FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Das Regierungsprogramm: Ein Kompromißpapier ohne Konturen und Akzente

Schon das Regierungsprogramm, das Anfang Juli im Parlament verlesen wurde, enthielt keine spektakulären Punkte. Es versprach im wesentlichen die Fortsetzung der Politik, wie sie in den letzten Jahren von den verschiedenen Mitte-Links bzw. bürgerlichen Koalitionsregierungen betrieben worden war. Die in der Verfassung festgelegten Grundlagen der Türkei, einschließlich der Prinzipien Atatürks, wurden zur "gemeinsamen Plattform" der Koalition erklärt. Vor allem die RP schien peinlich darauf zu achten, nicht durch als religiös gefärbt zu interpretierende Aussagen das Mißtrauen der Militärführung zu wecken. So machte auch Erbakan mit allen Ministern nach der Vereidigung ohne irgendwelche Umstände den üblichen Ehrenbesuch am Grabe Atatürks.

Das Regierungsprogramm verspricht im Innern demokratische Verbesserungen durch die Umsetzung der im Sommer 1995 vom Parlament verabschiedeten Verfassungsänderungen. Eine Staatsreform wird angekündigt, mit der den "Bedürfnissen der Gegenwart" entsprochen werden soll. Zur Wahrung der inneren Sicherheit wird die Fortsetzung des resoluten Kampfes gegen den "Terrorismus" (sprich: die Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans/PKK) verkündet. Allerdings soll all jenen, die im Zuge der Kämpfe aus ihren Dörfern im Südosten vertrieben worden waren, die Rückkehr bei gleichzeitiger Entschädigung für erlittene Verluste ermöglicht werden.

In der Wirtschaftspolitik wurde die marktwirtschaftliche Orientierung ebenso bekräftigt wie die Privatisierung staatlicher Betriebe. Die längerfristige Wirtschaftsentwicklung sollte durch einen Wechsel von der "Rentierökonomie" zu einer "Produktionswirtschaft" gekennzeichnet sein. Damit waren die wirtschaftpolitischen Kernpunkte beider Parteien im Programm verankert. Die Frage ihrer Vereinbarkeit blieb außen vor. Im übrigen wurden die seit Jahren bekannten (und nie eingehaltenen) Versprechungen wiederholt, das Staatsdefizit abzubauen, die Inflation zu senken und ein gerechteres und effizienteres Steuersystem einzuführen. Der ebenfalls schon seit Jahren andauernde Trend zur Modernisierung der türkischen Streitkräfte durch den Ausbau der nationalen Rüstungsindustrie wurde ausdrücklich bestätigt.

In der Außenpolitik wurde das Festhalten an der Westorientierung der Türkei bekräftigt. Gleichzeitig sollten die bilateralen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit den islamischen Nachbarstaaten ausgebaut werden. Die bedeutende türkische Rolle in den wirtschaftlichen Einrichtungen der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) sowie im Rahmen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO) wurde unterstrichen. Vor allem aber ließ die Regierung keinen Zweifel an ihrem Interesse an der Verwirklichung der Zollunion mit der EU. Dabei wurde allerdings auch betont, daß dieses Unternehmen den berechtigten Interessen beider Seiten dienen müsse. Dazu habe die Union durch die Erfüllung der von ihr eingegangenen Verpflichtungen genauso beizutragen wie die Türkei.

Dieses Regierungsprogramm fiel weniger durch seine Inhalte auf, als durch jene Punkte, die gar nicht oder kaum erwähnt wurden, wie die Beziehungen zu Israel, die Situation im Nordirak und die in der Türkei umstrittene alliierte Schutzzonenpolitik in diesem Gebiet oder die Bereinigung der eigenen Kurdenproblematik. Die höchst ungleichen Regierungspartner haben sich redlich Mühe gegeben, ihre politischen Differenzen hinter interpretationsfähigen Kompromißformeln zu verbergen oder aber gar nicht erst anzusprechen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

Previous Page TOC Next Page