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5. "Globale" Wettbewerbsfähigkeit?

Politiker und Wirtschaftsexperten haben sich seit Beginn der neunziger Jahre intensiv mit den veränderten Konkurrenzbedingungen im Zeitalter der Globalisierung sowie mit der künftigen Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft befaßt. Dabei wird unterschieden zwischen der preisgebundenen Wettbewerbsfähigkeit (compétitivité-prix), die über Kosten-, Wechselkurs- und Exportpreisrelationen vermittelt wird, und der nicht preisgebundenen, qualitativen Wettbewerbsfähigkeit (compétitivité hors-prix). Nach der weitgehend erfolgreichen Stabilisierung der Preise und Lohnkosten erscheinen die Möglichkeiten weiterer Fortschritte auf der reinen Preisebene begrenzt. Dies befreit nicht von weiteren Kostensenkungs-Bemühungen im Bereich der Kapitalproduktivität (z.B. Maschinenlaufzeiten), der Vorleistungen (Infrastrukturen, Energie usw.) und der in Frankreich besonders hohen indirekten Arbeitskosten. Seit Anfang der neunziger Jahre haben sozialistische wie bürgerliche Regierungen die Arbeitgeber-Sozialbeiträge zu senken begonnen und damit vor allem im Bereich der unteren Lohngruppen die Arbeitskosten entlastet: zunächst im Rahmen spezifischer beschäftigungspolitischer Maßnahmen (befri-stete Befreiung der Unternehmen von Sozialbeiträgen bei Einstellung bestimmter Kategorien von Arbeitslosen), neuerdings auch durch eine Umschichtung der Finanzierungsstruktur der Sozialversicherung (Abbau der Sozialversicherungsbeiträge zugunsten einer auf alle Einkommen erhobenen fiskalischen Abgabe).

Bei aller Notwendigkeit der Begrenzung der Lohnkosten wird vor einer Wettbewerbsstrategie gewarnt, die einseitig auf die Preiskonkurrenz setzt und sich in einen ruinösen Wettlauf um die niedrigsten Arbeitskosten begibt. Statt dessen werden die qualitativen Elemente der Wettbewerbsfähigkeit stärker hervorgehoben. Unter deutlicher Bezugnahme auf die deutsche Standortdiskussion ist von führenden Wirtschaftsexperten das Konzept einer systemischen, "globalen" Wettbewerbsfähigkeit (performance globale) entwickelt worden.

Dieses Konzept zielt auf die Innovations- und Anpassungsfähigkeit der Unternehmen, die Qualität ihrer Produkte, die Qualifizierung und Motivation ihrer Beschäftigten und die Ausdifferenzierung ihrer Angebotspalette. Darüber hinaus geht es für Alain Minc, einen der prominenten Vordenker dieses Konzeptes, um "die Qualität und die Intensität der Beziehungen, die sich zwischen dem Unternehmen und seinem Umfeld ergeben: vor allem das Ausbildungs- und Forschungssystem, das Bankensystem, das Zulieferer- und Partnernetz, die Transfers zwischen großen und mittelständischen Unternehmen sowie die in den Unternehmen mobilisierbaren Fähigkeiten der Kooperation und der Einbeziehung der Beschäftigten."

Alle Akteure werden aufgefordert, ihren Beitrag zur Festigung der globalen Wettbewerbsfähigkeit zu leisten: Unternehmen (neue Produktionskonzepte und Sozialbeziehungen, verstärktes Engagement in der beruflichen Ausbildung), Wirtschaftsverbände (unternehmensübergreifende Kooperations- und Partnerschaftsstrukturen zwischen Zulieferern und Produzenten, Industrie und Handel, Industrie und Banken), Tarifparteien (Lohn- und Arbeitszeitpolitik), Staat und Gebietskörperschaften (Umbau der Steuer- und Abgabenpolitik; Modernisierung und Verschlankung der Verwaltung, flexiblere Interventionsformen, mittelstandsfreundliche Wirtschaftspolitik, Reform der beruflichen Erstausbildung, usw.).

Nicht zufällig werden hierbei spezifische französische Strukturschwächen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft angesprochen, deren Überwindung längerfristig einen wichtigen Beitrag zur Standortsicherung darstellt. Damit werden auch die Reformfelder genannt, die die politische Tagesordnung in den kommenden Monaten und Jahren beschäftigen dürften.

Die Strategie der globalen Wettbewerbsfähigkeit hat den Vorzug, die verteilungspolitische Konfrontation um Lohnkosten und Soziallasten ebenso zu relativieren wie die Auseinandersetzung zwischen euroliberalen und neomerkantilistischen Konzepten der Wachstums- und Stabilitätspolitik. Gegenüber der in Frankreich vielfach thematisierten und kritisierten Einschränkung nationaler Handlungsspielräume infolge der außenwirtschaftlichen Einbindungen lenkt sie den Blick auf zahlreiche gestaltungsfähige Handlungs- und Reformfelder. Ihre Erarbeitung im Rahmen von Sachverständigengruppen der Planification, an denen Vertreter der Staatsverwaltung sowie der Sozialpartner beteiligt sind, verweist zudem auf mögliche Konsenslinien eines "Bündnisses für Wettbewerbsfähigkeit" à la française. Niemand anderes als der heutige Chef des Unternehmerverbandes CNPF, Jean Gandois, zeichnete im übrigen für einen der wichtigsten Expertenberichte über "globale Wettbewerbsfähigkeit" verantwortlich.

Dem steht allerdings entgegen, daß die im Rahmen der Strategie notwendige Konzertierung der Akteure sich in einem Land äußerst schwierig gestaltet, in dem die Verbandsstrukturen eher schwach ausgebildet, häufig zersplittert und nicht immer repräsentativ sind und die Formen der Konsensbildung zwischen Staat und Verbänden, ebenso wie zwischen den Tarifparteien, äußerst schwach ausgeprägt sind. Eine Politik der "globalen Wettbewerbsfähigkeit" gerät fast zwangsläufig in Konflikt mit tradierten Interessen und Funktionsweisen in Staat, Verwaltung, Unternehmen und sozialen Gruppen, denn sie rührt an den Grundlagen des oben skizzierten etatistisch-colbertistischen Modells, das die Verhaltensweise vieler Akteure noch immer prägt. So haben kurzfristige Kostensenkungsstrategien in vielen Unternehmen weiterhin Vorrang - und liegen häufig auch näher, weil sie schnelle Vorteile versprechen. Damit ist die Debatte um die künftige französische Wettbewerbsstrategie weiter offen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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