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4. Kapitalverflechtung: von der passiven zur aktiven Internationalisierung

Ähnlich wie die Handelsverflechtung hat auch die Internationalisierung der Produktion und der Unternehmen spektakulär zugenommen. Noch Anfang der achtziger Jahre konnte man von einer abhängigen Internationalisierung der französischen Wirtschaft sprechen: ein relativ großer Teil der Industrie, darunter zahlreiche Wachstumsbranchen, war unter ausländischer Kapitalkontrolle, während die Präsenz französischer Konzerne im Ausland deutlich hinter der vergleichbarer Länder zurückblieb. Dieses Bild hat sich grundlegend gewandelt. Heute stellt sich Frankreich als eines der großen Industrieländer mit dem höchsten Grad der Investitionsverflechtung dar. Nach der Wende der Wirtschaftspolitik 1983 setzte ein wahrer Investitionsboom seitens der französischen Unternehmen ein, die ihre wiedergewonnenen finanziellen Margen dazu nutzten, um ihren Rückstand an internationaler Verflechtung aufzuholen. Die jährlichen Flüsse an Auslands-Direktinvestitionen haben sich innerhalb von zehn Jahren verzehnfacht (Abbildung 7).

Was die Präsenz ausländischen Kapitals in der französischen Wirtschaft betrifft, so hat sich die ohnehin starke Öffnung weiter verstärkt. Mit einem Kapitalbestand von 100 Mrd. US-$ (1980: 20 Mrd. $) nimmt Frankreich 1992 5% der weltweiten Auslands-Direktinvestitionsbestände auf (1980: 4%). Damit steht es weltweit auf dem vierten Rang aller kapitalaufnehmenden Staaten. Unternehmen mit ausländischer Beteiligung realisierten 1992 29,2% der französischen Industrieproduktion (1980: 26,6%), mehr als doppelt so viel in Deutschland (13,2%).

Konnte man diese Situation noch 1980 als Ausdruck von Schwächen der französischen Produktionsstruktur und einer einer Position der Abhängigkeit von ausländischem Kapitaleinfluß interpretieren, so hat sich diese Sichtweise grundlegend gewandelt. Zunächst in der politischen Behandlung ausländischer Direktinvestitionen in Frankreich: diese waren seit den sechziger Jahren starken Kontrollen und vorherigen Genehmigungsverfahren unterworfen, um das Ziel einer kohärenten französischen Produktionsstruktur nicht zu gefährden. Der wirtschaftspolitische Kurswechsel von 1983 zog dagegen eine veränderte politische Einschätzung ausländischer Niederlassungen nach sich, die nunmehr als willkommene Stärkung des Produktionsstandortes Frankreich einschließlich der Schaffung von Arbeitsplätzen willkommen waren. Entsprechend hat sich die Gesetzgebung innerhalb eines Jahrzehntes sukzessive liberalisiert. Im Frühjahr 1996 kündigte Wirtschafts- und Finanzminister Arthuis die nahezu vollkommene Liberalisierung ausländischer Investitionen in Frankreich (mit Ausnahme weniger sensibler Sektoren wie den Rüstungsbereich), den Abbau administrativer Barrieren, die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren (15 Tage sollen künftig statt bislang bis zu 6 Monaten genügen) sowie steuerliche Anreize an (Investitionen von April 1996 bis Februar 1997 kommen in den Genuß beschleunigter Abschreibungsmöglichkeiten). Die anhaltend hohen Direktinvestitions-Flüsse nach Frankreich (1995: 60,7 Mrd. Francs) werden von der Politik als Zeichen der Attraktivität des Standortes Frankreich gewertet; Präsident Chirac gab die Devise aus, Ambition Frankreichs müsse es sein, weltweit den 1. Rang als Empfänger von Auslandskapital einzunehmen.

In einer funktionalen Betrachtungsweise nimmt Frankreich als Standort für Forschung und Entwicklung multinationaler Unternehmen eine sehr gute Position ein. Ausländische Unternehmen unterhalten 417 entsprechende Einrichtungen mit insgesamt 25 000 Forschern. Im Bereich der logistischen Netzwerke unterliegt Frankreich trotz einer guten Ausgangsposition einer harten Konkurrenz anderer Standorte. Nur unterdurchschnittlich ist hingegen die Zahl der europäischen Konzernzentralen transnationaler Unternehmen in Frankreich, das hier deutlich hinter Großbritannien, Deutschland, Belgien und den Niederlanden zurückliegt.

Eine wahre Aufholjagd im Bereich der Auslandsinvestitionen haben die französischen Unternehmen ab Mitte der achtziger Jahre vollzogen. Der Anteil Frankreichs an den weltweiten Beständen der Auslandsinvestitionen war von 1960 (6%) bis 1980 (4%) gesunken; seither hat er sich auf 8% (1992) verdoppelt.

Die französischen Unternehmensgruppen wiesen 1980 bis auf wenige Ausnahmen weder die notwendige kritische Größe noch die finanziellen Polster auf, die Voraussetzung für eine aktive Internationalisierung sind. Die Unternehmen des 1981 stark ausgeweiteten verstaatlichten Sektors befanden sich unter engen politischen Zwängen; das Auslandsengagement war zaghaft und durch einige spektakuläre Mißerfolge (Renault/American Car; Creusot-Loire/Phoenix Steel) gekennnzeichnet.

Der Kurswechsel von 1983, die generelle Verbesserung der unternehmerischen Rahmenbedingungen, die verbesserte Finanzsituation, die europäische und weltweite Liberalisierung des Kapitalverkehrs und die Perspektive des Binnenmarktes haben einen radikalen Wandel der Verhaltensweisen bewirkt. Mit der ab 1985 einsetzenden Investitionswelle seiner Unternehmen rückte Frankreich in die Spitzengruppe der Auslandsinvestoren vor. So realisierten französische Firmen allein zwischen 1988 und 1992 13,7% aller weltweiten Fusionen und Käufe und lagen damit hinter Großbritannien, fast gleichauf mit den USA und weit vor Deutschland.

Diese Auslands-Investitionsdynamik der französischen Unternehmen ist zu Recht als Wettlauf um die in einer globalisierten Weltwirtschaft notwendigen kritischen Größenordnungen und Skalenerträge bezeichnet worden, die überwiegend durch externes Wachstum realisiert wurden. Damit konnten die Rückstände gegenüber den europäischen Konkurrenten weitgehend aufgeholt werden. Seit Anfang der neunziger Jahre scheint sich der Nachholeffekt abzuflachen; die Investitionsflüsse sind rückläufig.

Die heute 16 000 Auslandsfilialen französischer Unternehmen (mit einer Mindestkapitalbeteiligung von 10%) konzentrieren sich etwas stärker als die deutschen auf den europäischen Raum, während der außereuropäische OECD-Raum etwas weniger vertreten ist. Kritisch vermerkt wird bei französischen Experten, daß die großen französischen Unternehmensgruppen häufig eher einen europäischen als einen wirklich weltweiten Zuschnitt haben; in diesem Zusammenhang ist auch die zu geringe Präsenz in den USA und den neuen Wachstumsmärkte in Südamerika und Südostasien zu nennen, trotz vermehrter Aktivitäten in jüngster Zeit. Zu geringe Größe und zu geringe Finanzressourcen (vgl. unten, 6.) begrenzen die Interventionsmöglichkeiten der französischen Unternehmensgruppen im Vergleich zu ihren internationalen Konkurrenten.

Nimmt man die Handels- und Investitionsverflechtung zusammen, so kann Frankreich heute als Land mit hohem außenwirtschaftlichen Öffnungsgrad und einer insgesamt positiven Wettbewerbsposition bezeichnet werden. Dabei verweist die französische Wirtschaftsforschung allerdings auf sektorale Kontraste. Die folgende Typologie der Sektoren nach ihrem Grad der Internationalisierung (gemessen an Handels- bzw. Investitionsströmen) und ihrer Wettbewerbsposition (nach ihrer Handels- bzw. Kapitalbilanz) ergibt ein differenziertes Bild der Stärken und Schwächen der französischen Industrie.

- Zu den Branchen mit geringer Kapitalverflechtung und stark defizitärer Handelsbilanz zählt vor allem die Konsumgüterindustrie (Texil, Bekleidung, Holzverarbeitung, Druck- und Verlagsgewerbe). Die stark mittelständisch geprägten französischen Unternehmen haben weder den Binnenmarkt kontrollieren noch sich internationalisieren können.

- Die stark internationalisierten, dominierten Branchen (hohes Handelsdefizit, starke Präsenz ausländischer Firmen in Frankreich, aber nur geringes Auslandsengagement französischer Firmen) umfassen Schlüsselbereiche wie die Informatik, den Maschinenbau, langlebige Haushaltsgüter, Papier und Kartonagen sowie Baustoffe (mit Ausnahme von Zement).

- Die internationalisierten Branchen mit guter Wettbewerbsposition stellen den eigentlichen Kern der französischen Stärkepositionen auf dem Weltmarkt dar. Hier sind vor allem die großen weltweit aktiven Unternehmensgruppen vertreten: Luftfahrt, Rüstungsgüter, Fahrzeuge, Dienstleistungen, Elektroindustrie, Telekommunikation, landwirtschaftliche Produkte und Nahrungsmittel, Zement, Glas, Eisenverarbeitung. Die Chemieindustrie weist gleichermaßen eine hohe passive wie aktive Internationalisierung und eine gute Exportposition auf.

- Zu den französischen Stärken zählen mit der Bauindustrie und der öffentlichen Wasserversorgung auch zwei Branchen, in denen die Handelsverflechtung von Natur her quasi inexistent ist, in denen französische Firmen (Bouyges, Générale des eaux, Lyonnnaise des eaux) sich aber erfolgreich internationalisiert haben und eine starke Marktposition behaupten können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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