FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Die politische Entwicklung

Am 14. Februar 1996 löste Wlodzimierz Cimoszewicz als siebter Ministerpräsident Polens nach der Wende und dritter Ministerpräsident der seit Herbst 1993 regierenden Koalition aus dem Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) und der Bauernpartei (PSL), Józef Oleksy als Ministerpräsidenten im achten Amtswechsel seit 1989 ab, der drei Wochen zuvor wegen des Vorwurfs der Spionagetätigkeit für die Sowjetunion und später Rußland zurückgetreten war. Der neue Premier Cimoszewicz, früher einmal Fraktionsführer der SLD, aber kein Mitglied der sie bestimmenden Sozialdemokratie Polens (SdRP), hatte sich den Ruf einer der unabhängigsten Leitungspersönlichkeiten des SLD erworben. Als Justizminister in der Regierung Pawlak leitete er die Aktion "Saubere Hände" ein, in der die Namen von etwa 60 höheren Beamten und Politikern veröffentlicht wurden, die zusätzliche Honorare für ihre Tätigkeit bei staatlich finanzierten Gesellschaften empfangen hatten. Cimoszewicz vertrat zu Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes 1995 die These, die SLD solle keinen eigenen Kandidaten aufstellen, sondern den Kandidaten der Freiheitsunion (UW), Jacek Kuroñ, oder den der Union der Arbeit (UP), Tadeusz Zieliñski, unterstützen. Nachdem aber Aleksander Kwasniewski seine Kandidatur angekündigt hatte, fügte er sich der Bündnisdisziplin und wurde Wahlkampfleiter des späteren Präsidenten. Obwohl kein Parteimitglied, hatte er als "postkommunistischer" Präsidentschaftskandidat für die SLD 1990 mit dem überraschend hohen Ergebnis von fast 10% der Stimmen politisches Gewicht erworben. Anfang September 1995 veröffentlichte er zusammen mit der publizistischen "Vaterfigur" Polens, Adam Michnik, einen Artikel "Über Wahrheit und Versöhnung", in dem zur Überwindung der polnischen politischen Spaltungen und zum Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Gruppierungen, also sog. Postkommunisten und sog. Post-"Solidarnosc"-Anhängern, aufgerufen wurde.

Politische Unabhängigkeit, persönliche Integrität, ausgewogener Charakter, Nähe - ohne Subordination - zum neugewählten Präsidenten Aleksander Kwasniewski, ließen Cimoszewicz als besonders geeignet erscheinen, um die aus der Oleksy-Affäre resultierenden politischen Wogen zu glätten und die allgemeine Befindlichkeit höchst unsicherer Zeiten zu beheben.

Page Top

Die Oleksy-Affäre: Cui bono?

Nach der verlorenen Präsidentschaftswahl versammelte Präsident Lech Walesa am 19. Dezember 1995 eine ausgewählte Gruppe hoher staatlicher Würdenträger im Präsidentenpalast, um sie von "seinem" Innenminister über den Verdacht der Spionagetätigkeit für den sowjetischen, später russischen Geheimdienst gegen Premierminister Józef Oleksy unterrichten zu lassen. Knapp eine Stunde nach Beginn dieses geheimen Treffens berichteten zwei Radiosender über die Anschuldigungen.

Statt sein Amt ruhen zu lassen, ersetzte der Regierungschef den stellvertretenden Innenminister Jasik, der angeblich für die Nachforschungen des Staatsschutzes gegen den Ministerpräsidenten verantwortlich war, durch seinen Sicherheitsberater Anklewicz. Damit begann er, sich selbst zu demontieren, und nährte den Verdacht, die Ermittlungen behindern zu wollen. Seitens der SLD, aber auch von Teilen der politischen Öffentlichkeit wurde die Aktion als politischer Racheakt Walesas gewertet, der nicht nur die Person Oleksys, sondern die gesamte Linke treffen sollte. Andere interpretierten die Anschuldigungen als Spitze des Eisbergs, als Symptom für die tiefe Verstrickung der SdRP in den kommunistischen Sumpf der Vergangenheit. Nach Einleitung eines Untersuchungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft des Warschauer Wehrbezirks am 24. Januar 1996 legte der als besonders kompetent geltende Ministerpräsident sein Amt mit der Begründung nieder, er wolle damit seine Unschuld belegen. Bereits drei Tage später wählte ihn der Parteitag der polnischen Sozialdemokratie als Nachfolger von Präsident Aleksander Kwasniewski zum Vorsitzenden ihrer Partei. Diese von manchen als Trotzreaktion, von anderen als Arroganz der Macht gedeutete Entscheidung führte zu Kontroversen selbst unter Amtsträgern und Aktivisten des Bündnisses der Demokratischen Linken und erschwert in der Zukunft Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit der SLD mit Oppositionsparteien, wie beispielsweise der Union der Freiheit (UW) oder der sozialdemokratischen UP.

Nach monatelangen Enthüllungen über Doppelspione, Führungsagenten, exotische Treffplätze, abgehörte Telefongespräche, die Stoff für mehrere Spionagethriller boten, stellte die Staatsanwaltschaft Ende April die Untersuchung gegen Oleksy ein, da keinerlei Verdachtsmomente für eine Anklage gefunden worden seien. Ministerpräsident Cimoszewicz kündigte an, sämtliche Akten zum Falle würden in einem Weißbuch der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Anschließend suspendierte der neue Chef des Amtes für den Staatsschutz (UOP) die mit dem Fall Oleksy betrauten Offiziere wegen zahlreicher gravierender Fehler. Ende Mai erklärte die Oberste Militärische Staatsanwaltschaft den Beschluß des mit dem Fall Oleksy betrauten Staatsanwalts für rechtskräftig, kurz danach gab Ministerpräsident Cimoszewicz bekannt, der Agent mit dem Decknamen "O" sei in Wirklichkeit ein Offizier des polnischen Geheimdienstes. Zugleich tauchten in der polnischen Presse Anschuldigungen auf, wonach nicht nur Oleksy, sondern auch andere Führer der SLD Mitarbeiter des sowjetischen bzw. russischen Geheimdienstes gewesen seien. Daraufhin erklärte die Sprecherin des russischen Auslandsnachrichtendienstes, die Behauptung, Präsident Aleksander Kwasniewski sei IM des russischen Nachrichtendienstes gewesen, sei "totaler Schwachsinn".

Wem hat die Affäre genutzt, welche sind ihre Folgen? Die politischen Chancen Walesas erhöhten sich nicht im erhofften Maße. Der politische Ruf Oleksys wurde wohl auf Dauer beschädigt. Die interne Position Aleksander Kwasniewskis, der gegenüber dem politischen Schwergewicht Oleksy gelegentlich von Parteifreunden als politischer "soft man of the world" beschrieben wird, verbesserte sich. Die ohnehin große emotionale Polarisierung zwischen Post-"Solidarnosc"-Lager und "Postkommunisten" verschärfte sich. Die polnischen Geheimdienste sind lahmgelegt und bedürfen, auch wegen der zahlreichen Enthüllungen und Umbesetzungen, einer weitgehenden Restrukturierung, um wieder voll funktionsfähig zu werden. Der Fall Oleksy macht erneut die negativen Folgen der mangelnden Aufarbeitung der Vergangenheit in Polen deutlich. Viele Beobachter in Polen sehen lediglich Rußland als Nutznießer der durch die Affäre ausgelösten internen Wirrungen und Schädigungen des Außenbildes Polens.

Page Top

Das Cimoszewicz-Kabinett

Daß Premierminister Cimoszewicz keiner Partei angehört, erhöht nicht nur seine Beliebtheit und Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung, sondern sollte ihm auch erlauben, sich frei zwischen den unterschiedlichen Machtzentren der Regierungskoalition zu bewegen. Seine parteipolitische Unabhängigkeit bedeutete aber zugleich das Fehlen einer Hausmacht. So wird inzwischen die Inkonsistenz seines Kabinetts, das den Kräftepolen der Koalitionsregierung entsprechend aus "mehreren Kabinetten" zusammengesetzt ist, kritisiert, ebenso wie die mangelnde Dynamik bei der Durchführung unterschiedlicher Regierungsvorhaben. Cimoszewicz habe es nicht geschafft, seine Position innerhalb des Regierungslagers zu konsolidieren, er administriere statt zu regieren, und seine Unabhängigkeit werde sowohl von dem SLD, mehr noch aber vom Koalitionspartner PSL als Schwäche gedeutet. Daß er sich ein unabhängiges Beraterteam suchte, wurde andererseits als eine Art Rebellion gegen die festgefügten Koalitionsstrukturen interpretiert. Man nahm es auch als Versuch wahr, mittelfristig eine alte Idee aufzugreifen, ein breiteres sozialdemokratisches Lager zu formen, das Platz für die "postkommunistische" SdRP, die kleinere, aus dem Post-"Solidarnosc"-Lager kommende sozialdemokratische Partei der Arbeit (UP) und die sozialdemokratischen Restteile der Union der Freiheit (UW) bietet. Hierbei - so Kritiker - lasse er aber Durchsetzungswillen und Konsequenz vermissen, was dazu führe, daß er in den Koalitionsparteien an Unterstützung verliere, ohne bei seinem Anhang an Zustimmung zu gewinnen. Präsident Kwasniewskis harsche Kritik im Juni an der öffentlichen Verwaltung als ineffizient, zu teuer und zu langsam wird als Indiz für bevorstehende härtere Zeiten für Premierminister Cimoszewicz gewertet.

Von den bisherigen sieben Premierministern seit 1989 überdauerte keiner viel mehr als ein Jahr. Am kürzesten mit knapp einem Monat war die erste Amtszeit Pawlaks im Jahre 1992. Nach derzeitigem Stand der Dinge dürfte Cimoszewicz die Regierung bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 1997 führen und damit der beständigste aller Premierminister seit der Wende werden. Angesichts der Parlamentswahlen und wegen der Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern und innerhalb der Koalitionsparteien sind seine Chancen, größere, umstrittene Strukturreformen durchzusetzen, allerdings sehr gering.

Sollte die Uneinigkeit der Opposition fortbestehen, ist unter Berücksichtigung des derzeitigen Umfragestandes ein Sieg der SLD bei den Wahlen im Herbst 1997 durchaus wahrscheinlich. Dies wäre dann zweifellos ein persönlicher Erfolg des Premierministers. Erst danach - so das Kalkül mancher seiner Sympathisanten - würde sich Cimoszewicz' bisher eigenwillige Position auch für ein konsequenteres und erfolgreiches Regieren nutzen lassen.

Page Top

Zur Situation der Koalition

Nach den Parlamentswahlen im Herbst 1993 wurden sowohl dem damals aus 27 (heute 28) Gruppierungen bestehenden Bündnis der Linken (SLD) als auch der Koalition aus SLD und der Bauernpartei (PSL) rasche Aufsplitterung nach dem Vorbild der früheren "Solidarnosc"-Regierungen und damit ein baldiges Ende vorausgesagt. Das Gegenteil war der Fall: Die Koalition überdauert trotz großer programmatischer Unterschiede, die SLD nahm in der Wählergunst zu. Orientierungen der beiden Koalitionsparteien sind in so vielen Fragen unterschiedlich, daß Kritiker nur den Machterhalt und die Besetzung von Posten als Kitt der Koalition sehen. Die Unterschiede betreffen Fragen des Staatsaufbaus bzw. der Dezentralisierung, Formen der Privatisierung, Reform der wirtschaftlichen Schlüsselressorts, ausländische Investitionen, Erwerb von Grundstücken durch Ausländer, Grad der Protektion unterschiedlicher Sektoren, Reform des Gesundheitssystems, Reform der Pensionsregelungen, Wissen zu weltanschaulichen Fragen wie der Ratifizierung des Konkordats, der Reprivatisierung der Besitztümer der Kirche oder der Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes.

Die Bauernpartei spielt dabei die Rolle des Reformbremsers. Die PSL ist in diesem Verhalten deshalb erfolgreich, da keine der Oppositionsparteien, auch nicht die in vielen Sachpunkten der SLD nahestehende Union der Freiheit (UW), derzeit bereit ist, mit dem "postkommunistischen" SLD zu koalieren. Auf diese Weise formte sich in der Öffentlichkeit das Bild einer klientelbezogenen, eher reformfeindlichen PSL und einer monolitischen, reformfreundlichen SLD.

Das Bündnis der Linken - ein Strom aus vielen Flüssen. Diese von den SLD-Vorleuten gerne zur Selbstbeschreibung gebrauchte Metapher gewann auch dadurch an Glaubwürdigkeit, daß die Sozialdemokratie Polens (SdRP) zunehmend zur bestimmenden Kraft innerhalb des Bündnisses wurde. SdRP-Vorsitzender Oleksy sprach allerdings im Mai von mindestens fünf selbständigen Spielern auf der politischen Bühne ohne Berücksichtigung der Opposition: Präsident Kwasniewski, Premierminister Cimoszewicz, SLD, PSL und Finanzminister Grzegorz Kolodko. Daß weder Kwasniewski, der nach der Präsidentenwahl sein Parteibuch zurückgegeben hatte, noch Premierminister Cimoszewicz Mitglieder der SdRP seien, bewirke, daß die SLD ihr Programm in die Regierungstätigkeit nur ungenügend einbringen könne.

Neben Oleksy bestimmen zwei weitere Personen und ihre Anhängerschaft Kräfteverhältnisse und Orientierungen innerhalb der SdRP: der "Übermininister" des Amtes des Ministerrats, Leszek Miller, und Präsident Aleksander Kwasniewski.

Józef Oleksys Unterfraktion gilt als pragmatisch, sie besteht vor allem aus mittleren Parteifunktionären und Mitgliedern der Parteiführung auf Wojewodschaftsebene. Auch Ewa Spychalska, Präsidentin der OPZZ-Gewerkschaft, gilt als Oleksys Team-Mitglied. Oleksy verkündet, seine Partei brauche "ein polnisches Bad Godesberg". Sie müsse das Etikett einer atheistischen Formation abstreifen und sich der christlichen Linken öffnen. Bisherige ideologische Elemente sollten durch ein Paket universaler Werte, zentriert um Gerechtigkeit und demokratischen Humanismus, ersetzt werden, wie es charakteristisch für westeuropäische sozialdemokratische Parteien ist. Auch dürfe den Rechtsparteien nicht das Monopol auf patriotische Ideen, nationale Traditionen und Symbole überlassen werden. Ein neues Programm der SdRP, das vorbereitet wird, müsse stärker die Situation im Agrarsektor, vor allem durch die Wiederbelebung der Genossenschaftsbewegung, berücksichtigen und solle Ende des Jahres die Orientierung der Partei "aus der Sicht der Hausfrau, der Straße, des Hinterhofs, der Jugend und der Frauen" präsentieren.

Leszek Miller, früherer Arbeitsminister, gilt als Vertreter von Ideologie und Prinzipien in der Partei. Von Kritikern, die seine Intelligenz und Flexibilität unterschätzen, wird er gerne als Betonkopf und Vertreter der "Rentner der Volksrepublik" mit einem Durchschnittsalter über 70 abgetan. Miller ist in Habitus und Stil ein Mann der Partei, die ihre stärkste Anhängerschaft nach Umfragen in den Altersgruppen unter 24 Jahren und über 65 Jahren findet. Als prominenteste Mitglieder seiner Gruppe gelten der Erziehungsminister und Vorsitzender des Parteibezirks Warschau, Jerzy Wiatr, und die stellvertretende SdRP-Vorsitzende, Izabela Sierakowska. Miller hat auch kraft seines Amtes die besten Möglichkeiten, Aufstieg und Fall von Parteiaktivisten in der öffentlichen Verwaltung zu befördern. Seine Fraktion steht für zwei klassische "linke" Eckpfeiler polnischer Politik: Wohlfahrtsstaat und Opposition zur Kirche. Hier trifft er sich mit Interessen der im Bündnis der Linken mit etwa 60 Parlamentariern vertretenen Gewerkschaft OPZZ.

Präsident Kwasniewski umgibt sich mit einem Team, das ihm in Orientierung und altersmäßig nahesteht. Zu seinen Anhängern werden der Generalsekretär der Partei Jerzy Szmajdziñski und der Innenminister Zbigniew Siemitkowski gerechnet. In ihrer pragmatischen Orientierung stehen sich die Anhänger von Oleksy und Kwasniewski sehr nahe und äquidistant zu den "Ideologen" Leszek Millers.

Unterschiede bestehen allerdings in der Machtperspektive. Während Miller und Oleksy vor allem die Einheit der SLD, deren mögliche Umwandlung aus einem Bündnis in eine Partei und einen Wahlerfolg bei den nächsten Parlamentswahlen im Jahre 1997 im Auge haben, handelt Kwasniewski mit Blick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000. Zudem berücksichtigt er stärker das Außenbild Polens. Den spektakulärsten Konflikt haben SLD-Fraktion und Präsident wegen der Ratifizierung des noch von der Regierung Suchocka im Jahre 1993 ausgehandelten Konkordats. Aleksander Kwasniewski modifizierte seine im Wahlkampf 1993 und in der Präsidentschaftskampagne 1995 vorgetragene Position inzwischen und tritt, wenn auch geschmeidig, für eine Ratifizierung des Konkordats noch vor einem Referendum über die sich in Arbeit befindende Verfassung ein. Die Mehrheit der SLD-Parlamentarier blieb bei ihrer Haltung und setzte sich Anfang Juli mit Stimmen der oppositionellen sozialdemokratischen UP gegen alle Oppositionsparteien und gegen eine Mehrheit der PSL im Parlament durch.

Andere Differenzen betreffen die Stellung des Präsidenten in einer neuen Verfassung. Im Unterschied zu seiner Position als früherer Vorsitzender der parlamentarischen Verfassungskommission fordert der Präsident jetzt eine stärkere Stellung im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Auch hier scheint die Mehrheit der SLD-Parlamentarier nicht nachgeben zu wollen.

Die Bauernpartei: Die PSL definiert sich als nationale, bäuerliche und christliche Partei. Ihre Weltanschauung ist klerikal-konservativ, ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind linkspopulistisch. In dieser Orientierung trifft sie sowohl die NSZZ "Solidarnosc", die nach Umfragen bei Parlamentswahlen die zweitstärkste Fraktion stellen könnte, als auch die Bewegung für den Wiederaufbau Polens (ROP) von Jan Olszewski, der beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen im November 1995 7% der Stimmen erhielt und dessen Partei dritt- oder viertstärkste Fraktion werden könnte. Beide Bewegungen eint ein emotionaler Antikommunismus, der der PSL als früherer Blockpartei aber auch wegen ihrer durchaus machtbewußten Position als Vertretung ihrer bäuerlichen Klientel, abgeht. Selbst die kleinere sozialdemokratische Partei der Arbeit (UP) sieht die PSL in wirtschaftspolitischen Fragen und solchen der Privatisierung als möglichen Bündnispartner. Sie trennen unterschiedliche Haltungen zur Ratifizierung des Konkordats. Leszek Balcerowicz, der Vorsitzende der Union der Freiheit (UW), kritisierte die PSL als objektiv gegen die Interessen der Bauern handelnd, da sie Strukturreformen in der Landwirtschaft verhindere. UW wie auch UP und "Solidarnosc" kritisieren die PSL wegen ihrer "Personalpolitik", mit der sie den Staat - in den Worten eines prominenten UP-Parlamentariers - "wie ein Bauer seine Kühe behandele, die er je nach Belieben schlachten, melken oder verkaufen könne".

Die PSL erhält trotz aller Kritik Avancen von allen Parteien, da nur mit ihr als Koalitionspartner eine parlamentarische Mehrheit gebildet werden kann. Die SLD gesteht ihre Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der PSL, bezeichnet sie zugleich - mangels anderer Koalitionsoptionen - als ersten Kandidaten für eine erneute Koalition nach den Wahlen.

Die PSL selbst wird sich - aus früherer Erfahrung klüger geworden - alle Optionen bis zum Zeitpunkt nach den Wahlen offenhalten. So ist sie im doppelten Sinne das "Zünglein an der Waage": ohne sie ist beim derzeitigen anti-"postkommunistischen" Lager-Denken der unterschiedlichen Post-"Solidarnosc"-Oppositionsparteien weder für die SLD noch für die andere Seite eine absolute Mehrheit und damit Regierungsbildung denkbar - mit ihr die gewünschte, vor allem von der Union der Freiheit geforderte schnellere Gangart der notwendigen Strukturreformen kaum vorstellbar.

Page Top

Wo ist die Mitte, wo die Rechte?

Ein prominenter sozialliberaler Abgeordneter der Union der Freiheit zeichnete die in der Grafik skizzierte Positionierung der politischen Parteien, wobei er als zentrale Achsen den Grad an Populismus und Kirchennähe annahm. Diese Skizze erlaubt eine grobe Orientierung im Parteienwirrwarr und wirft die Frage auf, ob es gelingen kann, für die Parlamentswahlen im Herbst 1997 parallel zur SLD im Mitte-Links-Spektrum eine politische Balance durch ein "Bündnis der demokratischen Rechten" zu bilden.





Die Stärke der SLD rührt u.a. daher, daß ihre 28 Partner bereit sind, die Führung der SdRP im Bündnis anzuerkennen. Dagegen gibt es im Post-"Solidarnosc"-Lager keine dominante Gruppierung. Manche begründen dies mit den persönlichen Rivalitäten, die aus dem von Lech Walesa nach seiner Präsidentschaftswahl begonnenen sog. "Krieg an der Spitze" rührten, der zum Aufbrechen der inneren Differenzen im "Solidarnosc"-Lager und zu seiner Zersplitterung mit tiefen Animositäten und Ressentiments seiner Führungspersönlichkeiten führte. Weder die Niederlage 1993 noch Kwasniewskis Wahlsieg zwei Jahre später bewirkten bei den Post-"Solidarnosc"-Parteien mehr als patriotische und pathetische Appelle. Die Bewegung für den Wiederaufbau Polens (ROP) unter Jan Olszewski, die Freiheitsunion mit Leszek Balcerowicz, NSZZ-"Solidarnosc" unter Marian Krzaklewski und auch Walesa mit seiner Satellitengruppierung BBWR agierten nach dem gleichen Muster: "Vereinigen wir uns, aber zu meinen Bedingungen".

Die Mitgliederschaft von NSZZ "Solidarnosc" ist zwischen Walesa-Anhängern und solchen der ROP Olszewskis gespalten. Ihr müßte besonders an einem gemeinsamen Block der demokratischen Rechten gelegen sein, da die Formierung von getrennten Koalitionen ihre Spaltung oder den Zwang zum Antreten mit einer eigenen Liste bedeuten würde. In beiden Fällen würden ihre Wählerstimmen zumindest gestreut. Die derzeit sehr gute Stellung der NSZZ-"Solidarnosc" in Umfragen ist Ausdruck einer Unterstützung für ein - wenn auch verschwommenes - "Solidarnosc"-Lager, nicht für die Gewerkschaft selbst.

Jan Olszewski, Chef einer der "Solidarnosc"-Regierungen von Dezember 1991 bis Juni 1992, teilt die politische Welt Polens in zwei Pole: Zum einen gehören die Erben der postkommunistischen Gruppierungen und diejenigen, die mit ihnen zusammenarbeiten und zusammenarbeiten können (dazu zählt auch die Freiheitsunion), den zweiten stellen jene, die "moralisch unbefleckt" von der Vergangenheit sind und allein schon deshalb erfolgreiche Politik betreiben müßten. Aus seiner und seiner Anhänger Sicht wird Polen von zwei, sich auf mafiöse Strukturen stützenden Gruppierungen regiert. Derzeit finde eine Restrukturierung des kommunistischen Polens und nicht der Aufbau eines demokratischen Staates statt. Die Freiheitsunion habe eine maßgebliche Rolle bei all dem gespielt.

Nach den meisten Umfragen würden "Solidarnosc" und ROP zusammen mehr Stimmen erhalten als die SLD. Beide sind sich in ihren klerikalen, patriotisch bis nationalistischen und wirtschaftlich linkspopulistischen Orientierungen nahe. Bisher konnte sich "Solidarnosc" jedoch zu keinem Bündnis durchringen. Eine Formation unter Führung von Lech Walesa käme für Jan Olszewski nicht in Frage, allein schon wegen der demütigenden Erfahrungen mit Walesa bei seiner Entlassung aus dem Amt des Premierministers. Dennoch wird wohl die ROP die besten Chancen haben, die polnische Rechte zu integrieren. Ihre Politiker geben einfache Erklärungen, ihre Attacken sind präzise: Zusätzliches Geld für Rentner, für die Bewahrung der nationalen polnischen Identität, gegen die Kommunisten für Polen...

Das Post-"Solidarnosc"-Lager ist also in zwei gegensätzliche Bewegungen, eine liberale Mitte und eine Rechte, geteilt. Der liberale Flügel wird vor allem durch die UW repräsentiert und umfaßt einige kleinere Gruppierungen wie die Bewegung der Hundert, Aleksander Halls Konservative, möglicherweise auch die Zentrumsallianz (PC). Sie bekämpft die SLD nicht nur wegen deren kommunistischer Vergangenheit, sondern als Partei, die den Wandel verlangsamt. Wäre diese liberale Mitteformation an der Regierung, könnte man eine raschere Gangart in der Privatisierung und Dezentralisierung und den anderen anstehenden Reformen, Sozialversicherung, Erziehungswesen oder Gesundheitswesen, erwarten. Nach allen Umfragen würde eine liberale Formation dieser Art kaum viel mehr als 10% der Wählerstimmen erhalten. Ihre Regierungsübernahme ist daher zunächst auszuschließen.

Die zweite Post-"Solidarnosc"-Bewegung ist die Rechte. Sie definiert sich vor allem, wenn nicht ausschließlich, durch ihren Antikommunismus. Ihr gehören derzeit die außerparlamentarischen ROP, NSZZ "Solidarnosc" und einige kleinere Gruppen an. "Solidarnosc" und ROP beschreiben sich als Rechte, kämpfen aber für wirtschaftlichen Populismus. "Solidarnosc" verteidigt die großen ineffizienten Staatsbetriebe, in denen sie ihre Mitgliedsbasis hat. ROP kümmert sich kaum um wirtschaftliche Fragen und verspricht in ihrem Programm "einen Vertrag mit Polen", niedrigere Steuern bei höheren Staatsausgaben und jedermann alles. Beide Gruppen sprechen die vom Wandel frustrierten und ihm feindlich gesinnten Wähler an. In früheren Zeiten, während der "Solidarnosc"-geführten Regierung gewann das Bündnis der Linken einen guten Teil dieses Wähler. Nun, da die Linke selbst an der Regierung ist, könnten diese Stimmen der populistischen Rechten zugute kommen. Alle derzeitigen Umfragen zeigen, daß ROP und "Solidarnosc" das Bündnis der Linken schlagen könnten. Da die Union der Freiheit in der Sicht der Rechten als "rosa gefärbte" Intellektuellenpartei fast noch mehr Objekt des Hasses als die SLD ist, käme bei einem Wahlsieg zur Schaffung einer parlamentarischen Mehrheit nur das Bündnis mit der PSL in Frage. Die PSL war als Vereinigte Bauernallianz (ZSL) Bestandteil der kommunistischen Machtstruktur und sah bisher im Unterschied zur SdRP Kwasniewskis keine Notwendigkeit, sich dafür zu entschuldigen.

Die Bereitschaft von ROP und "Solidarnosc", mit der PSL zu koalieren, zeigt, daß ihr fundamentalistischer Antikommunismus Lücken haben mag. Sie zeigt zugleich, daß sie sich auf Wähler orientieren, die vor allem auf die Vergangenheit fixiert sind. In der Gegenwart sind ROP, "Solidarnosc" und die Bauernpartei eine Dreifaltigkeit, die mit ihrer Distanz zum Fremden, ihrer Scheu vor Polens Integration in den Westen, wie auch im Schutz der obsoleten Landwirtschaft und der ineffizienten Staatsbetriebe recht gut zusammenpassen. Unglücklicherweise für Polen scheint nur dieses Dreierbündnis aus "Solidarnosc", ROP und PSL derzeit eine denkbare Alternative zur Dominanz des SLD zu sein.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

Previous Page TOC Next Page