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Die wichtigsten Entwicklungen

1997 war ein Jahr der Konsolidierung gewesen, trotz der bewegenden Ereignisse wie dem Tod Deng Xiaopings, der Rückkehr Hong Kongs unter die Souveränität der Volksrepublik und dem 15. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Das Jahr 1998 steht dagegen im Zeichen weitreichender Reformen. Bereits auf dem 15. Parteitag war die umfassende Umstrukturierung und Sanierung der Staatsunternehmen beschlossen worden. Der 9. Volkskongress und die neue Regierung unter Zhu Rongji erweiterten das Vorhaben um eine Verwaltungsreform auf allen Ebenen, der zunächst 15 Ministerien zum Opfer fielen, und die in den nächsten drei Jahren zu einem Abbau von etwa der Hälfte der Beamtenposten führen soll.

Mit dem Ableben Dengs und dem 15. Parteitag vollzog sich der Übergang zu einer neuen Führungsgruppe, die nicht der Revolutionsgeneration von vor 1949 angehört, ohne spektakuläre Verwerfungen. Zumindest nach außen demonstrierte die Parteiführung unter Jiang Zemin als primus inter pares Einigkeit und ein klares Bekenntnis zur Aufrechterhaltung und Fortführung der Reform- und Öffnungspolitik.

Kernpunkt der Reformpolitik wird in den nächsten Jahren die Umstrukturierung und Sanierung der Staatsunternehmen sein. In den nächsten drei Jahren sollen kleinere und mittlere Staatsunternehmen teilprivatisiert werden, während die größeren Unternehmen bei Beibehaltung der staatlichen Kontrolle in Aktiengesellschaften umzuwandeln und wettbewerbsfähig zu machen sind. Ob sich der ambitionierte Zeitplan angesichts der zu erwartenden sozialen Konflikte einhalten läßt, bleibt abzuwarten. Aber die Zeit drängt: Schon heute werden die Kredite der staatlichen Banken, deren Zinsen von den Schuldnern – d.h. den staatlichen Unternehmen – nicht mehr bedient werden können, auf über 20% des Volumens der ausstehenden Kredite geschätzt. Wenn der Zusammenbruch des Bankensystems, wie er in den anderen asiatischen Ländern zu beobachten war, verhindert werden soll, müssen die Staatsunternehmen saniert werden.

Obwohl die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit bei nur 3% liegt, werden konservativen Schätzungen zufolge 15% der Arbeitnehmer in den Staatsunternehmen nicht benötigt. Viele Arbeitnehmer beziehen einen Mindestlohn, gehen aber nicht zur Arbeit, so daß man von einer de facto-Arbeitslosigkeit von mindestens 10% der städtischen Arbeitnehmer ausgehen kann. Um die Masse der zu erwartenden Arbeitslosen auffangen zu können, wird mit Hochdruck am Aufbau eines sozialen Sicherungssystems sowie eines Systems der Arbeitsvermittlung und Umschulung gearbeitet, mit z.T. beeindruckenden Ergebnissen. Dennoch muß mit einer Steigerung von Arbeits-, sozialen und regionalen Konflikten gerechnet werden.

Nachdem die chinesische Wirtschaft 1997 erfolgreich stabilisiert wurde – die Inflation sank auf 0–3%, je nach verwendetem Index, und das Wirtschaftswachstum erreichte offiziell 8,8% – zielen die Wirtschaftspolitiker der Partei und Regierung um Zhu Rongji auf ein stabiles und mittelfristiges Wachstum von 8% pro Jahr. Dabei ist die Stabilisierung zum einen die Folge der restriktiven Geldpolitik, beruht zum anderen aber auch auf dem wachsenden Wettbewerb insbesondere im Konsumgüterbereich. Der chinesische Markt hat sich in einen Käufermarkt verwandelt, so daß bei wachsendem Preiswettbewerb mit einem Wiederanstieg der Inflation auch bei einer weniger restriktiven Geldpolitik vorerst nicht zu rechnen ist. Die Kehrseite der Medaille ist, daß aufgrund der oft redundanten Industriestrukturen vor allem im Konsumgüterbereich die Profitabilität der Staatsunternehmen gesunken ist – der Hauptgrund für die anvisierte Umstrukturierung und Konsolidierung des Sektors. Gleichzeitig erzielte China 1997 einen soliden Außenhandelsüberschuß von 40 Mrd. US-$. Das Volumen der Hartwährungsreserven liegt bei knapp 140 Mrd. US-$, bei Auslandsschulden von 131 Mrd. US-$, von denen 80% langfristig aufgenommen wurden. Die starke Position des externen Sektors und die Inkonvertibilität der Währung schützten die VR China davor, in die asiatische Finanz- und Wirtschaftskrise hineingezogen zu werden.

Seit Anfang 1998 versucht man, den konjunkturellen Auswirkungen der „asiatischen Krise" entgegenzuwirken. Die entsprechenden Maßnahmen werden zum Teil aber ebenso tiefgreifende strukturelle Auswirkungen haben wie die Umstrukturierung der Staatsunternehmen und die Verwaltungsreform. Neben einem massiven Investitionsprogramm zur Verbesserung der Infrastruktur sind die schrittweise Freigabe des städtischen Wohnungsmarktes (ab 1. Juli 1998) und die Förderung des Wohnungsbaus zu nennen. Ziel ist es vor allem, die sich abzeichnende Stagnation des Exportwachstums durch binnenwirtschaftliche Konjunkturimpulse aufzufangen, um 1998 das Wachstumsziel von 8% erreichen zu können. Die Freigabe des Wohnungsmarktes wird auch enorme Auswirkungen auf die Entwicklung der Marktwirtschaft in China haben und das Verhältnis zwischen den Bürgern, den Regierungen auf allen Ebenen und der KPCh nachhaltig verändern – im Sinne einer Stärkung der Ansprüche und Rechte der Bürger.

Der Rückgang des realen Wachstums auf 7% im ersten Halbjahr 1998 ist nicht nur auf die Auswirkungen der asiatischen Krise zurückzuführen. Er geht auch direkt auf die laufenden bzw. angekündigten Reformprozesse und die damit einhergehenden Veränderungen im Spar- und Konsumverhalten vor allem der städtischen Bevölkerung zurück. Da die sogenannte „eiserne Reisschüssel" inzwischen wirklich wegzufallen droht, reduzieren viele Städter ihren Konsum und legen Geld für die früher oder später zu erwerbende oder zu mietende Wohnung sowie für die Altersversorgung, die Sicherung gegen Arbeitslosigkeit und die Krankenversicherung zur Seite. So fiel das Wachstum des Einzelhandelsumsatzes von über 10% 1997 im ersten Halbjahr 1998 auf ca. 7%. In der Folge sank angesichts des wachsenden Wettbewerbs im Konsumgüterbereich der Einzelhandelspreisindex um 2,1% und der Verbraucherpreisindex um 0,3%. Eine weitere Ursache des Wachstumsrückgangs waren die schweren Überschwemmungen, die zu Verlusten von etwa 0,5% des Bruttoinlandsprodukts führten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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