FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




4. Fallbeispiel 1: das nationale Automobilprojekt

Bis Mitte der 80er Jahre waren in Malaysia nur ausländische Automobilkonzerne tätig, die importierte Komponenten (sog. completely knocked down/CKD-Sätze) montierten. Die nationale Wertschöpfung und die Spielräume für technologische Lernprozesse waren äußerst gering. 1983 wurde das Unternehmen Proton als Joint Venture zwischen Mitsubishi und der Staatsholding HICOM (Heavy Industry Corporation of Malaysia) gegründet und nahm zwei Jahre später die Produktion der ersten malaysischen Automobilmarke auf. 1990 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, in der Mitsubishi heute nur noch 16 %% der Aktien hält und an der neben der mittlerweile privatisierten HICOM weitere malaysische Kapitalgruppen beteiligt sind. 1994 ging ein zweites „nationales Auto", der Perodua, in Produktion, ein Joint Venture mit Daihatsu zur Fertigung von Kleinwagen.

Mit den beiden Automobilprojekten verfolgt Malaysia zwei Ziele: Erstens soll eine nationale Autoindustrie mit einem hohem Grad nationaler Wertschöpfung, einem eigenen nationalen Zulieferernetz und eigener F&E-Kompetenz aufgebaut werden. Angesichts ihrer vielfältigen Koppelungseffekte wird von der Automobilbranche ein umfassender Industrialisierungsschub in wissensintensiven Zulieferbranchen erwartet. Zweitens soll der Aufbau einer nationalen Automobilbranche genutzt werden, um das Bumiputra-Unternehmertum zu stärken. Bei Proton sind 98 %% der Belegschaft Bumiputras, einschließlich fast des gesamten Managements. Außerdem werden als Zulieferer bisher nur Bumiputra-Unternehmen aufgebaut, oder Auslandsinvestoren in Zulieferbranchen werden verpflichtet, Beteiligungen mit Bumiputras einzugehen. Damit werden chinesischstämmige Unternehmer, von denen einige im Bereich der CKD-Montage bereits Erfahrungen gesammelt hatten, bewußt ausgegrenzt.

Um den Aufbau einer nationalen Automobilindustrie zu erleichtern, werden sehr hohe Zölle (nominell zwischen 150 und 310 %%) auf den Import von fertigen Automobilen sowie von CKD-Sätzen erhoben, für manche Teile sogar Einfuhrverbote erlassen. Darüber hinaus wird die nationale Autoindustrie durch Steuervergünstigungen, subventionierte Konsumentenkredite, Entschuldung der in den ersten Jahren akkumulierten Verbindlichkeiten, kostenlose Ausbildungsleistungen durch staatliche Institutionen und viele andere Maßnahmen gefördert.

Die Ergebnisse dieser Politik sind – zumindest auf den ersten Blick – ermutigend. Bei Proton stieg die Produktion in den ersten 12 Jahren kontinuierlich an und erreichte 1997 immerhin einen Jahresausstoß von 230.000 Automobilen sowie einen Anteil von 64 %% am Inlandsmarkt. 1989 ging das Unternehmen in den Export und konnte seine Ausfuhren bis 1997 auf 36.000 Stück steigern. Seit 1989 schreibt Proton schwarze Zahlen und ist mittlerweile hochprofitabel. 1997 machte Proton bei einem Umsatz von knapp 6 Mrd. Ringgit einen Gewinn (vor Steuern) von 953 Millionen Ringgit (der Wert des Ringgit lag bis Herbst 1997 bei 0,50 US-$, wurde aber Ende 1997 auf etwa 0,30 US-$ abgewertet). Erfolgreich war auch der Aufbau der inländischen Zulieferindustrie. Der Local Content konnte von anfänglich 36 %% auf heute 80 %% gesteigert werden. 1998 hat das Unternehmen 176 lokale Zulieferer.

Dennoch ist das wirtschaftliche Überleben Protons in hohem Maße gefährdet. Der Erfolg auf dem Inlandsmarkt konnte nur durch massive Diskriminierung konkurrierender Importmodelle erzielt werden, und es ist bisher nicht gelungen, die Schutzzölle und andere Privilegien nennenswert zu reduzieren. Die Gestehungskosten liegen bei Proton aufgrund geringer Stückzahlen und der hohen Preise lokaler Zulieferteile deutlich über dem Weltmarktniveau. Die Verbraucher sind damit gezwungen, ein überteuertes Produkt zu kaufen und subventionieren damit das industriepolitische Experiment, ein „nationales Auto" zu bauen.

Auf ungeschützten Exportmärkten haben malaysische Automarken keinen Preisvorteil. Auf dem Hauptexportmarkt England profitiert Proton von Vergünstigungen im Rahmen des Generalised System of Preferences (GSP). Zudem ist unklar, ob die Ausfuhren verdeckt subventioniert werden. Proton bietet bislang Automobile an, die zwar im äußeren Design ansprechend sind, aber im Kern auf zehn Jahre veralteten Mitsubishi-Modellen beruhen. Diese müssen auf dem Weltmarkt u.a. mit dem eigenen Technologiegeber Mitsubishi konkurrieren, dessen Modelle auf dem neuesten Stand sind, der außerdem über Skalenvorteile und effizientere Zulieferer verfügt und nicht das Negativimage eines „Dritte-Welt-Herstellers" hat. Ein Durchbruch auf dem Exportmarkt ist jedoch für Proton zwingend erforderlich, da erst bei einer Jahresproduktion in der Größenordnung von 300.000 international vergleichbare Stückkosten erreicht werden können. Hierfür ist der Inlandsmarkt zu klein.

Proton hat daher die Flucht nach vorn angetreten, um sich technologisch von Mitsubishi unabhängig zu machen und eigenständig konzipierte Automobile auf den Markt zu bringen, die mit anderen Neulingen wie Daewoo und Skoda im Niedrigpreissegment international konkurrieren können. Aus dieser Überlegung heraus wurde 1996 eine Mehrheitsbeteiligung bei Lotus erworben, die Proton den Einstieg in eigene Designentwicklung ermöglichen soll. Zudem wurden erhebliche Investitionen in moderne Entwicklungskapazitäten getätigt (z.B. ein Rapid Prototyping Centre, Windkanal, Testanlage für Aufprallsimulationen).

Malaysia hat sich in internationalen Vereinbarungen im Rahmen der World Trade Organisation und der ASEAN Free Trade Area verpflichtet, seine Importzölle bis 2003 weitgehend abzubauen. Bis zu diesem Zeitpunkt soll die nationale Automobilproduktion also ohne Subventionen international wettbewerbsfähig sein. Da es in den bisherigen 13 Produktionsjahren nicht gelungen ist, den technologischen Rückstand der „nationalen Autos" gegenüber dem Weltmarktniveau nennenswert zu verringern und erst jüngst mit dem Aufbau eigener F&E-Kompetenz begonnen wurde, ist es sehr unwahrscheinlich, daß die Autoindustrie in den verbleibenden fünf Jahren bis zur Liberalisierung wettbewerbsfähig sein werden wird. Die jüngste Wirtschaftskrise kommt erschwerend hinzu. Diese hat bei Proton 1998 zu einem Umsatzrückgang von 60 %% gegenüber dem Vorjahr geführt. Eine deutliche Wiederbelebung der Nachfrage ist angesichts drastischer Kaufkraftverluste und hoher Zinsen für (Konsumenten-) Kredite in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.

Vermutlich wird die Regierung Sonderkonditionen aushandeln, um ihr Prestigeprojekt auch über das Jahr 2003 hinaus subventionieren zu können. Selbst wenn dieses gelingt, wird sich jedoch eine Liberalisierung der Automobilpolitik nicht dauerhaft vermeiden lassen. Angesichts der derzeitigen Übernahmewelle kleiner Marken dürfte dieses darauf hinauslaufen, daß Proton (unter Beibehaltung des Markennamens) von einem der weltweit führenden Automobilkonzerne übernommen und im Rahmen von dessen Globalstrategie (z.B. Umstellung auf einheitliche Plattformen) modernisiert wird. Eine dauerhaft eigenständige technologische Entwicklung wird heute selbst für etabliertere Autohersteller immer schwieriger.

Angesichts der bevorstehenden Liberalisierung hat Proton einen neuen (chinesischen!) Einkaufschef benannt, der eine radikale Kostensenkung bei den Zulieferern anstrebt. Die Zulieferströme sollen bei einer überschaubaren Zahl von Systemlieferanten gebündelt werden, die ihrerseits Subaufträge vergeben. Seitdem 1997 die Eigenkapitalrichtlinien für die Zulieferindustrie liberalisiert wurden, dürfen Auslandsinvestoren Mehrheitsbeteiligungen halten. Es ist daher unschwer abzusehen, daß die Systemlieferanten fast ausnahmslos Niederlassungen von oder Joint Ventures mit global players (z.B. Bosch und VDO) sein werden. Wie in anderen Entwicklungsländern, die ihre Automobilpolitik liberalisiert haben (z.B. Mexiko), wird der Inlandsanteil der Fertigung zurückgehen, ein Großteil der lokalen Zulieferer wird Konkurs anmelden oder übernommen werden. Dieser Bereinigungsprozeß ist, wie der Einkaufschef selbst konzediert, in Malaysia schwerer durchzusetzen als in liberalen Volkswirtschaften, denn es geht darum, Renten politisch einflußreicher Unternehmer-Politiker zu beschneiden. Der Einkaufschef hat jedoch die persönliche Rückendeckung des Premierministers, da ohne radikale Liberalisierung das Prestigeprojekt eines „nationalen Autos" nicht überleben kann.

Insgesamt zeichnet sich damit ab, daß sich Malaysias Automobilproduktion in eine Richtung entwickeln wird, wie sie auch in anderen großen Entwicklungsländern ohne eine aggressive Nationalisierungspolitik stattfindet: die Autoherstellung bleibt von der Technologie weltweit führender TNK abhängig, die unter Wettbewerbsbedingungen durchsetzen werden, daß auch die Zulieferindustrie internationalisiert wird. Die angestrebten industriepolitischen Ziele, insbesondere die Unabhängigkeit von ausländischen Technologietransfers und der Aufbau eines nationalen Zuliefernetzes von Bumiputra-Unternehmen mit eigener F&E-Kompetenz, würden damit zum größten Teil unerreicht bleiben. Die massiven Einkommenstransfers von den Konsumenten an Proton und seine Zulieferer wären demnach als unproduktive Renteneinkommen zu verbuchen. Ein Großteil dieser Renten ist in Form von Unternehmensgewinnen und Lizenzgebühren an internationale Joint Venture-Partner abgeflossen. Auch private Bumiputra-Investoren haben außerordentlich profitiert. Prominentestes Beispiel ist der 1997 verunglückte Yahaya Ahmad, Mehrheitsaktionär bei der privatisierten HICOM-Holding und Schulfreund des Stellvertretenden Premierministers Anwar Ibrahim. Yahaya Ahmad hatte bereits im Alter von 51 Jahren ein Firmenimperium im Wert von mindestens 12 Mrd. US $ aufgebaut.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

Previous Page TOC Next Page