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Die Wahlen: ein Erfolg für eine proeuropäische Stabilitätspolitik

Premierminister Konstantin Simitis hat Griechenland vorzeitige Parlamentswahlen zum 22. September 1996 mit der Begründung verordnet, es seien tiefgreifende Reformen erforderlich, wenn das Land der Europäischen Währungsunion (EWU) beitreten wolle. Wahlen müßten für diesen Prozeß die notwendige Legitimation schaffen. Drei Aspekte sind also bezüglich der gegenwärtigen Lage Griechenlands von besonderer Bedeutung: erstens das Ergebnis der Wahlen, zweitens die außenpolitische Lage und drittens der Stand und die Perspektiven der Volkswirtschaft.

Nach einer langen Zeit der Unsicherheit und Ineffizienz, als Panpandreou ernsthaft erkrankt und nicht mehr in der Lage war, die Regierungsgeschäfte wahrzunehmen, konnte endlich die Nachfolge für Papandreou geregelt werden. Simitis wurde zunächst im Januar 1996 Ministerpräsident und im Juni 1996 nach heftigen parteiinternen Auseinandersetzungen Vorsitzender der PASOK (Panhellenische Sozialistische Bewegung). Schließlich festigte Simitis seine politische Position dadurch, daß er die Wahlen vom 22. September 1996 überzeugend gewann.

Bei der Kandidatur für den Parteivorsitz hatten sich drei Politiker besonders hervorgetan: Simitis präsentierte sich als pragmatischer und proeuropäischer Politiker, der sich der Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage und der Verbesserung des administrativen Systems verschrieben hatte. Aus der Partei waren Stimmen zu vernehmen, Simitis sei "zu europäisch" und der griechischen Mentalität zu wenig zugetan. Auch könne er hinsichtlich seines Charismas nicht an Papandreou heranreichen. Simitis hatte in den fünfziger Jahren in Marburg Jura studiert und war später zum Professor für Handels- und Zivilrecht an der Universität Gießen avanciert. Sein Trumpf war die verbreitete Auffassung, daß die PASOK nur mit Simitis Wahlen gewinnen könne.

Als "Mann der Partei" und enger Vertrauter von Andreas Papandreou stellte sich Akis Tsochatsopoulos vor. Er konnte sich vor allem von der Unterstützung durch den Parteiapparat größere Chancen ausrechnen. Die Nähe zu Papandreou erwies sich als Vorteil und Belastung zugleich: Versprach seine Wahl einerseits eine gewisse Kontinuität zu dem Parteigründer Papandreou - wenn auch natürlich nicht mit dessen unbestreitbar charismatischer Ausstrahlung -, so stand Tsochatsopoulos doch immer auch ein wenig im Schatten des früheren Parteiführers und konnte sich dadurch wenig für eine größere Öffentlichkeit profilieren.

Der dritte Kandidat, Gerassimos Arsenis, hatte in der PASOK schon immer eine gewisse Sonderrolle gespielt. Er gehörte nicht zu den Gründern der PASOK, als die Partei von Papandreou 1974 nach Überwindung der Militärjunta ins Leben gerufen wurde. Vielmehr wurde Arsenis erst 1981, als die PASOK bereits ihren ersten großen Wahlsieg errungen hatte und die Regierung übernahm, von Papandreou aus dem Ausland, wo er für OECD tätig war, gerufen und zum Minister ernannt. Zwischenzeitlich war Arsenis sogar aus der PASOK ausgetreten und hatte eine kleine sozialistische Partei gegründet. Als dieser der Erfolg versagt blieb und als sich Arsenis wieder mit Papandreou ausgesöhnt hatte, stand seiner Rückehr in die PASOK nichts mehr im Wege. Bei der Bewerbung um den Parteivorsitz bemühte er sich, den linken und eher populistisch ausgerichteten Parteiflügel anzusprechen. Anders als Tsochatsopoulos verfügt Arsenis nur über wenig Macht in der Partei.

Erst nach der Androhung, künftig als Ministerpräsident nicht mehr zur Verfügung zu stehen, wenn er nicht zugleich auch das Amt des Parteivorsitzenden innehabe, konnte sich Simitis auf dem PASOK-Parteitag am 30. Juni 1996 gegen seine Mitbewerber durchsetzen. Die mehr als 5000 Delegierten wählten Simitis mit 54 Prozent der Stimmen zum neuen Parteichef.

Bei den Wahlen vom 22. September 1996 sind die Intentionen jener, die Simitis zum Parteivorsitz verholfen hatten, aufgegangen: Die PASOK konnte die Wahl mit 41,49 Prozent der Stimmen gewinnen. Aufgrund des in Griechenland geltenden "verstärkten Verhältniswahlrechts", das die stärkste Partei bei der Mandatsverteilung begünstigt, konnte die PASOK mit 162 von 300 Abgeordneten ins Athener Parlament einziehen. Gegenüber der letzten Wahl von 1993 hat sich die Partei freilich um gut 5 Prozent und 8 Mandate verschlechtert (siehe Wahlergebnisse im Anhang).

Die bürgerlich-liberale Neue Demokratie hat sich 1996 zwar weniger stark gegenüber 1993 verschlechtert, doch mit 38,12 Prozent der Stimmen und 108 Abgeordneten blieb sie deutlich gegenüber der PASOK zurück. Die übrigen Parteien konnten nur bescheidene Anteile erreichen. Die orthodoxen Kommunisten (KKE) verbesserten sich gegenüber 1993 auf 5,61 Prozent, die aus den Eurokommunisten hervorgegangene Linke Allianz (Synaspismos) konnte mit 5,12 Prozent ihren Stimmenanteil von 1993 fast verdoppeln.

Von besonderer, ja symbolischer Bedeutung war das Abschneiden der beiden Parteien Politischer Frühling und DIKKI. Der Politische Frühling war 1993 vom früheren Außenminister der Neuen Demokratie Antonis Samaras gegründet worden und hatte sich vor allem mit nationalistischen Parolen hervorgetan. In der Mazedonienfrage hatte sich diese Partei ganz besonders kompromißlos geriert. Daß sie nun lediglich 2,94 Prozent der Stimmen erhielt und damit an der Drei-Prozent-Hürde scheiterte, war kennzeichnend für das politische Klima in Griechenland. Mit einer nationalistischen Rhetorik gegenüber dem nördlichen Nachbarn kann man derzeit in Griechenland keine breite Zustimmung mehr unter den Wählern finden. Daß sich die DIKKI - 1995 unter dem früheren Finanzminister Dimitris Tsovolas von der PASOK abgespalten - mit 4,43 Prozent und 9 Abgeordneten bescheiden mußte, zeigt an, daß die PASOK noch immer im sozialdemokratischen Lager den Ton angibt und daß die angekündigten Sparmaßnahmen und sozialpolitischen Einschnitte (noch?) nicht zu einer Stärkung linker Kräfte außerhalb der PASOK führen.

Der Wahlkampf von 1996 unterschied sich merklich von denen früherer Jahre. Sachliche Argumente verdrängten das bislang übliche rhetorische Feuerwerk. Massenveranstaltungen gab es auch bei der PASOK nicht mehr. Früher wurden die Teilnehmer aus dem ganzen Land mit Bussen zu solchen Ereignissen transportiert, um dort in einer emotional aufgeladenen Stimmung die Ansprachen der Parteiführer zu vernehmen. Besonders Andreas Papandreou beherrschte die Kunst, sich bei diesen Gelegenheiten mit oft demagogischen Reden ins rechte Licht zu setzen. 1996 konnte man dagegen einen neuen Stil beobachten, fand doch, wie einige Zeitungen schrieben, "der Wahlkampf auf dem Sofa vor dem Fernseher" statt. Hier präsentierten sich die führenden Politiker, um für sich und ihre Parteien zu werben. Besonders Simitis nutzte den Wahlkampf, um seinen Landsleuten reinen Wein einzuschenken. Immer wieder betonte er, daß es zu einer strikten Sparpolitik keine Alternative gebe. Dieses Argument dürfte denn auch begründet haben, weshalb sich Simitis für vorgezogene Wahlen entschieden hatte: Statt bis zum regulären Wahltermin (im Herbst 1997) zu warten und in dieser langen Vorwahlperiode zu finanziellen Zugeständnissen gegenüber dem Wahlvolk genötigt zu sein, sollte die vorgezogene Wahl den Start in die Konsolidierungspolitik nicht verzögern.

Inhaltlich setzten sich die beiden großen Parteien PASOK und Neue Demokratie nur wenig voneinander ab. Beide Parteien betonten die Notwendigkeit der wirtschafts- und finanzpolitischen Konsolidierung. Konsens herrschte in der Substanz auch weitgehend bei den "nationalen Fragen", also bezüglich der Türkei und Zyperns. Das hinderte den Führer der Neuen Demokratie, Miltiadis Evert, freilich nicht an der demagogischen Behauptung, Simitis habe das nationale Interesse während der Imia-Krise verraten, als türkische Journalisten eine griechische Insel besetzt hatten. Das zeigte freilich nur, daß immer dann, wenn es um das Thema Türkei geht, Politiker in Griechenland selten vor der Versuchung gefeit sind, sich durch nationalistische Positionen zu profilieren.

Bei der Regierungsbildung ist Simitis insofern ein Meisterstück gelungen, als er seine innerparteilichen Mitbewerber um das Amt des Parteivorsitzenden in die Regierung einbinden konnte: Akis Tsochatsopoulos wurde Verteidigungsminister, und Gerassimos Arsenis erhielt das Erziehungsressort. Das Amt des Außenministers verblieb bei Theodoros Pangalos, einem oft wenig diplomatischen und daher umstrittenen Politiker, der den populistischen Flügel in der PASOK repräsentiert. Georgios Papandreou, der Sohn des früheren Parteiführers, mag über die ihm anvertraute Position eines für Europafragen zuständigen Stellvertretenden Ministers vielleicht enttäuscht sein, denn immerhin wird seinem Eintreten für Simitis auf dem letzten Parteitag dessen Erfolg bei der Wahl zum neuen Parteiführer zugeschrieben. Neben dem Wirtschaftsressort hat Giannos Papantoniou auch das Finanzressort erhalten. Er tritt für ein striktes Festhalten am Konvergenzprogramm ein, damit Griechenlands Chancen zum Beitritt zur Währungsunion (in der zweiten Gruppe) gewahrt werden. Die mit dem ehemaligen Parteichef nicht verwandte Vasso Papandreou, die sich als EG-Kommissarin einen Namen gemacht hatte, erhielt ein umfassendes Ressort. Sie ist zuständig für Entwicklung, Industrie, Handel und Fremdenverkehr. Alekos Papadopoulos, der sich als Finanzminister für eine Bekämpfung der Steuerhinterziehung eingesetzt hatte, wird sich künftig als Innenminister mit dem aufgeblähten Verwaltungsapparat in Griechenland auseinanderzusetzen haben. Daß es dem neuen Ministerpräsidenten gelungen ist, seine innerparteilichen Konkurrenten und zugleich auch die wichtigsten Parteiströmungen in der Regierung zusammenzuführen, hat zunächst zur Beruhigung in der PASOK geführt. Ob diese Konstellation in der Zukunft - etwa dann, wenn die Ernsthaftigkeit der Spar- und Konvergenzpolitik auf die innenpolitische Probe gestellt werden wird, auch hält, was sie heute verspricht, wird man abwarten müssen. Konflikte sind hier durchaus nicht ausgeschlossen.

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Abschied von den charismatischen Dinosauriern

Die Wahl von Simitis zum Parteiführer und seine Bestätigung als Ministerpräsident muß als bemerkenswerter Wandel betrachtet werden: Erstens hat Griechenland "Abschied von den Dinosauriern" genommen. Ein Generationswechsel ist mit dem Abtreten von Andreas Papandreou bei der PASOK und bereits zuvor mit Kostantin Mitsotakis bei der Neuen Demokratie vollzogen worden. Diese Politiker hatten ihre politische Karriere noch in den sechziger Jahren begonnen und hatten die politischen Wirren miterlebt, die 1967 in der Machtübernahme der Militärjunta endeten. Den demokratischen Neuanfang nach 1974 hatten sie maßgeblich mitgeprägt. Sie hatten allerdings auch dafür gesorgt, daß viele Elemente des traditionellen politischen Systems wie der Klientelismus und die Vetternwirtschaft sowie der "politische Handel" (rousfeti) erhalten blieben.

Zweitens hat sich Griechenland auch von den Charismatikern verabschiedet. Andreas Papandreou und der frühere Staatspräsident Konstantin Karamanlis gehörten einer Politikergeneration an, die weniger durch programmatische Sachaussagen als vielmehr durch ihre persönliche Ausstrahlung an die Macht gelangten. Die demagogischen Töne und die Verunglimpfung des politischen Gegners gehörten insbesondere bei Papandreou zum Arsenal dieses Politikstils. Von alledem ist bei Simitis nichts zu spüren. Daß seine nüchterne und unpopuläre Botschaften nicht aussparende Art jetzt vom Wähler honoriert wurde, führt Griechenland auch in politisch-kultureller Art näher an Europa heran.

Drittens hat sich mit der Wahl der neuen Parteiführung die durchaus bestehende Gefahr zunächst einmal gelegt, daß sich die verschiedenen politischen Strömungen in der PASOK politisch separat organisieren. Nachdem der alle Tendenzen integrierende Papandreou entfallen war, war ein Zerfall der PASOK durchaus nicht auszuschließen, haben sich in dieser Partei doch ganz unterschiedliche politische Richtungen zusammengefunden. Bürgerliche Zentrumspolitiker zählten ebenso dazu wie Linkssozialisten, moderate Sozialdemokraten, "Antiimperialisten" oder persönliche Anhänger von Papandreou.

Viertens hat die Festigung der PASOK zur Stabilisierung des Parteiensystems in Griechenland beigetragen. Das Land verfügt seit nunmehr mehr als zwanzig Jahren über ein stabiles "Zweieinhalb-Parteien-System" mit zwei starken Parteien sozialdemokratischer bzw. bürgerlich-liberaler Provinienz sowie weiteren politischen Parteien, die jedoch die Dominanz der beiden großen Gruppierungen nicht gefährden können. Aus diesem Grund ist es in Griechenland seit 1974 mit nur ganz wenigen Ausnahmen immer zur Bildung von Ein-Parteien-Regierungen gekommen. Lediglich von 1989 bis 1990 gab es zunächst eine konservativ-kommunistische und dann eine Allparteien-Koalition.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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