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TEILDOKUMENT:
Die Wirtschaft: Stabilisierung und Verlagerung der Wachstumsdynamik Konjunktur und Außenwirtschaft Erfolgreiche Stabilisierung nach innen und außen Die chinesische Wirtschaft ist nach den Turbulenzen in der Mitte der 90er Jahre schon 1996 weich gelandet und hat sich 1997 vollends stabilisiert. 1994 bis 1996 war es gelungen, die Inflation (gemessen am Einzelhandelsindex) von 24,1 auf 8,3% zu senken. Im gleichen Zeitraum sank das offizielle Wirtschaftswachstum von 13,5 auf 9,3%. 1997 ging die Inflation weiter auf 2,8% zurück, gemessen am Einzelhandelspreisindex lag sie gegen Jahresende sogar bei 0,8%, bei einer Wachstumsrate von offiziell 8,8%. Im 1. Halbjahr 1998 sank der Verbraucherpreisindex um 0,3% und der Einzelhandelspreisindex um 2,1%. Das Wirtschaftswachstum fiel auf 7,0%. Dieser Rückgang hat drei Ursachen:
Die restriktive Geldpolitik der Zentralregierung, das Hauptinstrument der Stabilisierungspolitik, hatte zur Folge, daß sich die Strukturkrise der Staatsunternehmen verschärfte und die Importe stagnierten. Gleichzeitig wuchsen die Exporte, u.a. weil der aufgrund der hohen Investitionen in den letzten Jahren schnell gewachsenen Produktionskapazität ein im Vergleich zu den Vorjahren schwächeres Wachstum der Binnennachfrage gegenüberstand. So erzielte China 1997 ein Rekord-Exportergebnis von 182,7 Mrd. US-$ und einen Rekord-Handelsüberschuß von 40 Mrd. US-$. Zusammen mit einer Zunahme der ausländischen Direktinvestitionen auf 45 Mrd. US-$ ebenfalls eine Rekordmarke , akkumulierte China bis zum Jahresende Hartwährungsreserven von 139 Mrd. US-$.
Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise
Angesichts der positiven Außenwirtschaftsdaten und unter dem Schutz einer noch weitgehend inkonvertiblen Währung wurde China von der Finanzkrise seiner südost- und ostasiatischen Nachbarn kaum getroffen, mit der Ausnahme Hong Kongs, wo einige Investitionsbanken und Konglomerate in Liquiditätsschwierigkeiten kamen, mit den entsprechenden Auswirkungen auf Aktienmarkt, Währung, Immobilienmarkt und Wachstum. Dennoch wird die asiatische Krise auch für China Folgen haben, aber keinen Anlaß zur Panik bieten. Die Währungsabwertungen in Asien führten zunächst zu einem Wachstumsrückgang der chinesischen Exporte. Die Direktexporte Chinas in die asiatischen Länder werden weniger expandieren als in der Vergangenheit, und ein Teil der Lohnveredelungsexporte wird in die benachbarten Entwicklungs- und Schwellenländer verlagert werden. Zum zweiten sinken die Direktinvestitionen aus diesen Ländern, die hauptsächlich von dort ansässigen Auslandschinesen getätigt worden waren. Heftig spekuliert wird in diesem Zusammenhang über eine Abwertung des RMB, um nach den Abwertungen in den Nachbarländern, insbesondere nach dem Einbruch des japanischen Yen, die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Exporte wiederherzustellen. Ob die chinesische Regierung abwerten wird, wird vom Zusammenspiel dreier Faktoren abhängen:
Da die wirtschaftlichen und währungspolitischen Strukturdaten keinen direkten Abwertungsdruck erkennen lassen, spricht alles dafür, daß die chinesische Regierung vorerst gegen eine Abwertung optieren wird. Sollten sich die Exporte aber bis zum Jahresende deutlich negativ entwickeln, so daß der Außenhandelsüberschuß gefährdet würde, wird die Regierung Anfang 1999 mit einer graduellen Abwertung um bis zu 10% reagieren. Die bisher vorliegenden Daten deuten jedoch nicht auf diese Entwicklung hin.
Verlagerung der Wachstumsimpulse auf die Binnenwirtschaft
Direktinvestitionen
Bei den ausländischen Direktinvestitionen zeichnet sich ein Strukturwandel ab, der sich mit dem Rückgang der Direktinvestitionen aus den asiatischen Nachbarländern noch akzentuieren wird. 1997 noch kamen 80% der Direktinvestitionen aus den asiatischen Nachbarländern einschließlich Hong Kongs. Mit der Ausnahme Japans und teilweise Koreas handelte es sich überwiegend um Investitionen in Lohnveredelungsprojekte oder in den Immobiliensektor. Die Investitionen aus Asien sind im ersten Vierteljahr 1998 drastisch eingebrochen (Japan: 42,2%, Korea: 55,8%, Indonesien: 89,2% Thailand: 35,5%). Auch der Anteil der Direktinvestitionen aus Hong Kong, der über 55% ausgemacht hatte, ist im ersten Vierteljahr 98 auf 30% zurückgegangen. Gleichzeitig sind die Investitionen aus Europa um 75.4% und aus den USA um 25,4% gestiegen. Die Gründe hierfür weisen über die vielzitierte Asienkrise hinaus. Erstens nimmt die Attraktivität der chinesischen Küstenregionen für Lohnveredelungsindustrien mit wachsenden Einkommen und damit auch wachsenden Löhnen und Gehältern ab. Diese Tendenz wird durch die Abwertungen in Konkurrenzländern wie Indonesien noch verstärkt. Die Infrastruktur in den Binnenprovinzen, in die diese Industrien verlagert werden könnten und nach Plänen der Zentralregierung auch verlagert werden sollen, ist bislang jedoch zu wenig entwickelt, um Investoren in größerem Umfang anzulocken. Neuinvestitionen in Lohnveredelungsprojekte werden daher zurückgehen. Damit wird sich auch der Anteil der Lohnveredelungsexporte an den Gesamtexporten von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung, der zur Zeit bei 37% liegt, verringern (der Anteil der Lohnveredelungsexporte an den Gesamtexporten Chinas liegt bei 55%). Zweitens zielen neue Investitionen vor allem auf die Erschließung des Binnenmarktpotentials. Dabei sind die wichtigsten Konsumgütermärkte, die großen Küstenstädte und ihr Umland zunehmend abgedeckt. Knappheit an Konsumgütern, auch dauerhaften Konsumgütern, gibt es hier inzwischen nicht mehr, und der Markt hat sich in einen Käufermarkt mit zunehmender Anbieterkonkurrenz gewandelt. Die Erschließung der Konsumentenmärkte in den Binnenprovinzen aber ist ein mühseliges und teures Geschäft. Lokaler Protektionismus zwingt viele Unternehmen, für den Aufbau eines Vertriebsnetzes lokale Joint Ventures einzugehen oder lokale Produktionsstätten aufzubauen. Transport und Logistik sind angesichts der mangelhaften Infrastruktur teuer. Neueintritte in den chinesischen Konsumgütermarkt werden also zurückgehen. Hohe Potentiale bestehen aber nach wie vor in folgenden Bereichen:
In der Automobil- und chemischen Industrie werden in der Regel Großinvestitionen getätigt, z.Zt. vor allem von europäischen und amerikanischen Investoren. Hierbei handelt es sich um Milliardenprojekte, etwa das im Bau befindliche Automobilwerk von General Motors in Shanghai, ein neues Edelstahl-Joint Venture von Krupp in Shanghai oder die geplanten petrochemischen Komplexe in Guangdong, Shanghai und Nanjing (die beiden letzteren wahrscheinlich mit Beteiligung der BASF).
Binnenwirtschaftliche Wachstumsimpulse
Die sich abzeichnende Stagnation der Exporte zwingt die chinesische Regierung, binnenwirtschaftliche Wachstumsimpulse zu geben, wenn sie ihr erklärtes Wachstumsziel von 8% erreichen will. Eine Wachstumsrate von 8% gilt als Minimum, wenn die bei der Umstrukturierung der Staatsunternehmen freigesetzten Arbeitskräfte wieder beschäftigt und soziale Spannungen unter Kontrolle gehalten werden sollen. Hierbei sieht sich die Regierung jedoch zu einer Gratwanderung gezwungen. Die vom 15. Parteitag im September 1997 angestoßenen Reformen sind notwendig, um die gesamtwirtschaftliche Effizienz zu steigern, haben kurzfristig jedoch negative Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung. Dies gilt für die Reform der Staatsunternehmen, aber auch für die Freigabe des Wohnungsmarktes, der mittelfristig ein enormer Wachstumssektor mit hoher Multiplikatorwirkung sein dürfte, dessen Freigabe aber unmittelbar zu einer Erhöhung der Wohnungskosten für die städtische Bevölkerung führt. Die laufenden und angekündigten Reformen bedeuten, daß die berühmte eiserne Reisschüssel", also die Mietsubventionen und die soziale Sicherung, die bislang von den Staatsunternehmen geleistet wurden, entfällt. Die Stadtbewohner werden die entsprechenden Kosten zunehmend selber tragen müssen. Das Ergebnis ist ein merklicher Rückgang der Konsumnachfrage, deren Beitrag zum Binnenmarktwachstum geschrumpft ist. Auch das von der Freigabe des Wohnungsmarktes erhoffte Wachstum des Wohnungsbaus stellt sich langsamer ein als erhofft, da die potentiellen Käufer zunächst einmal genügend Mittel ansparen müssen (der Hypothekenmarkt ist noch wenig entwickelt). Auch die Rolle der Investitionen als Wachstumsimpuls ist begrenzt. Das Investitionswachstum der Staats- und Kollektivunternehmen ist durch zwei Faktoren beschränkt: die Tendenz zur Herausbildung eines Käufermarktes mit sinkenden Preisen und die notwendige Sanierung der Staatsunternehmen. Damit bleibt der Infrastruktursektor als Impulsgeber für weiteres Wachstum. Hier hat die Regierung ein massives Investitionsprogramm von insgesamt 750 Mrd. US-$, angelegt auf drei Jahre, angekündigt. Schwerpunkt ist der Transportsektor (Autobahnen, Eisenbahn und städtischer Personennahverkehr), aber auch für Energie, Telekommunikation, Wasserversorgung und Abfallbeseitigung sind Investitionen von jeweils 100200 Mrd. US-$ vorgesehen. Das ehrgeizige Programm wird schon aus logistischen Gründen kaum wie geplant zu bewältigen sein ganz abgesehen von den Finanzierungsproblemen. Gleichwohl kann eine merkliche Steigerung der Infrastrukturinvestitionen vorgenommen werden, deren Finanzierung vor allem über Schuldverschreibungen der Regierung laufen wird. Die Verschuldung der Regierung liegt z.Zt. bei 7% des BIP. Rechnet man die notleidenden Kredite der staatlichen Banken hinzu, deren Wert auf 18% des BIP geschätzt wird, bleibt für eine Steigerung der Infrastrukturinvestitionen immer noch ausreichend Spielraum. Ob dies ausreichen wird, um im zweiten Halbjahr eine Wachstumsrate von 9% zu erzielen, so daß das Wachstum 1998 insgesamt 8% betragen wird, bleibt abzuwarten. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999 |