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Staat und Verwaltung

Als negativer Standortfaktor werden in Deutschland die hohen Steuerlasten der Unternehmen und die hohe Regulierungsdichte der Wirtschaft beklagt. Dabei ist jedoch zu differenzieren zwischen den nominalen Steuersätzen, die in Deutschland in der Tat über denen der anderen Industrieländer liegen, und der effektiven Belastung der Unternehmen. Ein Vergleich der effektiven Belastung der Unternehmensgewinne zwischen Japan und Deutschland zeigt, daß die Unternehmenssteuerlast in Japan in drei und die Gesamtsteuerlast in vier von fünf ausgewählten Branchen über der Deutschlands liegt (natürlich gibt der Vergleich nur einen Ausschnitt wieder).





Gleichwohl wird um die Unternehmensbesteuerung in Japan, anders als bei den Einkommens- und Verbrauchsteuern, keine intensive Debatte geführt. Um so vehementer werden dagegen die hohe Regulierungsdichte und der wirtschaftliche Einfluß der staatlichen Verwaltung beklagt. Dabei sind hinsichtlich der Inhalte und der Form der Regulierung freilich zwei wesentliche Unterschiede zwischen Japan und Deutschland zu berücksichtigen. In Deutschland liegt der Schwerpunkt der Regulierung auf dem Verbraucher-, Gesundheits-, Umwelt-, Arbeits-, Landschaftsschutz usw., d.h. die behördlichen Vorschriften werden vornehmlich als Restriktionen der wirtschaftlichen Aktivität durch außerwirtschaftliche Rücksichten empfunden. In Japan dient die Regulierung in erster Linie dem Schutz wirtschaftlicher Aktivität selbst. Vereinfacht: In Deutschland treten Politik und Verwaltung als Anwälte der Gesellschaft gegenüber der Wirtschaft auf, in Japan als Anwälte der Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft bzw. bestimmter wirtschaftlicher Aktivitäten gegenüber anderen. Der Doppelcharakter der Debatte um Deregulierung ist daher noch ausgeprägter als in Deutschland. Während sich die Unternehmerverbände und die ihnen nahestehenden Wissenschaftler in den Leitartikeln der Wirtschaftspresse im Prinzip einig sind, daß die Wirtschaft zugunsten der Marktfreiheit zu deregulieren sei, gibt es in der Praxis höchst unterschiedliche Positionen, je nachdem, ob sie von einem Nutznießer oder einem Opfer der Regulierung bezogen werden.

Der zweite Unterschied betrifft die Form der Regulierung. In Deutschland sind behördliche Regulierungen rechtlich fixiert. Die Behörden müssen sich an die rechtlichen Vorgaben halten, und sie können auf Initiative der Betroffenen durch die Gerichte kontrolliert werden. In Japan ist nur ein Teil der Regulierungen rechtlich fixiert (erst 1994 wurde ein Verwaltungsgesetz verabschiedet, das das Verwaltungshandeln transparent und überprüfbar machen soll). Die Regulierung erfolgt meist in der Form der administrative guidance, der keine Gesetze zugrunde liegen. Für die Behörden bedeutet dies zweierlei: Auf der einen Seite sind ihre Ermessensspielräume weitaus größer als etwa in Deutschland; auf der anderen Seite jedoch verfügen sie nicht über das rechtliche Instrumentarium, mit dem sie ihre Vorstellungen auch erzwingen können. Für die Unternehmen bedeutet dies, daß die staatliche Regulierung nicht die Form einer unüberwindlichen Barriere annimmt, sondern im Einzelfall modifiziert werden kann; ob eine Regel gilt oder nicht, kann Verhandlungssache sein. Die im Ausland oft bewunderte "Kultur des Dialogs" zwischen Staat und Wirtschaft gründet auf nichts anderem als dem Zwang zur permanenten Rückversicherung beider Seiten über die Gültigkeit bzw. Modifikation der bestehen-den Regeln. Das System ist flexibler, seine Entscheidungen sind aber auch schwerer kalkulierbar. Auch in diesem Zusammenhang ist höhere Flexibilität mit Kosten verbunden: Die Unternehmen müssen die Beziehungen zu den für sie zuständigen Beamten kontinuierlich pflegen - wozu gehört, daß hochrangige ehemalige Beamte hochdotierte Posten in der Unternehmenshierarchie erhalten, um den intensiven Kontakt zur regulierenden Behörde zu sichern. Die Höhe dieser besonderen Art von Transaktionskosten ist schwer zu messen. Sie beschränken sich aber nicht auf die Managementgehälter für ehemalige Beamte bzw. die Kosten künstlich geschaffener hierarchischer Posten (viele Unternehmen gründen eigene Forschungsinstitute in erster Linie deshalb, um ehemaligen Beamten rangmäßig adäquate Leitungsposten zu verschaffen und sie gleichzeitig aus dem unternehmerischen Entscheidungszentrum herauszuhalten); die Verflechtung der Unternehmen mit den Behörden, von Beaufsichtigten und Aufsehern, produziert darüber hinaus eine wenig transparente und schwer kontrollierbare staatliche Entscheidungsbildung, die - wie die Krise des japanischen Finanzsystems zeigt - erhebliche volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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