlorenem Posten, da die Berichterstattungspflichten der Unternehmen unzureichend und die Regierungen von den Informationen des Managements abhängig sind. Umgekehrt können sich die Unternehmen oft der politischen Einflußnahme durch die lokale Regierung und Partei nicht entziehen, wollen sie nicht den Zugang zu lokalen Aufträgen, Distributionskanälen und Krediten verlieren.
  4. Das gegenwärtig größte Strukturproblem der Staatsunternehmen ist jedoch mit dem Stichwort „eiserne Reisschüssel" umrissen. Für etwa 70–80% ihrer Beschäftigten von insgesamt 112 Millionen – 1992 lag der Anteil der auf Zeit eingestellten und leicht kündbaren Vertragsarbeiter bei 20% – sind die Unternehmen für soziale Dienstleistungen und die soziale Sicherung verantwortlich, von Schulen und Wohnungen über die Gesundheitsfürsorge bis hin zu den Renten. In vielen Staatsunternehmen, insbesondere in den alten Unternehmen der Schwerindustrie, bedeutet dies, daß der Anteil der Rentner am gesamten Personal oft höher ist als der der aktiven Arbeitnehmer. Da alle sozialen Leistungen aus den laufenden Einnahmen bezahlt werden, verfügen die Unternehmen über keine Sozialfonds, die sich in die neuen öffentlichen Rentenversicherungsfonds transferieren ließen. In vielen Unternehmen hat dies dazu geführt, daß Lohn-, Gehalts- und Pensionszahlungen eingestellt oder verzögert werden mußten, mit der Folge zum Teil scharfer sozialer Konflikte. Der Aufbau eines unternehmensunabhängigen Systems der sozialen Sicherung wird zwar unter Hochdruck betrieben, ist aber weder flächendeckend, noch ist der Transfer von Ansprüchen und Leistungen von den Unternehmen zu den neuen Sozialversicherungsträgern problemlos. In den meisten Fällen untersagen die Regierungen den Unternehmen daher, überflüssige Arbeitnehmer freizusetzen.

Die Krise des Staatssektors äußert sich nicht nur in sinkenden Gewinnen bzw. wachsenden Verlusten, sondern auch in einer generell niedrigeren Produktivität und Produktqualität. Die Staatsunternehmen wachsen daher langsamer als die anderen Unternehmenstypen. Ihr Anteil am BIP ist bis 1995 auf 41,5% – in der verarbeitenden Industrie auf etwa ein Drittel – gefallen, während die Kollektivunternehmen knapp 44% des BIP erwirtschafteten. Bemerkenswert ist auch das Wachstum nichtöffentlicher Unternehmen – Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung, chinesische Privatunternehmen und Selbständige –, deren Anteil am BIP 1995 jeweils bei 15% lag.

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Das soziale Dilemma

Obwohl die Bedeutung der Staatsunternehmen abnimmt, sind sie beschäftigungs- und sozialpolitisch das heißeste Eisen des chinesischen Reformprozesses. Zwar ist ihr Anteil an der aktiven Arbeitsbevölkerung mit 18%, also weniger als einem Fünftel, seit 1985 konstant geblieben. Aber die 112,6 Mio. Beschäftigten der Staatsunternehmen machen zwei Drittel der aktiven städtischen Arbeitskräfte aus. Sie bilden ein explosives soziales Potential. Hinweise auf die Sprengkraft dieses Konflikt-

potentials hat es wiederholt gegeben: in der Form von Arbeitskonflikten in den ersten Jahren der VR China, während der Kulturrevolution und schließlich im Umfeld der Tiananmen-Ereignisse, als sich Arbeitnehmer der Bejinger Staatsunternehmen aktiv für die Gründung unabhängiger Gewerkschaften einsetzten.

Die Auswirkungen der Umstrukturierung auf die Beschäftigung werden unterschiedlich eingeschätzt. Allgemein wird davon ausgegangen, daß mindestens 15% der Arbeitskräfte in den Staatsunternehmen überflüssig sind, wobei es starke Variationen zwischen Branchen, Regionen und betroffenen Arbeitnehmergruppen gibt. So deutet sich an, daß in den Küstenregionen vor allem die Leichtindustrie und Arbeitnehmerinnen betroffen sein werden, so mehr als 50% der Beschäftigten in der Shanghaier Textilindustrie. In den alten Industriezentren im Norden und Nordosten des Landes sowie in der Provinz Sichuan wird es vor allem männliche Industriearbeiter treffen. Hier kann der Anteil der überflüssigen Arbeitskräfte 90% und mehr erreichen. Ein Beispiel ist das Stahlwerk Anshan in der Provinz Liaoning, dessen 300.000 Arbeitnehmer weniger Stahl produzieren als die 17.000 Beschäftigten der Shanghaier BaoSteel-Gruppe.

Alles deutet darauf hin, daß 15% eine eher vorsichtige Schätzung sind, zumal auch im Dienstleistungssektor, in dem Staatsunternehmen noch eine beherrschende Rolle spielen, Redundanzen von 20–40% genannt werden. Aber auch, wenn man von nur 15% redundanter Arbeitskräfte ausgeht, bedeutet dies, daß die städtische Arbeitslosigkeit, deren Quote zur Zeit mit 4% angegeben wird, auf 15% und mehr steigen kann. Schon jetzt sind viele der in den Staatsunternehmen Beschäftigten de facto arbeitslos. Sie erhalten einen Mindestlohn und einige soziale Dienstleistungen, sie behalten ihre Unternehmenswohnung, gehen aber nicht mehr zur Arbeit. Einer neueren Schätzung zufolge liegt die tatsächliche Arbeitslosigkeit in den sechs größten Städten (Beijing, Tianjin, Shenyang, Shanghai, Chongqing und Guangzhou) bereits heute bei 13%.

Hinzu kommen die Beschäftigungsprobleme in den anderen Sektoren, vor allem in der Landwirtschaft, neuerdings aber auch bei den Kollektivunternehmen. Hierbei ist in Betracht zu ziehen, daß in den alten Industriegebieten – im Gegensatz zu den Küstengebieten – industrielle Monostrukturen vorherrschen. Hier ist weder die sektorale Diversifizierung der Wirtschaft, noch die Diversifizierung nach Eigentumsformen besonders weit fortgeschritten. Die Möglichkeiten, freigesetzte Arbeitskräfte aus den Staatsunternehmen in andere Bereiche umzusetzen, sind schlecht oder nicht existent. Gerade in diesen alten Regionen sind teilweise gewaltsame Konflikte um Lohn-, Gehalts- und Rentenzahlungen und Entlassungen aufgetreten. Warum aber riskiert die Regierung zunehmende soziale und in der Tendenz auch politische Konflikte, die mit der Reform des staatlichen Sektors unvermeidlich auftreten werden?




BIP nach Unternehmenstypen (%)

Jahr


Staatsunternehmen


Kollektivunternehmen

Nicht-öffentliche
Unternehmen

1978

56,0%

43,0%

1,0%

1993

42,9%

44,8%

12,3%

1995

41,5%

43,9%

14,6%

2000

38,5%

41,3%

20,2%

2010

34,7%

34,5%

30,8%


Anm.: Nicht-öffentliche Unternehmen: Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung, Privatunternehmen, Selbständige. Daten für 2000–2010 sind Projektionen.
Quelle: Ricky Tung: „Possible Development of Mainland China’s Private Enterprises," Issues & Studies 33:6 (June 1997), 2.






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Die Aushöhlung der öffentlichen Haushalte

Die Steigerung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Staatsunternehmen, sei es unter staatlicher Kontrolle, sei es durch Privatisierung, ist wirtschaftspolitisch schon seit langem notwendig, und jede Verzögerung erhöht die volkswirtschaftlichen Kosten der Umstrukturierung. Gleichwohl hätten Parteiführung und Regierungsspitze eine graduelle Umstrukturierung dem jetzt beschlossenen Drei-Jahres-Programm vorgezogen.

Den Grund für die Eile, mit der das Reformprogramm seit September 1998 forciert wird, offenbart ein Blick auf die öffentlichen Haushalte und die Situation des staatlich kontrollierten Finanzsystems, vor allem der staatlichen Banken. Die Einnahmen der öffentlichen Haushalte aus Steuern auf die Gewinne der Staatsunternehmen gingen, wie erwähnt, von 26,1% 1985 auf 10,1% 1996 der Gesamteinnahmen zurück. Die direkte Gewinnabführung der Staatsunternehmen sank von 1,9% auf Null Prozent, so daß der Gesamtbeitrag der Staatsunternehmen von 28% auf 10,1% schrumpfte. Die weniger bedeutsamen Gewinnsteuern der Kollektivunternehmen sanken im gleichen Zeitraum von 4,4 auf 1,9%. Diese Rückgänge wurden durch die Gewinnsteuern der Joint Ventures, die persönliche Einkommenssteuer und die landwirtschaftliche Einkommensteuer nur unzureichend kompensiert. Insgesamt nahm der Anteil der Gewinn- und Einkommensteuern an den Einnahmen der öffentlichen Haushalte von 32,4 auf 16,8% ab.

Anteilsmäßig wurde der Rückgang der Gewinn- und Einkommenssteuern durch einen Anstieg der Verkaufssteuern von 42,2 auf 59,8% kompensiert. Der Anteil selbst dieser Steuern am BSP ging jedoch von 10,7 auf 6,9% zurück, während er bei den Gewinn- und Einkommenssteuern von 8,2 auf 1,9% fiel. Diese Reduktion ist zu etwa zwei Dritteln auf die Abnahme der Gewinnsteuern der Staatsunternehmen von 6,6 auf 1,2% des BSP zurückzuführen. Rechnet man die inzwischen eingestellte direkte Abführung der Gewinne der Staatsunternehmen – 1985 noch 0,5% des BSP – hinzu, so sind die Einnahmen der öffentlichen Haushalte aus den Staatsunternehmen seit 1985 um 5,9 Prozentpunkte des BSP gefallen. Rechnet man die teilstaatlichen Kollektivunternehmen hinzu, beträgt der Rückgang 8,4 Prozentpunkte des BSP.

Damit ist aber der Anteil der staatlichen Unternehmen an den Haushaltseinnahmen noch nicht voll berücksichtigt, denn ein Teil der Verkaufssteuern kommt ja ebenfalls aus dem staatlichen Sektor. Unter der Voraussetzung, daß der Anteil der Staatsunternehmen an den Verkaufssteuern dem ihres Anteils am Output entspricht, gingen zwei Fünftel dieser Reduktion – also ca. 1,5% des BSP – auf das Konto der Staatsunternehmen. Unter Einbeziehung der Kollektivunternehmen hätte der gesamte öffentliche Unternehmenssektor die öffentlichen Haushalte allein auf der Einnahmeseite um 10 Prozentpunkte des BSP ausgehöhlt. Da der Anteil der öffentlichen Haushalte am BSP im genannten Zeitraum um insgesamt 13,9 Prozentpunkte – von 25,4 auf 11,4% – zurückging, sich also mehr als halbierte, ist dieser Rückgang zu mehr als zwei Dritteln auf die öffentlichen Unternehmen und zu mehr als 50% auf die Staatsunternehmen zurückzuführen.

Hinzu kommt die Belastung der öffentlichen Haushalte durch die Staatsunternehmen auf der Ausgabenseite durch verschiedene Subventionen. Hier sind die Statistiken noch undurchsichtiger. Die direkt ausgewiesenen Subventionen für Verluste von Staatsunternehmen sind zurückgegangen. Zwischen 1985 und 1989 waren sie von 8 auf 16,5% der Haushaltsausgaben angestiegen; zwischen 1989 und 1996 sind sie jedoch wieder auf 4% gefallen. Unklar ist, inwieweit sich die finanzielle Unterstützung der Staatsunternehmen aus den öffentlichen Haushalten hinter anderen Ausgaben, insbesondere bei den Investitionen, verbirgt. Die Investitionen im staatlichen Sektor sind insgesamt von 27,2% der Ausgaben bzw. 7,2% des BSP auf 16,2% der Ausgaben bzw. 2,1% des BSP gesunken. Die Unterkategorie „Entwicklung der produktiven Kapazität bestehender Unternehmen" aber ist von 2,5% der Ausgaben 1985 auf 6,1% 1996 – knapp 0,8% des BSP – angestiegen. Hinzu kommt die Kategorie „Arbeitskapital für Staatsunternehmen", die im genannten Zeitraum von 0,2 auf 0,1% des BSP fiel. Die Belastung der öffentlichen Ausgaben durch die Staatsunternehmen ist auf der Ausgabenseite zwar zurückgegangen, aber immerhin müssen zur Aushöhlung auf der Einnahmeseite 1996 noch etwa 1,4% des BSP hinzuaddiert werden.

Damit sind die erkennbaren Subventionen für die Staatsunternehmen erstmals geringer als das Defizit der öffentlichen Haushalte von 1,6% des BSP. Gleichzeitig jedoch haben die Staatsunternehmen die Investitionskapazität des Staates und seine freien Mittel für andere Ausgaben drastisch reduziert. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die soziale Versorgung, etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Und während das Defizit von 1,5% des BSP 1996 im Vergleich zum BSP nicht nur niedrig, sondern auch im Vergleich zu den Werten von 2,0–2,3% in den Jahren 1987 bis 1993 rückläufig ist, so handelt es sich doch um immerhin 13,4% der Einnahmen. Angesichts der wachsenden Zinsbelastung durch die öffentliche Verschuldung, die von 0,8% der Einnahmen 1986 auf 6,3% 1996 gestiegen ist, droht den öffentlichen Haushalten mittelfristig eine Krise – wenn die Einnahmen nicht gesteigert werden.

„Öffentliche Haushalte" umfaßten bislang die offiziellen konsolidierten Budgets der Regierungen auf allen Ebenen. Der Anteil der Zentralregierung hieran wird auf etwa die Hälfte geschätzt, d.h. die Zentralregierung verfügt über nur 6% des BSP – ein Indiz für die finanzielle Schwäche der Zentralregierung, die ihre mangelnde Durchsetzungskraft gegenüber den Provinzen, Städten und Gemeinden erklärt. Hieraus erklärt sich auch, warum die Führungsspitzen der Zentralregierung und der Partei der Umstrukturierung der Staatsunternehmen eine so hohe Dringlichkeit beimessen – es geht darum, die Erosion vor allem des Haushalts der Zentralregierung zu stoppen.

Die offiziellen Budgets der Regierungen machen nur einen Teil der öffentlichen Mittel aus. Die gegenwärtige Situation der sogenannten „außerhaushaltlichen" Mittel ist aber undurchsichtig. Hierbei handelt es sich um Sonderfonds und um die akkumulierten Gewinne der Staatsunternehmen. Dazu gehören auch die 1993–94 eingerichteten Arbeitslosen-, Krankenversicherungs- und Rentenfonds, die von den Städten und Gemeinden verwaltet werden. Auch die Einnahmen der gesellschaftlichen, von Staat kontrollierten, Organisationen (vor allem der Gewerkschaften) gehören hierzu. So werden die Beiträge der Gewerkschaften lokal erhoben und nach einem Quotenplan nach oben weitergeleitet. Das Wachstum dieser „außerhaushaltlichen" Mittel artete insbesondere in den 80er Jahren in Wildwuchs aus. Einer neueren Studie zufolge stiegen sie bis 1991 auf 20% des BIP an. Im gleichen Jahr übertraf ihr Gesamtvolumen erstmals das der regulären öffentlichen Haushaltsmittel.

1991 verfügten die lokalen Regierungen über 2,1% dieser Mittel, Verwaltungsbehörden einschließlich der gesellschaftlichen Organisationen über 21,5%, aber der überwältigende Anteil von 76,4% unterlag der Kontrolle der Staats- und Kollektivunternehmen, die aufgrund der erwähnten Reform der Besteuerung einen zunehmenden Anteil ihrer Gewinne einbehalten konnten. Dies war die Kehrseite der sinkenden Gewinnsteuereinnahmen der Zentralregierung. Solange die überwiegende Mehrzahl der Staatsunternehmen noch Gewinne machte, führte dies auf Kosten der öffentlichen Haushalte zu einer raschen Akkumulation zurückgehaltener Gewinne, was in stillschweigendem Einvernehmen mit den lokalen Regierungen die frenetischen, aber oft redundanten Investitionen in den 80er Jahren und in der ersten Hälfte der 90er Jahre zur Folge hatte.




Abnehmende Kapazität des Staates

Zeitraum

Reguläre Haushaltseinnahmen: Anteil am Volkseinkommen

Reguläre und „außerhaushaltliche" Einnahmen: Anteil am Volkseinkommen

Reguläre Haushaltseinnahmen der Zentralregierung: Anteil an den regulären Haushaltseinnahmen

Reguläre Haushaltseinnahmen der Zentralregierung: Anteil an den regulären und „außerhaushaltlichen" Haushaltseinnahmen

Reguläre Haushaltseinnahmen der Zentralregierung: Anteil am Volkseinkommen

1952–65

35%

40%

67%

59%

24%

1967–77

33%

41%

62%

50%

20%

1978–89

25%

45%

50%

28%

13%

1990–96

14%





Anm.: Angaben für 1990–96 sind berechnet auf der Grundlage der Quelle für Tabelle 1.3.
Quelle: Shaoguang Wang: „The Rise of the Regions: Fiscal Reform and the Decline of Central State Capacity in China" in Andrew G. Walder (ed.): The Waning of the Communist State (Berkeley: University of California Press, 1995), 104.




Finanzierung der öffentlichen Investitionen, 1994


Reguläre Haushalte

Kredite der staatlichen Banken



„Außerhaushaltliche" Mittel





Ausland


Landkreis

Zentralregierung


Stadt/Bezirk


Provinz


Andere

Anteil

15%

39%

4%

4%

5%

7%

10%

15%


Quelle: World Bank: China 2020: Development Challenges in the New Century (Washington: World Bank, 1997), 25.




Ein Teil dieser Mittel dürfte in die Taschen korrupter Manager, Beamter und Parteisekretäre geflossen sein, ein Teil wurde in Bonusse und Lohnerhöhungen oder soziale Einrichtungen der Unternehmen investiert, oft mit Genehmigung lokaler Funktionäre. Verlustträchtige Unternehmen werden die vormals akkumulierten und nicht investierten Gewinne zur Verschönerung der Gewinn- und Verlustrechnungen verwandt haben. Die „außerhaushaltlichen" Mittel werden sich also ebenso wie die öffentlichen Haushalte reduziert haben (ganz verschwunden sein dürften sie allerdings nicht, immerhin macht die Hälfte der Staatsunternehmen keine Verluste). Klar ist jedoch, daß die Zentralregierung wieder Zugriff auf diese Mittel bekommen möchte, um die Erosion des Haushaltes abzuwenden. Inwieweit sie gegen den Widerstand der Provinzen, Städte, Gemeinden und profitablen Staatsunternehmen erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten.

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Drohender Kollaps des Finanzsystems

Ein Motiv für die Umstrukturierung der Staatsunternehmen besteht darin, die Erosion des Haushalts der Zentralregierung, zu stoppen. Ein zweites Motiv liegt in dem drohenden Kollaps des Finanzsystems. Dem erwähnten Rückgang der direkten Subventionierung der Staatsunternehmen aus den öffentlichen Haushalten entspricht die Verlagerung der Subventionierung auf die staatlichen Banken, vor allem die Banken unter Kontrolle der Zentralregierung, die das chinesische Finanzsystem dominieren.

Kurzfristige Kredite an die Staatsunternehmen machen 50% der Kredite der Staatsbanken aus. Gemäß Angaben der Zentralbank werden inzwischen für insgesamt 20% der ausstehenden Kredite – also für Kredite in Höhe von 1.223,1 Mrd. RMB Y (154 Mrd. US-$) – keine Zinszahlungen mehr geleistet. Dementsprechend nehmen die Profite der Staatsbanken ab und waren 1996 erstmals negativ. Den nicht bedienten Krediten steht ein konsolidiertes Eigenkapital der Staatsbanken von nur 448,1 Mrd. RMB gegenüber, d.h. die nicht bedienten Kredite belaufen sich fast auf das dreifache des Eigenkapitals. Die chinesischen Staatsbanken sind damit technisch bankrott.

Allerdings liegt das Volumen der nicht bedienten Kredite bei nur 18% des BIP. Da die Gesamtverschuldung der Zentralregierung mit 7% des BIP niedrig liegt, ist die Regierung als letztlicher Garant der Bankeinlagen noch glaubwürdig. Dennoch: Die Krise in Japan und den südostasiatischen Nachbarländern dürfte deutlich gemacht haben, daß einer soliden Bilanz des Finanzsystems hohe Bedeutung zukommt.




Kredite und Bilanzcharakteristika der Staatsbanken

Mrd. RMB Y/%

1994

1995

1996

Kredite (% Wachstum)

3.997,6

(n/a)

5.054,4

(26%)

6.115,7

(21%)

Kurzfristige Kredite an:







Staatsunternehmen (% der gesamten Kredite)

2.107,5

(53%)

2.541,1

(50%)

3.052,0

(50%)

Landwirtschaft (%)

114,4

(3%)

154,5

(3%)

192,0

(3%)

Städtische Kollektivunternehmen (%)

200,2

(5%)

251,5

(5%)

282,2

(5%)

„Privat"-Unternehmen (%)

94,8

(2%)

119,5

(2%)

162,6

(3%)

Verbindlichkeiten







Einlagen (% Änderung)



5.388,2

(33%)

6.859,6

(27%)

Einbehaltene Gewinne (%)



18,8

(–51%)

–3,1

(–117%)

Gesamt (%)



6.422,2

(30%)

7.903,4

(23%)

Vermögen







Eigenkapital (% Änderung)



411,3

(11%)

448,1

(9%)

Total (%)



6.422,2

(30%)

7.903,4

(23%)

Nicht bediente Kredite





1.223,1


Nicht bediente Kredite/Eigenkapital





273%


Nicht bediente Kredite/BIP





18%



Quelle: Business China, Jan. 19, 1998, 3–4.




Dies ist jedoch nur zu erreichen, wenn die Staatsunternehmen für die Finanzierung ihrer laufenden Ausgaben nicht mehr auf die Staatsbanken angewiesen sind.

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Die Umsetzung der Umstrukturierung

Der Parteitagsbeschluß zur Umstrukturierung der Staatsunternehmen ist ernst zu nehmen. Über die konkrete Umsetzung wird zur Zeit heftig diskutiert. Auf dem Parteitag selber wurden nur einige Richtlinien ausgegeben. Diese sehen vor, daß die 1000 größten Unternehmen, davon 880 in der verarbeitenden Industrie, in Aktiengesellschaften umgewandelt werden sollen, was bei einigen bereits geschehen ist. Der Staat wird die Kontrolle über diese Unternehmen beibehalten, sie aber teilweise über eine Minderheitsbeteiligung sicherstellen, während der Rest des Kapitals veräußert wird.

Bei den kleinen und mittleren Staatsunternehmen gibt es noch keine klare Linie. Da sich diese Unternehmen überwiegend im Besitz der Provinzen und Städte befinden, werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch je nach den lokalen Gegebenheiten unterschiedliche Vorgehensweisen herausbilden. Für die Zentralregierung geht es zunächst um die Entlastung der Staatsbanken und um die Vermeidung schwererer sozialer Konflikte. Der Abbau des Personals wird von der Entwicklung der sozialen Sicherung und von den Möglichkeiten, die freigesetzten Arbeitskräfte in andere Beschäftigungen umzusetzen, abhängig sein. Hierbei sind die Provinzen und Städte der Küstenregionen weiter entwickelt, zumal hier auch ein dynamischer Dienstleistungssektor und der wachsende Privatsektor freigesetzte Arbeitskräfte aufnehmen können.

Während in einigen Sektoren und Unternehmen bereits erhebliche Personalreduzierungen angekündigt wurden, so strebt man die Entlastung der Staatsbanken zunächst vor allem durch die Fusionierung von unprofitablen mit effizienten Staatsunternehmen an, so daß sich Gewinne und Verluste ausgleichen und das Management der besseren Unternehmen die schlechteren sanieren kann. Eine ähnliche Strategie wird man in den Binnenprovinzen verfolgen, wo die Freisetzung der Arbeitnehmer nur sehr langsam erfolgen kann. In den Küstenprovinzen mehren sich jedoch die Anzeichen, daß man auf eine schnellere Sanierung der Unternehmen zielt. In Shanghai wird schon seit 1992 eine drastische Sanierung der Textilindustrie verfolgt, in deren Folge ein Drittel der Arbeitnehmer entlassen wurde. Zwei Drittel von ihnen bekamen nach Angaben des Arbeitsamtes einen neuen Job. Ähnliches gilt für die Provinz Guangdong, wo die 17.900 Staatsunternehmen einen Anteil von nur 20% am BIP haben. Dort sind 1.000 Unternehmen verkauft worden, deren Anteile zu 70% an andere Staats- oder Kollektivunternehmen und zu 30% an private Käufer gingen. Alles in allem hat sich noch kein klares Profil der Umsetzung des Parteitagsbeschlusses herauskristallisiert. Die bislang vorliegenden Beispiele machen jedoch deutlich, daß es sich um keinen Papiertiger handeln wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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