FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




3. Langfristige Entwicklungsziele und unproduktive Renten: dieÖkonomie der malaysische Industriepolitik

Industriepolitik ist ordnungspolitisch begründet, wenn sie zu einem besseren gesamtgesellschaftlichen Ergebnis führt als die Ressourcenallokation auf unregulierten Märkten. Es gibt eine Reihe von Ursachen dafür, daß Märkte nicht zu optimalen Ergebnissen führen. Zu den wichtigsten Argumenten für industriepolitische Eingriffe in den Markt zählen Markteintrittsbarrieren und externe Effekte. Markteintrittsbarrieren bestehen z.B.,, wenn die Skalenerträge in F&E, Produktion oder Vermarktung so hoch sind, daß neue Firmen davon abgehalten werden, in diese Branche zu investieren. In diesem Falle kann es sinnvoll sein, zum Beispiel Aufwendungen für F&E, für Marktexploration und dergleichen zu subventionieren. Ebenso ist Industriepolitik gerechtfertigt, um negative externe Effekte (z.B. das Überwälzen von Umweltkosten auf die Allgemeinheit) zu vermeiden und positive externe Effekte (z.B. Lernprozesse oder die Nachfrage nach Koppelprodukten, die anderen Akteuren zugute kommen) zu stärken.

Auch Malaysias Industriepolitik beruht auf diesen Prinzipien. In den 80er Jahren wurden vor allem schwerindustrielle Branchen mit hohen volkswirtschaftlichen Koppelungseffekten gefördert, insbesondere die Automobil-, die Stahl- und Zementindustrie. Neuerdings liegt der Schwerpunkt auf „Zukunftstechnologien", von denen hohe technologische spill-overs erwartet werden, wie z.B. die Informations-, Halbleiter-, Luftfahrt- und Biotechnologie. Bei dieser Schwerpunktsetzung orientiert sich Malaysia in hohem Maße an den fortgeschritteneren Ländern der Region, insbesondere an Südkorea und Singapur.

Freilich gilt es bei jeglicher industriepolitischer Intervention abzuwägen, ob die angestrebten Wohlfahrtsgewinne die Kosten übersteigen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß diese Kosten weit über die direkten Aufwendungen in Form von öffentlichen Vorleistungen, Subventionen, Verwaltungskosten usw. hinausgehen können, denn

  1. agieren die Entscheidungsträger auf der Basis äußerst unvollständiger Informationen. Sie können zukünftige technologische und Marktentwicklungen allenfalls grob antizipieren. Dadurch ist es durchaus möglich, daß in Entwicklungen investiert wird, die sich auch nach langer Anschubförderung nicht am Markt durchsetzen werden;
  2. erzeugt Industriepolitik notwendigerweise Renten und damit den Anreiz, diese Renten dauerhaft „abzukassieren", ohne sie im Sinne der angestrebten Strukturbildung zu verwenden.

Weder die Kosten der industriepolitischen Investition noch die intendierten Wohlfahrtsgewinne können in der Praxis auch nur annähernd exakt erfaßt werden. Auf der Kostenseite können bestenfalls die direkten Aufwendungen kalkuliert werden, nicht aber die Opportunitätskosten, die durch Umleitung von Ressourcen in suboptimale Verwendungen entstehen, ebensowenig die Kosten, die durch Lobbying für rentenschaffende Markteingriffe durch den Staat (rent-seeking) entstehen. Auf der Nutzenseite sind die Wohlfahrtsgewinne durch externe Effekte aufgrund indirekter Verursachungszusammenhänge nicht einmal in Ansätzen quantifizierbar. Noch schwieriger wird die Bewertung, wenn mit industriepolitischen Interventionen allgemeine gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werde. Im Falle Malaysias gilt dies z.B. für die Förderung des malaiischen Unternehmertums, die mit der Befriedung interethnischer Konflikte begründet wird.

Insofern basieren industriepolitische Entscheidungen stets auf Plausibilitätsannahmen. Dieses ist kein grundsätzliches Argument gegen Industriepolitik; wohl aber für eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Abwägung, für eine fortlaufende Überprüfung der Resultate und für transparente Entscheidungsprozesse. Außerdem müssen Regierungen sicherstellen, daß durch Marktinterventionen geschaffene Renten im Sinne der vorgesehenen Verwendung produktiv genutzt und so schnell wie möglich wieder abgebaut werden.

Der malaysische Staat hat durch industriepolitische Intervention zahlreiche Quellen für Renteneinkommen geschaffen. Hierzu zählen die erzwungene Beteiligung malaiischer Investoren an lukrativen Großunternehmen, öffentliche Aufträge zu Preisen über dem Marktniveau, die Vergabe von Produktionslizenzen, Begünstigung bei der Privatisierung von Staatsunternehmen, Subventionierung von Krediten, kostenlose Bereitstellung von Vorleistungen und nicht zuletzt die Sozialisierung gewaltiger Unternehmensverluste im Zuge der Finanzkrise.

Von allen diesen Renten profitiert in erster Linie eine kleine Gruppe politisch einflußreicher Unternehmer, insbesondere aus dem Umfeld der Regierungspartei UMNO. Eine Schlüsselfigur an der Nahtstelle zwischen UMNO und Privatwirtschaft ist Daim Zainuddin, engster Vertrauter des Premierministers, Schatzmeister der UMNO, jahrelang Finanzminister und schwerreicher Unternehmer, dessen Firmenimperium in praktisch allen staatsnahen Bereichen der Wirtschaft engagiert ist. Anfang der 90er Jahre wurde der Wert seiner Unternehmensanteile auf eine knappe Milliarde DM geschätzt. In ähnlicher Weise ist der Großteil der wirtschaftlichen Elite eng mit dem Regierungsapparat verflochten.

Die Entscheidungen über industriepolitische Marktinterventionen werden willkürlich getroffen. Weder gibt es eine unabhängige Rechnungsprüfung noch eine funktionierende parlamentarische Kontrolle, eine unabhängige Justiz oder eine freie Presse. Die Medien sind Teil der politiknahen Wirtschaftsimperien, und ihre Berichterstattung ist entsprechend regierungskonform. Damit fehlt jegliches Korrektiv, das garantieren könnte, daß die erzeugten Renten den zugedachten strukturbildenden Verwendungen zukommen, daß strenge Performance-Kriterien an die Begünstigten angelegt und unnötige Renten abgebaut werden. Der Mißbrauch der industriepolitisch begründeten Renten zu Zwecken politischer Patronage und für andere unproduktive Verwendungen ist damit vorprogrammiert.

Im folgenden werden drei zentrale industriepolitische Projekte der malaysischen Regierung vorgestellt. Anhand dieser Fallbeispiele wird versucht, eine Bilanz der wohlfahrtssteigernden (technologische Lernprozesse, Koppelungseffekte, interethnischer Ausgleich) und wohlfahrtsmindernden Effekten (unproduktive Renteneinkommen, Fehlallokationen) zu ziehen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

Previous Page TOC Next Page